Ich schlug mit der flachen Hand auf die Glocke. Ein helles Klingeln ertönte; der Patron selbst erschien an der Rezeption, um mich zu empfangen. „Alles ganz neu renoviert“, strahlte Janowsky, „Sie werden sehr zufrieden sein mit dem neuen Ambiente – das ist ein Hotel, in dem Sie sich garantiert nicht wie zu Hause fühlen werden.“
Mein Rollkoffer knatterte über die Fugen der gefliesten Lobby. Das mondäne Gepränge des alten Hotel Imperial war dahin, die neue Einrichtung eher ein anheimelndes Idyll für den geneigten Nasswischer. Sperriges Holz, der seichte Muff von Gelsenkirchener Barock, eklektischer Historismus in Resopal und Buche geflammt krochen mir die Gänsehaut entlang, scheußlich und dabei doch so seltsam vertraut. „Gucken Sie mal“, strahlte er mich an. Der Stuhl sah aus wie ein Stuhl, schwer und steif und klobig, man wusste sofort, auf dem Ding kann man sitzen und stehen und sonst was veranstalten. Das Bettgestell sah aus, als würde es beim Vorübergehen knirschen. Die Wasserhähne im Bad waren erkennbar Wasserhähne, der Schrank konnte nicht verwechselt werden, es sei denn mit einem anderen Schrank. Das Zimmer war komplett widerspruchsfrei. Janowsky händigte mir die Karte für die Beleuchtung aus. „Ist das nicht wundervoll hier?“ Seine Augen glänzten. Beklommen drehte ich mich um die eigene Achse. „Nun ja“, druckste ich, „zumindest sind die Dinge hier so, wie soll ich es nennen – dinglich?“ „Sie sind nicht entfremdet“, korrigierte der Hotelier. „Und damit Sie auch nicht als Gast. Sie können hier wirklich zu sich selbst finden. Das ganze Elend modernen Möbeldesigns verfliegt sofort und nimmt Sie mit in eine Welt, in der ein Nachttisch noch ein Nachttisch ist.“ Es war zu unwiderstehlich, ich musste mit dem Finger über das Tischchen wischen. Ein feiner Staub lag darauf, ganz gleichmäßig und wie nicht vorhanden. Hatte man aus Nostalgie diese künstliche Beschaulichkeit damit besprüht? Der Hausherr druckste.
Janowsky steckte den Generalschlüssel ins Schloss und öffnete die Tür zu dem Zimmer ganz am Ende des Ganges. „Wir haben ja noch nicht alle Zimmer umgeräumt“, erläuterte er. „Ein paar sind immer noch so, wie ich sie übernommen habe.“ Es war in der Tat ein Hotelzimmer, wie man es kannte. Nichts war, was es war. Ganz in Gedanken zog ich die Tür des Wandschranks auf. „Schiebetüren“, ätzte er. „Um Platzersparnis vorzutäuschen, wird ein ganzes Hotel Zimmer für Zimmer mit diesen Schiebetüren zugeschreinert. Grauenhaft! Was soll ich denn den Gästen sagen, wenn sie vor lauter Einbauschrank das Zimmer nicht mehr erkennen?“ „Aber es ist doch sehr komfortabel“, tröstete ich ihn, „wenn man einmal eine Tür aufgezogen hat, sieht man erst die Aufbewahrungsfähigkeit.“ „Ach was“, grollte Janowsky. „Geschwätz! Sie haben uns damals überall diese Dinger angedreht – hier ein Kubikmeter weniger, da einer, zum Schluss spart das alles zusammen den Raum des Kölner Doms.“
Er nahm einen neongrünen Gegenstand vom Fensterbrett und hielt ihn mir unter die Nase. Offenbar hatte sich eine Bettflasche als Blumenvase verkleidet hat. „Richtig“, sagte Janowsky, „es ist eine Gießkanne.“ „Ist das wirklich so schlimm? Kann man mit etwas Design nicht leben?“ Er sah mich mit einem unendlich matten Blick an. „Was meinen Sie, womit die Gäste das hier schon alles verwechselt haben. Es ist genau wie dieses hier.“ Damit zog er die Tür zur Minibar auf, hinter der sich, ich hatte es nicht anders erwartet, die Minibar befand. „Wo ist jetzt das Problem“, fragte ich etwas verwirrt. „Genau das ist es ja“, gab Janowsky mit leichtem Zittern in der Stimme zurück. „Die Gäste sind inzwischen derart unmögliche Verkleidungen gewohnt, dass sie gar nicht mehr daran denken, die Minibar hinter einer Minibar-Tür zu suchen. Ich könnte sogar ein Schild drankleben, sie würden es für einen Koksofen halten oder für den Notausgang, aber ganz sicher nicht für die Minibar.“ Mitfühlend nickte ich. „Ich kann es mir vorstellen, Sie haben von Gästen oft herbe Kritik einstecken müssen.“ Er ließ resigniert den Kopf sinken. „Ich kann Ihnen sagen – sie kommen dann bei einem an, beschweren sich darüber, dass das Zimmer keine Minibar hätte, und wenn man vor ihren Augen das Fach öffnet mit Bier und Likör und Schaumwein, dann werden sie noch giftig. ‚Das ist doch nachgemacht‘, fauchen sie mich an, ‚Sie wollen uns mit einer Attrappe an der Nase herumführen!‘ Was soll man da sagen?“
Im Bad lag ein ordentlich in Cellophan verpacktes Stückchen Rosenseife. „Das ist aber nicht ganz das, was ich erwartet hätte.“ Mein mokanter Tonfall schien ihn leicht zu verärgern, aber war es mein Fehler? „Natürlich“, verteidigte er sich, „aber wir haben gleich das ganze Haus umgestellt, das rechnet sich doch sonst nicht. Wobei – warten Sie mal…“ Janowsky zog die Lade in dem kleinen Unterbauschränkchen auf, und tatsächlich: zwei Stücke täuschend ähnlicher Pralinenseife lagen noch darin. „Sie können ganz beruhigt sein.“ Er überreichte mir das Reinigungsmittel. „Alles so, wie Sie es gewohnt sind.“
Mitten im Raum stand eine zickzackförmige Säule. Ich besah das Ding von allen Seiten. „Für einen Schrank sieht es doch recht kippelig aus.“ Janowsky schüttelte den Kopf. „Ein Blumenkübel“, korrigierte er. „Die Schubladen sind natürlich nur Mimikry, dann sieht es wenigstens etwas nach Stauraum aus.“ „Ich verstehe“, replizierte ich, „die Form folgt der Funktion, und die Funktion ist in diesem Fall…“ „… eine solche vorzutäuschen.“ Langsam betrachtete ich das Zimmer. „Wissen Sie“, sagte er langsam, „das nächste Hotel werde ich ganz neu möblieren. Wie zu Hause. Eine völlig eigenständige Wohnwelt.“ „Wie soll das aussehen?“ Janowskys Blick wurde weit. Er hatte eine Vision. „Ich weiß noch nicht“, sprach er leise und in sich gekehrt, „der Ikea-Katalog kommt erst in den nächsten Tagen.“
Satzspiegel