Und raus bist Du

30 09 2010

„Und das geht?“ „Logisch. Sonst würden wir es ja nicht machen.“ „Sie wissen doch, wie das in Berlin ist. Da geht eine Menge nicht, aber machen tun sie es trotzdem.“ „Doch, das hier geht. Bombensicher.“ „Und die Bezahlung? Gibt es da Einschränkungen im Vergleich zum normalen Personal?“ „Das fällt nicht weiter ins Gewicht, denn Sie wissen ja, dass man für Politiker eh meist nur den Ramsch kriegt, der für den normalen Arbeitsmarkt sowieso nicht zu gebrauchen ist.“ „Stimmt auch wieder.“ „Und trotz allem mache ich mir ein bisschen Sorgen.“ „Ach was, nicht nötig. Wenn man sich am Fließband mit Zeitarbeitern behilft, warum nicht in der Politik?“

„Es trifft zu, dass die überlassenen Arbeiter hier das Dreifache ihrer Lohnkosten erwirtschaften?“ „Wir kalkulieren eben mit dem spitzen Bleistift. Da können wir uns auch schon mal eine etwas größere Menge an Staatssekretären leisten.“ „Sie meinen, eine etwas sehr viel größere Menge, als die FDP noch vor der Wahl haben wollte?“ „Genau. Und es ist auch noch ein bisschen mehr drin für, na sagen wir mal: repräsentatives Personal.“ „Also für einen Frühstücksdirektor wie Wulff?“ „Richtig, der Mann ist uns zwar schon ein bisschen länger empfohlen worden, aber er…“ „Empfohlen? als was denn bitte empfohlen?“ „Als Grüßaugust. Passt ja auch zu seinen Qualifikationen.“ „Er hat doch gar keine.“ „Sage ich ja. Normalerweise hätte man für so was Abstand gezahlt oder wäre bei der Wohnungssuche behilflich gewesen, aber als Leiharbeiter?“ „Hm, das ist schon einleuchtend. Aber die Laufzeiten?“ „Bei Großabnahme lässt der Verleiher mit sich reden. Und da das Modell in der Wirtschaft so gut lief, haben wir uns selbstständig gemacht. Eine eigene Arbeitsverleihagentur erspart Aufwand, und die Kosten fließen von einer Tasche in die andere.“

„Nur, wissen Sie: über den Erfolg müssten wir mal reden.“ „Hmja. Nicht so toll, oder?“ „Ich will ja nichts gegen Ihre Personalpolitik sagen, aber das macht doch keinen guten Eindruck. Die Leute sind doch größtenteils unter aller Sau.“ „Selbstredend, es war ja auch als Eingliederungshilfe in den ersten Arbeitsmarkt gedacht, aber dann hat es sich irgendwie verselbstständigt.“ „Um Geld zu sparen, sehe ich ja auch ein – aber Ihnen muss doch klar sein, dass man bei der Personalauswahl auch mal auf die Eignung der Leute guckt. Also ehrlich, das geht doch nicht!“ „Ich weiß, dass das nicht optimal läuft. Aber Sie müssen auch zugeben, wir haben in der Zeit eine Menge…“ „Nein, das lasse ich alles nicht gelten bei diesen Fällen! Hier, schauen Sie sich das mal an: jahrelange Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation, die Zeugnisse sind schon eindeutig, dann wird der Mann zum Vorstellungsgespräch eingeladen, das erste, was er macht, er greift hier tief in die Kasse, dann pöbelt er den Arbeitgeber an, droht der Unternehmensleitung, und dann schleust er auch noch sein Betthäschen ein und lässt ihn sich die Taschen vollstopfen. Das geht so nicht!“ „Er hatte aber auch eine schwere Zeit, müssen Sie zugeben. So von jetzt auf gleich als Außenminister in Hier-ist-Deutschland, das kann auch nicht jeder.“ „Papperlapapp, wenn ich unqualifiziertes Personal haben will, stelle ich mich an die Straßenecke! Oder hier, in Volkswirtschaft versagt, Medizinstudium nicht hingekriegt, Doktor gekauft, zwei Festanstellungen versemmelt, jetzt in Verwaltungsrecht am Anfängerwissen gescheitert – wissen Sie, das muss doch alles nicht sein, es gibt doch wohl bessere Besetzungen als ausgerechnet diese Bildungsallergikerinnen.“ „Aber die ist…“ „Nix! Ich kenne Ihre Schwäche für Blondinen, aber so viel Stroh auf einem Ministersessel sollte man auch nicht noch fördern. Das geht zu weit!“

„Allerdings haben wir bisweilen ein kleines Problem.“ „Ein Problem? Ich dachte, mit Zeitarbeit gäbe es keine Probleme?“ „Es ist ja auch nicht mit der Zeitarbeit, sondern…“ „Na?“ „… sondern die Personaldecke.“ „Was hat denn das jetzt mit der Personaldecke zu tun?“ „Sie wissen doch, wie der Staat üblicherweise mit dem Geld umgeht.“ „Er schmeißt es mit beiden Händen zum Fenster raus und sagt den Bürger, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten.“ „Eben. Und jetzt ist hier eine etwas größere Menge an… schauen Sie mal.“ „Was? das sollen diese Heinis selbst bezahlen! Wir sind doch hier nicht Westerwelles Party-Service? Was bildet der Knilch sich eigentlich ein?“ „Wir konnten das ja auch nicht ahnen. Es ist ja sowieso so, dass die Integration der Leihkräfte in den normalen Verwaltungsbetrieb eher schleppend verläuft. Sie werden auch nicht richtig angenommen.“ „Weil sie als Außenseiter gelten?“ „Naja, schauen Sie sich mal dies Personal an. Rösler, Schröder, die sind ja im Grunde unterqualifiziert. Keine Ausbildung, nur etwas auf die Schnelle angelernt, und dann tun sie so, als hätten sie im Ressort ansatzweise Ahnung. Das kann ja nicht gut gehen!“ „Und warum machen Sie es dann überhaupt?“ „Wir machen es wie in der Wirtschaft: solange die Stückkosten schön niedrig sind, wird immer noch eingekauft, und auf die horrenden Folgekosten achtet keiner.“ „Haben die denn etwa keine private Altersvorsorge?“ „Die bekommen Pensionen, warum?“ „Auf unsere Kosten?“ „Wir konnten das ja nicht verhindern. Aber denken Sie an die eine große Verbesserung, die alles wettmacht. Diese eine bahnbrechende Neuerung im Vergleich zu alten Beschäftigungen.“ „Die wäre?“ „Sie können sie sofort loswerden. Von einem Tag auf den anderen. Es reicht, wenn einem die Nase nicht mehr passt. Ein Anruf, und zack! ist Ihr Kandidat draußen.“ „Echt? Das hatte ich nicht bedacht. Sagen Sie, haben Sie zufällig gerade mal die Akte Sauerland zur Hand?“





And the winner is…

29 09 2010

Das also war er, der erste Freitagstexter in diesem Blog – was man aus einem freundlichen Fellknäuel der Ordnung Diprotodontia und einem ökologisch unbedenklichen Fortbewegungsmittel doch alles machen kann. Es war überwiegend heiter bis ulkig, vereinzelte Kalauerbildung nicht ausgeschlossen. Vermutlich war es auch nicht so einfach. Aber dafür doch ganz schön spaßig.

Vielen Dank an alle, die mitgetextet haben! Es ist eine Menge Kaffee halb in der Tastatur gelandet und halb auf dem Bildschirm.

Und damit wären wir auch schon bei der Qual der Wahl. Leicht ist es ja nie beim Freitagstexter. Ich mag diese leise, aber bissige Art. Und die war ja nicht nur einmal vertreten. Also holen wir mal den Pott raus:

Auf Platz 3 ist die feine, hintergründige Doppeldeutigkeit, die sich mit ihrem Plural auch noch selbst auf die Schippe nimmt, wie es la-mamma kommentiert:

klassische fehlhaltungen

Platz 2 – und von wegen, australische Tiere ließen sich nicht bewitzeln – geht an stilhäschens knarztrockenen Popkultur-Ausflug:

Das analoge Vorbild zum Killerspiel-Klassiker: Mortal Wombat.

Den Pokal schließlich möchte ich mit einem herzlichen Glückwunsch blogbuchstaben überreichen, deren aufklärender Kommentar ironisch piekst, und das auch noch in entsprechender Leisestärke:

Die australische PETA-Chefin äußerte sich endlich zum Foto-Skandal und ließ verlautbaren: „Ja, in meiner Kindheit trug ich Pelz!“

Und da geht’s nun auch weiter am kommenden Freitag, den 1. Oktober, mit Hirnzellenankurbelungsreizen visueller Natur. Die Griffel sind gespitzt!





Zückerchen

29 09 2010

„He, Sie können da nicht rein!“ Das Männchen mit der Butterbrottüte auf dem Kopf turnte aufgeregt auf und ab und versuchte, mich am Betreten der Werkshalle zu hindern. „Lassen Sie es gut sein“, beschwichtigte Direktor Kortzfleisch den Kollegen von der Sicherheitsabteilung. „Der Herr ist nur zu Besuch.“ Damit öffnete er mir die Tür. Das also war die Produktionsstätte der Tablettenfabrik.

Aus einem großen Trichter rasselte die Flut von kleinen, roten Pillen in einen kleinen Trichter, der sie in ein noch kleineres Rohr wieder verschwinden ließ. Einige Meter daneben knatterten blaue, daneben zartgelbe Tabletten in die metallenen Schlünde der Verpackungsmaschinen. „Dreihundert Filmtabletten pro Sekunde“, schrie Kortzfleisch mir ins Ohr, denn die Apparatur rauschte und ratterte gewaltig laut durch die hallende Halle. „Normale Dragees mit Lacküberzug kommen auf vier- und die einfachen Pillen auf fünfhundert Stück, das macht dann 1,8 Millionen in der Stunde!“ Stolz schwenkte er den Arm über sein kleines Reich. „Die Produktion im Inland lohnt sich wieder, wir haben dank der Auftragslage letzte Woche zwei Mann neu angestellt, die uns bei den neuen Produkten helfen.“ „Es ist ja nicht ganz einfach heutzutage“, brüllte ich zurück. „Gute Pharmazeuten muss man wohl suchen, und dann sollte man auch Erfahrung in der Forschung haben, wenn man bei Ihnen arbeitet.“ Er blickte mich verständnislos an; dann drehte er sich um und schritt zur nächsten Maschine.

„Retardkapseln“, belehrte mich Kortzfleisch, „sind eine der großen Herausforderungen, vor allem diese Fertigung, die mit einer speziellen Mischung angefüllt ist.“ Mit der hohlen Hand fischte er eines der länglichen Gelatinedinger aus dem Strom, der sich das Fertigungsband hinab wand. Er drehte die Kapsel, die aus einem durchsichtigen Ende sowie einem weißlichen bestand, mit den Fingern auf und schüttete den Inhalt in seine Handfläche: rote, gelbe und grüne Kügelchen, ganz klein und zierlich. „Je nach Sorte müssen wir entweder die roten Kugeln im Verhältnis eins zu drei zu den grünen mischen, oder wir haben doppelt so viel grüne wie gelbe. Oder die gelben sind halb so viele wie die roten. Das steht hier irgendwo auf dem Zettel.“ Er fischte nach einem Stück Papier, das an der Seite der Anlage klebte. „Hier steht es ja, Clodimex forte, Dormoluna, Ribomukicalzin Globuli.“ „Globuli?“ Er runzelte erneut die Stirn. Weiter.

Träge und ölig plätscherte der Saft in den Kessel und blubberte vor sich hin. Es roch süßlich. „Sie können es variieren“, teilte Kortzfleisch mir mit. „Ein Teil der Produktion wird mit dem typischen Lakritzaroma versehen, wie man es aus Hustensaft oder Halsmedizin kennt, aber Sie können es auch mit Orangen- oder Zitronengeschmack herstellen, für einen Stärkungstrunk beispielsweise oder in einer Arznei speziell für die Kinderheilkunde. Desgleichen haben wir auch eine kleine Partie mit Eukalyptus und seit einigen Tagen“, hier öffnete er einen kleinen Hahn und ließ etwas von der wasserklaren Flüssigkeit in ein Reagenzglas laufen, „stellen wir es auch mit Wildkirschgeschmack her.“ Er reichte mir das Probiergläschen herüber; der Saft schmeckte süßlich nach geschmolzenen Bonbons, fürchterlich künstlich und nicht einmal ansatzweise nach Kirschen. „Was haben Sie denn in dieses Zeug bloß hineingetan“, keuchte ich, „das ist ekelhaft!“ „Wasser und Zucker“, verteidigte sich Kortzfleisch. „Ein ganz normaler Zuckersirup mit dem Aroma, das Sie auch aus den Drops kennen, die man Ihnen in der Apotheke verkauft.“ „Und wogegen ist dieses Kirschzeugs?“ „Das wissen wir noch nicht, daran arbeiten ja die beiden Neuen.“ „Ihre Pharmazeuten müssen erst noch herausfinden, wogegen diese Plörre hilft?“ „Es sind keine Pharmazeuten. Es sind ein Marketing-Experte und ein Chemiker.“ „Ein Chemiker?“ „Ein Lebensmittelchemiker, um es genau zu sagen.“

Kortzfleisch lehnte an der Maschine und steckte die Hände in die Kitteltaschen. „Schauen Sie mal“, begann er schuldbewusst, „wir machen doch nichts Schlechtes. Wir nutzen auch niemanden aus. Aber um heute noch wirtschaftlich fertigen zu können, muss man sich schon eine Menge einfallen lassen.“ „Und da haben Sie das wirkungslose Medikament erfunden?“ „Nicht wir“, korrigierte er mich. „Nicht wir haben das in die Welt gesetzt, daran war der Gesundheitsminister ebenso beteiligt.“ Ich nahm eine der Schachteln aus der Verpackungsstraße. „Aha, Röslerol complex. Daher weht der Wind.“

„Sie müssen das begreifen. Die Branche ist nicht mehr so einfach wie vor ein paar Jahren, jetzt sind unsere Gewinne ernsthaft in Gefahr.“ „Sie wollen damit sagen“, forschte ich nach, „dass Sie Medikamente ohne Wirkstoff produzieren?“ „Es ist legal“, beharrte Kortzfleisch. „Nach der Regelung mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss müssen wir nicht mehr nachweisen, dass die Medikamente zweckmäßig sind. Vielmehr muss man uns das Gegenteil beweisen.“ „Was bei etwas Zucker und Wasser nicht so einfach sein dürfte.“ Er nickte. „Was nicht wirkt, hat ja auch keine schädlichen Nebenwirkungen, oder? Sehen Sie es einmal von dieser Seite.“ Ich packte ihn am Kragen. „Dafür überschwemmen Sie den Medikamentenmarkt mit Ihren sinnlosen Zückerchen und können für den Krempel auch noch die Preise diktieren – und den Ärzten befehlen, was sie zu verschreiben haben.“ Er wand sich, doch ich ließ nicht locker. „Und wieso eigentlich: Ribomukicalzin Globuli?“ „Wir müssen doch auch den homöopathischen Markt bedienen. Gäbe es nicht genug Dumme, glauben Sie, dieser Rösler wäre je an sein Amt geraten?“





Zombies

28 09 2010

„… sich um nichts weniger handelte als um eine große Überraschung, als Angela Merkel es nicht nur schaffte, so etwas wie eine Meinung zu haben – allein dies wäre schon ungewöhnlich gewesen – sondern diese auch noch klar und fast deutlich zum Ausdruck zu bringen. Wenngleich vor lauter Freude verabsäumt wurde, kritisch nachzufragen, worüber sich die Kanzlerin eine Ansicht gebildet hatte, so ist doch nicht zu unterschätzen, dass hier erstmals seit dem Beginn der Legislatur eine Art von Regieren in den Bereich des Möglichen…“

„… natürlich noch keine Wunder erwarten, weil Merkel sich erst in diese ganz neue, ungewohnte Aufgabe gewöhnen muss. Vorerst wird sie sich vornehmen, persönliche Differenzen im Kabinett zu überbrücken, Streitigkeiten zu schlichten und den Eindruck zu erwecken, die Ministerrunde könne auch halbwegs zivilisiert…“

„… gehen die Beobachter im politischen Berlin natürlich schon von enormen Neuerungen aus, und es sind gerade diese Erwartungen, die Merkel auf eine harte Probe stellen werden – jetzt darf man nicht zu viel auf einmal verlangen, jetzt müssen die Forderungen an die Bundesregierung moderat sein, denn wie vermessen wäre es beispielsweise, von der Kabinettschefin Richtlinienkompetenz zu erwarten oder am Ende gar eine…“

„… man sich nicht des Eindrucks erwehren, jetzt gehe es nun endlich los. Noch sind nicht alle sachlichen Gegner kaltgestellt, noch immer sitzt Röttgen erstaunlich fest im Sattel, aber…“

„… doch hauptsächlich um den Anspruch der parlamentarischen Demokratie bei den fraglichen Entscheidungen. Zwar soll es nicht unbedingt um demokratische Verfahrensweisen gehen, auch seien die parlamentarischen Gremien hier nicht gefragt, doch die Kanzlerin machte klar, dass nur sie…“

„… sich auch ein frischer Wind in der CDU verbreitet, denn in der ehemals konservativen ehemaligen Volkspartei hat dieser frische Wind nun genug Raum zum Hindurchwehen; wo vor wenigen Monaten noch Ole von Beust und Roland Koch die freie Sicht auf den Abgrund versperrten, sind nun treue Mitarbeiter damit beschäftigt, funktionsfähige Regierung anzutäuschen, und kann man es Merkel in ihrer verantwortungsvollen Führungsposition auch nicht verdenken, dass sie den Bundesbürgern die beliebtesten Politiker, Wolfgang Bosbach etwa oder Stefan Mappus, nur in vorsichtigen Dosen zumutet, um die Union nicht vollends zu…“

„… schon recht komisch, wenn die Demontage des Außenministers nicht mehr von der Opposition übernommen wird, sondern von Merkel. Aber man mag das inzwischen an ihr, vielleicht wartet man insgeheim auch darauf, dass sie in einem lichten Moment ihrem Bundespräsidenten einfach die…“

„… als Anzeichen von Kontinuität, die vor allem an das Motto der neuen Arbeitsperiode nach der Sommerpause anknüpft: Ernsthaftigkeit. Man kann das so recht nur glauben, wenn man sieht, mit welcher Würde die Kanzlerin ihren Vize ignoriert und dem Vorsitzenden der Schwesterpartei das Maul verbietet. Hier geschieht Großes, und wenn es auch noch nicht so weit ist, dass es zu einer von Vernunft getragenen Entscheidung reichte, so ist doch wenigstens zu bemerken, dass diese…“

„… auch für den Atomkompromiss gilt, der in erster Linie ein Kompromiss zwischen Lobbyisten und Verfassungsbruch war – ein Erfolgsmodell, das nicht nur die als Gesundheitsreform etikettierte Bonuszahlung an Pharmahersteller nachmachte, sondern auch die Armutsverfestigung der Kinder aus den Familien Erwerbsloser. Das Strickmuster ist nicht neu, bedurfte keiner Initiative seitens der Kanzlerin, aber es ist doch ein großes Wunder, dass diese den Abschluss eines solchen Schachzuges sowohl wach als auch ansprechbar miterlebte und hinterher als Revolution…“

„… einige Beobachter, denen nicht ganz klar war, ob die Kanzlerin überhaupt wusste, worauf sich der Gesetzesentwurf bezog. Es scheint in der letzten Zeit – genauer gesagt, seit 2005 – durchaus häufiger der Fall zu sein, dass Merkel zwar nicht orientiert ist, zum Ausgleich aber durch ein derart unsinniges Geschwätz…“

„… sich selbst in die Sicherheitsgesetze, die Reform der Bundeswehr, die Konsolidierung des Haushalts einschaltet, um frisch ans Werk zu gehen und wenigstens kaputt zu machen, was sie nicht versteht, so dass am Ende die…“

„…durchaus gewaltige Potenziale für eine konservative Volkspartei, aber dies würde zwingend voraussetzen, dass die Kanzlerin sich auch parteipolitisch festlegt und ihre Macht mit einigen neuen Kräften teilt, die sie vorher so verbissen…“

„… kann nicht dazu führen, dass sich Merkel von protestierenden Massen beeindrucken lässt. Ihre Politik der Beharrlichkeit hat seit Beginn von Schwarz-Gelb auch nicht dazu geführt, sich vom Bundesverfassungsgericht beeinflussen zu lassen, wiewohl Karlsruhe gezeigt hatte, dass die Koalition nur rudimentäre Kenntnisse des Grundgesetzes…“

„… auch durch eine absurde Begründung des Haushaltes oder mit den lächerlichen Rechnereien der Gesundheitsstrukturreform – da sich der Opportunismus des Nichtstuns mit dem lavierenden Charakter des liberalen Regierungspartners kaum in Einklang bringen ließ, musste etwas geschehen, und was wäre einfacher gewesen als eine populistisch und platt organisierte PR-Kampagne zur…“

„… sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzige nicht durch den Bundesrat oder Klage in Karlsruhe gekippte Regierungshandlung das Steuergeschenk an die großzügigen Parteispender aus der Hotelbranche war, und ist bis zum jetzigen Zeitpunkt das Wirken dieser Koalitionsregierung auf jene Mövenpickiade beschränkt, die uns…“

„… noch dieses Jahr, spätestens aber innerhalb der laufenden Legislatur mit einem Neustart der Regierungskoalition zu rechnen, wenn nicht…“





Aktenzeichen XY… umbenannt

27 09 2010

„Na los, jetzt geben Sie mal richtig Gas!“ „Das bringt doch jetzt nichts mehr. Die Katze ist aus dem Sack, die fünf Euro werden der Frau das Genick brechen, und wir kaspern hier um einen neuen Namen für die Stütze herum?“ „Er hat Recht, Chef. Das ist aussichtslos. Wir werden uns mit allem, was wir machen, blamieren.“ „Das tut die Regierung auch, also los! Ich will jetzt einen neuen Namen für Hartz IV, aber etwas plötzlich bitte!“

„Geht dies Basisding noch?“ „Ah, out. Das kann man nicht mehr bringen, also wegen Basisgeld, Basislager, das haben die selbst versaubeutelt.“ „Und wenn wir es irgendwie mit Leistung oder so aufladen – Basisleistung?“ „Dann denken die doch alle, es gäbe noch was obendrauf.“ „Nee, kann man nicht machen.“ „Wegen der Arbeitslosen?“ „Wegen der Suffköppe am Stammtisch. Springer macht ja sonst keine Auflage mehr.“ „Verstehe, aber wenn das jetzt alles für die Lufthoheit über bildungsferne Schichten stattfindet, ist dieser Fünf-Euro-Zuschlag nicht schon genug?“ „Leute, Leute, Leute! Ich will hier keine Diskussionen über das Thema, wir sollen einen schmissigen Namen für diese Scheiße finden! Jetzt strengt Euch gefälligst mal an!“ „Also diese Basis…“ „… ist die Grundlage aller Fundamente.“ „Ha-ha, rasend komisch.“ „Fällt Ihnen denn etwas Besseres ein?“ „Dann lassen Sie uns die blöden Witze mit dem Boden unter den Füßen gleich jetzt erledigen.“ „Oder vielleicht doch Grundsicherung?“ „Bloß nicht, das klingt wie ‚Grundeinkommen‘, da flippt der Westerwelle aus, wenn er das hört.“ „Jo, da kann er gar nicht mehr seine Leier von wegen Dekadenz abspulen.“ „Leute, es…“ „Außerdem ist es für die Wirtschaft so gut wie unmöglich, ohne ausgepresstes Prekariat die Rendite zu erhöhen.“ „Leute, ich sage das nicht gerne zweimal: wir sind hier, um den neuen Namen für Hartz IV zu finden, habt Ihr das langsam kapiert? Los jetzt!“

„Basis, das hätte sich angehört nach… also Basis eben. Etwas, wovon die Leute leben können.“ „Stimmt, das wäre Vortäuschung falscher Tatsachen gewesen.“ „Quatsch, das hätte doch die Uschi nicht gekratzt. Die Regierung will bloß nicht, dass jemand denkt, jetzt sei auf einmal der Sozialstaat ausgebrochen.“ „Die sachgerechte Kürzung der zu niedrigen Regelsätze für Kinder.“ „Also ein großer Schritt, wie die Staatsratsvorsitzende …“ „Herrgott noch mal, Schluss jetzt mit der Basis!“ „Stütze?“ „Brotkrumenabgabe.“ „Nee, Scherflein.“ „Das klingt ja fast wieder christlich.“ „Stimmt, solche Assoziationen sollte man bei der CDU vermeiden.“

„Andererseits könnte man die gesellschaftliche Basis doch aber auch definieren darüber?“ „Oder aber die Basisdefinition von Armut.“ „Perfekt!“ „Äh, wir entfernen uns gerade.“ „Finde ich nicht, es ist doch so: Basisgeld heißt, wer das bekommt, ist ganz unten angekommen.“ „Hmja. Das ist logisch.“ „Aber diese Sache mit…“ „Unterbrechen Sie mich jetzt nicht. Die Basis…“ „Es ist alles sowieso nicht relevant. Dieses ganze Hartz IV, das ist doch alles nur so im Sprachgebrauch. Es heißt offiziell nun mal ‚Arbeitslosengeld II‘, da werden Sie mit etwas Sprachkosmetik nichts ausrichten.“ „Einmal drüber mit der Verbalkernseife, da wird sich doch was drehen lassen?“ „Verdammt, jetzt machen Sie doch was! Es geht hier um meinen Hals – die Ministerin darf sich so kurz nach der Präsidentinnen-Pleite kein zweites Fiasko erlauben!“ „Aha, daher weht der Wind.“ „Das ist dann also eine Rechnung mit mehreren Unbenannten… Umbenannten – Unbekannten, meine Güte, Sie machen einen aber auch ganz konfus!“ „Wenn jetzt Krieg bereits ‚Friedensmission‘ heißt und Entlassungen als ‚Personaloptimierungen‘ durchgehen, sollte das kein kommunikatives Problem sein.“ „Und die soziale Müllkippe heißt ‚Entsorgungspark für Humanressourcen‘, was?“ „Diese ganze Bundesregierung ist ein kommunikatives Problem, ach was: ein kommunikativer Super-GAU.“ „Die haben doch jetzt aber den Seibert?“ „Eben!“

„Jetzt überlegen Sie doch mal, Basisgeld plus Bürgerarbeit, das klingt auch gleich viel netter als Zwangsarbeit mit Abwrackprämie.“ „Finde ich auch, und so ist das Existenzminimum…“ „Oder doch schon die Minimalexistenz?“ „Auf jeden Fall Zuwendung, das brauchen die doch am nötigsten.“ „Kann man den Basisbegriff nicht doch irgendwo integrieren?“ „Leute, ich will jetzt endlich mal ein Ergebnis!“ „Ohne den Basisbegriff könnte man den Mindestlohn aber nicht mitdenken.“ „Umso besser, dann kann man den Mindestlohn besser verhindern. Wenn man die Regelsätze erstmal konstant an die unteren 20% koppelt, wird keine Regierung je ernsthaft Mindestlöhne fordern können. Damit hat man das beste Druckmittel, das es gibt.“ „2013 ist doch sowieso Schluss mit Merkels Kasperletheater, da wird die SPD wieder ans Ruder kommen.“ „Wer, bitte, hatte Hartz IV noch mal erfunden?“

„Verdammt, wofür bezahle ich Euch Idioten hier eigentlich? für Volksreden über die Befindlichkeit der Regierung?“ „Wenn’s mal so wäre!“ „Gott, was regt Sie so auf?“ „Nennen wir es als Kompromiss doch einfach ‚Grundalmosen‘.“ „Ach, alter Dreck in neuen Tüten – diese Basis…“ „Ich will keine Basis! Keine Basis! Keine!“ „Aber wir könnten…“ „Keine!“ „Aber das ist…“ „Nein!“ „Lassen Sie mich doch mal ausreden, der Begriff ist doch schon belegt in der Finanzwelt. Basisgeld ist das Geld, das die Zentralbank ausgibt für den normalen Kreislauf. Alles, was darüber hinausgeht, ließe das Angebot unnatürlich steigen. Spielgeld, Sie verstehen? Die Blasen der Spekulation.“ „Na, dann stimmt’s ja.“





Auf den Hund gekommen

26 09 2010

Gott, wie ist das Hündchen putzig!
Nach drei Tagen ist’s vorbei,
lärmt und stinkt, macht alles schmutzig,
dieses Biest stört schon für zwei.
Einfach, sauber, das ist dieser
Gegenstand für deutsche Spießer,
nickt mit Hohlkopf, zickel, zackel –
  guter
   deutscher
    Wackeldackel!

Hat sich den aus Niedersachsen
hingestellt, so als Dekor –
braucht kein Futter, wird nicht wachsen,
steht nicht nach und läuft nicht vor.
Kleines Licht. Da kriecht die Petze,
unter jedes der Gesetze
macht er brav sein Krickelkrackel,
  lieber,
   braver
    Wackeldackel.

Taugt er was? Man hofft auf später,
doch er zeigt sich ungeschickt,
jault, macht schön wie jeder Köter,
aber doch: er tut’s, er nickt.
Männchen macht er, bringt die Schlappen,
rollt und dienert den Attrappen
der Regierung vor, der Lackel.
  Feiger,
   dummer
    Wackeldackel.

Doch die allzu große Nähe
zu den Reichen macht ihn toll –
Würmer fängt er sich und Flöhe,
langsam ist das Maß nun voll,
juckt und strapaziert die Rücksicht,
während Gier ihm das Genick bricht.
Raus mit dem! wozu Gefackel?
  Weg mit
   diesem
    Wackeldackel!





Aus deutschen Landen. Limericks (X)

25 09 2010

Es war ein Bestatter in Dresden,
dem nie seine Leichen verwesten.
Er tat, kaum zu glauben!
in Urnen sie schrauben.
„Nich alle“, sagt er, „doch die meesten.“

Ein Bräutigam, welcher in Geyer
die Braut nicht erkannte am Schleier,
der hat, da betrunken,
nach Schnaps auch gestunken.
Das störte empfindlich die Feier.

Ein Jäger auf Anstand in Rathen,
der traf nichts – das Wild roch den Braten.
Er musst wieder gehen.
Was war nur geschehen?
Sein Aftershave hat ihn verraten.

Ein Förster verlief sich in Kuchen,
er hielt nämlich Eichen für Buchen.
Den Holzweg zu finden
misslang an den Rinden.
So musste man ihn schließlich suchen.

Ein Mann, der fuhr eigens nach Meißen,
und kauft Porzellan, vom Blau-Weißen.
Daheim war er platt:
ab jetzt gab’s Rabatt!
Voll Wut tat er alles zerschmeißen.

Ein Mann wurde Vater in Sosa,
doch merkt er nicht, als er den Po sah,
denn den sah er schon bar,
dass dies nicht sein Sohn war.
(Und außerdem war sie in Rosa.)

Ein Kuhhirt, der suchte in Borna
herum um die Kuh, wo wohl vorn war.
Des Suchens verdrießlich
entdeckte er schließlich
die Lösung, und zwar, wo das Horn war.





It’s…

24 09 2010

Freitagstexter

Heute ist Premiere – der Freitagstexter, Quell des Humors in der Blogosphäre, gastiert zum ersten Mal bei zynaesthesie. Meinen herzlichen Dank an to:nulleins für den Pokal und seine ausgezeichneten Puppen, es ist mir eine große Freude, den Wettbewerb in eine neue Runde zu führen.

Das Bild stammt diesmal aus dem Archiv der State Library of New South Wales. Die Regeln sind wie immer einfach, es gibt keine. Ihr textet. Prosa, Dramen, halbe und ganze Sätze, kurz, lang, leise, laut. Mehrfache Kommentare sind ausdrücklich erwünscht. Bis einschließlich Dienstag, den 28. September 2010, um 23:59 Uhr. Mittwochs wird der Gewinner bekannt gegeben, den die einköpfige Jury bestimmt und begründet und für die nächste Runde Freitagstexter vorsieht. (Da es sich dabei um meinen Kopf handelt, hat sich der Rechtsweg schon vorher ausgeschlossen. Kann man nix machen.) Und damit mögen die Spiele beginnen…





Seifenoper

23 09 2010

Dass Siebels um kurz nach sieben noch unrasiert war, hatte ich erwartet, aber die dunklen Schatten um seine Augenhöhlen machten mich stutzig. Er steckte sich eine Zigarette an der vorigen an. „Wir müssen heute bis zu den Abendnachrichten alles fertig haben“, paffte er nervös, „dies Atomding und die Sache mit den Regelsätzen bei Hartz IV, und dann wird vermutlich heute auch etwas zu den Krankenkassen kommen – diese Politiker sind nicht auszuhalten.“ „Ich kann es mir vorstellen“, sagte ich mitfühlend zu dem großen TV-Produzenten. „Dieses ganze Gewäsch, die leeren Versprechungen und die Worthülsen, ich möchte nicht mit Ihnen tauschen.“ Er runzelte die Stirn. „Worthülsen? Ach was, nicht für mich. Ich werde nur sauer, wenn sich die Herrschaften nicht ans Drehbuch halten.“

Hatte ich mich verhört? Ich kannte ihn seit Jahr und Tag, Siebels war ein Profi. Kein Format war vor seinem überkritischen Blick sicher, kein Sender entzog sich den Trends, die er setzte. Man sah es dem drahtigen Mann in der abgewetzten Lederjacke an, wie er in der Morgenfrühe Kaffee aus einem Pappbecher trank und das Personal dirigierte. „Schefe, Sie gehen auf die zwo, und dann will ich von drüben den ganzen Weg haben, wie er aus dem Ministerium kommt.“ Er zog kurz die Augenbrauen hoch und rief ansatzlos zur anderen Straßenseite hinüber. „Räumen Sie mir mal den Haufen Müll da weg, nachher verwechselt den noch jemand mit Westerwelle!“ Er steckte eine neue Zigarette an. „Sagen Sie mal“, begann ich, „was hat das auf sich mit dem Drehbuch, das Sie da erwähnten?“ „Es ist die Dramaturgie, die man für diese Kommunikation braucht.“ „Sie meinen also, es gäbe gewisse Muster, nach denen die Politiker ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit verkünden?“ Siebels sah mich mit plötzlicher Müdigkeit an. „Kommen Sie“, sagte er hastig und zog mich am Arm weg, „wir müssen sowieso auf die andere Seite wegen der Sache mit Rösler.“ So liefen wir durch den Morgen.

Die Sonne war eben aufgegangen über dem Regierungsviertel; ihre Strahlen kitzelten in der Nase. Siebels hatte im Vorbeilaufen einen Becher dünnen, plörrigen Automatenkaffee mit ekelhaft viel Süßstoff besorgt. Es schmeckte scheußlich. „Damit soll man bei Laune bleiben“, grummelte er. „Was meinten Sie denn nun mit den Drehbüchern“, bohrte ich nach. „Politik läuft nach festgelegten dramaturgischen Mustern“, dozierte Siebels. „Sie kennen doch die Salami-Taktik?“ „Sie meinen das Verhalten bei Skandalen, die die Presse aufdeckt?“ Er nickte. „Das ist ein genau definiertes Verhalten, das von niemandem in Frage gestellt werden darf. Man gibt immer nur genau so viel zu, wie einem nachgewiesen werden kann. Nicht mehr, nicht weniger. Die Öffentlichkeit bleibt konstant auf der gleichen Siedetemperatur und kann von beiden Seiten sehr genau eingeschätzt und entsprechend gut manipuliert werden.“ „Und wenn sich einer nicht an diese Abmachung hält?“ „Dann gibt es eine Panne. Denken Sie an Käßmann. Oder Sauerland. Asymmetrische Verhältnisse, das sieht der Fall eigentlich nicht vor.“

Die Frau hockte am Bordstein und rieb sich die klammen Finger warm. „Gehen Sie ruhig noch ein bisschen dichter ran“, ermutigte Siebels sie. „Wir haben den normalen Verlauf, es ist nichts anderes angekündigt worden, also wird Rösler den Standard abfahren. Eine Minute, dann schalten Sie um, ja? Und ab einsdreißig fängt er an zu lügen, circa eine Viertelminute, da wird er sich irgendwelche Zahlen aus den Fingern saugen, um zu beweisen, dass dies Gesundheitsreformdingsbums über diese Legislatur hinaus zu finanzieren sei. Dann zoomen Sie ran, ja?“ Er drehte sich um und zündete schnell eine neue Zigarette an. „Wo waren wir? Dramaturgie und Handlungsbrüche, richtig. Es ist ja letztlich wie eine Seifenoper. Spannung, verflochtene Handlung – während der Außenminister über Zwangsarbeit schwatzt, plappert die Arbeitsministerin über Hilfen für notleidende Chipkartenhersteller – Cliffhanger und der ganze Scheiß, den Sie aus der Daily Soap kennen.“ „Ich sehe mir so etwas nicht an“, mokierte ich mich. „Macht nichts“, fuhr Siebels ungerührt fort. „Sie sind mit den Abläufen bestens vertraut. Nehmen Sie nur die Erhöhung der Regelsätze für ALG II. Was haben Sie?“ Er sah mich forschend an. „Einen Koalitionspartner, der sich quer stellt?“ Er schüttelte den Kopf. „Das wäre zu einfach. Es ist ein retardierendes Moment – natürlich weiß man als Zuschauer, wie die Sache ausgeht, wann auch immer die ausgehen mag, ob jetzt sofort oder im nächsten Jahr oder wenn die Verfassungsrichter dem Vizekanzler klar gemacht haben, dass seine Ansichten über den Artikel 20 des Grundgesetzes vollkommen unerheblich sind. Dass die konkreten Sätze nicht genannt werden: Cliffhanger. Dass diese ganze Bildungsdebatte mit dem Integrationsgefasel verquirlt wird: Zopfdramaturgie. Eine endlose Serie von der Vorabendmüllkippe für bildungsferne Gemüter. Raten Sie einfach mal, warum.“

Mit Schwung warf ich den Kaffeebecher in den Papierkorb, das heißt: ich versuchte es. Er prallte an der Kante ab und spritzte Reste der bonbonsüßen Brühe aufs Pflaster. „Nur eins müssen Sie mir noch erklären“, fragte ich. „Warum hat die Regierung so schnell nach dem Coup mit den privaten Atomklos beschlossen, die Sache sterben zu lassen? Gibt es einen dramaturgischen Grund dafür? Am Ende gibt es sogar einen vernünftigen?“ Siebels schmunzelte. „Einen praktischen. Grüne bei 24 Prozent. Was macht man mit einer miserabel geschriebenen Serie voller Knallchargen, wenn die Einschaltquote in den Keller rauscht?“





Du bist nicht Deutschland

22 09 2010

„Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das sagen Sie jetzt so, weil bei Ihnen immer noch dieses 68-er Multikulti-Gewirr im Hirn umherspukt, aber das wissen Sie doch, dass das alles nicht gut gehen kann. Das ist ja alles…“ „Jetzt regen Sie sich doch nicht so auf, wozu führt denn das? Natürlich muss man einiges verlangen für die Integration, und natürlich ist das eine Bringschuld. Gebe ich Ihnen ja alles zu. Aber man darf das doch nicht derart mit Pessimismus überziehen – jetzt seien Sie doch mal ein bisschen zuversichtlich! Ein Mensch ist doch wie der andere, steht auch so im Grundgesetz, und wir sollten uns bemühen, die Gemeinsamkeiten zur Grundlage unseres Handelns zu machen. Jeder ist zur Integration fähig!“ „Jeder? Nein, ich lasse mir das nicht einreden. Die Bayern ganz sicher nicht!“

„Lassen Sie doch mal die Kirche im Dorf – es gibt doch wohl Schlimmeres als Bayern.“ „Das sagen Sie! Ernsthaft, diese ethnische Minderheit will sich einfach nicht integrieren, die sind nicht dazu in der Lage. Das ist vermutlich auch irgendwie genetisch bedingt. Inzucht oder so.“ „Also bitte, Ihnen ist der Sarrazin wohl zu Kopf gestiegen!“ „Na, was haben denn die Bayern da oben in ihren Alpentälern, da kommt für Jahrzehnte keiner raus und jeder ist mit jedem verwandt, das ist doch klar, dass Sie da mit der Zeit deppert werden!“ „Meine Güte, Sie übertreiben ja maßlos!“ „Nichts da, das ist die reine Wahrheit – haben Sie den Oberbayern da mal reden gehört? Diesen Stoiber, der keinen ordentlichen Hauptsatz innerhalb eines Quartals auf die Reihe kriegt? Was der sich da mit dem Bahnhof zurechtgestammelt hat? Das tut doch kein geistig normaler Mensch!“ „Jetzt werden Sie mal nicht ausfällig, der Mann hat halt ein besonderes Naturell und ist leicht aus der Fassung zu bringen.“ „Ach was, die haben lauter solche Kasper zum Häuptling gewählt, Beckstein und Strauß und…“ „Der hatte ein Problem mit dem Bier.“ „Bah, das haben die in Bayern doch alle. Die sind eben so!“

„Es mag ja sein, dass da eine kleine Minderheit unter den Bayern etwas anstrengend ist, das gebe ich auch gerne zu, aber deshalb können Sie doch nicht gleich alle über einen Kamm scheren.“ „So, kann man nicht? Und weshalb weigert sich dann dieser Volksstamm, Deutschkurse zu besuchen?“ „Aber die sprechen doch alle Deutsch.“ „Dass ich nicht lache – das nennen Sie Deutsch? Das hat doch die Gerichte schon beschäftigt, was diese Leute da für einen Dialekt von sich geben. Sie haben da einen Autofahrer, wahrscheinlich wieder mal volltrunken…“ „Jetzt hören Sie doch mal mit Ihren billigen Vorurteilen auf, das führt doch zu nichts!“ „… weil in Bayern die Promillegrenze ja doch eher lax gehandhabt wird und man im Vollsuff einen Mann totfahren kann, um danach Verkehrsminister zu werden, geschenkt! Und dieser Autofahrer, 1,75 Promille wird er haben, und vor dem Staatsanwalt wird er sagen, er hat ‚gebremst‘, aber er hat nicht ‚derbremst‘ – jetzt wollen Sie mir erzählen, dass die ordentliches Deutsch sprechen? Ich glaub es nicht!“

„Jetzt kommen Sie doch mal wieder runter, Sie holen sich hier ja noch einen Herzfehler!“ „Was, das interessiert Sie wohl gar nicht? Gehen Sie doch mal nach Bayern, wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Wie die Leute da herumlaufen, das ist nicht zu glauben!“ „Na, schlimmer als Burnus und Burka wird’s wohl nicht sein.“ „Haben Sie eine Ahnung, mein Lieber – nackt laufen die da herum, halb nackt!“ „Also bitte, was denn jetzt, halb oder ganz nackt?“ „Die Männer ohne ordentliche Hosen, nicht einmal Kniestrümpfe können die sich anziehen. Und die Frauen, Herrschaft! die tragen – das kann man ja keinem erzählen. Das geht zu weit!“ „Sie meinen das Dirndl? Bitte, was soll denn daran nun bitte unanständig sein?“ „Diese Fleischbeschau, das ist ja einfach widerlich!“ „Nur, weil es eben ein bisschen weiter…“ „Widerlich! Alles sieht man, das ist widerlich!“ „Wenn sich die Frauen verhüllen, dann passt es Ihnen auch nicht. Können Sie sich vielleicht für eins entscheiden?“ „Sie lenken bloß ab, diese Bayern wollen sich einfach nicht anpassen und boykottieren die individualistische Uniform, die der Bundesbürger braucht, um sich als Subjekt dieses staatsbürgerlichen, dieses… na! Staates eben halt zu dingsen, zu… Sie wissen das doch, Mann!“

„Haben Sie auch noch echte Argumente auf Lager?“ „Was meinen Sie, was das bisher war? Ich rede mir hier den Mund fusselig seit Jahr und Tag und keinen interessiert’s, aber Sie werden das schon sehen beim nächsten Ehrenmord.“ „Ehrenmord?“ „Ja haben Sie denn geglaubt, nur weil das in der bayerischen Gesellschaft ‚Erbschaftsangelegenheit‘ heißt oder ‚Familiendrama‘, das sei nicht genau dasselbe wie ein Ehrenmord? Und Sie denken, dass es genau das, Scheidung, Streit um die Vaterschaft, Getuschel und Gezänk in einem kreuzkatholischen Dorf, fünf Liter Bier und eine Schrotflinte, dass es das in Bayern nicht gäbe?“ „Das kann man doch gar nicht vergleichen, das ist ja albern.“ „Das fragen Sie doch bitte mal jemanden, den sie aus seinem Heimatort herausgemobbt haben, weil einer von seinen drei Söhnen schwul ist. Vielleicht haben sie dem gleich noch den Hof angezündet und der Herr Bürgermeister, der auch der Chef der Sparkasse ist, hält die Versicherung für den Wiederaufbau zurück, damit man diese Leute nicht mehr unter sich hat. Und das nennen Sie nicht Parallelgesellschaft?“ „Aber die gehören doch zu Deutschland!“ „Pah, das wollen die doch gar nicht! Dieses ewige ‚Mir san mir‘, Bayernpartei! Freistaat! Wenn ich das schön höre!“ „Okay, das hatte ich jetzt nicht bedacht. Separatismus geht natürlich gar nicht. Wir sollten uns diese Richtlinie nochmals sehr genau ansehen. Möglicherweise müssen dann die Bayern innerhalb ihrer Landesgrenzen bleiben, man kann das mit der Integration ja auch zu weit treiben.“ „Gut so, gut so. Äääh, was ich Sie fragen wollte, haben Sie noch einen Moment? Wir hätten da noch die Sachsen.“