„Jetzt nehmen Sie doch Vernunft an.“ „Ich nehme gar nichts an – höchstens Geld.“ „Gut, das war klar. Sie als FDP-Bundestagsabgeordneter…“ „Das eine hat mit dem anderen nicht zwangsläufig etwas zu tun.“ „Mal ernsthaft: Was haben Sie eigentlich gegen eine eigene Meinung?“ „Es geht hier nicht um meine eigene Meinung, sondern um das Land.“
„Sie lehnen die Wahl von Joachim Gauck ab, weil Sie Ihre Kopfpauschale nicht durchgedrückt bekommen?“ „Natürlich nicht!“ „Aber Sie haben doch selbst…“ „Natürlich kriegen wir die nicht durchgedrückt. Die CSU stellt sich ja inzwischen bei allem quer, was mit Gesundheitspolitik zu tun hat, und dieses Schlitzauge da – ich weiß ja nicht, ich hätte den nicht zum Minister gemacht, diesen Jungspund.“ „Dann stimmt es, dass Sie um die Pauschale gehandelt haben, um als Bonus jemanden zu wählen, den Sie nicht wollen, weil er Ihnen die nächsten Steine in den Weg legen wird.“ „Wulff? Der gehört doch der Partei der Kanzlerin an.“ „Eben.“ „Das möchte ich mal überhört haben.“
„Also handeln Sie da noch im Wählerauftrag? Oder wie darf man dieses Geschacher verstehen?“ „Natürlich geht es um das Wohl des Landes. Die Privatversicherer gehören doch schließlich auch zu den Leistungsträgern dieser Republik.“ „Die Versicherer?“ „Von den Versicherten einmal ganz abgesehen.“ „Und ich dachte, Sie seien als Volksvertreter nur Ihrem Gewissen…“ „Man kann auf sein Gewissen nicht immer Rücksicht nehmen, wenn man sich für das Wohl des Landes einsetzt.“ „Sie handeln also gewissenlos?“ „Das sagen Sie!“
„Sie haben aber selbst gesagt, der Vorschlag von Gauck hätte tatsächlich aus Ihren Reihen kommen können.“ „Das stimmt, nur eben nicht für Berlin.“ „Bitte?“ „Wenn der Parteivorsitzende sagt, dass Wulff besser wäre, weil wir eigentlich Gauck besser finden, aber dass das nicht mit den Konservativen geht, die Gauck wählen, weil er nicht CDU ist, dann können wir nur Wulff wählen, weil der nicht gegen die ist, die nicht gegen Merkel sind.“ „Hä?“ „Man könnte theoretisch darüber nachdenken, ob Gauck nicht ein guter Kandidat für das bürgerliche Lager wäre.“ „Und deshalb wählen Sie Wulff?“ „Der Parteivorsitzende hat uns klargemacht, dass er die bürgerliche Koalition nicht stützt, wenn sie nicht seinem Vorschlag folgt.“ „Das heißt: wenn die CDU macht, was Westerwelle will, dann will Westerwelle nicht, was die CDU macht. Das ist doch lächerlich!“ „Das streite ich ja gar nicht ab, aber das haben nicht wir zu entscheiden.“ „Und wer entscheidet das?“ „Der Parteivorsitzende.“
„Es geht hier also darum, dass sich die Koalition durchsetzt, richtig?“ „Richtig.“ „Und es geht hier darum, dass sich die FDP innerhalb der Koalition durchsetzt?“ „Ja, natürlich.“ „Was haben Sie denn bisher getan? Sich etwa nicht durchgesetzt?“ „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Weil Sie betonen, dass Sie sich jetzt in der Koalition durchsetzen müssen?“ „Wer behauptet denn, dass wir…“ „Wenn Sie sich durchsetzen müssen, scheint es auch einen Punkt zu geben, den Sie bisher nicht durchsetzen konnten.“ „Wie bitte?“ „Weil Sie sonst nicht versuchten, ihn durchzusetzen.“ „Das ist doch Wortklauberei!“ „Und warum musste Ihr Parteichef seit neun Monaten immer wieder mit dieser Versprochen-gehalten-Sprechblase und den Steuersenkungen und ähnlichem Geplärre ankommen, wenn Sie jetzt feststellen, dass Sie sich in allen diesen Punkten, die angeblich schon längst abgearbeitet sind, erst noch gegen die Kanzlerin und ihre Partei durchsetzen müssen?“ „Sie machen mich nervös.“
„Und Sie sind nicht gegen Gauck?“ „Ich finde ihn, ehrlich gesagt, gut. Ich finde, er ist der bessere Kandidat.“ „Der bessere Kandidat?“ „Natürlich. So einen wie Wulff kann man doch nicht ernst nehmen – Muttis Schwiegersohn, der beste Durchschnitt, den Sie in der CDU für Geld kriegen können.“ „Das klingt nicht nach Sympathie.“ „Mir ist rätselhaft, wie man einen solchen Nichtssager wählen kann.“ „Also wählen Sie Gauck?“ „Das ist ein ehrenwerter Kandidat, und ich denke, er wäre der bessere Bundespräsident.“ „Also wählen Sie Gauck?“ „Natürlich wählen wir Wulff.“ „Wie das denn? Sie haben doch eben gerade gesagt, dass…“ „Wäre. Aber nur, wenn wir ihn auch wählten.“ „Und warum zum Donnerwetter wählen Sie dann den, den Sie nicht wollen?“ „Der Parteivorsitzende ist dafür, dass wir Geschlossenheit zeigen.“ „Und deshalb machen Sie diese Einmannshow mit?“ „Stellen Sie sich mal vor, die ganzen Konservativen in der CDU würden aus Protest gegen die Kanzlerin nicht Wulff wählen – dann müssen wir doch, weil wir wissen, dass die SPD Wulff wählt, weil ja Gauck jetzt auch vom bürgerlichen Lager gewählt werden will, soll, nein: könnte, dann müssen wir jetzt, weil wir ja nicht von der CDU verpflichtet werden können, Gauck zu, nein: Wulff zu wählen, dann müssen wir jetzt natürlich Wulff wählen, weil wir nicht wollen, dass sich die Konservativen in der SPD… haben Sie mich verstanden?“ „Es ging um Leihstimmen, richtig? Ja, das hatte ich bei Ihnen noch in Erinnerung. Das können Sie. Aber mal eine andere Frage. Sie könnten doch selbst mit einem sehr vernünftigen Vorschlag jetzt aus der Deckung kommen, beispielsweise mit Gauck gegen die CDU – dann haben Sie doch sogar noch eine viel bessere Verhandlungsposition für Ihre Kopfpauschale, oder?“ „Wie soll das denn gehen? Wer soll das denn machen?“ „Ihr Parteivorsitzender hat doch immer so charmante Einfälle.“ „Westerwelle? Dieses verdammte Arschloch!“ „Na! Wenn Sie Ihren Parteivorsitzenden nicht ausstehen können, warum ist er denn dann Ihr Parteivorsitzender? Können Sie ihn denn nicht loswerden?“ „Theoretisch ja, aber…“ „Aber?“ „Das entscheidet immer noch der Parteivorsitzende.“
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