
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Das Leben ist Sediment, Strandgut, Staubfänger – wo immer das Erbeutete mengenmäßig zunimmt, stellt sich rasch die Frage, wo man den Schmadder griffbereit verstaut respektive so sicher versteckt, dass auch einfallender Besuch das Zeugs nicht auf Anhieb entdeckt. Kisten und Kasten erfand der von Lehmhütte bis Plattenbau sozialisierte Hominide, in einem Anfall kosmischer Energieverdichtung pfiff ihm für Sitzmöbel, Couchtisch und Garderobe eine schier endlose Folge von Geistesblitzen um die Ohren. Ganze Gewerke gründete der organisierte Mensch, die kunstvoll geschnitzte Bauerntruhen schaffen und sorgfältig gedengelte Stahlrohrsofas mit eierschalenfarbenem Polsterbezug, auf dem ein Kalkhirn seinen Rotwein verkippt, bevor er das Zeitliche gewaltsam segnen darf.
Neues aber kostet, und bis eine zwölfköpfige Schlepperbande das containerförmige Mahagoni-mit-Drahtglas-Ensemble für Wohnen, Schlafen und anschließende Erdbestattung in den sechsten Stock eines denkmalgeschützten, ergo aufzugfreien Palais gewuchtet hat, könnte man von deren Fuhrlohn bereits eine Vollausstattung mit Empire-Mobiliar vornehmen. Gespart muss ja sein, und schließlich bricht sich die Mutter aller Katastrophen Bahn: was der Handwerker zum Broterwerb in jahrelanger Mühe lernt, Begabung vorausgesetzt und Übung in der Folge vorhanden, das versucht der Bekloppte mit falsch verstandener Leidenschaft, Gottvertrauen und zölligen Nägeln nachzuahmen. Das Verhängnis lauert im hartnäckig verfolgten Irrglauben, dass jeder drittklassige Grobmotoriker mit Sandpapier und Stichsäge zum Sperrholz-Michelangelo würde, während doch in der trüben Wirklichkeit derartige Splitter- und Splattermanöver meist bloß enden als untauglicher Versuch, aus Bananenkisten und Bastelkleber das Bernsteinzimmer im Maßstab 1:23 nachzuempfinden. Allein der Beschränkte ist nicht lernfähig; und flugs wittert eine ganze Industrie Morgenluft: Möbel zum Selbstaufbau für die kleine Apokalypse zwischendurch.
In den Hochglanzkatalogen warten Beistelltisch und Bücherregal, in Möbelhäusern hat man als Gipfel des Perfiden Vitrinenbett und Klappschrank gleich fertig in die Gegend gestellt, um dem Bescheuerten den Sprung in den Abgrund schmackhaft zu machen. Mit dem Erwerb eines einzigen Stücks ist sein Schicksal besiegelt. Bereits die Bauanleitung, ein dem Sammelsurium der Teile beigelegtes Blättchen, löst psychiatrisch relevante Auffälligkeiten aus; die aus dem Altportugiesischen nach Gehör ins Krimtatarische übersetzten Laute werden von Blinden in glagolitischer Schrift in schmelzenden Schnee gekratzt, mehrfach gedreht sowie unter Auslassung jedes dritten Buchstaben ins Japanische übertragen – zuvor sorgt ein Team international anerkannter Linguisten dafür, dass der verantwortliche Mitarbeiter Katakana nicht von Fliegendreck unterscheiden kann, und schaltet zur Sicherheit die Beleuchtung aus. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen.
Das Gebinde enthält mehrere Pressspanplatten, windschief versägten Müll in Buche geflammt, aus braungrauem Kunststoff gefertigte ominöse Objekte ohne Sinn und Bezeichnung, schließlich eine Tüte voller Schrauben, Nägel, Dübel, Haken und Ösen samt eines Tübchens Holzleim, das nur brachiale Gewalt wird öffnen können, so dass die verwertbare Menge an Kleber nicht ausreichen wird, um die Seitenteile A-14 und A-18 an der Bodenplatte F-3/b zu befestigen. Während die in der kryptischen, an verschwiemelte Felszeichnungen gemahnenden Bauanleitung aufgeführten beiden Hinterpartien offensichtlich in doppelter Stückzahl vorhanden sind, fehlen die Regalböden H-5 bis H-8, komplett oder wurden beim Packen von dressierten Hamstern mit den Beinen eines Barhockers verwechselt, die den Funktionsumfang des Möbels nicht wirklich aufwerten. Müßig zu betonen, dass das Streugut, das zum Verschrauben der Platthölzer dienen sollte, mit Hilfe der Zentrifuge eher zufällig in die Beutel katapultiert wird – wer die zum Innensechskant passenden Nirostastifte erwartet, wird mit einem hübschen Sortiment an Magnetdruckknöpfen und Steckstiften überrascht, mit denen der Mobiliarsch der geistig-moralischen Zerrüttung wieder ein Stückchen näher kommt.
Auch körperlich verlangt die Prozedur dem Aufbauopfer einiges ab. Hält der Bekloppte die linke Regalwand gerade, so neigt sich das rechte Pendant majestätisch zur Seite, kippt nach innen und eröffnet den Reigen der jeweils seitenverkehrt in den Wahnsinn treibenden Fallversuche. Die optimale Besetzung für diese gymnastische Übung wäre eine achtarmige Gottheit, die in ihrer Freizeit nichts Besseres zu tun hat, als versägte Bretter zusammenzukloppen. Kaum halten sich die Seiten, muss der Krempel umgedreht werden, um die Rückwand zu fixieren – der Verstand verlangt hier einen groben Verstoß gegen die Aufbauanleitung, die mit der Anzahl der verfügbaren Dimensionen nicht zu versöhnen ist – und besticht schon in dieser frühen Baustufe durch aparte Schräge orthogonal angedachter Konstruktionselemente. Wenig später hat der mit Kratzhieben abrutschenden Werkzeugs verzierte Außenkubus die Gestalt eines ordentlichen Gesellenstücks – wenn man sich das gerne in die Wohnung stellt, was einen Sargtischler im ersten Lehrjahr beschäftigt. Quellende Leimspuren zieren die Fuge zwischen den Einzelteilen G-4 und G-6, und spätestens hier sollte klar sein, dass G-5 ganz am Anfang, vor dem Annageln der Rückwand, vor dem Aufsetzen der umlaufenden Zierleiste, vor dem Annageln der Seitenwand K-33 hätte eingeschraubt werden müssen.
Rhythmisches Hacken lässt das Haus erbeben, bevor aus dem knisternden Feuer beißender Rauch quillt – der Bekloppte hüpft in konzentrischen Kreisen um das Autodafé und schaut dabei zu, wie seine sinnlosen Vorstellungen inmitten fleißig kokelnder Massivholzmöbel in Flammen aufgehen. Was muss auch jeder Depp Kisten und Kasten bauen wollen.
Satzspiegel