„Was für ein wundervoller Morgen!“ Mit seinem Gamsbarthütchen und der Lodenjoppe sah Herr Breschke eher aus wie ein Flachlandrübezahl, aber den derben Knotenstock hätte er gut und gern gegen eine Schar wilder Murmeltiere einsetzen können – wenngleich es die hier im Stadtwald ebenso wenig gab wie Braunbären und Alpenkrähen. Und wer hätte sich Bismarck, den dümmsten Dackel im weiten Umkreis, vorstellen mögen, wie er jaulend vor einem Rudel Schneehasen flieht. Das treue Tier tat lieber, was es immer tat. Es lief seinem Herrn zwischen die Beine.
„Als wir noch jung waren“, erzählte Breschke, „da waren wir ja jedes Jahr in die Pilze. Meine Frau hat meistens gesammelt, aber seit sie so Rücken hat, kann sie sich auch nicht mehr bücken.“ Der pensionierte Finanzbeamte ging in die Knie und schnitt einen düster braunen, schuppig gewundenen Hut aus dem Waldboden. „Da wird sie sich freuen, Pilze sind nämlich ihr Höchstes.“ Noch zwei kleine Köpfchen hatte er entdeckt; bei einem kam er nur ein bisschen zu spät, denn Bismarck hatte ihn schon berochen und beschlossen, ihn zu bewässern.
„Haben Sie denn ein Bestimmungsbuch dabei“, wollte ich wissen, „oder kennen Sie sich aus?“ Zwei süßlich duftende Exemplare mit langem, blass und gemasertem Stiel schnippelte Breschke gerade von der Rasenkante. „Ach was!“ Schon hatte er einen milchig schimmernden Stecker vom Boden gekappt, der zu den anderen in sein Spankörbchen wanderte. „Meine Frau, die kennt sich doch so gut damit aus, die ist ja quasi im Wald aufgewachsen. Und wie wir jung waren, da sind wir meistens so gegen zehn, wenn ihre Eltern schliefen – ach, das wird Sie ja gar nicht interessieren.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, wie er schnaufend und rotgesichtig, nicht nur vom Knien und Suchen, vom Waldboden aufstand. „Die Pilze! Wir trocknen immer welche, aber am besten sind sie frisch.“
„Dass ich Sie hier treffe. Treffe!“ Herr Doktor Kornschmötter freute sich aufrichtig. „Die Herren sammeln Früchte des Waldes. Waldes? Darf ich mal sehen. Sehen?“ Er ließ die dicke Brille nach vorne rutschen und griff in den Korb. „Oh, oh! Nein, das sollten Sie besser nicht mitnehmen. Mitnehmen!“ „Wer ist das“, zischte Breschke, „und was hat er an meinen Pilzen zu suchen?“ „Sie sollten ihn kennen. Herr Doktor Kornschmötter hat mehrere Bücher geschrieben und leitet die hiesige Pilzbestimmung.“ „Aber doch nicht für meine Morcheln“, jammerte er. „Oh, falsch. Falsch!“ Noch immer heiter, aber mit einem gewissen Fatalismus zupfte er Pilz um Pilz aus dem Korb. „Morcheln sind das keine. Keine! Was Sie hier gesammelt haben, sind samt und sonders giftige Pilze, teilweise tödlich. Tödlich!“ Breschke klappte die Augen auf. „Es sind alles Lorcheln, leicht zu verwechseln übrigens, aber allesamt für den Verzehr ungeeignet. Ungeeignet!“ Das interessierte mich nun. „Was ist das denn nun alles?“ Und einen nach dem anderen entsorgte er auf dem Waldboden. „Helvella pithyophila, ein einziger Fruchtkörper kann zum Tode führen. Führen! Hier Clitocybe.cerussata, ein Pilz den man gerne verwechselt mit dem essbaren Trichterling. Trichterling! Davon bekommt man nur Magenweh und eine ausgesprochen unangenehme Übelkeit. Übelkeit!“ „Meine Pilze“, jammerte Breschke. „Meine schönen, schönen Pilze! Was soll ich denn jetzt meiner Frau sagen, wenn ich nach Hause komme?“ Bismarck fiepte mitleidig. Der alte Herr war am Boden zerstört.
„Kann man da etwas machen?“ „Beim Angeln würde man ihm einen Hecht aus dem Fischgeschäft in die Hand drücken. Drücken!“ Doch sofort hatte Kornschmötter die rettende Idee. „Ich werde mich jetzt schnell verabschieden, und dann gehen Sie hier gen Südwesten. Südwesten! Da kommen Sie auf halbem Weg zur Wassermühle auf eine kleine Schonung. Schonung!“
Immerhin ließ es sich Horst Breschke nicht nehmen, sein Körbchen an Ort und Stelle zu leeren, dem Mykologen einen etwas steifbeinigen Dank abzustatten und mich zu begleiten. Auch wenn er viel lieber alleine den Heimweg angetreten hätte. „Die alte Wassermühle ist nun auch schon seit letzten Jahr – oh, schauen Sie mal!“ Ganz zufällig befanden sich etliche Sommersteinpilze unter dem Blätterdach. Breschkes Augen leuchteten auf. Er freute sich wie ein Kind. „Und so große! Das ist ja unglaublich – davon soll meine Frau Suppe kochen und Omelette und mit Rührei. Und Sie wollen doch bestimmt auch etwas? Packen Sie in den Korb, Sie nehmen sich zu Hause die Hälfte ab!“ „Ich glaube“, warnte ich, „wir sollten ein bisschen vorsichtiger sein. Die Dickröhrlinge stehen ja allgemein unter Naturschutz, und das sind jetzt wohl doch ein bisschen viele.“ Doch er war gar nicht mehr zu bremsen; wie ein Trüffelschwein kroch Breschke über die Laubdecke. „Kommen Sie schnell“, rief er aufgeregt. „Kommen Sie, hier hat’s Pfifferlinge!“
Schwer beladen stapften wir durch den Stadtwald. Breschke selbst trug den Korb, gewaltig gefüllt, halb mit Steinpilzen, halb mit Pfifferlingen. „Sie kommen am Sonntag zum Essen“, beschied er. „Dann kocht meine Frau Ihnen Geschnetzeltes vom Kalb mit Pilzen.“ „Ich wäre mir da nicht zu sicher“, antwortete ich dumpf. Der Forstbeamte guckte nicht sehr freundlich. „Das überschreitet eindeutig die geringe Menge, die als Eigenbedarf gemäß Bundesartenschutzverordnung in Verbindung mit dem Bundesnaturschutzgesetz aus dem Wald mit sich geführt werden darf. Bitte händigen Sie mir die Pilze aus.“ „Aber die haben wir selbst gesammelt“, stotterte Breschke. „Eben“, replizierte der Förster. „Sie sind berechtigt, von den hier im Tragebehälter befindlichen Arten geringe Mengen für den Eigengebrauch zu sammeln. Aber das hier ist eindeutig zu viel. Ich kann da nichts machen. Und wenn wir jetzt noch schauen müssen, ob Sie laut Bundeswaldgesetz überhaupt sammeln dürfen…“
Breschke schob resignierend den Teller von sich. „Litauische Pilze“, murmelte er trüb. „Womit hat man das verdient.“ „Ach was“, erwiderte ich munter. „Sie wollen doch nicht etwa behaupten, ein Kalbsgeschnetzeltes sei keinen Pfifferling wert?“
Da fühle ich mich doch glatt ein wenig auf die Schippe genommen 😉
Aber auf die Schippe kommen auch nur die Guten, auf die Gabel nur die halben Portionen