Stets zu Diensten

26 10 2010

Ausgerechnet der Wecker. Nicht, dass mir das Aufstehen zu dieser Jahreszeit besondere Probleme bereiten würde; meine Kundentermine liegen meist ohnehin in den Nachmittagsstunden. Aber ganz ohne diese kleine elektrische Uhr, das wollte ich nun doch nicht riskieren. Vielleicht wäre ich sonst an einem kalten Morgen einfach im Bett geblieben.

„Das muss an dem Hebelmechanismus liegen“, murmelte der Verkäufer und drehte die Weckuhr skeptisch in den Händen. „Das Gerät ist ja auch schon ziemlich alt.“ „Wie man’s nimmt“, gab ich zurück und reichte ihm die Quittung, die man mir drei Wochen zuvor beim Kauf überreicht hatte. Er schielte über den Rand seiner Brille auf das Papier. „Kann sein, dass wir den noch auf Lager haben. Warten Sie mal einen Augenblick.“ Fort war er.

Es muss eine knappe Viertelstunde gedauert haben, bis mir leicht fröstelte. Kein Wunder, stand ich doch nur im Anzug dort und hatte den Mantel für die wenigen Minuten im Wagen gelassen. Die Wecker in der Vitrine hatte ich vorsichtshalber gleich dreimal gezählt, es waren auch nach dem dritten Mal siebzehn Stück, nicht mehr und nicht weniger. Da nahte sich eine Verkäuferin, die durch die Elektroabteilung schlich, Klebeschilder für Heizlüfter in der Hand, die sie neben dem Schrank auf dem Kassentresen deponierte. „Verzeihung“, sprach ich sie an, „können Sie mir sagen…“ Sie blitzte mich an. „Sie sehen doch, dass ich zu tun habe!“ Und war schon wieder verschwunden.

Die alte Dame sah sich hilflos auf der Etage um. Dann aber steuerte schnurstracks auf mich zu. „Junger Mann“, sagte sie, „das funktioniert doch nicht!“ „Es tut mir Leid“, stammelte ich. „Auch wenn es so aussieht, Sie irren sich. Sie irren sich!“ „Aber Sie verkaufen das doch“, beharrte sie. „Dann zeigen Sie mir mal, wie das geht.“ Damit drückte sie mir eine elektrische Gebäckpresse in die Hand. „Haben Sie denn die Gebrauchsanweisung auch genau studiert?“ Sie schüttelte den Kopf. „Da steht doch immer nur Mist drin.“ Ich drückte einen Hebel nach unten, stellte den Wahlschalter auf Mandel-Mürbeteig und ließ das Gerät surren. „Ach da unten muss man drücken?“ Ihre Begeisterung kannte keine Grenze, doch ein aufgebrachter Kunde mit einem Waffeleisen ging förmlich auf mich los. „Das ist schon das zweite!“ Meine Nachfrage, ob es sich um das zweite Küchenutensil seines Lebens oder um doppelten Brand in seinem Sicherungskasten handelte, wartete er gar nicht erst ab. „Die Waffeln werden immer sofort schwarz!“ „Möglicherweise ist Ihr Teig zu zuckrig“, grenzte ich das Problem ein, „oder Sie fetten die Form zu sehr?“ Er war verwirrt. „Meine Frau legt die Eierwaffeln aus dem Sparkauf rein, aber die sind wohl zu dick für den Apparat, oder?“

Warum hatte ich mir keine elektrische Käsereibe gekauft. Die hätte gemütlich kaputtgehen können, ich hätte es nicht einmal bemerkt.

Unversehens kam eine dickliche Verkäuferin auf mich zugelaufen. „Heute ist Quartalsmeeting, was machen Sie denn hier so lange?“ Ich stutzte. „In dem Ton reden Sie mit mir? Vor den Kunden?“ Sie zog eine krause Nase. „Als Ihre Abteilungsleiterin werde ich mir…“ „Ach ja“, schnitt ich sie ab, „Sie sind das! Hätte ich mir denken können.“ Ein Blick auf ihr Schildchen bestätigte mir, dass es sich um Frau Töpperfeld handelte (oder so ähnlich). „Sie gehören hier zum Verkaufspersonal und nicht zum Management? Dann wollen wir mal gucken, ob Ihre Karriere den heutigen Tag überlebt.“ Ihr Mund klappte auf, doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. „Sie melden sich bei der Geschäftsleitung, die Versetzung als Lagerkraft in unsere neue Filiale dürfte ungefähr Ihren Fähigkeiten entsprechen.“ Mechanisch drehte sie sich um und stolperte zum Aufzug. Ich pfiff zwei Auszubildende heran. „Nehmen Sie mal diese Schilder hier, das Display mit den Heizdecken sieht ja aus wie eine schlechte Kaffeefahrt – Dekozeugs hat die Materialausgabe, und dann zaubern Sie uns eine schöne Pyramide aus Heizlüftern, ja?“ Sie nickten dienstbeflissen.

„Da sind Sie ja“, keuchte Gablonsky. „Ich brauche Ihre Unterschrift für die Warenannahme. Die Skisachen sind endlich gekommen.“ „Die was? Ski? Blödsinn!“ Langsam wurde ich ungehalten. Nichts klappte in diesem Kaufhaus. „Aber Sie hatten doch gesagt, wir bräuchten Wintersport, und es ist…“ „Unsinn“, schoss ich Gablonsky an. „Die antizyklische Angebotspalette ist doch das A und O jeder modernen Marketingstrategie! Wofür bezahle ich Sie eigentlich?“ Er gab mir zerknirscht Recht. „Wir könnten die Federball-Sets wieder rausholen“, versuchte er zu seiner Rehabilitierung anzumerken, „und die Badeanzüge sind noch da.“ „Na also“, lobte ich. „Sie können’s doch, Gablonsky! Warum immer so zögerlich – zeigen Sie Initiative, dann merken Ihre Kollegen schon, was sie an Ihnen haben!“ Ich klopfte ihm auf die Schulter. Komplett neu motiviert verließ er die Elektroabteilung. Da kam auch der Kreisgebietsleiter auf mich zu, mit der Hand verdeckte er die Sprechmuschel eines Telefons. „Zentrale“, zischte er, „der Alte macht Druck und das Controlling kriegt den Ärger ab.“ Ich fischte den Hörer aus seiner Hand. „Verkaufen“, bellte ich. „Ab 124 wird verkauft, ist denn das so schwierig zu merken?“ Schon spürte ich im Keim die Widerworte, doch ich ließ mich nicht darauf ein. „Sie wissen, was mit Stockheimer & Goldbuytel passiert ist, ja? Dann stellen Sie keine dummen Fragen!“ Resolut beendete ich das Gespräch; nur jetzt keine Schwächen zeigen, das war ich auch dem alten Goldbuytel schuldig, er war bis heute untröstlich über den jähen Niedergang seiner florierenden Türklinken-Fabrik. Rasch bestellte ich Luftballons für die Karnevalssaison nach, ordnete den Abriss der beiden Filialen in der Hauptstadt an sowie die Expansion in die mikronesische Föderation, gliederte die Europäische Zentralbank in die Lebensmittelabteilung ein und erhob einen Vorschuss auf die nächsten zehn Jahresgehälter einschließlich der just gestiegenen Boni. Dann suchte ich die Toilette auf, um mir die Hände zu waschen. Ich schlenderte durch die Abteilung und blickte intensiv auf meine Armbanduhr.

„Wir hatten noch einen“, sagte der Verkäufer und hielt mir einen Wecker hin, den gleichen, der wegen eines defekten Hebels nicht zum Wecken zu bewegen war. „Sie mussten hoffentlich nicht zu lange warten?“ Ich lächelte. „Ach nein, ich habe mich unterdessen ein bisschen um die Wirtschaft gekümmert. Irgendwo muss der Aufschwung ja schließlich herkommen.“