„Ich kapiere das nicht. Erklären Sie es mir.“ „Die FDP? Was gibt’s da noch groß zu erklären?“ „Wie kann die Partei nur derart unter die Räder kommen? Das ist doch nicht mehr normal.“ „Allerdings nicht. Aber was ist denn da schon normal?“ „Diese Leute müssten doch Selbsterhaltungstrieb haben – oder wenigstens Angst davor, für immer im Orkus zu landen. Die müssen doch panische Angst haben, dass sie die Bodenhaftung verlieren!“ „Merken Sie sich das: Politiker fürchten keinen Realitätsverlust, sie haben nur Angst, dass man ihn bemerkt.“
„Dass Westerwelle überhaupt da auftritt – jeder andere hätte Angst,dass sie ihm den Teppich unter den Füßen wegziehen.“ „Ich sage Ihnen doch: der Mann ist komplett realitätsresistent. Sie werden den niemals beeindrucken können. Seine Ideologie ist zurechtgezimmert, Fakten bringen ihn nur aus dem Konzept.“ „Wahlumfragen?“ „Makulatur, er glaubt, jederzeit wieder 18 Prozent zu holen.“ „Und die Wahlergebnisse?“ „Sind sozialistische Propaganda aus dem Paralleluniversum. In NRW hat er ja auch nicht die sozialliberale Koalition versägt, Pinkwart wurde bloß daran gehindert, den Stimmenzuwachs für die FDP auch in die Regierung einzubringen.“ „Sie sind ja vollkommen durchgeknallt! Das nimmt Ihnen doch keiner ab, wenn Sie es der Parteibasis erzählen. Die Leute tragen ihren Vorsitzenden doch schon lange nicht mehr mit.“ „Müssen die das? Er braucht den Teppich nicht, solange er sich einbildet, er könne übers Wasser gehen.“
„Man hat inzwischen das Gefühl, dieser innere Zirkel, der um Westerwelle agiert, sei wichtiger als die ganze FDP.“ „Das ist richtig. Und es wird auch deutlich, wenn Sie sich die Verhältnisse ansehen.“ „Weil da oben nur Idioten hocken?“ „Das mag ja durchaus sein, aber…“ „Natürlich ist das so! Schauen Sie sich doch diese Mischpoke an – das da vertritt die bürgerlichen Interessen? Eine Herde von Dünnbrettbohrern, bar von Moral, prinzipienfrei, lauter Opportunisten, das Mäntelchen flattert frei im jeweils aktuellen Wind. Und der Nachwuchs steht bei Fuß, Jungspunde, die nichts geleistet haben und ihre Väter mit altklugem Gequase nerven.“ „Das ist nicht verkehrt. Aber ich meine etwas anderes. Sie merken es nicht.“ „Natürlich merken die es nicht. Die merken doch sowieso nichts mehr! Eine geschlossene Abteilung ist ein Kindergarten gegen diesen Deppenverein!“ „Ich meinte etwas anderes: sie sehen den fliegenden Teppich nur von oben.“ „Und das macht einen Unterschied?“ „Schauen Sie sich einen Teppich von unten an, dann werden Sie den schon bemerken. Von unten sehen Sie, ob es mit Sachverstand geknüpft wurde oder nur schnell hingehauene Ware ist.“ „Und die merken es nicht?“ „Es sind, so ist es, Opportunisten. Sie hocken an den Fleischtöpfen und werden einen Teufel tun, um etwas daran zu ändern.“ „Aber sehen Sie sich die Basis an – die sehen doch, wie inkompetent die Spitze ist. Sie nennen Westerwelle einen liberalen Grüßaugust.“ „Ist er denn mehr?“
„Jetzt frage ich Sie: wenn Westerwelle schon gar nichts anderes kann als Außenpolitik, warum beschränkt er sich nicht darauf?“ „Weil er das am wenigsten kann. Dieser Mann ist die größte Niete, die je für Deutschland durch die Welt gestolpert ist.“ „Weil er in Indien als Kritiker des deutschen Sozialstaats auftrumpfen musste?“ „Weil er allen Ernstes seinen Gastgebern erklärt hat, er, Guido Westerwelle, würde, sollte er in Indien arbeiten müssen, sofort anfangen, Englisch zu lernen.“ „Das ist verräterisch – wenn er angibt, es noch lernen zu müssen, ist er mit seinen Aufgaben überfordert.“ „Das ist es nicht einmal. Englisch – die Sprache der verhassten Besatzer. Das ist, als wollten Sie nach Dresden fahren, und verkündeten, Sie lernten schon einmal Russisch.“ „Das ist – wie kriegt man das raus? Ohrfeigen?“ „Sinnlos. Der hat Prallschutz.“
„Aber er sagt doch: ‚Raus aus der Defensive, rein in die Offensive!‘ Was heißt das?“ „Nichts. Es ist die Verbindung von Arroganz und Ignoranz, die ihn prägt.“ „Weil sogar sein Generalsekretär die Phase der kritischen Selbstbetrachtung für beendet erklärt?“ „Die da oben machen es wie ihr Chef. Sie glauben mittlerweile selbst, was sie sagen.“ „Und die Parteibasis?“ „Lassen Sie es mich so sagen: Westerwelle sollte Angst haben.“ „Vor der Basis?“ „Er hat sich mit der FDP einen Feind gezüchtet, der weder Skrupel noch Mitleid kennt. Er hat diese Leute verraten.“ „Indem er den Liberalismus vor ihren Augen zerstört hat?“ „Das nur am Rande; die meisten von denen waren auch nur Ehrgeizlinge, die für ein bisschen Geld so gut wie alles über Bord geschmissen hätten, was an Haltung noch blieb. Sie haben nicht geglaubt, dass Westerwelle das getan hätte.“ „Was getan hätte?“ „Was er jetzt tut. Den Abfall von jeglicher Gesittung. Die enthemmte und entfesselte Gier.“ „Jeder hat es doch vorher schon gewusst: er ist korrupt bis auf die Knochen. Er will nur nach oben, um nach unten treten zu können. Er ist eine Zumutung – er nimmt nichts zur Kenntnis, er trötet herum und lobt die Erfolge der Koalition. Er ist stolz auf das, was er in den letzten zwölf Monaten erreicht hat – ich frage Sie, worauf soll man da stolz sein? Dass die FDP noch nicht von der Bildfläche verschwunden ist?“ „Sehen Sie, das ist es. Er hat alles vorher angekündigt, Lobbyismus und Sozialabbau, die Umverteilung nach oben, jeder wusste das. Er hat nur den Fehler gemacht, dabei nicht umzufallen.“ „Aber sie haben doch fast nichts erreicht?“ „Natürlich haben sie das erreicht, sie haben es doch an die Wand gemalt. Die Leute hätten fast gemeint, es sei nur ein Bild und nicht der Teufel.“ „Sie meinen, Westerwelle wird von ihnen gehasst, weil er nicht programmgemäß wieder einmal umgekippt ist?“ „Jetzt begreifen Sie es. Er hätte einknicken müssen, zusammenschnurren wie ein Gummitigerentchen ohne Luft. Dann hätte man ein bisschen auf die Opposition geschimpft und die großen, epochalen Steuersenkungen…“ „Einfach, niedrig und gerecht, was?“ „… die hätte man dann in der nächsten Legislatur gemacht. Oder in der übernächsten. Oder danach. Aber so? Er hat alles das so gemacht, wie er es angekündigt hatte. Nur noch skrupelloser. Um zu zeigen, dass er der große Führer ist.“ „Wobei sich dann herausstellte, dass er es nicht kann.“ „Richtig. Sie haben gesehen, wie Westerwelle die Freiheitsstatue gegeben hat. Eine hohle Pappfigur, aus der ein bisschen Schlagermüll tönt, bevor das Ding im Nieselregen versuppt. Sie haben geprotzt und geprahlt, aber nicht geliefert. Und jetzt stellt sich dieser Vizebold hin, schluckt vor ihren Augen den Schlüssel, mit dem er sich im Elfenbeinturm verrammelt hat, und schwafelt von den Erfolgen der Partei.“
„Sie meinen also, Westerwelle ist in Gefahr?“ „Durchaus. Wenn er nicht freiwillig abtritt und im März ins nächste Loch fällt, dann sollten Sie auf die erbosten Sparkassendirektoren achten, die keine Freunde mehr haben, weil sie nicht rechtzeitig aus der Partei abgehauen sind. Manche von denen sind exzellente Schützen.“ „Und was macht die FDP, wenn sich die Sache nur mit einem Königsmord erledigen lässt?“ „Was sie immer tut, wenn es unappetitlich wird. Sie kehrt die Reste unter den Teppich.“
Satzspiegel