Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXVI): Phrasendrescher

1 10 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Der Mensch ist ein kommunikatives Wesen. Das allein bedürfte noch keiner großen Vertiefung, gäbe es nicht noch ein zweites Phänomen. Denn der Hominide hockt selten friedlich in der Höhle, es reicht ihm nicht aus, der Mitwelt mitzuteilen, dass Ngugu heute frisches Mammut hat und die Sonne geringfügig früher aufgehen wird als am Tag zuvor; er strebt nach Echo und kritischer Würdigung, will Applaus, die Diskussion und den Jubel einer gierig geifernden Masse, will in ihr selbst erhöht sein, kurz: der Mensch ist ein Öffentlichkeitstier. Und damit beginnt das Dilemma.

Denn es ist eines, sobald die Implikation des Öffentlichen in die veräußerte Gedankenwelt des durchschnittlich Bescheuerten knatternd zurückhallt und Blasen bildet auf dem Cortex der unschuldigen Brüder. Selten hat der Teilzeitheld, der sich die Berufung aus Wunschvorstellungen schwiemelt, mehr zu bieten als ausgekauten Verbalspelz, barer Schnackzwang treibt ihn vor die Masse, die seinem Herzenswunsch nach tödlicher Blamage mitfühlend nachkommt – jeder darf sich in dieser Gesellschaft zum Knalldeppen machen, live und in Farbe oder, unter erschwerenden Umständen, im TV der völlig Talentbefreiten. Doch reicht das?

Wie immer will der Niedermolekulardenker auf der ersten Geige spielen. „Früher hätte es das nicht gegeben“, tönt es von vorne, wo der Phraseneimer leck geschlagen ist, „die Jugend! der Anstand! die gute, alte Zeit!“ Mit Gemeinplätzchen backt sich der winselweich gezügelte Aushilfsrhetoriker eins auf, säuert moralisch, sondert Halbwertvostellungen ab und steht überhaupt für das Korrekte im Guten. „Das haben wir noch nie so gemacht“, plärrt es, „das machen wir schon immer so!“ Der gemeine Phrasendrescher drückt Schwulst aus der Tube wie andere den Senf, den jeder Behämmerte dazu geben muss, um nicht zu platzen. Wo kämen wir denn da hin, wenn nicht jeder Besserwisser mit seinem austauschbaren Fertigsortiment an Betroffenheits- und Empörungsfloskeln seine Sittenstränge über die Hohlköpfe der Geblendeten kreisen ließe, immer auf Anstand, sich selbst zum Führer der Blök- und Blödmannen zu machen, zwar eine Beleidigung für den Durchschnitt, aber immerhin im Besitz der vielseitig verwendbaren Binsenweisheit.

Rühmen, das ist’s, und besser noch wird man berühmt, beispielsweise durch die dümmliche Art, sich selbst als den einzigen Aufrechten auf der Kriechspur der Vasallen zu bezeichnen. Man werde ja wohl noch sagen dürfen – verbunden mit dem stereotypen Hinweis, dies Gepolter per Flüstertüte in die tauben Ohren der intellektuell ohnedies Durchzugsgeschädigten sei schon Beweis genug, dass die Meinungsfreiheit in Gefahr wäre – mitnichten, sie leidet, weil man vor dem Verbalkot der Brüllwürste, meist auch komplett meinungsfrei gestaltet, sein eigenes Luftholen nicht mehr hört, geschweige das Knacken in den Hirnwindungen der verstörten Hörer. Man wird noch sagen dürfen, da man immer sagen durfte, es handelt sich meist auch um kein nennenswertes Tabu, das den Zündelpopen schrilliardenfach aus der Visage kleckert, ein schieffressig hingegoebbeltes kleines Einmaleins, hochgerüscht zum Bombast über der bröckelnden Kruste des bildungsfernen Areals. Wo immer der pseudoprovokante Pavian Denkverbote, verpöntes Heiligtum oder unterdrücktes Volkswissen wähnt, handelt es sich faktisch nur um mühsam inszenierte Theaterbespaßung der eigenen Karrenzieher, wo immer die Quäkfrösche der Herrschaft ihr bisschen rissiges Revoluzzertum hinspeicheln, da geschieht es im Kalkül kalkiger Bastelbogentiraden: Schnell schwatzt das Schaf im Strolchspelz Profilblech vor sich hin, knödelt aus voller Krakehle und übersieht, dass der Feind möglicherweise auf der anderen Seite des Tresens stehen könnte.

Und nicht einmal das hält ihn davon ab, seinen Sermon in die Flora zu seichen. Kommt es hart, so schwingt sich der Tumbbatz zum Tribunen der kleinen Leute auf, gern gesehen bei Politikern, noch lieber verfolgt vor drohenden Wahlen, wenn die Geschmacksgrenzen eh blank gelegt werden durch amtierende Minister, die nach jedem verfügbaren Kind greifen, sobald die Blitzlichter britzeln. Da seibert der Hominide von seinem Freund Ngugu aus der Nachbarhöhle, zerlegt frisches Mammut, als hätte er es je im Leben selbst getan, und düngt – Leistung muss sich wieder mehr lohnen als bei denen, die Arbeit haben – das Bramarbasislager der Verbalinkontinenten mit dünkelndem Hirnschiss zu. Wie vom TK-Sortiment quillt’s in die weimernde Luft, Wir-haben-es-immer-schon-Gesagtes aus der Recycling-Zentrifuge kleckert in Zeitschleifen, und die Botschaft bleibt doch ewig gleich: hier ist ein Hirnrindentoupetträger auf dem Kreuzzug in die Denkallergie, die Botschaft ist Null ouvert, es lohnt nicht, sich die ohnehin langweilige Existenz von Faschingsprinzen derartiger Couleur zujodeln zu lassen. Und doch folgen sie willig, kaufen Bücher, die sie selten lesen, sitzen in langweiligen Vorträgen und glotzen die identische Fernsehsendung auch im zehnten Aufguss. Es ist das perpetierende Dilemma: der Mensch will Öffentlichkeit und versucht es mit Kommunikation, wo er besser die Fresse hielte.