Heiße Umschläge

29 06 2010

„Können Sie mal eben gerade – ach, da ist er ja. Dann legen Sie den Brief hier herüber, der geht vor. Ist ein Eilbrief, der gilt dann heute schon als schon heute zugestellt, verstehen Sie? Es ist alles etwas kompliziert geworden mit der Behördenpost, das gebe ich ja zu. Aber im Grunde genommen ist doch alles beim Alten geblieben: Sie füllen ein paar widersprüchliche Formulare aus, dann passiert erst einmal gar nichts, und dann bekommen Sie einen Bescheid, dass die Einfuhrgenehmigung für Kaffee aus Lummerland abgelaufen ist und neu beantragt werden muss. Sie müssen sich nicht umgewöhnen.

Na, wir beschleunigen natürlich mit unserer Arbeit die bürokratischen Abläufe. Die Briefe werden geöffnet, dann werden sie gescannt, und dann in das Datensystem der jeweiligen Behörde eingespeist. Ja, vollkommen sicher. Verlassen Sie sich darauf. Wir sind hier alle vom Fach und… nein, nicht von der Deutschen Bahn. Die wäre doch mit der Datenschutzrichtlinie überfordert.

Das wird gleich hier einmal geöffnet, so, die Umschläge dann gleich auf diesen Stapel herüber, die Briefe werden auf diesen anderen Stapel gelegt und verarbeitet. Das ist doch schon einmal ein sehr guter Aspekt, finden Sie nicht auch? Wenn die Umschläge gleich von Anfang an getrennt werden und die Briefe nicht mehr damit… Das ist dann aber auch nicht mehr unsere Aufgabe, wenn der Absender eines Briefe nicht mehr festzustellen ist. Man muss ja immer von etwas Schwund ausgehen, wir rechnen aber mit nicht sehr viel mehr als zehn Prozent. Das ist doch noch verhältnismäßig gut?

Ach, das meinen Sie. Nein, das kommt ja so gut wie nie vor. Also jetzt nicht in dieser Dienststelle. Oder wenn, dann war das vielleicht nur vereinzelt, aber nicht regelmäßig. Also durchschnittlich jede vierte Sendung, ja. Das lässt sich aber nicht beweisen, wir können doch unsere Mitarbeiter nicht fragen, ob sie dann zum Beispiel bei einem Antrag die Verdienstbescheinigung absichtlich oder unabsichtlich im Umschlag lassen und in den Schredder stecken. Würde doch auch gar nichts nützen, die sind per Vertrag zur Verschwiegenheit verpflichtet – selbst, wenn sie einen Einzelfall zu verantworten hätten, sie dürften es uns gar nicht sagen! Ja, da sehen Sie mal. Natürlich auch nur aus Datenschutzgründen, wo denken Sie denn hin?

Man muss natürlich auch Ausnahmen machen. Wissen Sie, Arbeitslosen ist es zuzumuten, dass man das Briefgeheimnis für obsolet hält. Und das Kindergeld – wenn man als Vizekanzler Jurist ist und schwul, dann kommen einem Leute, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen und Kinder in die Welt setzen, sowieso abartig vor – ach Gott, wer braucht das? Mal ehrlich, wenn Sie beim Staat die Hand aufhalten und immer erwarten, dass Sie etwas geschenkt bekommen, dann müssen Sie sich auch mal kooperativ zeigen. Glauben Sie bloß nicht, dass das mit dem Freibier ewig so weitergeht!

Subventionsempfänger? Was haben denn bitte Subventionsempfänger damit zu tun? Nein, das sind doch ganz andere Ämter. Die kann man gar nicht so behandeln wie die anderen Verwaltungsstellen. Das ist eine andere Form von Transparenz, verstehen Sie? Eine eher interne Art der Datenverarbeitung. Betriebsgeheimnis, Sie verstehen?

Das kann man doch jetzt viel schneller machen. Sehen Sie mal, Sie wollen beispielsweise eine Baugenehmigung beantragen, und wenn Sie da in der Sicherheitsabfrage – natürlich gibt es da jetzt eine Sicherheitsabfrage, wo denken Sie denn hin, das muss doch alles überprüft werden, oder wollen Sie etwa in einem Land leben, in dem jeder seinen Keller vergrößern und am Ende Bomben darin bauen kann? Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie wollen einen ganz harmlosen Partykeller einrichten, da brauchen Sie dann diese Sicherheitsabfrage gar nicht mehr neu zu machen, wenn sie innerhalb von sieben Tagen ist, wenn Sie zum Beispiel vorher einen Zeitfahrausweis bei einem Busunternehmen gekauft haben. Ja, die müssen das natürlich auch überprüfen. Sollen wir uns jetzt etwa von jedem beliebigen Terroristen in die Luft jagen lassen? im Omnibus? Reichen denn denen ihre normalen Autobomben nicht mehr aus?

Oder schauen Sie mal hier: Gautinger, Eberhard, 39, da hatten wir in der letzten Woche einmal einen Befund vom Urologen an die Krankenkasse, dann hat ihn die Versicherung wegen des Blechschadens hochgestuft, und jetzt will er auch noch in ein feindliches Land einreisen – da, sehen Sie, nach Island will der, das tut doch kein anständiger Mensch – dem Mann müssen Sie doch jetzt als Bank kein Vorzugsangebot mehr machen, der kann doch froh sein, wenn er nächste Woche noch ein Dach über dem Kopf hat! Ja sicher, schauen Sie doch! Diese Diagnose, den würde ich doch als Betrieb hochkant rauswerfen, noch ist er gesund, aber wer sagt einem denn, dass das bis zur Rente so bleibt? Da muss man eben vorbauen! Und wer kann sich heute noch so eine Gefühlsduselei erlauben, Kündigungsschutz, gehen Sie mir weg – der wird arbeitslos, dann hat er auch kein Geld mehr für seine Miete, prompt hat er Mietschulden, dann geht es dem Vermieter dreckig, ich meine, der gehört doch zum gesunden Mittelstand und leistet sich eine Menge für Deutschland und wählt FDP wie jeder anständige Staatsbürger – die darf man doch nicht wegen solcher potenzieller Parasiten in die Leistungslosigkeit treiben!

Gut, im Vertrauen… Ihnen kann ich’s doch wohl verraten: wir haben ein bisschen – ja, Schmiergeld. Eine Hand wäscht die andere und zwei das Gesicht. Das war wie damals mit den Nacktscannern. Brauchen tut’s keiner, Geld ist auch nicht da, aber die Hysterie ist so spaßig, nicht wahr.

Aber schauen Sie mal, am Ende zählt doch der praktische Aspekt. Wenn Sie wüssten, dass alle möglichen Stellen mit Ihren Daten Schindluder treiben, Sie würden doch dann quasi überall nachfragen müssen, was da so passieren kann. Und jetzt fragen Sie eben nur bei uns.“