„Ein Kännchen Tee, ein Kännchen Kaffee, einmal Streusel und einmal Apfel mit Sahne – sehr zum Wohle!“ Der Kellner verbeugte sich knapp und verschwand hinter dem Tresen. Klüwer entfaltete umständlich die Papierserviette und bugsierte das Tee-Ei aus der Porzellankanne. „Man hätte es gar nicht gedacht“, schmatzte er, ein Stückchen Kuchen schon im Mund, „hier im Bundesfinanzministerium haben sie ein exzellentes Café. Sehr gemütlich. Und erstklassige Konditorei.“
Den anderen Kellner in der grünen Jacke hatte ich zuerst gar nicht bemerkt. Erst als er mir das Schälchen mit der Sahne vom Tisch nehmen wollte, sah ich ihn. Im letzten Moment fiel ich ihm in den Arm. „Was fällt Ihnen ein? Sie Flegel!“ „Finger weg“, schnarrte er. „Hier wird jetzt gespart! Sahne können wir und nicht mehr leisten.“ Ich packte ihn am Ellenbogen und wand ihm das Sahnetöpfchen aus der Hand. „Ich habe diese Sahne bestellt, ich werde diese Sahne bezahlen. Wenn Ihnen das nicht passt, setzen Sie halt keinen Apfelkuchen mit Sahne auf die Karte.“ Einen Augenblick lang sah er mich völlig entgeistert an. Dann stürzte er sich plötzlich auf den Tisch und fegte das Sahneschälchen mit dem Ärmel herunter; es zersprang auf dem Boden.
„Sie müssen verzeihen“, sagte der Kellner mit großer Verbindlichkeit, „wir können bei unseren Sparmaßnahmen keinerlei Rücksicht nehmen auf irgendwelche privaten Wünsche oder auf Ihre Lebensplanung.“ „So etwas hatte ich mir schon gedacht“, antwortete ich bissig. „Und jetzt holen Sie mir gefälligst eine Portion Sahne.“ Noch immer lächelte der Ober recht entspannt. „Das geht nicht. Wir müssen sparen.“ „Er hat ja Recht“, fiel Klüwer ein. „Die haben über unsere Verhältnisse gelebt, deshalb…“ „Ich will das nicht mehr hören hier“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Diese Worthülsen können Sie sich schenken! Aber ich sehe schon, das hat bei Ihnen Tradition – vor der Wahl wird einem Sahne versprochen, hinterher sieht man sie von Weitem!“ Und tatsächlich, zwei offenbar Besseres verdienende Herrschaften am Nebentisch hieben sich Schlag auf die Eisbecher, dass es seine Art hatte. „Die Sahne, die Sahne ist weg“, sprach Klüwer trübsinnig. „Das verstehen Sie falsch“, korrigierte der Domestik, noch immer lächelnd. „Das waren, richtig bemerkt, Wahlversprechen. Sie dürfen den gesunden Menschenverstand nicht zum Maßstab nehmen. Oder irgendetwas, das mit Verstand im weiteren Sinne zu tun hat. Es handelt sich hier um die Klientel der FDP.“
Unterdessen waren zwei junge Männer an den Tisch getreten, den Uniformen nach als Mitarbeiter des Ministeriums erkennbar. Der erste hielt eine albern große Kehrschaufel auf den Boden, während der andere mit einem lächerlich kleinen Besen die Sahne mitsamt der Scherben auf das Blech pinselte. „Was soll das denn darstellen“, fragte ich verdutzt, „haben Sie da extra jemanden eingestellt?“ „Ganz recht“, bestätigte der Bediener, „natürlich nur die allerbesten Leute – der Herr links beispielsweise bezieht das Gehalt eines Staatssekretärs. Er war zuvor im Außenministerium, und seine Stelle fiel dem Sparpaket zum Opfer.“ „Und was macht der Mann dann hier?“ „Das Sparpaket kümmert sich nur um dem Abbau von Bundesbeamten – dass man das Personal an anderer Stelle weiterhin beschäftigt, das haben wir ja nie bestritten.“ Klüwer selbst war einigermaßen entgeistert. „Und was macht der Mann jetzt?“ „Sie sehen es doch“, lächelte der Servierfritze und wies an den Nebentisch, wo die beiden dienstbaren Geister sorgfältig die Früchte aus einem Fruchteisbecher pickten, sie zu Boden schmissen und dann umständlich aufkehrten.
Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. „Was für eine unglaubliche Verschwendung“, stöhnte ich, „und welch eine Eselei mit dem ganzen Aufwand, der darum getrieben wird – dann bieten Sie Ihren verfluchten Apfelkuchen doch ohne Sahne an!“ Das Lächeln schien ihm ins Gesicht genagelt. „Sie haben Recht, aber dieser umständliche Weg entspricht den Gewohnheiten des Beamtenapparats. Sie würden sich mit Händen und Füßen gegen eine sinnvolle und vernünftige Regelung wehren.“
Klüwer rührte verdrießlich in der Tasse herum. „Natürlich ist das alles Blödsinn. 440 Millionen für Kirchenpersonal, obwohl die Kirchen längst ihre Steuern bekommen, damit Weihbischöfe und Kardinäle auf Samtsofas saufen können. Milliarden für die Atomindustrie, damit die ihre Gewinne noch einmal vergrößern und die Steuerlasten dann an die Stromkunden durchreichen. Üppige Subventionen für Firmen, die sowieso Abermilliarden an Gewinn machen. Freigiebige Unterstützung für alle, die ihre Arbeitnehmer mit Hungerlöhnen abspeisen – wer auf die Aufstockerleistungen angewiesen ist, darf sich nicht selten auch noch anpöbeln lassen dafür. Und zu diesem ganzen Schlamassel auch noch dies unverschämte Ding mit den Hotels!“ Klüwer hatte sich in Rage geredet; unvermittelt schmiss er die Tasse zu Boden. Die Splitter flogen durch den Raum, dass der Kellner leicht zusammenzuckte. „Sie meinen also“, begann ich vorsichtig, „dass das intelligente Sparen nicht hinhaut?“ „Wie auch“, grollte er. „Das ins Schaufenster zu legen war schon eine Zumutung.“
Die beiden Hilfskräfte streichelten die letzten Porzellanscherben vom Boden. Der Kellner beugte sich herunter. „Darf ich eine Runde ausgeben?“ Klüwer seufzte. „Wenn’s denn passt.“ Der Kellner nickte. „Windbeutel.“
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