
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Der Zustand der Materie ist das, was durch eine Veränderung Zeit sein lässt; so wenigstens definiert es der Physiker, während die Uneingeweihten das fundamentalontologische Gerüst eher andersherum bauen. Sein und Zeit betrachten sie so, dass der Verlauf von Uhr, Kalender und astronomischen Zyklen erst jene Prozesse fördert, die schließlich in die Allbezwingerin des Fleischlichen münden, in die Schwerkraft, die alles, Bindegewebe samt ornamentalem Fortsatz, irgendwann ergreift. Und so geht alles, was ist, irgendwann auch wieder in die majestätische Ruhe des Anorganischen über, zumindest in farblicher Hinsicht.
Das Ende der Welt, as we know it, es ist beige. Jener braungrüngrau in die Optik gehebelte Unfall ist eine Mixtur aus nassem Sand und morschem Brot, Körpersekret und Langeweile, die allem den Abstumpfungsgrad von Tapetenkleister verleiht. Was in diese Masse stolpert, wird aufgesogen, wie in ein Gravitationsfeld geschlürft, aus dem es kein Entrinnen gibt, weil der Ereignishorizont gleich Null ist: Senioren, von Kopf bis Fuß in klamme Klamotten verklammert, sind als Beiges Loch in der Existenz gefangen und ziehen gnadenlos ihre Altersgenossen in die Quadranten der Nichtfarbe, die jegliche Ästhetik ausradiert. Nicht nur, dass die Signalunfarbe in Menschenansammlungen von drei Einheiten aufwärts unwillkürlich Assoziationen mit einem weichen Ziel aufkeimen lässt, sie lässt die zu Popeline geronnene Scheußlichkeit magenkranker Schnittmustersadisten Wahrheit werden, jenes als Tarnkleidung gedachte Rentnerbeseitigungstextil, das den visuellen Teilchenstillstand symbolisiert, ein Nullschalter für die Entropie. Sobald sich die ästhetische Katastrophe in Eierschalenblassbraun ereignet, ruhen Kreislauf, Hirnströme und andere niedermolekulare Bewegungsmuster – würde der in Matschton geschwiemelte Ruheständler als zweiter Nijinsky durch die vollbelebte Innenstadt von Bad Harzburg hüpfen, es würde keiner Seele auffallen.
Beleidigender jedoch sind die Schnitte, mit denen sich das trübe Tuch gerissen als Mode tarnt. Viereckige Sackdarsteller mit angenagelten Ärmeln und mittig eingenietetem Reißverschluss ergeben die allseits beliebte Windjacke – eine nur in der Kleidergröße fortgesetzte Demütigung, wie sie das Kindergartenalter kannte, als die Blagen motorisch noch damit überfordert waren, sich die Joppe selbst zu schließen. Die Seitentaschen sind selbstredend so beschissen geschnitten, dass jeder noch so kurzarmige Bekloppte sich beide Ellenbogen amputieren lassen müsste, um einmal mit den Pfoten ins Futter zu kommen – doch wozu? der Thoraxfeudel, tunlichst kurz geschnitten, da im Lebensherbst ja überwiegend regungslos gesessen wird, ist nicht einmal geeignet, pro Seite ein Paket Papiertaschentücher aufzunehmen, von größeren Objekten einmal ganz zu schweigen. Genügsamkeit ist das Wesen dieser Gewandung. Als ob das senile Sediment in Sandstein-mit-Schimmelpilz-Uniform noch Bedürfnisse anmelden dürfte.
Geht es der Seniorin besser? Das Kittelett im Ich-war-eine-Schlafzimmergardine-Dekor deutet ein desolates Nein an, das die beiden verfügbaren Rocklängen – etwas zu kurz, unvorteilhaft lang – mit gehässiger Verve unterstreichen. Dazu ist das Schuhwerk wie geschaffen, die Geschichte der Jetztmenschen aus dem Urgrund der Savannenjäger zu erklären: formloses Geklumpe, das aussieht, als sei der Cro-Magnon ungeschickt in irgendeinen Beutelsäuger getreten und habe das Ding aus reiner Bequemlichkeit gleich an den Füßen gelassen.
Ist also Beige, prickelnd vor Langeweile und ein Generalangriff auf die arglose Netzhaut, nichts als eine Reminiszenz an die Urzeit des Hominiden, als man jene kurz vor dem Ausscheiden aus dem Sippenverband begriffenen Claninsassen hurtig in den Modder schmiss, um sie für Säbelzahntiger und Mammut unsichtbar zu machen, wie wir auch heute unsere Oldies ins soziale Hintergrundrauschen zurückdrücken, sobald uns bewusst wird, dass wir sie noch nicht legal losgeworden sind? Oder ist es der verzweifelte Versuch, uns vor einer Schar durchgeknallter Silberrücken zu bewahren, die in berufsjugendlichem Outfit die Zivilisation stürmen, in Sport- und Funktionskleidung, atmungsaktiven PU-Stoffen, jugendlichem Chic (oder wenigstens dem, was systemkritische Herrenschneider in Wochenendbeilagen unter Zuhilfenahme des Wortes modemutig dazu erklären) mit zehn Prozent Schafschurwolle und in Farben, die man in den Siebzigern noch für eine Ausgeburt von Drogen und Kommunismus hielt? So kleckert es ansatzlos aus brechreizaktiv gefederten Überlandbussen, wenn die halbe Einwohnerschaft von Rheinland-Pfalz zum Heizdeckenrodeo mit Pflaumenkuchen anrollt und in erbsengrünen Windjacken mit malve-taubenblau abgesteppten Kragenapplikationen zu weinroten Damenblousons aus Waschseide alle frei flottierenden Vorurteile schreiend bestätigt. Hie und da greift das lebensältere Personal schon zur Baseballkappe, und es wird eine Frage der Zeit sein, bis die Gesellschaft zum 90. Geburtstag im Kill-your-Idol-Shirt anrückt. Wir werden es aushalten. Hauptsache, das Ding ist nicht beige.
Wuestentarn, um die Verwuestungen, die die Zeit mit sich brachte, zu uebertoenen. Eigentlich keine schlechte Idee. Vielleicht auch ein psychologisch bedingter Vorgriff im biblischen Sinne des „Erde zu Erde, Staub zu Staub…“ Weiss man’s?
Aber wie Sie schon schruben: immerhin noch besser, als schreipinkfarbene Bauchfreijerseys, die die Haut eines 70jaehrigen Pfirsichs freilegen.
Es soll ja Zwischentöne geben, beispielsweise das unfallfreie Schnittmuster (Armani hat ja nicht die Farbe neu erfunden) oder ein edles Schwarz (bis weit ins 20. Jahrhundert hinein trug man die durablen Stoffe höchstens in Anthrazit und nur die Sommergarderobe kannte Sandtöne für die Leinenanzüge). Nur ist der Deutsche offenbar nicht gewillt, sich bei dieser Auswahl an Fehlern zu entscheiden und begeht sie lieber alle auf einmal.