
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Das Magenbluten hat einen Namen. Es hat eine Frisur, oder wenigstens das, was die Motorik davon übrig ließ, und diverse kognitive Einschränkungen, die dem Genuss diverser Alkaloide geschuldet sind. Das in eine psychedelisch bunte Ganzkörperwindel gepfropfte Männchen torkelt ans Mikrofon: „Seid Ihr gut drauf?“ Aus tausend Kehlen gurgelt es retour, vom Resonanzraum unter der Kalotte deftig verstärkt. Ja, die Beknackten sind gut drauf. So was von gut aber auch. Sie denken positiv.
Keine andere Geistesschwäche hat die westliche Welt so überrollt wie die Diktatur der Optimisten. Das Motivationsmassaker planiert die letzten Reste einer kantischen Vernunft und zieht darauf die alte Rumpelstilzchen-Nummer ab: Ach wie gut, dass niemand weiß, Ihr seid doof und ich bescheiß. Gedopte Hasenhirne, freischaffende Brezelbieger und Hampelmännchen in der Gelbphase lauschen gebannt dem Gesabber des Gurus, meist Dropout in Psychologie und nach wenigen Semestern als Tröte des Jahrgangs durch die Raumöffnung XL ins Freie gegangen worden. Der Schnacksack palavert den Bescheuerten eins vom Pferd vor; er verspricht ihnen, dass sie alles schaffen, alles können, alles werden, solange sie nur fest genug überzeugt sind von ihrem eigenen Erfolg. Jeder, drischt ihnen der Psychozwerg in den gebeutelten Cortex, kann reich, schön, sexy und intelligent werden, er muss es nur wirklich wollen. Und daran glauben. Immer.
Bereits hier hängt der erste Evolutionsmüll das Hirn aus; wenn jeder ein Sieger werden kann, muss es zwangsläufig immer auch solche geben, die die Ziele nicht erreichen. Ansonsten wäre dies Land von Dutzenden von Kanzlern überschwemmt (was angesichts der saisonal auftretenden Fülle von Fußballbundestrainern auch nicht mehr ins Gewicht fiele) und von massenweise Dieter-Bohlen-Kopien (was beim Original bereits Brechreiz auslöst). In dem Rattenrennen, als das uns die Powerpriester die Wirklichkeit verscherbeln wollen, zählt nur der Sieg, Platz ist schon unnötig. Wer als zweiter über die Linie kommt, ist bereits ein elender Versager und soll sich mit seinem gescheiterten Rest-Ego in die NLP-Bude auf der anderen Straßenseite schleppen. Außerdem ist er selbst schuld, weil er sich nicht an den Rat des Unfehlbaren gehalten hat, der nur einen Nachteil hatte: er war nicht objektiv nachprüfbar. Bis auf religiöse Körperschaften hat noch keiner Glauben als Vertragsbestandteil oder Scheitern als Wahrnehmungsdefizit kategorisiert. Aber die Denkstruktur verspricht gnadenlosen Erfolg, ist doch das Schuld-Bewusstsein nun nach oben aufgerückt und gibt dem Bescheuerten zu verstehen: entweder, Du schaffst es, dann war der Motivator ein toller Hecht – oder Du schaffst es nicht. Und dann bist Du im Arsch.
Der Behämmerte in seinem Drang, einmal im Leben das Richtige zu machen, glaubt auch fleißig an den Psychoschmadder; wenigstens holt er sich eine supertolle Somatisierung, freut sich mit dem Hausarzt über die erektile Dysfunktion oder den Krebs. Hauptsache, der Gelfrisurenständer mit dem lässigen Anzug muss das nicht mehr mitkriegen, wie seine Schüler versagen.
Natürlich ist das positive Denken ein Auswuchs des amerikanischen Machbarkeitswahns, der sich noch nie mit Belanglosigkeiten wie der Realität abgegeben hat. Eine Mode macht Menschen zu Robotern auf dem Weg zu sich selbst – wo gerade niemand zu Hause ist. Natürlich geht es um Macht, aber nur um die Macht der Plapperbratzen in einer neoliberalen Leistungsdruckgesellschaft, die immer mehr und immer früher absurde Vorstellungen von der Notwendigkeit des Zwanghaften entwickeln. Schon im Vorschulalter müssen alle gewinnen, weshalb ein Kindergeburtstag heute nur noch mit therapeutischer Supervision abgeht, um nicht mehr als nötig die Metamorphose normaler Säugling zu egozentrischen Psychobälgern zu fördern, weil ein zweiter Platz im Topfschlagen die Pickelfresse sonst zum Plärren brächte und das Blag hinterher nicht teilen könnte, zum Empathiekrüppel würde und FDP-Vorsitzender. Oder Postkartenmaler.
Um nicht zuzugeben, dass sie einen Schatten haben, suchen sie auf Biegen und Brechen nach den sinnlosesten Möglichkeiten, die Nummer eins zu sein; während der Normalbürger den Eiffelturm aus Kartoffelbrei nachbaut, erfindet der handelsübliche Hirnprinz im Ich-Wahn Trend- und Risikosport, um wenigstens der Erste zu sein, dessen ungebremster Aufprall in Tutu und Pappnase sofort nach dem Ableben in die Annalen des Gleitschirmfliegens Eingang findet. Und was die Restbindung an die Realität angeht: natürlich lügen wir uns selbst die Hucke voll, um uns als Sieger im gnadenlosen Existenzkampf zu fühlen, und natürlich lügen wir auch diese ganzen anderen Trottel schamlos an, wir, die wir uns das Rauchen abgewöhnen, jede Diät durchziehen, nie im Stau stehen und noch nie eine Steuernachzahlung hatten.
Eines Tages werden wir uns am System rächen, das Positivgelalle wird zum Schibboleth. „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“, scheppert es noch Sekunden vor der Detonation aus der Karre. Dann ist Ruhe im Karton, positive Ruhe. Tschakka!
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