„Das finde ich nun doch zu hart – dass jeder vorwiegend über das schwatzt, wovon er am wenigstens Ahnung hat, daran ist man ja schon halb gewöhnt, aber Merkel und das Christentum?“ „Weil sie Pastorentochter ist?“ „Nein, dann müsste sie ja etwas davon verstehen.“ „Sie ist die CDU-Vorsitzende.“ „Stimmt. Die haben davon keinen blassen Schimmer.“
„Sie müssen das mit dem christlich-jüdischen Vermächtnis aber auch historisch betrachten.“ „Die jüdischen Vermächtnisse von Roland Koch zählen auch dazu?“ „Da Koch Rassist war, ja.“ „Und das Historische?“ „Die christliche Leitkultur hatte vor allem in Deutschland großen Anteil daran, dass das Judentum sich nicht ausgebreitet hat.“ „Durch den mittelalterlichen Antijudaismus?“ „Nicht nur, der neuzeitliche war auch ganz hübsch.“ „Aber dafür hat sich der Papst doch irgendwann mal Absolution erteilt.“ „Er hat sich mit Luther verwechselt? Man soll alten Männern nicht über den Weg trauen.“
„Wenn sich die Merkel jetzt über das christliche Menschenbild auslässt, was heißt das?“ „Für das christliche Menschenbild oder für die Merkel?“ „Das christliche Menschenbild kann sich da nun mal nicht wehren.“ „Es hat sich schon genug gewehrt. Gegen Aufklärung und Demokratie zum Beispiel.“ „Aber die Merkel hat auch gesagt, dass Demokratie eben dem christlichen Menschenbild entspreche.“ „Sie meinen, ihrem christlichen Menschenbild?“ „Gibt es da mehrere?“ „Es muss eines sein, das in vorchristlichen Jahrhunderten in den griechischen Stadtstaaten schon bekannt war.“ „Aber können Sie mir das mal übersetzen: ‚Wer sich seiner Kultur selbst bewusst ist, kann auch andere überzeugen, warum es schön ist, mit unserem Grundgesetz zu leben.‘“ „Das sagt die Merkel?“ „In Berlin.“ „Ich würde sagen: ‚Entweder Du bist drin, oder Du kommt nicht rein, und wer mir nicht passt, wird als Terrorist bezeichnet.‘ Zu wem hat sie es gesagt?“ „Zur CDU auf der Regionalkonferenz.“ „Klar, dann heißt es: ‚Wer sich in dieser Partei noch sicher fühlt, kriegt einen Arschtritt, weil ich das Gesetz bin.‘ Und es ging um die Leitkultur?“ „Ja.“ „Dann könnte man es auch kürzer fassen. Aber das hätte nicht sie gesagt.“ „Nicht was gesagt?“ „‚Wer Jude ist, bestimme ich.‘“ „Und wer würde das sagen?“ „Westerwelle.“
„Wo wir gerade bei dem sind, der Vizeerzähler hat unterdessen den Utilitarismus entdeckt?“ „Er unterscheidet wertvolle Ausländer und wertlose.“ „Nehmen Sie das etwa ernst?“ „Abgesehen davon, dass ich mich frage, was er als Vorsitzender dieser Partei bringt, wenn er sie bei knapp 4,9 Prozent marginalisiert – nein.“ „Aber das ist doch gefährlich nah an der ganzen Euthanasiedebatte der Nationalsozialisten, die…“ „War das ein Hitler-Vergleich?“ „Nein, nur die Feststellung, dass er nicht besser argumentiert als Seehofer. Implizit geht es doch immer um die islamischen Kulturkreise, die zwar zu Deutschland gehören, wie der amtierende Sandmann es uns am Einheitstag in die Augen gestreut hat, die aber von der Regierung weiter für alles verantwortlich gemacht werden.“ „Sehen Sie das als ein Zeichen der funktionierenden Demokratie in Deutschland. Wir sind vollkommen unabhängig.“ „Wer, wo, wie?“ „Die Regierung vom Grundgesetz und BILD vom Bundespräsidenten.“
„Aber sich am christlichen Menschenbild zu orientieren hieße doch auch, Toleranz zu üben.“ „Man darf ja gerne tolerant sein, das stört nicht. Vor allem dann nicht, wenn Sie Ihre Toleranz auf das christliche Menschenbild konzentrieren.“ „Also das christlich-jüdische.“ „Was wollen Sie denn damit sagen?“ „Dass das Judentum ein ganz anderes Menschenbild entwirft als das Christentum.“ „Aber wo ist der Widerspruch?“ „Dass ein Jude, der das Menschenbild seiner Religion verinnerlicht, nun als fehl am Platz gilt?“ „Der ist eben Jude.“ „Und?“ „Und kein Deutscher. Sagt die Kanzlerin.“ „Hat denn die Kanzlerin etwas zum jüdisch-islamischen Weltbild geäußert?“ „Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ich denke, nein.“ „Warum nicht?“ „Rechtspopulistischer Quark an der Grenze zur Volksverhetzung fällt in Mißfelders Ressort.“
„Ich frage mich nur, was das bringen soll.“ „Die Ausgrenzung? Mit Minderheitendiskriminierung haben wir schon mal gute Erfahrungen gemacht, in den Niederlanden klappt es auch gerade so schön – da braucht man nicht einmal ein Wahlprogramm, da braucht man nur einen Sündenbock.“ „Das kippt doch auf.“ „Merken Sie denn nicht, dass Sie schon die ganze Zeit in Ihren Grundrechten beschnitten werden? Vorratsdatenspeicherung, Nacktscanner und Videoüberwachung?“ „Es ist eine Schande!“ „Genau. Das haben wir alles diesen verdammten Muslimen zu verdanken. Dafür sollen die jetzt mal so richtig büßen.“ „Das ist doch Unfug! Nicht die Islamisten haben immer wieder das Grundgesetz ausgehebelt, sondern die deutschen Innenminister und ihre Helfershelfer.“ „Das christlich-jüdische Menschenbild umfasst eben auch eine gewisse Toleranz von obrigkeitsstaatlichen Strukturen. Sie müssen wissen, die Menschenrechte wurden von der Kirche als liberale Verirrung angesehen, und in vatikanischen Kreisen wäre man sehr froh, wenn sich das christliche Menschenbild gegen diese säkularen Missgriffe durchsetzen würde.“
„Was wollen Sie eigentlich mit dem christlichen Menschenbild noch erklären?“ „Da geht ’ne Menge, was?“ „Mövenpick?“ „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“ „Und die Laufzeitverlängerungen“ „Es ist gut, auf den Herrn zu vertrauen, und nicht sich verlassen auf Menschen.“ „Und die fünf Euro mehr für Hartz-IV-Empfänger?“ „Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut.“ „Die Machtdemonstration von Stuttgart?“ „Das waren Berufschaoten. Für die ist der liebe Gott nicht zuständig.“ „Eine Leitkultur, die sich an einer Weltanschauung orientiert, die laut Verfassung Privatsache ist und nicht bevorzugt behandelt werden darf? Ein Bekenntnis zu einer Haltung, die den Konsens dieser Gesellschaft in Abrede stellt? Den Konsens der Gesellschaft? Unserer Verfassung, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung?“ „Eben. Wer sich nicht an diesem Menschenbild orientiert, ist in ihrer Partei fehl am Platz.“
Satzspiegel