„Also entschuldigen Sie mal, Sie können mich doch hier nicht wie einen Verbrecher – ich verbitte mir das! Sie nehmen hier meine Fingerabdrücke und…“ „Das ist alles Routine, wissen Sie, das machen wir grundsätzlich. Auch die Fotos. Wenn Sie übrigens Abzüge haben wollen, die sind preiswert. Können Sie dann unten an der Kasse nachbestellen. Bis einschließlich 2013. So lange bewahren wir die für Sie auf. Dann ist die nächste Staatsbürgerprüfung, und dann machen wir selbstverständlich auch neue Fotos von Ihnen, nicht wahr?“
„Hören Sie mal, was soll das denn werden hier? Sie lassen mich von zwei Polizisten abholen!“ „Wir mussten sicherstellen, dass Sie der Aufforderung zum Erscheinen auf der Prüfdienststelle auch Folge leisten.“ „Sie hätten mich doch ganz einfach nach meinem Ausweis fragen können. Ich hätte Ihnen auch gerne meine Geburtsurkunde geben können. Oder das Stammbuch. Oder die Familienpapiere, wissen Sie, wir sind doch seit fast sechshundert Jahren…“ „Das interessiert doch keinen, Mann – das ist völlig egal! Staatsbürgerschaft wird heute ganz anders gehandhabt. Wenn Sie sich zur deutschen Leitkultur bekennen, dann sind Sie ein richtiger Deutscher.“ „Sie hören mir ja gar nicht zu – hier, schauen Sie sich doch meinen Pass an! Ich bin Deutscher, da sehen Sie’s doch!“ „Wie gesagt, das interessiert heute nicht mehr. Da kann viel drinstehen, Geburtsort Alma-Ata oder wohnhaft in Gabun, das ist alles nicht mehr wichtig.“ „Das mag sein, ich bin ja auch für die Integration, aber…“ „Sehen Sie? Wir nämlich nicht.“
„Es ist eine Frechheit! Ich bin 58 Jahre alt, ich bin hier geboren und aufgewachsen, ich bin der stellvertretende Bauamtsleiter! Das ist doch alles nicht mehr normal!“ „Jetzt regen Sie sich mal ab.“ „Ich will mich aber nicht abregen!“ „Das ist mir klar, es wird nur nichts an der Gesamtsituation ändern. Kommen wir mal zur ersten Frage: ‚In Deutschland dürfen Menschen offen etwas gegen die Regierung sagen, weil hier Religionsfreiheit gilt – weil die Menschen Steuern zahlen – weil die Menschen das Wahlrecht haben – weil hier Meinungsfreiheit gilt.‘“ „Antwort vier.“ „Das halten Sie für komisch, was?“ „Komisch? Was soll daran komisch sein? Religionsfreiheit haben wir nicht, solange dieser versoffene Schnappatmer aus Bayern seine Deportationsfantasien auf dem CSU-Parteitag ausspucken darf. Wer in diesem Land überhaupt noch Steuern zahlt, wird sich hüten, etwas gegen die Regierung zu sagen. Das Wahlrecht ist noch keine Entschuldigung, die Regierung hat sich noch nie darum gekümmert, ob ihre Wähler etwas gegen sie hat. Und die Meinungsfreiheit, na gut, die kann man wohl gelten lassen.“ „Leider keinen Punkt. Sie sollten wissen, dass die freie Meinungsäußerung nur noch gilt, wenn Sie wirre Vorstellungen von Populationsgenetik haben und der Nachtfrost öfter mal Gebrauchsspuren in der Rübe hinterlassen hat. Wenn Sie eine Regierung kritisieren wollen, suchen Sie sich eine. Diese hier steht nicht zu Ihrer Verfügung, kapiert!?“ „Ich werde Ihnen… ich… das ist doch die Höhe!“
„Dann kommen wir mal zum landeskundlichen Teil. Können Sie mir die Nebenflüsse der Donau nennen?“ „Die was?“ „Ja, ich bitte Sie – sind Sie denn nicht wohnhaft in Ingolstadt?“ „Aber was hat das denn damit zu tun?“ „Dann müssen Sie sich auch landeskundlich in der Region auskennen. Also, welche Nebenflüsse hat denn die Donau? Na?“ „Ich verbitte mir entschieden diesen Ton!“ „Iller…“ „Was?“ „Iller… Lech…“ „Was wollen Sie von mir?“ „Isar? Na? Und?“ „Was wollen Sie denn überhaupt von mir?“ „Tut mir Leid, mehr darf ich Ihnen nun wirklich nicht helfen. ‚Iller, Lech, Isar, Inn fließen rechts zur Donau hin, Altmühl, Naab und Regen kommen ihr entgegen‘ – das wäre die korrekte Antwort gewesen. Das war also auch nichts. Null Punkte. Schade.“
„Was muss ich mich hier überhaupt von Ihnen examinieren lassen? Ist Ihnen eigentlich klar, dass ich deutscher Staatsbürger bin? Kein Asylant? Kein Gastarbeiter, Moslem, Jude oder sonst was?“ „Ich bitte Sie – Sie sind Kunde! Hat man Ihnen nicht dieses hübsche Faltblatt ausgehändigt?“ „Diesen Wisch? Dass ich mich hier als Kunde vorzustellen habe? Allerdings!“ „Dann stellen Sie sich gefälligst vor, dass Sie Kunde sind. Bei den Arbeitslosen geht es doch auch.“ „Die werden von Ihnen aber auch nicht gerade anständig behandelt.“ „Das wollen wir auch gar nicht erst einreißen lassen – Hauptsache, wir können sie als Kunden bezeichnen, dann haben wir unsere Pflicht getan. Sie sind bei uns Kunde. Staatsbürger Kunde.“ „Und Sie lassen mich hier Staatsbürgerkunde lernen, was?“ „Keinesfalls, wir machen Sie nur mit dem neuen Staatsbürgerrecht vertraut. Wenn Sie sich nicht integrieren, fliegen Sie raus.“ „Aber ich bin Deutscher, verdammt noch mal!“ „Zu diesem Land gehören Christentum, Judentum und Islam. Von Ingolstadt hatten Herr Bundespräsident in seiner Rede gar nichts gesagt.“ „Ich kann mich doch wohl schlecht hier um meine eigene Staatsbürgerschaft bewerben!“ „So, können Sie nicht? Wollen Sie nicht? Was bilden Sie sich eigentlich ein? Überall in dieser schwer arbeitenden Nation bewerben sich regelmäßig Fachkräfte auf ihre eigenen Arbeitsplätze, statt sich mit lähmenden Fesseln wie dem Kündigungsschutz abzufinden. Da werden Sie doch mal aktiv sein können, wenn das Boot langsam voll wird, was?“ „Aber ich bin Deutscher, verflucht noch mal! Ich habe einen…“ „Ja, jetzt lassen Sie mich mit Ihrem Pass in Ruhe, Sie sind eben auf Grund der Antidiskriminierung nicht mehr Wert als ein Kümmeltürke. Tut mir Leid, ist aber so. Ich kann’s nicht ändern.“ „Das ist doch eine bodenlose Frechheit! Ich lasse mich doch von diesem… das ist ja… Ich lasse mich doch von Ihnen nicht ausbürgern! – Was sind denn das da für Fragen? ‚Welches Recht gehört zu den Grundrechten, die nach der deutschen Verfassung garantiert werden?‘ ‚Welches Amt gehört in Deutschland zur Gemeindeverwaltung?‘ ‚Was bedeutet soziale Marktwirtschaft?‘ Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?“ „Was haben Sie daran auszusetzen? Sind die Fragen zu kompliziert?“ „Wenn Sie sich auf die Art ein paar Einwanderer heranzüchten wollen, die auswendig lernen können – gut, aber fragen Sie die Leute auf der Straße, die werden die Antworten nicht wissen.“ „Das mag sein.“ „Wollen Sie etwa Super-Ausländer, die Ihnen die Antworten herbeten, und depperte Deutsche, die durch die Prüfung fallen?“ „Nein, wir sorgen nur für Chancengleichheit. Bewerben Sie sich für einen Platz in Deutschland – ob stammverwandt, ob Asylant, Sie haben alle drei Jahre die Gelegenheit, Ihre Befähigung zum deutschen Staatsbürger testen zu lassen. Wir wollen nur die besten Kräfte in diesem Land, deshalb können wir auch leider keine Rücksicht mehr auf die Bewerber nehmen.“ „Ich will auf der Stelle Ihren Vorgesetzten sprechen! Holen Sie mir auf der Stelle den Dienststellenleiter! Ich werde mich beschweren! Ich werde Sie verklagen! Ich werde…“ „Na also – es geht doch! Volle Punktzahl! Das ist ja schon ein mustergültiges Verständnis der Landessitten, wie man es nicht schöner als Leitkultur bezeichnen könnte. Herzlich willkommen in der Bundesrepublik!“
Satzspiegel