Gernulf Olzheimer kommentiert (LX): Fernsehwerbung

4 06 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der akustische Urgrund, das monotone Kauen der Hausstaubmilbe, die in Wirklichkeit noch einem Teilzeitjob als Schwanzlurch nachging, bis das Haus samt dem zugehörigen Staub erfunden wurde, wurde strukturiert vom Rascheln der Gräser, wenn ein Vierbeiner seine Nahrungsreste in der Steppe verklappte, und hie sowie da zerschnitt es rasch und unbürokratisch der Sound eines fallenden Gehölzes, das unvorsichtiges Getier in halbflüssigen Aggregatzustand versetzte. Der Hominide mit dem Einkaufszettel in der Hand ließ rhythmisiertes Gegrunze erschallen, ungefähr auf halber Strecke zwischen Magenübersäuerung und Gangsta Rap, um den anderen Evolutionskandidaten mitzuteilen: hier gibt’s lecker Proteine. Manch einer folgte der Anpreisung und fand Schmackhaftes, manchem jedoch, der Zeit voraus, ging das Reklamegeblök schon damals gewaltig auf den Sack.

Bis heute hat sich eigentlich nur geändert, dass Frequenz und Blödheit des Propagandageschwallers exponentiell angeschwollen sind, während ein Menschengeschlecht heranwuchs, das sich die Synapsen von der Resterampe hievt. Allabendlich drischt der Glotzkasten seinem bescheuerten Eigner eine Invasion grellbunter Bewegtbilder in die Hirnrinde. Die Fernsehwerbung gehört zu den letzten nicht erforschbaren Gefährdungen, denen der durchschnittliche Blödmann ausgesetzt ist; ihre Existenz wird nicht geleugnet, ihr Auftreten ist auch ohne wissenschaftlichen Kenntnisse vorhersehbar, und doch preschen ganze Völker mit dem Druck auf die Fernbedienung allabendlich wieder in das große Messer, das ihnen aus der Bildröhre droht. Pawlows Pinscher haben sich hinterhältig in die Masse einkreuzen lassen.

Die Verblödungslaterne leuchtet vornehmlich mit überflüssigem Zeugs heim: Pofel, den man nicht braucht, für Geld, das man nicht hat, im besten Falle noch, um andere Beknackte neidisch zu machen. Ob Halbbildungsfernsehen oder Unterschichtensender, auf allen Kanälen erfährt der Telekommandierte, dass er sein bisheriges Leben eigentlich für die Tonne gelebt hat. Ohne Backofensäuberungsspray, Geländemotorrad oder Feinstrumpfhose ist wohl längst kein zivilisierter Haushalt mehr zu führen, und ohne Duftbombe „Ananas/Nasser Hund“ kein bis zur Vollendung geführter Stoffwechsel mehr statthaft – wobei die von hyperaktiven Designern ins Bild geschwiemelten Kachelstudios den Bewohner in abgrundtiefe Depressionen stürzt, weil sich außer auf von Desinfektionsfluid getränkten Verkaufsausstellungen kein zurechnungsfähiger Erdkrustenbewohner finden dürfte, der in derart aseptischer Umgebung auch nur einen Tropfen Körpersekret unter sich ließe. Die Kulisse gaukelt eine Welt vor, die dem zügigen Ableben jeden Schrecken nimmt.

Doch sind die Menschendarsteller kaum anders; entweder schwafeln Klebebildchen auf dünnen Beinen spontan wie ein Busfahrplan verquirlten Dünnfug, oder ein vom Entlustigungsbeauftragten aus den Restbuchstaben einer Runde Scrabble zusammengehauene Desinformation verkleistert die Ohren der arg- und hilflosen Guckopfer. Ein übersäuerter Rapper gestikuliert grobmotorisch wie ein zugedröhnter Heuschreck in die Kamera, während ein Rudel Hochbeinschnitzel sich Würfelzucker unter Schokoladenverblendung in die Figur panzert, trauriger als jedes Klischee, das hinter der Wirklichkeit hinter den Klischees lauert.

Denn die Ästhetik in derlei Flachfilmchen läuft allezeit gleich: austauschbare Hackfressen grinsen grenzdebil in die Linse und jodeln die Tatsache, dass es bei ihnen grobmotorisch ausreicht, um eine Flasche Allzweckreiniger senkrecht zu halten, auf Weltniveau hoch. Irritiert sieht der Bescheuerte, wie die Wegwerfblondine aus dem Krimi zwischen den Werbepausen zu jenen drei am Rande der Manie tänzelnden Anstatt-Models gehört, denen die telegene Verwendung gewisser Hygieneartikel wohl Ersatzflüssigkeit unter die Fontanelle drückt. Glück und Zufriedenheit, lauter Jubel und panische Freude lösen Fischstäbchen, Wollsocke und Fliegentod aus, eine orgiastische Verwirbelung von Liebe, Frieden und gestilltem Juckreiz saugt der Verbraucher aus Teppichschaum und Tiefkühlpizza: mehr, als das organisch gesunde Herz verkraftet.

Denn groß und grauenvoll sind die Segnungen der selektiven Wahrnehmung, die da funktionieren in beiderlei Richtung; der Werber, meist ein frustriertes Opfer realitätsresistenter Kunden, hält sein Wirrwerk für halbwegs kompatibel mit den gesellschaftlich akzeptablen Geschmacksgrenzen, und der Umworbene erliegt dem Wahn, die aus dem metaphysischen Klärschlamm der Jahrtausende aufblubbernden Grunzlaute mitzuhören, die im Sirren des Geziefers zur letzten Chance antreiben: schnell Rahmspinat kaufen, sonst geht diese Welt ohne uns unter. Wer würde die Hirnwaschanlage dann refinanzieren? Die Hausstaubmilbe nicht, so viel ist schon mal sicher.