Die Stimme Gottes

29 07 2010

„Es ist nicht mehr wie früher.“ „Sie sagen das so gleichgültig? Haben Sie etwas? Weltschmerz?“ „Nein, ich konstatiere es nur. Es ist nicht mehr wie früher.“ „Es ist schlechter geworden?“ „Nein, es ist anders. Dass alles, was sich ändert, grundsätzlich zum Schlechteren tendiert, ist nur eine höchst eingeschränkte Sichtweise.“ „Kann man, kann man. Aber was stört Sie denn daran?“ „Dass diese Sicht von denen vertreten wird, die sich dem Fortschritt verschrieben haben und ihn überall bremsen, wo er nur auftritt.“

„Es ging früher eben alles ruhiger zu. Das sagt auch die Kanzlerin.“ „Das mag vielleicht daran liegen, dass sie die operative Hektik der Medien mit ihrer eigenen geistigen Windstille verwechselt. Nicht die Bewegung hat sich verändert, sondern die Beweglichkeit. Die Menschen warten nicht mehr darauf, dass ihnen jemand sagt, was sie zu denken haben.“ „Sondern?“ „Sie denken.“ „Einfach so?“ „Stellen Sie sich vor!“ „Das wird kein gutes Ende nehmen.“ „Es könnte der Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sein.“ „Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!“ „Und sie haben Zeit, sich mit der Politik auseinanderzusetzen.“ „Müssen denn diese Leute sich nicht um Arbeit bemühen? Die können doch nicht einfach so den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen?“ „Ihnen war entgangen, dass es in Deutschland auch noch Menschen gibt, die ganz normal arbeiten? die studieren? oder Freizeit haben?“ „Wenn man die Regierung reden hört, kann einem das schon mal entfallen.“

„Und warum Fernsehen? Seit wann interessiert man sich noch für das Fernsehen?“ „Die Regierung hat gerade das ZDF mit zuverlässigen, guten politischen Kräften aufgefüllt.“ „Sie meinen, die CDU hat den Sender gekauft.“ „Regierung, CDU, meine Güte – ist das nicht dasselbe? Und warum sollen denn die Leute sich nicht im Fernsehen über die Politik informieren? Das kostet weniger als beispielsweise eine Tageszeitung.“ „Weil die Bevölkerung nicht berieselt werden will.“ „Und wer guckt dann diese ganzen Volksmusik-Sendungen?“ „Alle, die nicht ohne fremde Hilfe von der Glotze wegkommen.“ „Und was ist gegen Berieselung einzuwenden?“ „Dass es eine Einbahnstraße ist. Sie sitzen vor dem Fernseher und werden mit Bildern vollgestopft. Sie können nicht darauf reagieren.“ „Sie können beispielsweise Leserbriefe schreiben.“ „Sie verwechseln das mit der Zeitung, und da werden die kritischen Leserbriefe normalerweise von einem Jungredakteur verfasst und vor dem Abdruck dem PR-Berater und der Rechtsabteilung vorgelegt.“ „Sie können ja anrufen.“ „Und wen verlange ich da? Den Programmdirektor? Den Redakteur? Den Chefredakteur?“ „Sie werden doch wohl bitte noch einen Verantwortlichen ausfindig machen können im deutschen Fernsehen!“ „Und wenn es gerade daran stört, dass er der Verantwortliche ist?“

„Sie wollen bestimmt wieder auf Ihr Internet hinaus, richtig? Was ist denn in diesem Internet so anders?“ „Dass es weniger Zeit in Anspruch nimmt, sich zu informieren. Dass sich mehr Menschen schneller und genauer informieren können. Dass sie sich nicht berieseln lassen müssen, sondern sich selbst artikulieren können. Dass nicht die eine Stimme zu ihnen spricht.“ „Ich fände das aber zu anstrengend. Ich meine, mehr als eine Stimme. Man kann das doch gar nicht mehr auseinanderhalten, wer da was sagt.“ „Es ist Ihnen also lieber, wenn man nicht mehr auseinanderhalten kann, ob die Regierung spricht oder ein Journalist, der sich als unabhängig bezeichnet?“ „Sie meinen, es gibt im Fernsehen Journalisten, die nicht objektiv die Wahrheit berichten? Das kann ich mir nicht vorstellen. Beim besten Willen nicht.“

„Die Stimme Gottes, die Sie um jeden Preis wiederhaben wollen und die Kanzlerin anscheinend auch, die ist im Stimmbruch. Es gibt sie schon nicht mehr. Es gibt kein einheitliches Meinungsbild der Deutschen mehr – sie informieren sich gezielt und reagieren. Und sie äußern sich.“ „Das ist es ja! Haben Sie diese Kommentare mal gelesen? Es ist eine Schande!“ „Sie meinen die Kommentare, die zur Neuwahl auffordern und das, was die Regierung betreibt, mit deutlichen Worten ablehnen?“ „Man müsste das schleunigst verbieten! Es verstößt doch gegen die guten Sitten, wenn nun jeder seine Unzufriedenheit mit der Regierung auf diese Art und Weise artikulierte!“ „Artikulieren – genau. Die Menschen nennen Ross und Reiter. Und sie stellen diese Bande virtuell an die Wand.“ „Da muss man doch aber etwas tun, da muss man doch etwas machen können! Kann man denn da nichts zurücksetzen oder wegsperren, man muss doch dies Internet irgendwie sauber machen können, das geht doch nicht mehr!“ „Das Internet spiegelt lediglich die Gedanken der Menschen wider, nichts anderes. Was Sie wollen, ist nicht das Internet sauber machen, sondern den Menschen die Köpfe von innen feucht durchwischen.“ „Ich will bloß, dass diese ganze fürchterliche Kritik…“ „Sie wollen also den Leuten das Maul verbieten?“ „Sie sollen doch bloß ordentlich etwas machen und nicht immer nur so herumkritisieren – die Regierung kann doch machen, was sie will, die sind so, die Regieung kann nicht mehr machen, was sie will! Das darf doch nicht sein!“ „Wollen Sie der Regierung den Arsch retten?“ „Was muss ich dazu machen?“ „Nichts. Lassen Sie es so, wie es ist. Lassen Sie die Leute im Internet die Kanzlerin aus dem Land jagen und ihren Vize auf Hartz IV setzen. Sonst…“ „Was sonst? Was denn sonst?“ „Sonst machen sie es in Wirklichkeit.“