Blind Date

3 11 2010

Am liebsten hätte Sander mich umarmt, ich weiß es ganz genau. Wie gut, dass ich auf der einen Seite der Telefonleitung war – und er auf der anderen. „Sie helfen mir damit wirklich aus der Patsche“, sprudelte er hervor. „Sie müssen sich auch keine Gedanken machen. Es ist alles bezahlt, Sie treffen sich mit der Dame vor dem Lokal und werden einen ganz entzückenden Abend verbringen.“ Ich wollte noch schnell anfügen, dass ich für Gesellschaftstanz und ähnliche Belustigungen nicht zur Verfügung stünde, doch das war Sander schon egal. „Das war gar nicht gefragt bei der Kundin. Sie müssen nur eine gute Figur machen. Leider liegt mein bester Mann gerade mit fiebriger Erkältung darnieder.“

Gaston, der mit richtigem Namen Herbert hieß und die Reservierung des Chez Doudou unter sich hatte, glitt mit dem Zeigefinger die Seite hinab. „Tisch 20“, verkündete er. „Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen? Guten Abend, Madame!“ Wie vom Donner gerührt sah Anne mich an. „Was machst Du hier“, stammelte sie, „ich hatte mit jemand anderem gerechnet!“ „Die Dame dann bitte auch an Tisch 20“, verkündete Gaston, jeden Irrtum ausschließend. „Herr Hülsenbeck, Ihren Mantel bitte!“ „Was heißt das? Hülsenbeck?“ Anne lief krebsrot an. „Du erwartest einen Miet-Galan, der für Dich Deinen miesen Staatsanwalt spielt? Warum macht er das nicht selbst?“ „Max musste dringend dienstlich verreisen, und ich wusste nicht, wen ich zu der Einladung mit Doktor Knippels mitnehmen sollte.“ „Doktor Knippels!“ Ich pfiff anerkennend durch die Zähne. „Geschäftsmann, Kunsthändler, da ist Geld im Spiel?“ „Ich muss die Fusion mit der Nordsächsischen Zementunion vorbereiten und Treitzke hat ihm am Telefon gesagt, ich sei mit Max – also jedenfalls, dass er Staatsanwalt – und jetzt weiß ich nicht…“ Resigniert winkte ich ab. Anne zu einer halbwegs logischen Erklärung zu bringen hätte es nicht besser gemacht; höchstens wäre der Abend dabei schneller vergangen.

Doktor Knippels verbeugte sich und nahm Platz. „Ich schlage einen Chablis vor“, entschied der Bauunternehmer und blätterte unschlüssig in der Karte. Ein diabolischer Gedanke durchzuckte mein Hirn. „Weiter hinten“, half ich ein. „Die Rotweine stehen hinten.“ Knippels blickte perplex hoch. Gut. „Sagen Sie“, begann ich harmlos, „Man erzählt mir, Ihre Firma sei in Zahlungsschwierigkeiten?“ Fast hätte er sich an seinem Wasser verschluckt. „Wer hat Ihnen das…“ „Ich weiß nichts“, beeilte sich Anne und kramte hektisch nach einer Puderdose in ihrer Handtasche. „Machen Sie das wenigstens nicht so laut“, zischte Knippels. „Der ganze Laden schaut schon herüber!“ „Bitte“, erwiderte ich beleidigt. „Man wird doch wohl noch mal fragen dürfen? Anne erzählt einem ja nichts.“

Während der Kellner die Bestellung aufnahm, säuberte ich mir seelenruhig mit der Dessertgabel die Fingernägel. Man sollte im höheren Justizdienst nie den Eindruck aufkommen lassen, dass die Körper- vor der Rechtspflege zurückstehen müsste. Anne war verzweifelt. „Max“, krächzte sie, „Du willst doch vor der Suppe bestimmt noch kurz rauchen, oder?“ „Haben Sie mal eine?“ Knippels lächelte gequält und schüttelte den Kopf. „So was!“ Ich war gekränkt. „Schatz, Du solltest Dir Deine Kunden besser aussuchen. Ich kann so nicht…“ Anne trat bereits das zweite Mal zu, und wieder traf sie den Wirtschaftskapitän am Schienbein. Er biss die Zähne zusammen.

„Wussten Sie eigentlich“, erzählte ich kauend, „wie diese Lachse in großen Unterwasser-Bassins mit Antibiotika und Karotin aufgezogen werden? Die ganze Scheiße geht dann direkt vor den Färöern ins Meer.“ Knippels schwitzte; offensichtlich lag es nicht an der Kerbelschaumsauce. Ich schmatzte, während ich mit chirurgischer Präzision Pilzpartikel aus dem Gemüseragout pickte und in den Ascher hievte. „Diese Antibiotika sind natürlich auch im Grundwasser nachzuweisen. Genau genommen sind Sie durch Ihre Fischesserei dafür verantwortlich, dass die kleinen Färingerkinder resistent gegen alle möglichen Medikamente sind und unter Allergien leiden. Guten Appetit, Knippels! Wohl bekomm’s!“ Seinem Gesichtsausdruck zufolge hatte Anne unterhalb der Tischplatte immer noch keine genaue Orientierung. Ich würde aufpassen müssen, dass das Besteck oberhalb der Taille bliebe. Wenigstens die Messer. Anne probierte eine letzte Rettung. „Sie spielen Golf?“ „Ein kleines bisschen“, antwortete der Bauboss bescheiden. „Am Wochenende treffe ich mich mit Freunden und spiele eine Runde, mehr nicht.“ Ungefragt mischte ich mich ein. „Also kein Turnierspieler. Hätte ich mir ja denken können.“ Anne tastete schon nach der Tischkante; offenbar brauchte sie guten Halt für den nächsten Tritt. „Sie… das… ich…“ Anne hielt sich mühsam fest. Knippels keuchte. „Entschuldigen Sie mich eine Sekunde“, presste er hervor. Humpelnd entfernte er sich. „Ich glaube“, sagte ich versonnen zu Anne, „ich glaube, ich schnappe mal frische Luft.“

Knippels tobte. „Absolut nicht zu gebrauchen“, schrie er ins Telefon. „So ein elender Schnösel! Ein arrogantes Arschloch! Sagen Sie Husenkirchen, er soll diesem Mann die Karriere versauen – wozu spielt der Oberstaatsanwalt im selben Golfclub!“ Ich grinste und gab Gaston ein kleines Geldstück. „Wenn jemand nach mir fragt, ich bin schon mal weg. Doktor Knippels wird sicher ein neues Taxi finden.“ „Aber Sie…“ Gaston rannte hinter mir her. Bevor er mich erreicht hatte, wandte ich mich um. „Hülsenbeck“, sagte ich. „Für Sie: Max.“


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