And the winner is…

29 09 2010

Das also war er, der erste Freitagstexter in diesem Blog – was man aus einem freundlichen Fellknäuel der Ordnung Diprotodontia und einem ökologisch unbedenklichen Fortbewegungsmittel doch alles machen kann. Es war überwiegend heiter bis ulkig, vereinzelte Kalauerbildung nicht ausgeschlossen. Vermutlich war es auch nicht so einfach. Aber dafür doch ganz schön spaßig.

Vielen Dank an alle, die mitgetextet haben! Es ist eine Menge Kaffee halb in der Tastatur gelandet und halb auf dem Bildschirm.

Und damit wären wir auch schon bei der Qual der Wahl. Leicht ist es ja nie beim Freitagstexter. Ich mag diese leise, aber bissige Art. Und die war ja nicht nur einmal vertreten. Also holen wir mal den Pott raus:

Auf Platz 3 ist die feine, hintergründige Doppeldeutigkeit, die sich mit ihrem Plural auch noch selbst auf die Schippe nimmt, wie es la-mamma kommentiert:

klassische fehlhaltungen

Platz 2 – und von wegen, australische Tiere ließen sich nicht bewitzeln – geht an stilhäschens knarztrockenen Popkultur-Ausflug:

Das analoge Vorbild zum Killerspiel-Klassiker: Mortal Wombat.

Den Pokal schließlich möchte ich mit einem herzlichen Glückwunsch blogbuchstaben überreichen, deren aufklärender Kommentar ironisch piekst, und das auch noch in entsprechender Leisestärke:

Die australische PETA-Chefin äußerte sich endlich zum Foto-Skandal und ließ verlautbaren: „Ja, in meiner Kindheit trug ich Pelz!“

Und da geht’s nun auch weiter am kommenden Freitag, den 1. Oktober, mit Hirnzellenankurbelungsreizen visueller Natur. Die Griffel sind gespitzt!





Zückerchen

29 09 2010

„He, Sie können da nicht rein!“ Das Männchen mit der Butterbrottüte auf dem Kopf turnte aufgeregt auf und ab und versuchte, mich am Betreten der Werkshalle zu hindern. „Lassen Sie es gut sein“, beschwichtigte Direktor Kortzfleisch den Kollegen von der Sicherheitsabteilung. „Der Herr ist nur zu Besuch.“ Damit öffnete er mir die Tür. Das also war die Produktionsstätte der Tablettenfabrik.

Aus einem großen Trichter rasselte die Flut von kleinen, roten Pillen in einen kleinen Trichter, der sie in ein noch kleineres Rohr wieder verschwinden ließ. Einige Meter daneben knatterten blaue, daneben zartgelbe Tabletten in die metallenen Schlünde der Verpackungsmaschinen. „Dreihundert Filmtabletten pro Sekunde“, schrie Kortzfleisch mir ins Ohr, denn die Apparatur rauschte und ratterte gewaltig laut durch die hallende Halle. „Normale Dragees mit Lacküberzug kommen auf vier- und die einfachen Pillen auf fünfhundert Stück, das macht dann 1,8 Millionen in der Stunde!“ Stolz schwenkte er den Arm über sein kleines Reich. „Die Produktion im Inland lohnt sich wieder, wir haben dank der Auftragslage letzte Woche zwei Mann neu angestellt, die uns bei den neuen Produkten helfen.“ „Es ist ja nicht ganz einfach heutzutage“, brüllte ich zurück. „Gute Pharmazeuten muss man wohl suchen, und dann sollte man auch Erfahrung in der Forschung haben, wenn man bei Ihnen arbeitet.“ Er blickte mich verständnislos an; dann drehte er sich um und schritt zur nächsten Maschine.

„Retardkapseln“, belehrte mich Kortzfleisch, „sind eine der großen Herausforderungen, vor allem diese Fertigung, die mit einer speziellen Mischung angefüllt ist.“ Mit der hohlen Hand fischte er eines der länglichen Gelatinedinger aus dem Strom, der sich das Fertigungsband hinab wand. Er drehte die Kapsel, die aus einem durchsichtigen Ende sowie einem weißlichen bestand, mit den Fingern auf und schüttete den Inhalt in seine Handfläche: rote, gelbe und grüne Kügelchen, ganz klein und zierlich. „Je nach Sorte müssen wir entweder die roten Kugeln im Verhältnis eins zu drei zu den grünen mischen, oder wir haben doppelt so viel grüne wie gelbe. Oder die gelben sind halb so viele wie die roten. Das steht hier irgendwo auf dem Zettel.“ Er fischte nach einem Stück Papier, das an der Seite der Anlage klebte. „Hier steht es ja, Clodimex forte, Dormoluna, Ribomukicalzin Globuli.“ „Globuli?“ Er runzelte erneut die Stirn. Weiter.

Träge und ölig plätscherte der Saft in den Kessel und blubberte vor sich hin. Es roch süßlich. „Sie können es variieren“, teilte Kortzfleisch mir mit. „Ein Teil der Produktion wird mit dem typischen Lakritzaroma versehen, wie man es aus Hustensaft oder Halsmedizin kennt, aber Sie können es auch mit Orangen- oder Zitronengeschmack herstellen, für einen Stärkungstrunk beispielsweise oder in einer Arznei speziell für die Kinderheilkunde. Desgleichen haben wir auch eine kleine Partie mit Eukalyptus und seit einigen Tagen“, hier öffnete er einen kleinen Hahn und ließ etwas von der wasserklaren Flüssigkeit in ein Reagenzglas laufen, „stellen wir es auch mit Wildkirschgeschmack her.“ Er reichte mir das Probiergläschen herüber; der Saft schmeckte süßlich nach geschmolzenen Bonbons, fürchterlich künstlich und nicht einmal ansatzweise nach Kirschen. „Was haben Sie denn in dieses Zeug bloß hineingetan“, keuchte ich, „das ist ekelhaft!“ „Wasser und Zucker“, verteidigte sich Kortzfleisch. „Ein ganz normaler Zuckersirup mit dem Aroma, das Sie auch aus den Drops kennen, die man Ihnen in der Apotheke verkauft.“ „Und wogegen ist dieses Kirschzeugs?“ „Das wissen wir noch nicht, daran arbeiten ja die beiden Neuen.“ „Ihre Pharmazeuten müssen erst noch herausfinden, wogegen diese Plörre hilft?“ „Es sind keine Pharmazeuten. Es sind ein Marketing-Experte und ein Chemiker.“ „Ein Chemiker?“ „Ein Lebensmittelchemiker, um es genau zu sagen.“

Kortzfleisch lehnte an der Maschine und steckte die Hände in die Kitteltaschen. „Schauen Sie mal“, begann er schuldbewusst, „wir machen doch nichts Schlechtes. Wir nutzen auch niemanden aus. Aber um heute noch wirtschaftlich fertigen zu können, muss man sich schon eine Menge einfallen lassen.“ „Und da haben Sie das wirkungslose Medikament erfunden?“ „Nicht wir“, korrigierte er mich. „Nicht wir haben das in die Welt gesetzt, daran war der Gesundheitsminister ebenso beteiligt.“ Ich nahm eine der Schachteln aus der Verpackungsstraße. „Aha, Röslerol complex. Daher weht der Wind.“

„Sie müssen das begreifen. Die Branche ist nicht mehr so einfach wie vor ein paar Jahren, jetzt sind unsere Gewinne ernsthaft in Gefahr.“ „Sie wollen damit sagen“, forschte ich nach, „dass Sie Medikamente ohne Wirkstoff produzieren?“ „Es ist legal“, beharrte Kortzfleisch. „Nach der Regelung mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss müssen wir nicht mehr nachweisen, dass die Medikamente zweckmäßig sind. Vielmehr muss man uns das Gegenteil beweisen.“ „Was bei etwas Zucker und Wasser nicht so einfach sein dürfte.“ Er nickte. „Was nicht wirkt, hat ja auch keine schädlichen Nebenwirkungen, oder? Sehen Sie es einmal von dieser Seite.“ Ich packte ihn am Kragen. „Dafür überschwemmen Sie den Medikamentenmarkt mit Ihren sinnlosen Zückerchen und können für den Krempel auch noch die Preise diktieren – und den Ärzten befehlen, was sie zu verschreiben haben.“ Er wand sich, doch ich ließ nicht locker. „Und wieso eigentlich: Ribomukicalzin Globuli?“ „Wir müssen doch auch den homöopathischen Markt bedienen. Gäbe es nicht genug Dumme, glauben Sie, dieser Rösler wäre je an sein Amt geraten?“