Aus deutschen Landen. Limericks (III)

31 07 2010

Es war eine Löwin in Bremen,
die ließ sich erstaunlich leicht zähmen.
Dem Zirkusdirektor
kam dieses suspekt vor,
doch setzten sie sich ins Vernehmen.

Es war einst ein Kellner in Trier,
der war dem Beruf keine Zier.
Kein Gast, der nicht klagte,
worauf er bloß sagte:
„Bedaure, ’s ist nicht mein Revier!“

Es war einst ein Dackel in Celle,
der war seinem Herrn stets zur Stelle.
Der musste nur eben
ins Bett sich begeben,
schon kam er mit lautem Gebelle.

Es wollte ein Jüngling in Füssen
partout seine Braut noch nicht küssen.
Er wär gern spontaner,
doch blieb Puritaner,
und heimlich, da biss er ins Kissen.

Es war’n zwei Barbiere in Haren,
die auch füreinander dies waren.
So lebt man hienieden
in Freundschaft und Frieden
und lag sich dabei in den Haaren.

Es war ein Chauffeur, der in Lebus
gern rätselte, Silben und Rebus.
Und als der Gewitzte
’nen Fahrgast verschwitzte,
da sagte er: „Ach, der fährt eh Bus!“

Es traute ein Schreiner in Mettmann
sich erstmals an ein Doppelbett ran.
Er hobelte mächtig,
das Bett wurde prächtig.
Da sieht man, was ein gutes Brett kann.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXVIII): Alleinerziehendes Selbstmitleid

30 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

„Hallihallo und guten Tag, hier spricht Ihre gesamtgesellschaftliche Betroffenheit. Bitte machen Sie sich kurz bewusst, dass die kleine Pilar (6) aus Manila noch nie in ihrem Leben Black Cardamom Spicy Flavored Chai Latte mit Cherry Hazelnut Syrup getrunken hat, da ihre drei minderjährigen Schwestern, mit denen die Vollwaise die Blechhütte am Rande der Mülldeponie teilt, der Prostitution nachgehen und ein Großteil des Haushaltsgeldes für Heroin draufgeht. Echauffieren Sie sich kurz über die Klimakatastrophe. Seien Sie solidarisch mit Tibet oder dem, was davon übrig blieb. Danke für Ihr Verständnis.“ So oder ähnlich knarzt es beim Booten der Birnen, wenn die Alleinerziehende sich voller Anklage gegen die Schlechtigkeit dieser Welt aufmacht, aufs Neue in ihrer dünn aufgegossenen Mitleidsplörre zu rühren. Es ist der Typus junger Mütter, die nach subjektivem Empfinden mindestens ein Fernsehprogramm bräuchten, um der wehrlosen Welt mitzuteilen, wie beschissen ihre nutzlose Existenz verläuft: Opfer aus Berufung.

Sie sind aus Eitelkeit einmal mit der Wand kollidiert, als sie den Erzeuger ihrer Jeremykevins und Sophielauras so massiv in paranoide Wahnvorstellungen trieben, bis der es vorzog, für den Rest des Lebens knapp die Hälfte seiner Abteilungsleiterkohle der Schuhschrankbewohnerin in den Rachen zu stopfen, statt sich konstant auf niedermolekularer Ebene mit Puderzuckerpüppchen zu unterhalten. Ihr Lebensmittelpunkt, eben noch zwischen spießbürgerlichem Halbbildungskanon und postdemokratischem Shoppingwahn pendelnd, wird unerbittlich in die tiefste Stelle der Existenz eingehauen: da, wo Naivität schmerzhafte Flecken hinterlässt, wenn die Wirklichkeit im Dunklen dagegenrumpelt. Statt sich selbst als Individuen wahrzunehmen und dementsprechend die Historie einen Gang höher zu schalten, nagelt sich das im Bausparerghetto aufgewachsene Volk am Zeitstrahl fest, schwuppt nach hinten und landet zielsicher auf dem Altar der leidvollen Selbstanbetung. Während sich das politische Bewusstsein der Beschränkten offenbar mit einer Hacke noch im neoliberalen All-you-can-beat verfangen hat, verstaucht sich die blind schleichende Schnarchschlange den anderen Fuß bereits in der Lücke zwischen nachindustrieller Personalflexibilisierung und Wärmeerzeugung durch Heizen mit Humanmaterial – ihr Gejammer wäre tragbar, hätte das allein verziehende Weibchen nicht durch ihr überzogenes Egogejodel maßgeblich dazu beigetragen, in die abschüssige Ecke zu driften, in der sie jetzt hockt, flennend und immer einen laktosefreien Macchiato am Start, der auf die Blahniks tropft, die sie sich noch leisten konnte, als sie nicht dafür morgens aufstehen musste.

Denn nichts anderes fällt der pseudoelitären Mittelbauschnepfe ein, als die Schenkelklappmoral des bildungsfernen Blondinendrittels nachzuturnen: wenn weder Sinn noch Perspektive mit langfristiger Anwesenheit drohen, wird erst einmal reproduziert, um hinterher für nichts mehr Zeit zu haben. Wer hätte das gedacht angesichts der mühsam auf Post- oder sonst welchen Feminismus geschwiemelten Zopfmuster, mit denen die allein auf Egolepsie geeichten höheren Töchter im Niedergang ihr Emanzengebläh nachholen und, Überraschung! zum hermanesken Synapsenkompott verköcheln, das man durch geschickte Realitätsfilterung ausblenden kann. Es ballt sich an den Rändern der Zivilisation, in den hippen Gentrifizierungsgeschwüren der Metropolen, wo man eine Hälfte des Minimallohns für Brot und Schmierkäse braucht, um mit der anderen Hälfte via Geltungskonsum den anderen Fassadenkletterinnen zu demonstrieren, dass es einem so supi wie allen anderen auch geht – durchaus gute Partien, könnte man meinen, wäre man nicht mit dem Schädelinhalt einer Grabwespe ausgestattet, die nach dem Copypasten ihrer DNA bereits ihre existenzielle Sollbruchstelle in Sichtweite hat.

Jetzt also Redesign. Was die Dumpfralle am Stammtisch schnattern hört, nämlich, dass zur Bewerkstelligung eines jeden bürgerlichen Lebens auch ein Broterwerb gehört, schwatzt das Mamatier brav nach, mehr noch: die Bescheuerte fuchtelt zu gerne damit herum, dass jeder, so er Arbeit suche, auch Arbeit fände, Qualifikation, ein drittes Bein oder das Bernsteinzimmer. Und es ist das Ende der Illusion, wenn die Bekloppte beim Kontakt mit dem Transferleistungsträger sieht, wie sie den anderen Waffen gegen sich in die Hand gedrückt hat.

Soll man mittelalterliche Mütter jener Couleur mit zusätzlicher Barmherzigkeit abpolstern, wenn sie ihre in Designerklamotten aus zweiter Hand verpackten Kids auf den Spielplatz schleppen, auf dem man Migranten noch mit demonstrativ akzentfreier Lautung wegpikiert? Beim Nagen auf Reiswaffeln zusehen, dabei sich vorstellen, wie das Aufstände macht, um vor den zu Psychobälgern mutierenden Welpen zu verheimlichen, dass die Kohle immer noch von Papa kommt, weil Mama bis auf Wehklagen und Nabelschau sonst nichts auf die Reihe kriegt? Ein Trost bleibt, denn freiwillig wird eine Bescheuerte aus diesem Sortiment keinen mehr zur Vermehrung anstiften, und sie wird mit ihrer Hybris da bleiben, wo sie hingehört: im sperrig möblierten Reservat gleichartig gelagerter Nervensägen, die dermaleinst alle gut zu entsorgen sein werden, ausgetrocknet und an den entscheidenden Stellen hohl.





Die Stimme Gottes

29 07 2010

„Es ist nicht mehr wie früher.“ „Sie sagen das so gleichgültig? Haben Sie etwas? Weltschmerz?“ „Nein, ich konstatiere es nur. Es ist nicht mehr wie früher.“ „Es ist schlechter geworden?“ „Nein, es ist anders. Dass alles, was sich ändert, grundsätzlich zum Schlechteren tendiert, ist nur eine höchst eingeschränkte Sichtweise.“ „Kann man, kann man. Aber was stört Sie denn daran?“ „Dass diese Sicht von denen vertreten wird, die sich dem Fortschritt verschrieben haben und ihn überall bremsen, wo er nur auftritt.“

„Es ging früher eben alles ruhiger zu. Das sagt auch die Kanzlerin.“ „Das mag vielleicht daran liegen, dass sie die operative Hektik der Medien mit ihrer eigenen geistigen Windstille verwechselt. Nicht die Bewegung hat sich verändert, sondern die Beweglichkeit. Die Menschen warten nicht mehr darauf, dass ihnen jemand sagt, was sie zu denken haben.“ „Sondern?“ „Sie denken.“ „Einfach so?“ „Stellen Sie sich vor!“ „Das wird kein gutes Ende nehmen.“ „Es könnte der Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sein.“ „Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!“ „Und sie haben Zeit, sich mit der Politik auseinanderzusetzen.“ „Müssen denn diese Leute sich nicht um Arbeit bemühen? Die können doch nicht einfach so den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen?“ „Ihnen war entgangen, dass es in Deutschland auch noch Menschen gibt, die ganz normal arbeiten? die studieren? oder Freizeit haben?“ „Wenn man die Regierung reden hört, kann einem das schon mal entfallen.“

„Und warum Fernsehen? Seit wann interessiert man sich noch für das Fernsehen?“ „Die Regierung hat gerade das ZDF mit zuverlässigen, guten politischen Kräften aufgefüllt.“ „Sie meinen, die CDU hat den Sender gekauft.“ „Regierung, CDU, meine Güte – ist das nicht dasselbe? Und warum sollen denn die Leute sich nicht im Fernsehen über die Politik informieren? Das kostet weniger als beispielsweise eine Tageszeitung.“ „Weil die Bevölkerung nicht berieselt werden will.“ „Und wer guckt dann diese ganzen Volksmusik-Sendungen?“ „Alle, die nicht ohne fremde Hilfe von der Glotze wegkommen.“ „Und was ist gegen Berieselung einzuwenden?“ „Dass es eine Einbahnstraße ist. Sie sitzen vor dem Fernseher und werden mit Bildern vollgestopft. Sie können nicht darauf reagieren.“ „Sie können beispielsweise Leserbriefe schreiben.“ „Sie verwechseln das mit der Zeitung, und da werden die kritischen Leserbriefe normalerweise von einem Jungredakteur verfasst und vor dem Abdruck dem PR-Berater und der Rechtsabteilung vorgelegt.“ „Sie können ja anrufen.“ „Und wen verlange ich da? Den Programmdirektor? Den Redakteur? Den Chefredakteur?“ „Sie werden doch wohl bitte noch einen Verantwortlichen ausfindig machen können im deutschen Fernsehen!“ „Und wenn es gerade daran stört, dass er der Verantwortliche ist?“

„Sie wollen bestimmt wieder auf Ihr Internet hinaus, richtig? Was ist denn in diesem Internet so anders?“ „Dass es weniger Zeit in Anspruch nimmt, sich zu informieren. Dass sich mehr Menschen schneller und genauer informieren können. Dass sie sich nicht berieseln lassen müssen, sondern sich selbst artikulieren können. Dass nicht die eine Stimme zu ihnen spricht.“ „Ich fände das aber zu anstrengend. Ich meine, mehr als eine Stimme. Man kann das doch gar nicht mehr auseinanderhalten, wer da was sagt.“ „Es ist Ihnen also lieber, wenn man nicht mehr auseinanderhalten kann, ob die Regierung spricht oder ein Journalist, der sich als unabhängig bezeichnet?“ „Sie meinen, es gibt im Fernsehen Journalisten, die nicht objektiv die Wahrheit berichten? Das kann ich mir nicht vorstellen. Beim besten Willen nicht.“

„Die Stimme Gottes, die Sie um jeden Preis wiederhaben wollen und die Kanzlerin anscheinend auch, die ist im Stimmbruch. Es gibt sie schon nicht mehr. Es gibt kein einheitliches Meinungsbild der Deutschen mehr – sie informieren sich gezielt und reagieren. Und sie äußern sich.“ „Das ist es ja! Haben Sie diese Kommentare mal gelesen? Es ist eine Schande!“ „Sie meinen die Kommentare, die zur Neuwahl auffordern und das, was die Regierung betreibt, mit deutlichen Worten ablehnen?“ „Man müsste das schleunigst verbieten! Es verstößt doch gegen die guten Sitten, wenn nun jeder seine Unzufriedenheit mit der Regierung auf diese Art und Weise artikulierte!“ „Artikulieren – genau. Die Menschen nennen Ross und Reiter. Und sie stellen diese Bande virtuell an die Wand.“ „Da muss man doch aber etwas tun, da muss man doch etwas machen können! Kann man denn da nichts zurücksetzen oder wegsperren, man muss doch dies Internet irgendwie sauber machen können, das geht doch nicht mehr!“ „Das Internet spiegelt lediglich die Gedanken der Menschen wider, nichts anderes. Was Sie wollen, ist nicht das Internet sauber machen, sondern den Menschen die Köpfe von innen feucht durchwischen.“ „Ich will bloß, dass diese ganze fürchterliche Kritik…“ „Sie wollen also den Leuten das Maul verbieten?“ „Sie sollen doch bloß ordentlich etwas machen und nicht immer nur so herumkritisieren – die Regierung kann doch machen, was sie will, die sind so, die Regieung kann nicht mehr machen, was sie will! Das darf doch nicht sein!“ „Wollen Sie der Regierung den Arsch retten?“ „Was muss ich dazu machen?“ „Nichts. Lassen Sie es so, wie es ist. Lassen Sie die Leute im Internet die Kanzlerin aus dem Land jagen und ihren Vize auf Hartz IV setzen. Sonst…“ „Was sonst? Was denn sonst?“ „Sonst machen sie es in Wirklichkeit.“





Prügelknabe

28 07 2010

„… den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag Hans-Jürgen Irmer beim Wort nahm, die Einführung der Prügelstrafe in Deutschland nicht länger zu verzögern. Schon aus bildungspolitischen Erwägungen könne man die körperliche Züchtigung nicht mehr…“

„… auch dem scheidenden Ministerpräsidenten Koch keine Kopfschmerzen bereitet, da eine klare konservative Ausrichtung der christlichen Kräfte in diesem Land durchaus in seinem Sinne ist. Wie weit man die Rechtsgüterabwägung zwischen Ordnung und Körperverletzung allerdings lösen sollte von der Diskussion, der rebellischen Jugend endlich klare Grenzen aufzuzeigen, wie man…“

„… dem Altbischof wohl ganz gelegen, sich in seinem Ruhesitz im Nonnenkloster zu zeigen; Mixa ließ denn auch durchaus die Meinung gelten, eine Ohrfeige habe sicher auch einen erzieherischen Sinn und Zweck, für Befremden jedoch sorgte die Ansicht, man solle den Kindern mit viel mehr Liebe begegnen – dass dem Gottesmann nun derart die Gesichtszüge entgleisen würden, war…“

„… auch für Bildungsministerin Schavan eine Vorstellung, die sich nicht mit dem Wertesystem von Demokratie und Rechtsstaat vertrügen. Dazu fügte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger an, die Idee einer Prügelstrafe sei so absurd, dass sie sie nicht einmal zu diskutieren gedenke; sie sei sich überdies sicher, dass sämtliche Parlamentarier der FDP-Bundestagsfraktion diese Schnapsidee…“

„… dass eine derartige Maßnahme nicht in das Jugendstrafrecht eingefügt werden könne, schon gar nicht als ein Zuchtmittel, das über das prozessual verhängte Urteil eines Richters hinaus oder an diesem vorbei verhängt werden kann, da die…“

„… müsse man doch wohl in Deutschland noch sagen dürfen – unter brandendem Applaus führte Ursula von der Leyen ihre Ausführungen fort, indem sie anregte, Prügel als Sanktionsmaßnahme nicht nur im Falle von mangelnder Mitwirkung im Prozess der Arbeitsplatzfindung einzusetzen, sondern wesentlich auch anlassunabhängig oder präventiv, um Empfängern von Sozialleistungen gleich von Anfang an deutlich zu machen, dass sie sich in die bestehende Ordnung einzufügen haben. Um den Ansprüchen an eine moderne, aufgeklärte Arbeitslosigkeitsverwaltung Genüge zu tun, sollte eine Körperstrafe nur bei Vorsatz und moralisch verwerflichen Gründen vollzogen werden, etwa bei nichtdeutscher Staatsbürgerschaft oder…“

„… nochmals darauf hin, dass die Liberalen der Aufnehme von Prügelstrafe ins Strafprozessrecht unter keinen Umständen zustimmen werden. Die Bundesministerin griff insbesondere Innenminister de Maizière scharf an und nannte sein Argument, das anlasslose Tottrampeln von Säuglingen sei im Gegensatz zur Prügelstrafe nicht tolerierbar, also würden automatisch alle, die die Prügelstrafe ablehnten, zu Befürwortern des Tottrampelns von Säuglingen, was er als Hüter des Grundgesetzes keinesfalls zulassen dürfe und was demzufolge ausschließlich durch die sofortige Einführung der Prügelstrafe zu heilen sei, schlicht und ergreifend abwegig. Leutheusser-Schnarrenberger drohte, im Falle einer weiteren, unnützen Debatte über das Therma die Koalition sofort zu…“

„… natürlich dem Machtwort des Vizekanzlers geschuldet, der in der Fraktion deutlich machte, er dulde keinen einzigen Abweichler, erst recht nicht aus inhaltlichen Gründen – die Einführung der Prügelstrafe sei Verhöhnung des Wählerwillens, mit der Verfassung nicht zu vereinen, das Ende der Menschenrechte in der Bundesrepublik und ein schrecklicher Rückfall in die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte, und deshalb sei die FDP, so Westerwelle, gern bereit, an der Seite der Kanzlerin die Knute in diesem Land wieder…“

„… schwierig, denn ein Beamtenverhältnis sei im Falle der Züchtigungsfachkräfte notwendig – die Auslagerung in so genannte Fight Clubs, die privat betrieben werden, wie Wirtschaftsminister Brüderle am Rande einer Spirituosenverkostung anregte, sei nicht mit dem Besonderen Verwaltungsrecht zu vereinbaren – und dennoch nicht herzustellen, da die Dienstvorschriften des Bundeserzüchtigungs-, des Bundesprügel- und nicht zuletzt jene des Bundeskörperstrafenaufsichtsamtes allesamt mit BGB und Verfassung nicht in Einklang zu bringen waren. Allerdings hatten die streitenden Parteien, die das Grundgesetz in vielen Punkten erheblich und nachhaltig verletzt sahen, eine rasche Lösung parat: eine Änderung des Grundgesetzes würde…“

„… nicht den erwünschten Effekt, denn die Insassen erhofften sich bereits während des letzten Drittels ihrer Strafe die eine oder andere Erleichterung ihrer Haftbedingungen, Freigang, den offenen Vollzug oder Aussetzung zur Bewährung. Doch wurde den Bundesprügelmeistern – die Dienstgrade benennen sich analog zur Polizei – nicht nur eine hübsche Besoldung versprochen, die sie bei Verbüßung ihrer Reststrafe in Empfang nehmen sollen, sie genießen auch einigen Respekt in den Gefängnissen – nicht zuletzt, da sie gehalten sind, zu Übungszwecken ihre Knastbrüder zu…“

„… wirklich eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Hans-Jürgen Irmer dazu verurteilt wurde, und nicht wenige Prozessbeobachter sahen es mit Genugtuung, wie der Hesse während der Hauptverhandlung jeden Widerstand aufgab. So war es dann auch ein Aufsehen erregendes Stück Justizgeschichte, als Irmer weinend und schreiend aus der Züchtigungszelle kroch, wo ihm Prügelwart Lorenz K. den Hosenboden so richtig…“





Trink, trink, Brüderle, trink

27 07 2010

„Holen Sie mal den Nächsten rein, Schwester. Aber sein Sie vorsichtig, ich glaube, der hat ganz schön was getankt. Ja, da setzen Sie sich hin, so ist es schön! Brav. Füße stillhalten, und legen Sie die Hände auf die – Füße still, habe ich gesagt! Sie haben hier nichts zu melden, machen Sie sich das gleich klar! Nein! Schwester… Schwester! So ein renitenter Kerl aber auch, da hört sich’s doch auf!

Haben Sie etwas getrunken? Hallo? Ob Sie besoffen sind, will ich wissen! Hauchen Sie mich mal an – au, das ist ja… Schwester, jetzt kommen Sie doch mal! Mit dem Mann hier kann doch nun wirklich… Schwester! Haben Sie möglicherweise etwas gegessen, was nicht – nein, ich sehe schon, Sie haben offenbar einiges geraucht, richtig? Und wie viel, wenn ich fragen darf? Bitte!? Um Gottes – also das ist ja nicht mehr… Schwester! Der Mann darf unter keinen Umständen mehr raus, der ist ja eine Gefahr für sich und die Menschheit!

Was reden Sie da? Aufschwung? Gott, das kann man ja nicht mit anhören. Sie sind ja voll wie’n Eimer! Hat man Sie gezwungen? Meine Güte, das – wie bitte? Der Aufschwung kommt? Die Regierung hat ihn nur abgewartet, um jetzt alle anderen Pläne nach der Sommerpause abzuarbeiten? Gucken Sie mich mal an – wie viele Finger sind das? Na? Sie sind ja nicht mehr ganz bei Trost, mein Freund! Was erzählen Sie da nur für einen Unfug! Die Rente hat was? Wer hat die Rente? Was? Nun reden Sie doch deutlich! Die ist was? Sicher? Die Renten sind sicher? Das meinen Sie ernst? Schwester, kommen Sie doch mal eben, wir brauchen – Schwester! Wir müssen ganz schnell rausfinden, was der Mann intus hat, am Ende kollabiert der uns noch? Was der alles genommen haben wird, eijeijei…

Und die ganzen Arbeitslosen? Ach so, Sie meinen, weil die einen Niedriglohnjob bekommen haben, werden die alle CDU wählen und damit ist auch das Umfragetief vorbei? So, und was ist mit den paar Prozenten, die diese Liberalskis verloren haben, hä? Mann Gottes, jetzt pusten Sie mir doch nicht so ins Gesicht, ich kriege ja selbst gleich einen Kater davon! Reißen Sie sich am Riemen!

Gesundheitsreform? Was ist damit? Sind Sie etwa nicht versichert? Was, alles besser? Sicherheit für die Kosten? Die Arbeitgeber brauchen nun keine Beiträge mehr zu bezahlen? Sagen Sie mal: sind sie eigentlich nur besoffen, oder hat man Sie mit dem Klammerbeutel gepudert? Die Arbeitgeberbeiträge sind keine Lohnkosten? und deshalb müssen wir die Lohnkosten senken, um die Löhne zu stabilisieren? Was ist denn das für ein Gefasel, Mann? Ob Sie das Arbeitgeberbeiträge oder Arbeitnehmerbeiträge nennen oder linke Tasche und rechte Tasche, das ist doch egal. Das sind Lohnkosten, die gehören zum Lohn. Das sind Fixkosten, klar? Und wenn Sie – meine Güte, jetzt sitzen Sie doch mal gerade, Sie sind ja voll wie ’ne Haubitze! Wenn Sie die Lohnnebenkosten senken wollen, indem Sie den Teil um die Fixkosten absägen, dann heißt das, dass Sie die Löhne drücken. Punkt! Und jetzt faseln Sie mich nicht voll, Arbeitgeberbeitrag – das zieht der Arbeitgeber ab von dem, was sein Arbeiter erwirtschaftet, und dann packt er ein kleines Stück davon wieder obendrauf. Oder wer bezahlt bei Ihnen die Sozialversicherung? Der Nikolaus?

Und was haben Sie die ganze Zeit mir der – bah, Sie sollen mir nicht auf die Brille seibern, das ist ja ekelhaft! Schwester! Machen Sie das da mal weg, Schwester, der Mann ist ja völlig knille. Der kann überhaupt nichts mehr bei sich behalten. Das wird mir auch langsam zu viel, ich glaube, wir werden ihn auch vorerst in die Ausnüchterungszelle – Schwester! Jetzt schauen Sie sich diese Sauerei an, es ist doch nicht zu fassen! Igitt! Meine Fresse, wenn man kein Weinfest verträgt, warum gibt man sich das? Haben Sie nichts Besseres zu tun, als der Weinkönigin an die Wäsche zu gehen? Was erzählen Sie da? Die asiatischen Importe sind nicht verantwortlich für den Exportboom? Das sei eine Folge des erst kommenden Aufschwungs? Bitte?

Die Renten sind sicher, weil die Rentengarantie abgeschafft wird, die Gesundheitsreform ist jetzt endlich bezahlbar für die Arbeitnehmer, weil die Arbeitnehmer die Kosten der Arbeitgeber bezahlen, das Sparpaket ist sozial ausgewogen, weil es nicht – haben Sie sich irgendwelche Substanzen intravenös zugefügt? Oder was ist mit Ihnen los? Und der große Aufschwung, der kommen sollte, nachdem es die unglaublich tollen Steuersenkungen gegeben hat, die alles ins Rollen bringen und auf die man ja gar nicht verzichten konnte, diese Steuersenkungen sind jetzt alle ausgefallen wegen Niebel, Quatsch: Nebel, Nebel meine ich, und dazu noch die Gesundheitsreform und höhere Abgaben für die Banken und die Atomwirtschaft und – ja glauben Sie denn, dass die sich das nicht wiederholen? Was sind denn Sie für ein Vogel? Triller unterm Pony, was? Und keine von diesen absolut notwendigen Steuersenkungen, und jetzt auf einmal kommt der Aufschwung mit unglaublichen anderthalb Prozent, die aus der künstlichen Konjunktursteigerung durch das Abwrackprogramm von einer Legislatur in die nächste schwappen, und dann kommt jetzt dieser gottverdammte Aufschwung, den es laut Ihren Sonntagsreden überhaupt nicht geben dürfte, weil alle, alle, alle alternativlosen Sachen, die Sie haben wollten, alternativlos gestrichen sind? Schwester, ich habe genug von diesem Knilch, ich werde – Schnauze jetzt! Sie haben hier nichts zu sagen! Schwester, die Karteikarte – Brüderle, Rainer, ab in die Geschlossene. Der Mann ist doch nicht mehr zurechnungsfähig!“





Die Angstmacher

26 07 2010

Das Kind weinte. Hoch oben stand es mit zitternden Knien, zehn Meter über dem Schwimmbassin, und der Bademeister schrie höhnisch. Doktor Sparski nickte zufrieden und schloss das Fenster. „Die Jugend lernt schnell, mein Lieber. Wir werden die Preise kräftig erhöhen müssen, sonst rennen Sie uns bald den Laden ein.“ Und er führte mich durch den langen Korridor im Obergeschoss des Instituts.

„Angst“, dozierte Sparski, „ist allgegenwärtig. Aber man muss natürlich etwas davon verstehen.“ Ich musterte ihn, einen kleinen, etwas korpulenten Mann mit schütterem Haar und dicker Brille. Er bewegte sich ruckartig und schielte nervös an den Dingen vorbei. „So“, erwiderte ich ironisch. „Man muss etwas davon verstehen. Das ist wohl typisch deutsch – die Sache als Wissenschaft betrachten, dann hat man immer Recht, gleichgültig, was am Ende herauskommt.“ Ungerührt öffnete er die Glastür, die den Gang mit dem Südflügel des Gebäudes verband. „Angst ist komplex, und da wir sie nicht ausschalten können, müssen wir uns näher mit ihr befassen. Dann werden wir sie verstehen. Und können besser mit ihr umgehen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.“ In dem Raum saßen einige Männer und Frauen an Tischen und blätterten sich durch Papierberge. Sparski griff sich einen Stapel und hielt ihn mir hin. „Rechnungen, Mahnungen, eine fristlose Kündigung. Eine Vorladung, es steht eine Zeugenaussage bevor, Sie wissen nicht genau, worum es sich handelt. Eine Behörde setzt Sie unter Druck, Sie wissen nicht genau, welches Dokument Sie eigentlich beibringen sollen, aber der Brief ist herrisch und droht Ihnen mit empfindlicher Strafe.“ „Das ist ja kaum realistisch zu nennen“, wandte ich ein, doch er schüttelte den Kopf und schmunzelte. „Doch, durchaus. So ist es nun mal, wenn Sie ganz unten sind. Da nimmt man auf Sie keine Rücksicht mehr. Da verbietet Ihnen eine Behörde, über die Straße zu gehen, und die andere bestraft Sie, weil Sie nicht über die Straße gegangen sind.“

Der junge Mann, der mit zitternder Oberlippe einen Stapel widersinniger Versicherungsunterlagen durchwühlt hatte, brach in Wutgeschrei aus. Zwei Wärter mussten ihn aus dem Raum führen. „Er wird diese Klasse morgen wiederholen. So lange, bis er es kapiert hat.“ „Was kapiert hat“, fragte ich. „Bis er verstanden hat, dass das keine adäquate Reaktion war. Er muss sich besser im Griff haben.“ „Aber bei dem Jungen fanden Sie eine emotionale Reaktion doch noch angemessen?“ Wieder lächelte Sparski. „Der Junge zeigt sein natürliches Verhalten, das hier erwünscht ist. Er lässt sich durch die Angst in die Enge treiben – so ist es psychologisch und nicht zuletzt physiologisch auch vorgesehen. Dieser Mann allerdings legt eine ganz und gar unhaltbare Wut an den Tag, vor deren Zerstörungsdrang wir uns hüten müssen. Wenn das jeder täte!“ Ich blickte auf den Papierstapel, auf den Tisch, in die Gesichter der anderen. „Ja, wenn das jeder täte. Aus diesem Satz kann man Gefängnisse bauen.“

Die Nachmittagssonne stand über dem Garten des Pavorariums. Die Insassen schritten durch einen schmalen Gang zwischen zwei Hecken hindurch; hier und da zischten plötzlich Fangleinen mit Widerhaken durch die Lücken, die empfindlich ins Fleisch schnitten. Doch nicht die kleinen Wunden waren so schmerzhaft, es war jene Entladung der Spannung, die auf den Treffer folgte, jene blitzartig durch den Körper zuckende Scham, es nicht bis ans Ende geschafft zu haben. „Nun, Existenzangst, Versagensangst, alles dies lässt sich gut trainieren. Wir haben recht ausgeklügelte Programme.“ „Aber verwechseln Sie nicht etwas?“ Sparski blickte mich erstaunt an. „Verwechseln? Was denn verwechseln? Was gibt es denn mehr als Angst?“ „Phobien. Und Ängstlichkeit.“ Er lächelte. „Ich bitte Sie – wo ist denn der Unterschied?“ „Ängstlichkeit ist ein Maß, wie sehr sich Menschen von Angst leiten lassen. Wie stabil ihr Selbstbewusstsein ist. Die Phobie ist die Krankheit, die eine gesunde Angst in ein Leiden verwandelt. Sie kennen diese Unterschiede nicht?“

Sparski putzte sich umständlich die Brille. Er blickte an mir vorbei, dann stülpte er abrupt die Brille ins Gesicht. „Sie wissen genau, wozu das hier ist. Angst ist das Element, das die Gesellschaft in ihrem Innersten noch zusammenhält. Es ist die Angst, die wir kultivieren. Angst vor dem Versagen, vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg – Angst, so zu werden wie die Typen, die man auf dem Weg in die Fabrik morgens Schlange stehen sieht vor den Behördenhäusern. Angst vor dem Terrorismus, die dumpfe Furcht, dass die Fingerabdrücke, die man sich abnehmen lassen muss, um drei Stationen mit dem Vorortzug zu fahren oder im Internet einen Blumenstrauß zu bestellen, wirklich nur dazu da sind, eine Datenbank zu füttern, die nie jemand einsehen wird, weil man dazu Hunderte bräuchte, die jahrelang suchen. Man braucht diese Angst.“ „Sie hält das System zusammen, weil Menschen bewegungslos werden.“ Er nickte. „Sie werden sich nicht mehr rühren, wie der Junge auf dem Sprungbrett. Sie dürfen nur nicht in Wut geraten – Wut destabilisiert, denn sie ist nur sehr schwer unter Kontrolle zu halten. Sie steckt an. Und sie kann ziemlich unvermittelt in ganz andere Formen überspringen.“ Wieder putzte er seine Brille, als wollte er sich einen Schleier vor den Augen wegwischen. „Und dazu ist Angst ein hübscher Wirtschaftsfaktor“, fügt ich an. „Ja, das ist richtig. Einer muss diese Scanner und Kameras und die Sicherheitsschleusen ja bauen und anschrauben und bedienen. Die Ausweise mit den Fingerabdrücken, die Millionen und Milliarden Mails und Briefe, die gesammelt und gespeichert und dann doch nie gelesen werden, und die bleibende Angst, würde es jemand tun, er fände etwas, das nicht rechtens ist. Die bleibende Angst. Sie hält zusammen, was sonst auseinanderflöge. Wir sind die Angst in uns.“

Lange blickte ich auf das Sprungbrett, in den Garten mit den schnurgeraden Rabatten. Auf einmal begann Sparski leise zu sprechen. „Natürlich muss man etwas davon verstehen, denn die Zeiten ändern sich vielleicht schneller, als man es denkt. Es war einmal der Kalte Krieg, eine Reaktorkatastrophe, jetzt ein Ölbohrloch – Gefahren, die uns nicht so sehr ängstigen, obwohl sie viel weniger abstrakt sind als das, was alle Angstmacher beschwören. Um das zu verstehen, muss man die Angst in sich selbst verstehen. Ihre Dynamik. Man würde sonst irgendwann selbst nicht mehr funktionieren, wenn sie einen neuen Grund ausgeben, weshalb man Angst haben soll. Diese Gesellschaft verlangt ja einiges an Flexibilität.“ Ich nickte. „Und wer sich nicht anpasst, wird verschluckt. Aber was wäre nun, wenn wir alle diese Angst auf einmal überwänden?“ Sparski zuckte zusammen, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Oder einer der kleinen Haken, wie sie zwischen den Gartenhecken hervorschnellen. „Ich kann es nicht sagen“, antwortete er, „ich kann es mir nicht vorstellen. Vielleicht wäre es auch der Augenblick, in dem wir nicht mehr alle wütend wären, wenn die Angst geht. Wir wären andere.“ „Andere?“ Er setzte die Brille ab; diesmal blickte er mich aus kurzsichtigen Augen genau ins Gesicht. „Was wäre der Deutsche ohne Angst, ohne Hass und Neid? Ein Mensch.“





Sommerpause

25 07 2010

Und das heißt ja im Klartext: Sommerloch. Da kriechen die besonders ulkigen Exemplare – einer von ihnen heißt Wanderwitz, doch bei der geistigen Leistung erübrigt es sich, über den Namen zu spotten – von der Hinterbank und spucken wirres Zeug in die Mikrofone. Dass die Deutschen zu dick seien, dass sie eine Gefahr darstellten für die kranken Kassen, dass man daher Schokolade viel stärker besteuern müsse. Statt mal für die Prüfung zum Schiffschaukelbremser zu büffeln, treibt die Blase wieder nichts als Unfug. Was ansonsten an den Zähnen schmerzte, entnehmen Sie wie immer den Suchmaschinentreffern der vergangenen 14 Tage. Ohne Schokolade, aber steuerfrei.

  • bastelvorlage für zielscheibe: Schießen Sie auf irgendetwas und malen Sie konzentrische Kreise darum. Schon haben Sie ins Schwarze getroffen.
  • mein westie stinkt plötzlich: Dies Modell wird ja auch mit Füllung geliefert.
  • frisörphobie: Das könnte irgendwann auf Gegenseitigkeit beruhen.
  • lauf und sprechpuppe ddr: Sie sollten Muttchen erstmal sitzen sehen.
  • toupets und sicherheitskontrolle: Haben Sie wieder einen Triller unterm Pony versteckt?
  • bananenboot fahren im harz niedersachsen: Dank Frau Özkan gibt es in Niedersachsen bald überhaupt nur noch Bananenaffines.
  • reife frauen beim spiel mit hunden: Sonntags in den Stadtpark, da werden Sie fündig.
  • eisenhaltiges wasser haarverfärbung: Man nennt das Rost.
  • umgekehrten tarantel: Spinnt sie vielleicht?
  • chlorvergiftung homöopatie: Dazu ist zu viel Chlor da.
  • muttchen: Urlaub.
  • einkotende kinder: Wie mit den Westies, Sie verstehen?
  • verschwiemelt und verschwurbelt: Dafür schreibt Schirrmacher aber wenigstens noch von Hand.
  • strafe „haare färben“: Bei Ihnen ist eher das Ergebnis eine Strafe.
  • fritz teufel: Diente nicht nur der Wahrheitsfindung.
  • „brustwarzen“ germanisch neue medizin: Sie sollten jetzt auf jeden Fall nur noch unter Aufsicht daran herumspielen.
  • hautpilz kinn freibad: Gehen Sie mit Ihrem Therapeuten nur noch bis zu den Brustwarzen ins Wasser, ansonsten: siehe oben.
  • not my president: Keine Sorge, Christian Wulff wird nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet.
  • wie ist der rhythmus im nachahmungstrieb: Synchron.
  • penisverlänger selber bauen: Eines der Themen, die Sie in BILD vergeblich suchen werden. Aus Gründen.
  • schnitzerei in holzbank, sprüche: Anlehnen verboten fände ich sehr hübsch.
  • rezeptvorlagen kostenlos tabletten: Drehen Sie sich ein paar Globuli, die gehen sogar ohne rezeptfrei.
  • beileidswünsche für kartenspieler: „Es war wohl das Herz?“
  • nasenbruch tapen: Tackern Sie das Nasenbein lieber am Hinterkopf fest, damit nichts verrutscht.
  • leierkastenmann in kassels fußgängerzone: Solange es keine Panflöten sind, ist noch nichts verloren.
  • ferrero kinderschnitte: Wird mit Kindern aus Überproduktion hergestellt.
  • „fremde hilfe“reißverschluss dirndl: Billige Ausrede.
  • suizid mülldeponie kreis schkopau 2009: Das Betreten der Stadt hätte doch bei dieser Absicht schon gereicht.
  • onanieren krimtataren: Meistens dann, wenn man es nicht erwartet.
  • mortale rate hautpilz: Die postmortale ist höher.
  • private nacktbilder tausch cham kostenlo: Gegenangebot: ich zahle Ihnen etwas, und Sie lassen die Bilder verschwinden.
  • filmriss geräusch: Oft beginnt es mit einem Korkenzieher.
  • sparpaket: Da die Wirtschaft wieder brummt, äußerst sinnvoll.
  • zauber fallbeil: Auch jedem Ende sollte er wohl innewohnen.
  • römisches haus bastelvorlage: Kriegen Sie heute nie mehr durchs Bauamt.
  • wo bekommt man die kette aus herzen die: Machen Sie’s mit Hähnchenherzen, das ist preiswerter.
  • mutterglück trinktur: Oder in Ihrem Fall: Klobuli.
  • slÄtthult auf raufaser: Tackern.
  • dinocroc vs supergator: Erleben Sie gerade im Bayerischen Landtag. Die Evolution schlägt mal wieder grausam zu.
  • schnapsfläschchen aufsätze: Es heißt Verschluss, und Sie sollten es öfter benutzen.
  • hausstauballergie im polizeidienst: Mit Hirnallergie kommen Sie beim BKA weiter.
  • heimliches nachts ausgehen in high heels: Wenn Sie in einer hellhörigen Umgebung leben, sollten Sie sie erst vor der Tür anziehen.
  • die toten hosen besangen 10 kleine: Und ein belegtes Brot mit Schinken.
  • schultüten bastelvorlagen kostenlos weiß: Kostenlos, aber Ansprüche stellen. Das haben wir ja wieder gerne!
  • beinprothese hoher absatz: Man hat Sie erwischt, aber Sie probieren es gleich noch mal – lobenswert!
  • anleitung pudelschneiden( haube): Schneiden Sie den Pudel am besten aus der Keule, da sitzt gutes Muskelfleisch.
  • tine wittler basteleien stuhl durchsägen: Das verwechseln Sie bestimmt mir Jean Pütz.
  • origami wiedehopf: Die meisten Vögel sind ohnehin spiegelsymmetrisch.
  • gogo flanze: Da mache ich ein P vor.
  • fliegentod lavendel: Alles eine Frage der Dosierung.
  • sommerhitze und beinprothese: Und jetzt wollen Sie sich mit dem Bein Kühlung zufächeln?
  • rätselbilder auf 9live: Und Sie sind intellektuell überfordert, ja?
  • dicker staatsanwalt mit pekinesen: Ich hätte ja lieber Reis dazu serviert, aber bitte…
  • laminat boden auskorken: Und dann fließen bei Ihnen Milch und Honig?
  • bungalow wischer: Richtig so, feudeln Sie das Haus am besten im Stück!
  • lebervergiftung durch zungenpiercing?: Wenn Sie dazu einen Fieberthermometer auslutschen, ja.
  • bosbach toupet: Nein, oben ohne ist der Mann nur von der Innenseite.
  • kann man kreon auch bei adipositas verwe: Zahlt Ihre Kasse Sophokles?
  • „it-grundversorgung“: Wenn die Telekom es abschafft, gehört es dazu.
  • lied von den dreizehn nonnen: Sie dürfen wegen des Burka-Verbots nicht mehr auftreten.
  • scientology-hansi hinterseer: Es gibt noch Dummheit jenseits der Alpen, glauben Sie es.
  • eingetrocknete grasflecken von gartenhag: Können mit Laubschnitt wunderbar aufgefrischt werden.
  • biene maja essgeschirr: Für Honigbrote. Und Insektenküche.
  • haltbar bis juli wie lange tatsaechlich: Wenn der Inhalt zu Ihnen spricht, sollten Sie skeptisch sein.
  • eisberg basteln: Praktisch, da brauchen Sie bloß ein Siebtel zu bauen.
  • westerwelle: Nein, ich will diese Woche nichts über Akne schreiben.
  • erröten: Ihr Lichtschutzfaktor war zu gering.
  • gibt es im westerwald scherzartikelläden: Liegt der Westerwald auf dem Meeresgrund?
  • lxv 20091: Ich möchte mich nicht um Details streiten, deshalb: Hä!?
  • wachregiment fed dienstausweis: Bestimmt mit Fingerabdrücken, damit Sie im Internet Briefe schreiben dürfen.
  • muffiger körpergeruch: Und das ist erst der Anfang.
  • verbotene t-shirt: Storch Heinar ist doch legal?
  • seidenbluse bläht: Nicht die Seidenbluse lässt Sie so unvorteilhaft aussehen, sondern Ihre Fettschürze.
  • halslockerung pferd: Geben Sie dem Tier Leine. Oder ziehen Sie sie.
  • damencatchen in deutschland: Sie sind aber auch komplett schmerzfrei!
  • „schwitzendes männchen“: Man nennt ihn auch die Achsel des Bösen.
  • bastelanleitung für eine ärzte mütze: Sind das die Dinger, mit denen man sie auf dem Golfplatz von den Anwälten unterscheiden kann?
  • apulien moskitos: Gibt es da Qualitätsunterschiede?
  • wie bastel ich mir eine krankenschwester: Bedaure, ich habe mich auf Mettigel spezialisiert.
  • westerwelle 50 millionen für aussteigerp: Wenn’s die Kohle für FDP-Flüchtlinge gäbe, würde der sich als erster ans Messer liefern.
  • biber leif: Ihre Englischkenntnisse sind auch nicht besser als Ihr Musikgeschmack.
  • öffentlich-rechtliche medien; utilitaris: Der Dreck heiligt die Mittel.
  • fachwort für weichmacher: Weichmacher. Und jetzt?
  • versaut devot und ungehorsam: Einmal ungehorsam bei mir, dann ist aber zappenduster!
  • würgen bei zahnprothese: Wenn Sie das Ding vor dem Reinigen rausnehmen, ist schon viel gewonnen.
  • porzellantasse mit maiglöckchen muster: Sie machen mich neidisch.
  • xavier naidoo bayern 3: Das ist der Heulsusensender? Gut zu wissen.
  • absinth lolli: Ist zu glizzer für Sie.
  • eine tüte fünfjahresplan eay: Frau Kanzlerin, bitte wahren Sie hier gefälligst die Form.
  • you tube oberschenkelhalsbrüche: Brauchen Sie eine Gebrauchsanweisung?
  • schalldämpfer bauanleitung: Halten Sie einfach die Klappe.
  • süßlicher geruch altbau: Das sind die Vormieter, die liegen jetzt unter den Dielenbrettern.




Aus deutschen Landen. Limericks (II)

24 07 2010

Es war ein Vertreter in Dassel,
den stört am Plafond eine Assel.
Auf Besengerassel
folgt Mörtelgeprassel –
jetzt sitzt er in diesem Schlamassel.

Es harkte ein Gärtner aus Kaub
im Herbst große Mengen an Laub,
um dann unter Dröhnen
das Laub wegzuföhnen.
Das wirkte. Doch jetzt ist er taub.

Es waren zwei Jungfern in Nossen,
die eifrig die Topfpflanzen gossen.
Man sah sie schon kommen
zum Topf rausgeschwommen,
doch gossen sie ganz unverdrossen.

Es wurde ein Stadtrat in Fürth
einstimmig zum Sieger gekürt.
(Man sollte erfahren:
sie wählten den Narren.)
Ja, Ehre, wem Ehre gebührt!

Es klebte ein Rentner aus Enger
aus Irrtum fest am Fliegenfänger.
Doch wie er dann rastlos
dran zog, er kam fast los
und zog dann den Fänger nur länger.

Es war einst ein Pfarrer in Wittlich
beim Comicverbot unerbittlich.
Die Ducks, unbehost,
das macht ihn erbost,
das fand er nun wirklich unsittlich!

Es war einst ein Alter in Hamm,
der zog sich die Hosen gern stramm.
Doch wie er sich drehte,
da platzten die Nähte.
Wie peinlich – es war in der Tram!





Gernulf Olzheimer kommentiert (LXVII): Hipster

23 07 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nichts macht die Orientierung einfacher als eine Verbindung zwischen Designat und Designiertem. Wo Zucker draufsteht, sollte kein Salz drin sein. Und umgekehrt. Man erwartet ja von einer Nonne ebenso wenig einen Tabledance wie normales Verhalten von einem Nazi. Und man mag Nonne und Nazi auch gerne unterscheiden, dass sie beide nicht mit ferkelrosa Haarbürste auf dem Kopf durch die Geschichte turnen, doch was tut man, wenn einem zwei identisch albern gekleidete, spiegelsymmetrisch hampelnde und deckungsgleich dämlich deklamierende Brezelbieger über den Weg schlurfen, von denen der eine laut Programmheft zum durchschnittlichen Hominidensalat gehört, nicht weiter erwähnenswert und vernachlässigbar, der andere total angesagt, Vorreiter, Zielgruppe und Role model für eine sich aufpumpende Gesellschaft am Rande der verebbenden Dekadenz? Und was tut man, wenn man nolens volens in die Mischpoke hineinstolpert, gar damit verwechselt wird?

Der Hipster ist zunächst eine Schnittmenge aller Ungreifbarkeiten, fahrig zusammengeschwiemelt in ästhetischen Entwürfen ohne erkennbaren Kern; bald trägt er Fellstiefel im brüllend heißen Sommer, bald benutzt er karierte Schreibblocks, küsst an ungeraden Wochentagen gleichgeschlechtlich und verbringt seine restliche Lebenszeit damit, sich zucker- und laktosefrei zu benehmen. Er müht sich krampfhaft, immer nur neorealistische Filme zu sehen, kauft fair gehandelte Seife und zitiert Roland Barthes, ohne je eine Zeile Roland Barthes gelesen zu haben. Sie hören elektronische Popmusik mit postmaterialistischen Texten, die kolumbianische Sänger in phonetischem Phönizisch ins Megafon murmeln. Sie sind die selbst definierte Bohème innerhalb einer ohnehin ständig um Originalität lechzenden Nachmacherherde, deren oberstes Ziel stets das abgefeimte Plagiat war, denn wer immer genug Hirn besaß, wollte garantiert nie ein Rudel intellektuell komatöser Schnackbratzen um sich.

So lächerlich in seinem Distinktionswahn bis in die Regionen des Grenzdebilen, wo keine Tragik mehr ein Bein auf die Erde bekäme, so inkongruent in Bezug auf Anspruch gegen Wirklichkeit diese Hipsterhorde wäre, so nachgerade penetrant fallen die Egoleptiker in die Umwelt ein. Tatsächlich ist ihre Kaste ein wenig ausdifferenziertes, autonomes Modell neuer oder alter Antibürgerlichkeit, die sich als Citoyen neuen Typs begriffe, sondern bloß Mittelschicht im Wahn, zum unteren Dreckrand der Elite gehören zu können, der sie doch nur dann nah kommt, wenn sie sie nach Mitte und Södermalm in gentrifizierte Ghettos zum Lattesaugen abschiebt und ihnen die fixe Idee einimpft, es handle sich um aktive Landnahme – konsumgesteuerte Lohnratten, die über ihre Verhältnisse vegetieren, von ihren Kunden im Irgendwas-mit-Medien-Job mit miesen Schmerzensgeldern ruhiggestellt, von einem müden Personalchef ins Bodenlose geschnippt, weil der Name nicht mehr hip genug klang oder dieselbe Grütze von einem Sklaven in Andhra Pradesh für ein halbes Promill weniger zu kaufen war. Wer immer ihnen eingeredet hat, ihre Individualität sei wertsteigernd, war ein verlogener Teufel.

Das Problem ist, dass die Hipster plötzlich und unerwartet in die Schrunden dieses geschundenen Planeten gekippt und der Entsorgung anheim gefallen sind; wenn es sie nie gab, jetzt gibt es sie schon gleich gar nicht mehr. So plötzlich, wie der radikale Materialist mit der markenbesessenen Ich-Show auf die Bühne gehinkt war, so plötzlich plumpst er jetzt in die Versenkung. Weg. Aus. Lag es am mangelnden Markenkern? Denn letztlich war jeder Hipster, der von den anderen dafür gehalten wurde; die kleine Schar ergänzte sich durch Zuwahl von außen. Lag es überhaupt an einer geradezu das Nichtsein von Gruppenmerkmalen zelebrierenden Vorspiegelung ausgeborgter Tatsachen, dass aus ein bisschen Existenzialismus, schräger Musik und fehlendem Talent zur Dandydezza dies herauskam, eine Seinsform, die ihre Geräuschentwicklung beim Gasaustausch schon für Leben hielt und ihr bohrend langweiliges Gehampel oberhalb der Erdkruste für interpretationswürdig? Es gab die Hipster nie, sie sind die Erfindung angestrengter Skribenten, die uns Yuppies, Buppies und Yetties an die Backe kritzeln wollten, diese Parvenüs im Raum der Lebensstile, denen Progression und provokativer Protest zuwider sind, weil man dazu bewegen müsste, was ihnen fehlt: den Arsch in der Hose.

Die Revolution wäre mit ihnen bestimmt nicht gekommen. Sie hätten nicht einmal den Rasen betreten. Und es ist gut, dass sie sich Lobopoden und Knospenstrahlern gleich zum Sterben in die Ecke verkrümelt haben, denn die Geschichte braucht sie nicht mehr. Die Stubenhocker haben sie verdrängt, denn die hatten genug Großhirn, um die unkritische Masse zur Implosion zu bringen. Mag es Klassen geben, die für gewisse Zeit genug Schaum produzieren, um sich an der Oberfläche zu halten, für seichtes Geschunkel reicht das; auf der Welle ist es nicht überlebensfähig. Den alltäglichen Tsunami hat der Hipster nicht überstanden. Gedenken wir seiner mit der ihm gebührenden Gleichgültigkeit.





Durchgebrannt

22 07 2010

05:03 – Ein neuer Tag beginnt. Die sanfte Nachtkühle weicht gemächlich der Sommerluft, die einen sonnendurchfluteten, schönen Julitag mit sich bringen wird. Es ist Ferienzeit, ganz Deutschland freut sich auf die Genüsse der heißen Jahreszeit: Strand, Eiscafés und sinnlose Aggressionen im stockenden Autoverkehr, wie die leichte Berührung des Kotflügels durch einen Radfahrer mitten auf der Berliner Kantstraße Slobodan Z. (48) dazu bringt, die Tür aufzureißen und den radelnden Rowdy zu Boden zu reißen, was dieser, ein Sportstudent und nebenberuflich Türsteher eines Techno-Clubs in Mitte, ebenso wenig duldet wie die Ankündigung des erbosten Autofahrers, sich seiner, des Radlers, Mutter sexuell zu nähern – das Ergebnis sind ein komplizierter Bruch des Nasenbeins und eine mehrdimensional diese Verletzung wiedergebende Motorhaube. Die Temperaturen steigen.

06:04 – Die Nachwirkungen der vergangenen Tage sind nicht zu verleugnen, dieser Morgen baut auf wackeliges Fundament: kaum, dass die Sechs-Uhr-Nachrichten und einige Verkehrsmeldungen über den Äther gegangen sind, moderiert Chris M. (31), der Publikumsliebling der mittleren Generation auf den Wellen von Radio Berolina, seine Magazinsendung an mit dem Versprechen auf „Greatest Hits“. Der versehentlich sofort ins Studio durchgestellte Hörer, der englischen Sprache eher weniger mächtig als der lautstarken deutschen, bringt das Ausgangssignal locker in den roten Bereich und macht für Momente die Metropole zusammenzucken vor Ohrenschmerz. Das in letzter Sekunde eingeschobene Last Christmas entspannt die Situation nicht wirklich.

06:39 – Die ersten Vorortzüge leiden unter der Hitze des Tages. Bei einer Routinekontrolle findet ein Kontrolleur den schlafenden Roman H. (19) auf dem Sitz eines Schnellbahnwaggons. Er ahnt nichts Gutes, und tatsächlich verläuft der Fall wie viele andere dieser Tage: mit vereinten Kräften müssen zwei Bahnmitarbeiter den Jugendlichen vom Sitz entfernen, dessen Kunststoffoberfläche mit der schweißdurchtränkten Hose des Volltrunkenen eine sekundenkleberartige Verbindung eingegangen war. Sie sind froh, dass sie nicht, wie es bei Rosalia T. (33) nötig war, mit der Gegenwehr des Opfers zu rechnen hatten, war doch jene stark übergewichtige Frau nur in einem luftigen, kurzen Rock und mit nackten Armen im Sitz geschmolzen.

08:05 – Die Berliner Liberalen errichten auf dem Kurfürstendamm einen Informationsstand, der überraschenderweise ganz in frischem Blau gehalten ist. Fähnchen, Plakate, Handouts und ein großer Sonnenschirm verkünden den Slogan, mit dem die Steuersenkungsversprecherpartei um Sympathie buhlt: Das kalte Grauen. Das Ergebnis ist für die FDP-Mannen, denen nach kurzer Zeit der Angstschweiß auf der Stirn steht, eine herbe Enttäuschung. Die Berliner nehmen Westerwelles Schnöselverein nichts mehr ab, und sei es auch ausnahmsweise einmal ehrlich.

09:13 – Auf der Redaktionskonferenz von BILD geht es heiß her. Während die Schlagzeilenredaktion „Super-Sonne: So heiß ist Deutschland!“ empfiehlt, versucht der Panikbeauftragte „Furchtbare Mörder-Glut: Wir werden alle sterben!“ durchzudrücken; sein vehementes Pochen auf die Tatsache, dass die enormen Temperaturen und der Druck von 200 Milliarden bar im Sonnenkern quasi sofort tödlich für einen normalen Bundesbürger wären, lassen die Stimmung langsam kippen. Kurz vor einer Kompromisslösung, die die Verantwortlichen in „Wahnsinn – die ganze Wahrheit über die Sonnengefahren aus dem Weltall!“ finden, lässt sich das Kanzleramt durchstellen. Die Direktive, mit „Sommer gewuppt! Super-Angie macht ganz tolle Vorschläge gegen die Klimaveränderung!“ zu titeln, wird wie üblich mit Kadavergehorsam umgesetzt.

10:28 – Nach der Schlappe des Nichtraucher-Plebiszits in Bayern setzt der Bundesverband der Tabakwarenhersteller ein Zeichen in Richtung Gesundheitsbewusstsein. Auf seiner Website empfiehlt er, möglichst viel Wasser zu trinken. Die sofort angestrengte Klage der Brauereiwirtschaft kommt überraschend.

11:02 – Bundesjugendministerin Schröder weiht in Marzahn einen Spielplatz ein. Die anwesenden Fotografen dürfen jedoch erst knipsen, als zwei Mitarbeiter die Kinder arbeitsloser Eltern von der Wippe und aus dem Sandkasten geschmissen haben. Sie teilt mit, das sei nicht gerecht gegenüber denen, die arbeiteten. Die Fotos werden schnell geschossen, man stellt dabei fest, dass Schröder obenherum schon recht braun ist.

11:24 – Passanten machen die Polizei darauf aufmerksam, dass Holger Apfel nun schon eine ganze Stunde lang am Potsdamer Platz seine Rede an die national gesinnten Landsleute hält. Der Sprachakrobat hat sich dazu auf die Transportkiste eines reichsdeutschen Bananenzüchters gestellt und tümelt völkisch in die Berliner Luft. Beobachter fürchten, die NPD-Figur habe sich bereits einen Hitzschlag zugezogen, denn Apfel stammelt mit hochrotem Kopf. Ein eilig hinzugezogener Notarzt kann jedoch Entwarnung geben; von einem Hirnschaden könne bei Holger Apfel nicht die Rede sein. Da sei nichts zu beschädigen.

11:55 – Auf die Minute pünktlich beginnt die Pressekonferenz der Deutschen Bahn AG, die um gute Publicity nach den hitzebedingten Ausfällen auf den ICE-Strecken bemüht ist. Leider häufen sich auch hier die Pannen. Weder sind die für die wartenden Journalisten gedachten Getränke angeliefert worden, noch hatte jemand bedacht, wie man 190 Pressevertreter in einem mit 32 Einheiten Sitzmobiliar, davon 10 für Bahn-Chef Grube und seine engsten Mitarbeiter, aufbewahren soll. Das PR-Event wird nun mit körperwarmem Apfelsaft knapp an der Grenze des natürlichen Gärprozesses im Foyer durchgezogen, da hier ausreichend Steh- und Außenplätze hinter der Frontscheibe vorhanden sind. Dummerweise wurde Rüdiger Grube nur sehr oberflächlich in die technischen Hintergründe des Projekts eingeführt, so liest er zwar flüssig von den ihm zugesteckten Kärtchen ab, stellt aber den erstaunten Zeitungsschreibern eine Aktion vor, bei der die Bahn pro Grad Celsius einen Euro teurer wird. Die Sache verläuft unbefriedigend.

12:18 – Die Wirtschaft muss sich den Gefahren einer neuen globalen Krise stellen, wie sie die Klimaveränderung darstellen dürfte. Arbeitgeber und Kapitaleigner, Industrie und Innere Sicherheit müssten nun an einem Strang ziehen, so Funktionär Dieter Hundt. Die volkswirtschaftlichen Kosten der durch die Erderwärmung hervorgerufenen Schäden seien noch gar nicht zu beziffern, man müsse also vom Schlimmsten ausgehen; auch die Folgekosten für den Krankenstand, der ausschließlich aus dem Verschulden erkrankter Arbeitnehmer resultiere, dürfe man jetzt nicht verschweigen. Das einzige Mittel, um das ungebremste Wachstum der Aktien an ausländischen Finanzplätzen zu beschleunigen, sei konsequenter Lohnverzicht – man könne vorerst mit einer Kürzung um 100%, befristet bis 2050, eine relative Planungssicherheit erreichen.

13:37 – Erste Anzeichen einer parlamentarischen Arbeit sind spürbar. Die Gerüchte, die Regierung wolle zur Haushaltssanierung eine Hitzesteuer einführen, werden vom Bundesfinanzministerium empört zurückgewiesen. Diese Meldung entbehre jeder vernünftigen Grundlage.

13:40 – Der zwischenzeitlich veröffentlichte Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministers sieht vor, die Steuer einzuführen, sie jedoch nur auf Sozialleistungen und kleine Renten aufzuschlagen. Man dürfe nicht zulassen, so Brüderle, dass die Leistungsträger in Deutschland über Gebühr mit Angelegenheiten des Staates behelligt würden.

13:46 – Das Hitzeerschwerungsbeschleunigungsgesetz werde selbstverständlich sofort in Kraft treten, betonte Innenhilfsminister Westerwelle; er selbst, so der Hilfsinnenminister, werde auch dafür Sorge tragen, dass nicht versehentlich eine Steuersenkung passiere.

14:21 – Eine Straßenumfrage führt zu dem Ergebnis, dass 87,3% der Personen die Frage, ob sie es heiß fänden, uneingeschränkt bejahen. Nur 1,2% stimmen dem generell zu, geben jedoch der Vorgängerregierung die Schuld an den momentanen Entwicklungen auf dem Temperatursektor.

15:03 – Auf Grund einer Störung im Kühlwasserkreislauf schaltet das Atomkraftwerk Brunsbüttel sich selbsttätig ab. Der Betreiber weist Zusammenhänge mit der Temperatur des Flusses weit von sich. Die vorsorgliche Abschaltung sei in der Folge einer Warnung vor Überlast geschehen, die durch die zahlreichen in Deutschland laufenden Ventilatoren verursacht wurde. Wer beim Anblick eines Windkraftwerks, so ein Vattenfall-Sprecher, nicht bemerke, dass die erneuerbaren Energien nur erfunden worden seien, um Deutschland in eine nukleare Katastrophe zu manövrieren, der fördere damit den globalen Terrorismus. Man werde, um diese Kränkung seelisch zu verkraften, sofort die Strompreise erhöhen.

15:32 – Die durchschnittliche Temperatur des Wassers steigt in ganz Deutschland an, was vor einer Erwärmung des Leitungswassers nicht Halt macht. In einem selbstlosen Akt der Solidarität mit den am Boden zerstörten Kernkraftwerkern kündigt der Verband der Wasserversorger an, die Preise für Warm- und Warmwasser – Kaltwasser könne man das nicht mehr nennen – zu vereinheitlichen. Auf dem Preisniveau von Warmwarmwasser.

15:46 – Die Temperaturen sind noch immer viel zu hoch. In einem heftigen Schlagabtausch geben sich Regierung und Opposition gegenseitig die Schuld; die Liberalen werfen der SPD auf der ganzen Linie Versagen bei Tiefdruckgebieten vor, während Abgeordnete der Bündnisgrünen höhnisch darauf verweisen, dass die Kanzlerin auf ihrem fliegenden Teppich in letzter Zeit über schlechte Thermik geklagt hatte. Ein Kompromiss kommt erst in Sicht, als die Klimaanlage des Plenarsaals schwächelt. Man beschließt, Verhandlungen aufzunehmen.

16:00 – Scharfe Proteste der Wasserverbraucher führen dazu, das Berechnungsmodell nochmals zu überdenken. Man werde, so die Wasserversorger, dann doch nur das erwärmte Kaltwasser preislich anpassen, eine Steigerung von einem Cent pro Grad und Liter sei als gerechtfertigt anzusehen. Wem dies nicht passe, könne sein Wasser ja aus den Mineralbrunnen beziehen.

16:48 – Auch im Konrad-Adenauer-Haus ist die stickige, verbrauchte Luft spürbar, und so verzichtet die CDU auf weitere Rücktritte auf Führungsebene. „Morgen“, verkündet der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, „ist ja auch noch ein Tag.“

17:05 – Die rasch zusammengetrommelten Ausschüsse haben zwei Modelle erarbeitet: während sich Union und FDP für eine Steigerung der Ausgaben bei gleichzeitiger Beibehaltung der Außentemperaturen in den besseren Bezirken aussprechen, verneinen SPD und Grüne diesen Vorschlag als nicht verfassungskonform, sozial unverträglich sowie äußerst demokratiefeindlich. SPD-Chef Gabriel schlägt eine Senkung der Temperatur in drei Schritten vor. Der Entwurf der CDU/CSU wird mit allen Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen angenommen; die Linke enthält sich, wie zuvor angekündigt, einstimmig, da der Deutsche Bundestag nicht bereit ist, Israel die Schuld für die Sommertemperaturen zu geben.

18:02 – Ein auf dem Schiffbauerdamm torkelnder Passant wird von mitleidigen Bürgern in der Spree erfrischt. Die Umstehenden sind der Ansicht, der Mann habe dies bei Gleichgewichtsstörungen und Kopfweh sehr nötig gehabt, schließlich habe er gegen die Hitze zuvor schon zehn Glas Bier getrunken – ohne Erfolg.

18:57 – Die Klimaanstrengungen zeigen erste Erfolge. Zwar sind die Auswirkungen mit Luftfeuchtigkeit und Luftozongehalt noch immer unangenehm, doch sieht Kanzlerin Merkel hier einen enormen Fortschritt.

19:04 – In einer eigenen Pressemitteilung lässt Sigmar Gabriel die Presse wissen, dass die jetzige spürbare Entlastung der Temperatur eine Folge der an sich unmenschlichen, verfassungswidrigen und zutiefst amoralischen SPD-Wetteragenda sei, der man vorwerfe, sie wolle Deutschland auf Dauer in ein Niedrigluftdruckland verwandeln; die Erfolge der ad hoc vorgenommenen Senkung seien jedoch vollkommen gerechtfertigt, wenngleich die SPD auch nicht verhehlen wolle, dass die Deutschen in den vergangenen Sommermonaten über ihre Verhältnisse geschwitzt hätten – die Energiebranche und der Auslandstourismus seien eben auch für wichtige Arbeitsplätze verantwortlich in den Vorstandsetagen der Frühstücksdirektoren. Auf jeden Fall sei die Regierung zur Verantwortung zu ziehen.

19:52 – Kurz vor den Abendnachrichten lässt sich Außeninnenminister Westerwelle noch einmal für einen TV-Bericht interviewen. Er betont, dass sich die Liberalen aus Vernunft der Temperatursenkung nicht verschlossen haben, gleichwohl es eine klare Teilung geben müsse: die Aktionärselite müsse es schön warm haben, während dem Prekariat die Aufgabe zufalle, ihn nicht zu belästigen. Eine einfache, niedrige und gerechte Temperatur für die Besserverdienenden könne es jedoch dauerhaft nur mit dem Projekt 18 Grad Celsius geben. Wegen eines Wutanfalls beim Stichwort Transferleistungsempfänger wird Westerwelle erst fertig, als die Tagesschau schon komplett über die Bildschirme geflimmert ist.

20:29 – Kurz vor dem Bahnhof Zoologischer Garten bleibt ein Fernzug im Gleisbett stecken. Die Verantwortlichen würden gerne helfend eingreifen, wenn sie wüssten, ob sie dazu technisch in der Lage wären. Nach einer längeren Beratung, während der die Fahrgäste im hermetisch abgeriegelten Zug ausharren müssen, bescheidet man das Ansinnen mit einer abschlägigen Antwort. Die Bahn hat nicht genug Schotter.

23:04 – Die Abendkühle senkt sich hinab auf die Häuserschluchten der Hauptstadt, und kurz vor dem Schlafengehen zieht es Karl-Otto F. (53) doch noch einmal in die stillen Seitenstraßen Moabits, wo er, in Trainingshose, Feinrippunterhemd sowie blaue Badeschlappen gekleidet, noch ein bisschen frische Luft schnappen will, ein launiges Liedchen auf den Lippen, im Herzen eigenwillig, aber doch stets keck und froh, wie die Berliner nun mal sind. Bei der Einlieferung in die Charité wird festgestellt, dass sich die abnorme Stellung der Wirbelsäule und der Luftröhre durch eine mit kurzem, aber heftigem Druck in F.s Oberkörper eingeführte Vuvuzela erklären lässt. So endet ein Tag in Berlin, ein schöner und ereignisreicher Reigen der Stunden, in denen ein paar ganz normale Menschen einfach nur die Sommersonne genießen wollten.