Führungstreffer

15 09 2010

„Und Sie meinen, die kann’s jetzt?“ „Na klar, das sieht man doch sofort.“ „Also ich sehe nichts. Nicht mal nichts – alles nur eine große, graue Masse, in der sich nichts bewegt.“ „Sie müssen doch mal genauer hinsehen.“ „Und dann?“ „Dann sehen Sie auch, dass sich Angela Merkel völlig verändert hat. Sie führt jetzt Deutschland direkt in den Neustart der bürgerlichen Koalition hinein.“

„Nein, jetzt mal ohne Spaß. Das kann doch nicht angehen, was die da macht – um sie herum ein Chaos aus Sprechblasen und Profilneurose, und sie schaut sich das in Ruhe an und wartet ab, wer zuerst auf der Nase liegt?“ „Tut sie doch gar nicht. Sie beweist jetzt eben Führungsqualitäten.“ „Sagt wer?“ „Die Kanzlerin.“ „Was, sie selbst?“ „Nein, natürlich nicht. Sie lässt das sagen.“ „Von wem?“ „Na, vom Regierungssprecher halt. Oder gleich von der BILD.“ „Das heißt, sie hält das alles im Grunde nur für ein Kommunikationsproblem?“ „So würde ich das ausdrücken wollen, ja.“ „Aber wo ist denn da jetzt der Unterschied zu vorher?“ „Wie vorher? Vor der Sommerpause?“ „Im Gegensatz zu dem Murks, den sie sich vorher zusammenregiert hat?“ „Wieso Gegensatz? Das hieße doch wohl, dass es jetzt anders ist, nicht wahr?“ „Ja Herrgott noch mal, ist es denn jetzt anders oder nicht?“ „Warum?“

„Schauen Sie mal: dieses ganze Hickhack in den Kardinalthemen.“ „Welche meinen Sie denn?“ „Na eben die Hauptaufgaben, die sie auch direkt nach der Regierungsbildung angegeben hat. Gesundheit, Finanzen, Arbeitsplätze, Haushaltskonsolidierung, Energiepolitik, Steuern, Klimaschutz, Sicherheit, Bildung, Sozialwesen, Lohnentwicklung. Also wirklich nur die wichtigsten Eckpunkte für diese Legislaturperiode.“ „Was soll mit denen sein?“ „Das frage ich doch Sie! Haben Sie sich mal angesehen, was seit der Wahl damit passiert ist?“ „Aber das können Sie doch nicht so übers Knie brechen! Schauen Sie, diese Regierung ist ja auch erst ein Jahr im Amt, und da…“ „Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass die Schnarchnasen erst kurz vor dem nächsten Wahlkampf anfangen, irgendwelche Inhalte aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen?“ „Was regen Sie sich denn hier wieder so künstlich auf? Neulich haben Sie noch gesagt, das mit den Steuersenkungen für die Hoteliers und das Sparpaket seien völlig falsche Entscheidungen gewesen – wie kann eine Regierung untätig sein, wenn sie etwas falsch entscheidet?“ „Ihre ganze Wortklauberei geht mir langsam gegen den Strich! Als nächstes wollen Sie mir noch weismachen, dass die neue Friedfertigkeit zwischen CSU und FDP auf ihre Führungsstärke zurückgeht?“ „Das halte ich nicht für ausgeschlossen, wenn Sie es nur unter der richtigen Perspektive betrachten.“ „Wieso denn Perspektive?“ „Naja, Sie wissen doch, Kohl und so: entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ „Ah, ich begreife – jetzt hat sich ihr Gesundheitsäffchen mal den Mund verbrannt an seinem Bierzeltgeschwätz, Seehofer hat genug zu tun mit dem Vertrieb von Rechtsauslegern, die haben keine Gelegenheit, sich Vorwürfe zu machen…“ „… und deshalb jubilieren die Schlagzeilen einen von der Führungskanzlerin. So ist es. Sie hat einen Führungstreffer gelandet.“

„Das kann’s doch aber nicht gewesen sein. Ich meine, in dem Stil kann man doch jetzt keine drei Jahre Restlaufzeit für die Koalition bestreiten.“ „Warum denn nicht?“ „Huh, Ernsthaftigkeit! Was war das bisher? Comedy?“ „Durchaus nicht, aber es ist doch auch mal sehr schön, wenn die Kanzlerin dem Volk erklärt, dass jetzt ernsthaft etwas getan wird. Nehmen Sie das anderen Politikern ab?“

„Gut. Dann eben andersrum. Erklären Sie mir, was an diesem Atomdingsbums führungsstark war.“ „Sie hat es gegen jeden Widerstand durchgesetzt.“ „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Sie hat auf die Erpressungskampagne mit Trotz reagiert und die Luft angehalten, bis sie den Atombonzen doch in den Arsch gekrochen ist. Das soll jetzt der neue, konsequente Regierungsstil sein?“ „Vergessen Sie nicht, sie zeigt jetzt Brüderle als neuen Erfolgsstar an ihrer Seite. Das zeigt, dass sie die FDP einbindet. Ist das nicht Stärke?“ „Brüderle? Dieser Blindfisch, der alles getan hat, um Opel noch tiefer in die Scheiße zu reiten? der die Verzweiflung seit gut zwei Jahren, nicht in die Armut abzurutschen, und die langsame Erholung aus der Depression für eine Art Aufschwung hält? Ist die Frau noch ganz richtig im Kopf? Mit dem Mann lässt man sich doch nicht freiwillig in einem Atemzug nennen!“ „Ach, jetzt übertreiben Sie aber. Es gibt doch echt Schlimmeres im Bundeskabinett. Denken Sie doch an diesen Adelsklüngel oder an die Kinderportionen. Das sind Probleme! Und da wollen Sie ernsthaft, dass sich die Kanzlerin vor Ihre Minister stellt? Nein, das ist keine Führungsstärke. Führungsstärke ist, wenn die Idioten alle alleine vor die Wand laufen können. Von der Leyen mit ihrer Karte, Guttenberg mit der Heeresreform, und dann können sie sich alle mit ihren Spar- und Energiepaketen blamieren und dem Vize erklären, warum er sich seine Steuersenkung in die Haare schmieren kann, auch wenn er noch so oft danach jammert. Mutti macht das schon.“ „Also macht sie, indem sie gar nichts macht? Führung durch Stillhalten?“ „Echte Führungsstärke durch Aussitzen. Oft erprobt, selten in dieser Qualität erreicht. Besser als Schröder, besser als Kohl.“ „Dann hat sich ja bis auf ein bisschen Pressewirbel tatsächlich nichts verändert. Und das soll der neue Erfolgskurs sein? Da bin ich mal gespannt.“ „Nun lassen Sie den Kopf nicht hängen. Es wird sicher noch Veränderungen geben.“ „Und wann?“ „Warten Sie ab, bis der Bundesrat das in seine Bestandteile zerlegt. Dann geht’s weiter wie vorher.“