„Haben Sie sich das auch ganz genau überlegt?“ „Da gibt es nichts mehr zu überlegen.“ „Aber denken Sie auch an die Folgen – werden Sie mit den Folgen zurechtkommen? Und nicht irgendwann wünschen, Sie hätten damit noch einmal gewartet?“ „Ach, da gibt es nichts mehr zu warten, wir hätten es schon viel früher tun sollen. Die Sache ist doch schon erledigt. Wenn es nicht mehr geht, wenn man wirklich nur noch die tägliche Konfrontation und diese Aussichtslosigkeit, die Selbstanklagen, wissen Sie – nein, es geht nicht mehr! Wir wollen die FDP auflösen. Lieber jetzt als nie.“
„Wie sind Sie zu dem Entschluss gekommen?“ „Es hat sich lange hingezogen, wissen Sie – wir haben nichts erreicht. Alles, woran wir geglaubt haben, ist nicht mehr da.“ „An Steuersenkungen, nehme ich an?“ „Auch das, ja. Aber unser, wie sagt man heute? unser Markenkern hat sich in Nichts aufgelöst.“ „Ihr Markenkern?“ „Dieses, warten Sie, ich hatte es mir aufgeschrieben: Liberalismus.“ „Sie denken, die FDP sei letztens eine liberale Partei gewesen? In welchem Jahrhundert leben Sie denn?“ „Ich bin eben noch nicht so lange in der Partei, bitte sehr! Und seitdem Westerwelle Vorsitzender ist, hat sich die Sache ja sowieso nochmals völlig geändert. Es ist ja eher so, wie soll ich sagen – es hat ja nicht mehr so viel mit Politik zu tun.“ „Nicht?“ „Nein, wir wollen doch alle nur eine Pension. Wenn man nur ein mittelmäßiges Jurastudium hat, was soll man da groß mit sich und seinem Leben machen?“ „Einzusehen. Aber bleiben wir beim Liberalismus, haben Sie da keine Hoffnungen mehr?“ „Was soll denn da noch kommen? Ich verstehe nichts davon, aber in der Parteizentrale sagen sie, die Grünen sind gerade dabei, die Rolle als klassische liberale Partei zu verspielen.“ „An wen?“ „Keine Ahnung. Kann sein, dass die Piraten inzwischen originaler sind als die grüne Kopie, die aus den Neunzigern kam.“
„Das Problem ist, dass Sie keine Marktlücke mehr finden?“ „Auch. Vor allem ist es inzwischen gar nicht mehr möglich, noch genuine Positionen für eine Partei zu erobern. Schauen Sie sich den Verbraucherschutz an: grün, aber jetzt bei der CSU. Das geht doch so nicht, da muss doch der Staat…“ „Sie rufen nach dem Staat, weil es so nicht funktioniert, wie Sie es sich gedacht hatten? Ja, dann kann ich schon verstehen, warum Sie Ihren Laden dichtmachen wollen.“ „Wie, was ist daran falsch?“ „Abbau von Reglementierungen, von Subventionen – hat eigentlich Frau Leutheusser-Schnarrenberger ihre lustigen Überlegungen zum Leistungsschutz beim kostenlosen Hotelfrühstück verfasst? – das Ende der staatlichen Behinderungen bei der Gewerbefreiheit, hatten Sie da irgendwo etwas außer Umverteilung nach oben im Sinn? Und wenn ja, warum haben Sie es nicht umgesetzt?“ „Das Primat des freien Marktes haben wir aber doch immer im Auge! Schauen Sie, wir haben es in der Sozialpolitik und im Gesundheitswesen…“ „Das ist es ja. Und Sie fragen sich ernsthaft, wie die FDP in so kurzer Zeit scheitern konnte?“
„Was hätten wir denn machen sollen?“ „Sich an den Namen auf der Verpackung halten.“ „Demokratisch?“ „Auch. Mit der Freiheit gab es schon genug Probleme.“ „Wir haben den Menschen doch jede Menge Freiheiten gegeben! Sie sind frei, sich einen gut bezahlten Job zu suchen, sie können sich privat krankenversichern, sie können ihre Einkommensteuer außerhalb…“ „Weil sie positive und negative Freiheiten gerne unterscheiden, wenn es um ihre Klientel geht?“ „Natürlich, positives Denken hat die Menschen immer weiter gebracht.“ „Nur, dass negative Freiheiten für eine Gesellschaft konstituierend sind: die Freiheit von Zwang.“ „Das bestimmt jeder selbst. Leistung muss sich lohnen!“
„Gut, fassen wir zusammen: Wirtschaftsminister und Außenminister, die üblichen Sachen kriegen die anderen Parteien ohne die FDP auf die Reihe.“ „Ich fürchte, Sie haben Recht.“ „Bei Kultur und Bildung und allen diesen Ressorts, bei denen man etwas Richtiges studiert haben muss, um nicht peinlich aufzufallen, hat Ihre Partei nichts zu melden.“ „Immerhin haben wir bei der Entwicklungshilfe…“ „Das Ministerium wollten Sie abschaffen, und die Besetzung ist dementsprechend.“ „Hmja. Doch.“ „Also, was soll’s: die FDP ist eine Verpackung ohne Inhalt, eine Ansammlung miserabler Juristen, die ohne Politik elend verhungern würden. Ein Kostenfaktor, den man ersatzlos streichen könnte, ohne dass es jemand bemerken würde. Ein Haufen Lautsprecher, der wirre Wirtschaftskonzepte aus dem vergangenen Jahrhundert in die Gegend kräht und auch ansonsten nirgends durch Kompetenz auffällt. Sie liefern Spekulationen, schachern sich Posten zu, greifen in die öffentlichen Kassen und versuchen sich schließlich noch darin, mit Ihren sozialdarwinistischen Hassparolen die Gesellschaft zu dirigieren, was der Staat nie, niemals zu tun hat, auch dann nicht, erst recht dann nicht, wenn er der Staat sein will, der sich aus Unverständnis seiner eigenen Rolle abschaffen will.“ „Ja, das trifft es.“
„Und was haben Sie jetzt vor? Ich frage nur, vielleicht können wir nach Ihrer Löschung gleich eine Neugründung registrieren.“ „Wir dachten an politische Neuausrichtung als Bürger-Rechtspartei. Das macht es einfach, wieder Sachen zu verkaufen, die wir nicht haben.“ „Begreife. Und wenn Sie sich abwracken ließen? Rückstandsfreie Demokraten? Das bringt noch ein paar Kröten in die Parteikasse – nötig haben Sie’s ja.“ „Stimmt, das wäre eine Überlegung wert.“ „Aber sagen Sie mal, was machen sie mit Ihrem Vorsitzenden?“ „Ach, der Westerwelle – die letzten Jahre hat ihn die Wirklichkeit eh kaum mehr besonders interessiert.“
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