Er war in Ungnade gefallen. Sie hatten ihm bis zuletzt zu helfen versucht, selbstverständlich nach ihren eigenen Spielregeln, aber ihm war nicht mehr zu helfen. Sie mussten Til Schweiger fallen lassen. Er war im falschen Augenblick ausgestiegen.
Noch tags zuvor hatte die Boulevardpresse das Propagandaspektakel rund um das Kinderschänder-Alibi bejubelt; vertragsgemäß war Schweiger erschienen, hatte sich für BILD ablichten und zitieren lassen. „Wo ist der empörte Aufschrei über diese widerlichen, armseligen Schweine“, fragte es betroffen aus dem Schauspielerdarsteller, „warum macht man sich mehr Gedanken um die Privatsphäre von einem Mann, der Kindern pornografische Fotos von sich schickt und sich dann mit ihnen verabredet?“ Verlag und Redaktion rieben sich die Hände, die Auflage sank nur unwesentlich mehr als prognostiziert. Der Unterschichtensender sah einer weiteren Folge mit Stephanie zu Guttenbergs Schrillshow entgegen. Medienrechtler hatten die Risiken abgeschätzt, ausgewogen und für tragbar erklärt, es würde sich um ein paar Hunderttausend Euro handeln, um ein bis höchstens zwei Menschenleben, kalkulierbare Kosten, wie sie dem Alltagsgeschäft entsprächen. Kein Grund zur Sorge. Niemand ließ sich aus der Routine bringen. Alles ganz geschmeidig.
Schweigers Anwälte ließen in der Presseinfo verlauten, jede weitere Zusammenarbeit mit Verlag und Redaktion von BILD sei vorerst nicht mehr denkbar. Ihr Mandant müsse sich vor allem jetzt davor schützen, die zahlreichen in zu Guttenbergs Missbrauchsmissbrauch verwirklichten Straftatbestände billigend zu erscheinen; dies sei nicht der Fall. Er distanziere sich ausdrücklich von stern und BILD sowie von RTL II. Für Interviews stehe der Leinwandler nicht mehr zur Verfügung. Das Bundesverteidigungsministerium war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Kai Diekmann tobte.
Der Leitkulturbeauftragte des bundesdeutschen Präpotenzjournalismus, Franz Josef Wagner, gab den ersten Schuss ab. „Es macht mich schon sehr betroffen“, schrieb er, „wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die massenmediale Aufarbeitung von kinderpornografischen Inhalten zur besten Sendezeit mit den einträglichsten Werbeplätzen sträuben. Das ist nun wirklich eines der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.“ Schweiger, so der Doyen der Gestrigen, sei ein besonders schwerer Fall; zwar habe er nie auf der Seite der Bösen gestanden, er habe allerdings – und das sei weitaus schlimmer – mit Springer gebrochen. Was nun folge, sei schrecklich, aber unvermeidbar.
Gleich folgenden Tages mokierte sich die Titelseite über Til Schweigers Vorliebe für jüngere Nachwuchsschauspielerinnen. „Sie könnte seine Tochter sein“, höhnte das Blatt süffisant und legte im Leitartikel nach: „Schweigers Neigung zu Keinhirnhasen ist ja nicht nur BILD aufgefallen. Morgen mehr!“
Im Anschluss blickte die Angetraute des Manta-Mimen von Seite 1, freilich ausgeschnitten aus einem Familienporträt, auf dem sie als 13-Jährige zu sehen war. „Das Sex-Monster hatte sie im Bett!“ Das war unter Abzug der Raum-Zeit-Krümmung nicht gänzlich verkehrt, führte jedoch zu einem einstweiligen Rechtsschutz, der BILD jede weitere Äußerung in dieser Sache untersagte. Schweiger hatte nicht mit der Fünften Kolonne gerechnet. „Seine Villa am Julius-Brölheim-Ring, das einzige Haus mit einer fliederfarbenen Fassade und Geranien auf dem Vordach, ist nicht zu verfehlen. Das Auto, ein silberner Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen B-TS 1912, parkt meist auf dem Kiesweg, der zum Grundstück gehört.“ Die Leserreporter taten Ihres.
Als besonderes Schmankerl grub die Redaktion ein Leserfoto aus, das den Gesichtsgelähmten vor Jahren in einem Edelrestaurant beim Verzehr von Carpaccio zeigte. Ganz kurzfristig erst hatte sich BILD gegen eine Veröffentlichung im Rahmen der Kampagne für Fleisch ohne BSE-Gefahr entschieden, da der Rinderzüchter nicht genug zahlten wollte. „So lecker kann sicher sein“, hatte seinerzeit die Praktikantin gefabelt, „unser Lieblingsschauspieler schlemmt hauchzartes Kobe-Rind in Balsamvinaigrette – wenn Sie sich das leisten können, sind auch Sie in!“ In der Feder der Hauptstadtredaktion wurde daraus: „Hier frisst die Ekel-Bestie rohes Fleisch!“ Dem Bundesverteidigungsministerium war keine Stellungnahme zu entlocken.
Natürlich schloss sich im Verlauf der BILD-Aufgabe ein erläuternder Beitrag an, in dem der aus Sicherheitsgründen anonym zitierte Psychiater Chlodwig D. ausführte, dass der Verzehr von rohem Rindfleisch wie die Benutzung von Killerspielen oder etwa die Lektüre des SPD-Programms zu Hirnerweichung und seelischer Verrohung führen müsse. „Quasi alle Sittenstrolche haben irgendwann einmal rohes Fleisch verzehrt“, betonte D., es sei demnach nicht ausgeschlossen, dass es einer der Auslöser für Pädophilie sei.
Obwohl das Gesicht des Mannes unkenntlich gemacht wurde, konnte der 46 Jahre alte Akteur eindeutig identifiziert werden. Die gepixelten Bilder spärlich bekleideter Schulkinder, die man (wie eine spätere Recherche seitens des Deutschen Presserats ergab) nicht etwa von Guttenbergs Nagel, sondern gleich von der von der Leyen bekommen hatte, waren nach Aussage des Verlags selbstredend nur als Beispielillustrationen gedacht. Man denke nicht, dass sie am Zeitungskiosk als Aufreißer für potenzielle Kinderschänder dienen könne, die regierungsseitig verbreitete Anfixthese sei laut Koalitionsvertrag nicht mehr Teil der offiziellen Lesart. Man bedaure, dass bei der Bildbearbeitung versehentlich ein Bolzenschneider auf dem Tisch drapiert wurde, das sei Best Practice.
Ein älteres Foto, das das Ehepaar Schweiger samt Anhang zeigte – die Gattin bis auf einen halben linken Arm und etwas Haaransatz aus der Ebene geschnitten – brachte den Wendepunkt. Die Schlagzeilendrescher hatten ganze Arbeit geleistet, die Ausgabe erschien mit „Das Pädo-Monster macht mit den eigenen Kindern rum!“.Der Chef selbst erklärte den Komödiantiker zu seinem Thema und schloss seine Ausführungen, dass der Zweck in einer Leitkultur des christlichen Menschenbildes noch immer die Mittel zu heiligen habe, mit dem Bekenntnis zur geistig-politischen Wende: „Knallt ihn doch endlich nieder!“
Der Tathergang ließ sich aus den Spuren recht schlüssig rekonstruieren; Til Schweiger hatte sich eines Tricks bedient und einen ganz neuen, bei ihm noch nie gesehenen Gesichtsausdruck aufgelegt (die vernehmende Staatsanwältin sollte hernach zugeben, ihn fast nicht wiedererkannt zu haben) und damit das BILD-Gebäude betreten zu haben. Er ließ sich widerstandslos festnehmen. Das mediale Berlin war schockiert, schließlich habe doch Schweiger in den vergangenen Tagen nicht über mangelnde Medienpräsenz klagen können. Man konnte es sich nicht erklären, hoffte aber, dem Schauspieler werde dank seiner Bekanntschaft mit hochgestellten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft nicht viel geschehen. Man erfuhr nichts. Das Bundesverteidigungsministerium nahm nicht Stellung.
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