Er meinte es ernst. Mannhaft blickte Herr Breschke mich an. Mit festem Griff fasste er das Holz, atmete tief ein und gab sich einen Ruck. Mutig setzte er den Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter.
„Wollen Sie nicht den Schlüsseldienst rufen?“ Meine Frage kam dem pensionierten Beamten fast blasphemisch vor. „Ich denke ja gar nicht daran“, empörte er sich, „am Ende machen die hier alles kaputt, und ich muss das dann bezahlen – nein, kommt überhaupt nicht in Frage!“ Ich seufzte. Er wollte tastsächlich lieber an der Hauswand hochsteigen und sich durch das leicht gekippte Schlafzimmerfenster ins Obergeschoss zwängen, um die Tür von innen zu öffnen. Breschke hatte sich ausgesperrt; zwar passierte ihm das in letzter Zeit häufiger, doch war seine Frau just einen Tag zuvor zur Badekur abgereist, so dass sie ihm nicht – wie sonst immer, wenn er den Schlüssel auf dem Garderobenschränkchen vergessen hatte – die Haustür von innen hätte öffnen können. Es nieselte leicht vor sich hin. Breschke ruckelte und rappelte an der Leiter, um deren Standfestigkeit auf der Terrasse zu überprüfen. Die ganze Sache machte einen reichlich windschiefen Eindruck.
„Sie wollen also“, versicherte ich mich, „das Fenster durch den Spalt aufhebeln. Meinen Sie nicht, dass Sie dazu ein geeignetes Werkzeug mit sich führen sollten?“ Der Hausherr warf sich in die Brust. „Das mache ich mit der bloßen Hand!“ Wie zum Beweis stellte er den zweiten Fuß auf die erste Sprosse und stand nun, man muss das neidlos anerkennen, gut drei Handbreit über dem Boden. Konzentriert blickte er nach oben, wo die Holme knapp unterhalb des Fenstersimses endeten. „Nun, Sie müssen es ja wissen.“ Leichthin schaute ich mich im Garten um. „Genau genommen brechen Sie in Ihr eigenes Haus ein. Und da möchte man schon, dass es schnell und umkompliziert geht.“ Er schnappte plötzlich zurück und sprang auf den Boden. „Was sagen Sie da?“ Breschke war auf einmal sehr unruhig geworden. „Aber bei einem Kippfenster muss man ganz genau wissen, wie es von außen zu öffnen ist, sonst kriegt man es von außen gar nicht geöffnet – oder meinen Sie nicht?“
Er kläffte, und das war kein gutes Zeichen; denn wer da kläffte, war Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, der nur deshalb nicht seiner Lieblingsbeschäftigung nachging, seinem Herrchen zwischen den Beinen herumzulaufen, weil ihm dabei die Leiter im Weg war. Nichtsdestoweniger kläffte er und sprang an den Leitersprossen empor. „Aus“, befahl Breschke, „sei ein braver Hund, dann bekommst Du nachher auch ein Leckerchen!“ „Sie sollten ihn besser am Geländer der Kellertreppe anbinden“, riet ich, „sonst kippt er die Leiter noch um.“ Der Klettermaxe winkte ab. „Mein Bismarck würde doch so etwas nie tun, dazu ist er viel zu gut abgerichtet.“ Bismarck seinerseits kommentierte dies, indem er den Fuß der Leiter eingehend beschnüffelte, sein Bein daran hob und schließlich die Vorderläufe auf den Tritt stellte. Breschke grantelte. „Ein paar Meter Schnur müsste ich doch noch irgendwo herumliegen haben“, murmelte er und verschwand um die Hausecke. Der Schrecken aller Gartenzwerge schnüffelte unterdessen an meinem Hosenbein. Dann kehrte Herr Breschke zurück, ein dünnes Ende Tau in der Hand. „Komm her“, lockte er seine vierbeinigen Gartenbeetplage, „nachher gibt Herrchen Dir auch fein Leckerchen!“
Es endete, wie man es hätte vorhersehen können. Breschke zerrte den unfolgsam bellenden Dackel um die Ecke und knotete ihn am Geländer fest. Da erst fiel mir das zweite Stück Tau auf, das aus seiner Jackentasche hing. Fragend blickte er mich an. „Meinen Sie nicht auch, dass man sich besser anseilen sollte bei einem so gefährlichen Manöver?“ Glück auf, der Steiger kommt, dachte ich bei mir, und nickte nur ergeben. „Man kann nicht vorsichtig genug sein“, insistierte Breschke. „Stellen Sie sich nur mal diese Bergsteiger vor – gerade erst haben sie doch wieder den Mount Everest bezwungen, das geht eben nur mit einer sicheren Seiltechnik.“ Und mit sicherem Griff schlang er das Ende um seinen Leib, verknotete es fest vor der Brust und schaute mir stolz ins Gesicht. „Safety first! Porzellankiste und so.“
Sollte ihn nun drei Meter über dem Erdboden plötzlich der Höhenkoller ereilen, so bliebe doch seine Lodenjoppe geschlossen. Und das ist ja auch schon mal ein Stück Sicherheit.
Mit einem Mal hielt er inne und nestelte an seinem Handgelenk. „Nehmen Sie mal lieber die Armbanduhr an sich“, sagte Breschke. „Am Ende verhake ich mich da noch an der Leiter, dann ist das Malheur passiert.“ „Vielleicht sollten wir vorher schnell die Igel im Knick in die Flucht schlagen“, erwiderte ich leicht gereizt, „nicht, dass da einer über den Rasen…“ „Halt, das hätte ich ja fast vergessen!“ Behende kletterte Breschke herunter, um wieselflink um die Ecke zu verschwinden. War er Bismarck eine Streicheleinheit pro drei Minuten schuldig oder warum verschwand er in Richtung Keller? Des Rätsels Lösung befand sich auf Breschkes Kopf, als er wieder zurückkam. „Mit dem Helm bin ich gesichert – gut, es wird sich keine der Dachschindeln lösen, aber…“ „Woher“, fragte ich hart und klopfte gewaltig Breschke auf den Hut, „woher verdammt haben Sie das Ding!?“ „Das ist von der Stellage, die Sie im letzten Winter noch in den Flur – aber da steht sie ja gar nicht mehr, meine Frau hatte sich beschwert, ich hatte sie abgebaut und dann im Erdgeschoss neben der Speisekammer… Wo wollen Sie denn hin? Wir müssen doch ins Haus!“
Satzspiegel