Vernagelt und verbohrt

5 10 2010

„Mie müppen ba bie omere Kampe meppen!“ Es entzog sich meiner Kenntnis, warum Herr Breschke in der Küche seines Bungalows auf die unterste Stufe der Klappleiter geklettert war, um mit dem Zimmermannsbleistift einen einzigen Punkt auf den Putz zu setzen – einen Punkt, denn der reichte auch aus, Wasserwaage hin oder her, um dieses kleine Ölbildchen vom Speicher ungefähr in Augenhöhe an der Wand zu befestigen. Warum er den Bleistift zwischen den Zähnen balancierte, konnte ich nur ahnen. Vielleicht half es ihm, das Gleichgewicht zu halten, eine Handbreit über dem Boden.

„Das ist die Kirche von dem Dorf, in dem die Großmutter meiner Frau geboren wurde.“ Herr Breschke wusste es ganz genau. „Das muss gegen 1850 gewesen sein“, mutmaßte er. „In der Gegend um Liegnitz bauen sie oft solche Kirchen.“ Ich schaute auf das Bild, während Breschke schon wieder am Küchentisch zugange war. Rasselnd wühlte er den Grund des Werkzeugkastens auf. „Hier muss doch irgendwo ein Nagel zu finden sein?“ „Ihre Frau selbst stammte doch auch daher“, fragte ich des Interesses halber, „hatten Sie nicht einmal so etwas erwähnt?“ „Aus Ostpreußen“, strahlte er. „Deshalb treffen die sich ja jedes Jahr mit der Landsmannschaft der Karpatendeutschen. Früher sind wir zu Pfingsten immer mit den Niederschlesiern, aber der Streuselkuchen ließ mit der Zeit doch ein bisschen nach.“

Immerhin hatte er den nötigen Nagel gefunden. Den dünnen Stift zwischen die Zähne geklemmt klomm er wieder die Leiter empor. Leicht war es nicht, doch er schaffte es schließlich, an den Holmen vorbei die Linke mit dem Nagel und die rechte Hand mit dem unförmig großen Hammer an die Wand zu bringen; einfacher wäre es gewesen, er hätte sich auf eine Fußbank gestellt, noch einfacher, er wäre nur auf die Zehenspitzen gegangen. Allerdings hätte er gut auch aus dem Stand das postkartengroße Bildnis aufhängen können. Breschke widersprach heftig. „Das muss alles seine Ordnung haben!“ Er balancierte den viel zu schweren Hammer und wollte schon ausholen, als er noch einen letzten, prüfenden Blick auf den Stahl zwischen den Fingern sandte. „Wenn man das mit Geduld und Spucke und streng nach Vorschrift…“

Die Delle, die der stürzende Hammer in der Fußleiste verursachte, war nur bei sehr genauem Hinsehen noch auszumachen. Breschke schrie wie am Spieß. Ich hatte alle Mühe, ihm die krampfhaft an die Brust gepresste Hand zu entwinden und den lädierten Daumen unter den Wasserstrahl zu halten. „Jetzt wird es ja gleich besser“, tröstete ich ihn. „Sie sollten auch wirklich ein bisschen besser auf sich aufpassen, mein Gutester!“ „Bafür if per Mabel frumm“, jammerte er. Tatsächlich hatte er die Spitze mit einem gezielten Schlag zu einem ansehnlichen Haken geformt. „Wenn Sie noch etwas nachhelfen, schaffen Sie vielleicht einen rechten Winkel, dann bräuchten Sie gar keinen Aufhänger mehr.“

Allein, es war der letzte Nagel gewesen. Woher nun am Sonntagnachmittag einen neuen nehmen? Schon sah ich mich aufbrechen, da sah ich jenes gefährliche Flackern in Breschkes Augen. „Dann werde ich dieses verdammte Ding in die Wand dübeln“, presste der pensionierte Finanzbeamte zwischen den Zähnen hervor. Und schnurstracks stapfte er auf die Kellertür zu, riss sie auf und stolperte die Treppe hinunter. „Ich werde das Ding in die Wand dübeln“, keuchte er. Ein rhythmisches Quietschen setzte ein und quiekte sich polternd die Treppe empor. Ich kratzte mich am Kopf. „Meinen Sie nicht“, fragte ich ihn verwundert, „dass die Steckdose in der Küche ausgereicht hätte?“ „Das ist alles genau nach Plan“, japste der Alte. Und er zog die letzten Meter über die Dielenbretter das Ding in die Küche hinein, eine monströse Kabeltrommel mit fünfzig Meter Spiel. Ich hätte es mir denken können, das seltsame Gerät unter seinem Arm war jene Bohrmaschine, die Breschkes Tochter mitsamt anderem Elektrogerät für kleines Geld aus obskurer Quelle zu besorgen pflegte. Legendär blieb der Haartrockner, der sich bereits beim Öffnen der Packung in Kleinteile zerlegte, doch auch dies Ding sah nicht viel vertrauenerweckender aus. Breschke stöpselte den Stromanschluss in die Dose. „Jetzt muss ich sehen, wie ich ein Achter-Loch bohre, vielleicht erst mit dem Dreier und danach mit dem Fünfer?“ „Nehmen Sie doch zwei Vierer“, riet ich ihm, „dann müssen Sie nicht umspannen.“

Genau an dem kleinen Kreuz sollte der Dübel in die Wand – ein asthmatisches Sirren ertönte, dann knirschte sich die Bohrspitze durch die Tapete in den Putz hinein, Millimeter für Millimeter immer weiter vor, langsam und beharrlich, bis Breschke mit jähem Ruck vornüber in den Hohlraum drillte, bis sich die rotierende Spitze in eine anderes, nicht vorhergesehenes Hindernis fräste. Der Wasserstrahl traf ihn unvermittelt ins Gesicht. Breschke schrie wie am Spieß. „Das Wasserrohr“, brüllte er und schwenkte den Bohrer, „das Rohr ist angebohrt – was mache ich bloß?“ „Wo ist der Haupthahn“, fragte ich kurz entschlossen. „Im Keller“, gurgelte Breschke. „Im Heizungskeller neben der Schütte mit den…“ Das reichte mir schon aus. Im Nu war ich die Treppe herunter gehastet, schob die Stellage zur Seite und versuchte, das völlig eingerostete Rad zu bewegen. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Breschke“, schrie ich, „legen Sie die Bohrmaschine auf gar keinen Fall in die…“

Schon drei Minuten später hatte ich mich durch das Dunkel der Kellertreppe wieder nach oben getastet. Herr Breschke kauerte auf der Leiter. „In der Küchenschublade muss die Taschenlampe sein“, wimmerte er. „Setzen Sie sich eine Stufe höher auf die Leiter“, wies ich ihn an, „dann wird’s für Sie ein bisschen bequemer, während ich einen Klempner organisiere.“ Er hielt noch immer das Rohr zu, fast wie der kleine Holländer, der mit seinem Finger das Loch im Staudamm stopfte. „Und wenn das Wasser jetzt mit solchem Druck herausschießt, dass es mich an der Hand verletzt?“ Besorgt schaute er mich an; wie ein begossener Pudel sah er ohnehin aus. „Da es sich um klares Wasser handelt, dürfte es kein Fallrohr sein. Und Ihr Haus liegt ja auch nicht unter dem Meeresspiegel.“ Das leuchtete ihm ein. Ich stellte die Taschenlampe auf den Boden und wandte mich zum Gehen. „Halten Sie den angehauenen Daumen dran, das kühlt.“