Völlig hinterm Mond

24 11 2010

Ächzend klapperte ich die Stufen bis ins dritte Stockwerk hoch. Die Glasflaschen klirrten in dem hölzernen Gestell. „Danke schön“, jubelte Sigune, „ich war schon so in Sorge, Pepilein würde verdursten.“ Mein Gesicht tanzte ein Fragezeichen. „Aha“, versucht ich aufs Geratewohl, „ich hatte zwar von einem Kleinhund nichts mitbekommen, aber wenn das Tier nun mal so anspruchsvoll ist…“ Sie runzelte die Stirn. „Pepi ist doch kein Hund!“ „Hamster? Meerschwein?“ Sie griff um die Ecke und hielt mir einen halb vertrockneten Blumentopf unter die Nase. „Pepi ist mein Alpenveilchen.“ Ich nickte; möglicherweise kam diese Müdigkeit auch nur vom Wetter. „Hätte ich mir denken können, der bajuwarische Name legt eine alpine Existenzform nahe.“ Doch das brachte Sigune erst recht auf die Palme. „Pepi war ein König, ein echter Pharao! Der hat 40 Jahre lang regiert – so einen Freund gieße ich doch nicht mit Leitungswasser! Pepi bekommt ausschließlich das gute Lebenswasser in Vollmond-Abfüllung, dass Sie’s nur wissen!“

„Vollmond-Abfüllung!“ Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Diese Frau hat doch nicht alle Rillen auf der Erbse!“ Anne lächelte. „Das finde ich in der Tat auch ziemlich übertrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Blumentopf den Unterschied überhaupt bemerkt.“ Schon wollte ich sie fragen, welchen Unterschied sie denn sähe, da schnitt sie mir zu meinem Entsetzen das Wort ab. „Als Nahrungsergänzung kann man es empfehlen, aber bei Topfpflanzen ist Mondphasen-Wasser die reinste Verschwendung.“ „Sag mir bitte, dass Du das nicht ernst meinst.“ Doch Anne ließ sich nicht beirren. „Es gibt eben mehr zwischen Himmel und Erde, als Dein Schulwissen für möglich hält.“

Günstigerweise hatte Anne den Prospekt aus dem Ökosupermarkt mitgenommen – ein exquisiter Laden, der nur biologisch-dynamisch produzierte Salami in naturbelassenem Plastik verkauft – und zeigte mir gleich an Ort und Stelle die Auswüchse ihrer lunaren Anwandlungen. „Das ist Mondbrot mit Dinkel, und hier ist Mondkäse.“ Ich nahm ihr das Blättchen aus der Hand. „Dass der Mond aus grünem Käse besteht, war mir auch schon bekannt. Und da Du als Juristin ja sowieso vornehmlich das glaubst, was Du nicht beweisen kannst…“ Sie legte die Stirn in Falten. „Kann es sein, dass Du Dich über mich lustig machst?“ Da fegte sie auch schon die Kaffeetasse vom Tisch. Im letzten Augenblick bekam ich sie zu fassen.

„Du solltest das Hemd schnell einweichen, sonst bleiben die Flecken drin.“ Ich steckte es in die Maschine; Anne protestierte energisch. „Es mag ja sein, dass es ökologisch bedenklich ist“, gab ich zu, „aber ich habe jetzt keine Zeit für Handwäsche. „Aber Du musst!“ Sie durchwühlte ihre Handtasche und zog ein Büchlein hervor. „Der Mondkalender sagt, dass heute ein zunehmendes Drittel ist, und das auch noch bei Deinem Aszendenten.“ „Meinem Aszendenten geht es großartig“, grantelte ich, „er lässt mich größtenteils in Ruhe. Und ich weigere mich, an irgendwelche Mondphasen zu glauben, schon gar nicht, wenn sie nicht stimmen. Der Mond hat letzte Nacht voll ins Schlafzimmer geschienen, der nimmt nicht zu.“ Anne mopste sich. „Ach, auf einmal – ich dachte, es interessiert Dich nicht?“

„Die Monatstabelle sagt, Du kannst Dir morgen wieder die Haare schneiden lassen.“ Eifrig blätterte sie in dem Kalendarium, so unterbrach ich sie nicht damit, dass mein letzter Friseurbesuch gerade zwei Tage hinter mir lag. „Du könntest beispielsweise jetzt auch Holz fällen, das dann viel energiereicher ist.“ „Du meinst“, grübelte ich, „es hat tatsächlich einen höheren Brennwert? Schade, dass ich gar keinen Kamin habe.“ „Falls Du baust, Du Trottel!“ Ich klatschte in die Hände. „Großartige Idee, dass ich nicht gleich daran gedacht habe! Der Stutzflügel kommt auf den Balkon, und dann baue ich mir im Wohnzimmer eine Blockhütte – steht da, ob man sie nach den Mondphasen ausrichtet? Und fängt die mit den Gezeiten auch an zu schwanken?“ Sie biss die Zähne zusammen; vermutlich hatte sie nicht mit so viel Interesse von meiner Seite gerechnet. Ob ich sie in punkto Zu- und Abnehmen auch auf den Erdtrabanten ansprechen sollte?

Während ich mir ein neues Hemd zuknöpfte, durchwühlte Anne weiter ihr Jahrbüchlein. „Du solltest vielleicht auch mal Deinen Speiseplan nach dem Mond ausrichten.“ „Es reicht, wenn Deine Uhr nach dem Mond geht“, knurrte ich, „und ich habe nicht vor, dahinter zu leben. Verschon mich mit diesem Hokuspokus, sonst werde ich dafür sorgen, dass das Mondwasser gleich unter Gezeiteneinfluss in Deine Richtung schwappt!“ „Du willst es ja nur nicht wahrhaben!“ Ich schlug mit der Faust auf den Tisch.“ „Erzähl mir nichts von Ayurveda-Chakren und Tantra-Tarot, ich muss mir diesen Schrott schon ständig von Sigune anhören!“ Da blubberte es. Anne schaute um die Ecke in die Küche. „Wasser“, schrie sie, „Wasser – die Maschine läuft aus!“

Ich feudelte und wrang. Anne hievte den anderen Eimer in die Spüle und rückte die Brille zurecht. „Das hätte ich ja vorhersagen können“, meinte sie spitzig. „Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“ Sie fingerte nach dem Mondkalender. „Wie Du siehst, ist hier der Schnittpunkt – der zunehmende Mond und die Aszendentenlinie, und da der Gezeitenkraftstrom, der eine negative…“ „Wie dem auch sei“, fiel ich ihr genüsslich ins Wort, „ich werde daran denken, wenn’s so weit ist. Du hast den Kalender vom nächsten Jahr dabei.“

Seitdem hat sie nie wieder ein Wort über den Mond verloren. Nicht einmal in homöopathisch wirksamer Verdünnung.