Seitwärtsgang

29 11 2010

„Wir üben das jetzt noch mal. Ruhig kräftig einschlagen, dann vorsichtig, leicht die Richtung – und schon wieder. Einmal kurz geruckt, Kantstein mitgenommen, und die Karre steht schief. Was habe ich Ihnen gesagt, Gabriel? Was habe ich Ihnen gepredigt? Vorsichtig, nicht aufs Tempo drücken, und vor allem die Nerven behalten! Meine Güte, Sie werden doch wohl noch rückwärts einparken können, oder ist das zu viel verlangt?

Weil man inzwischen das Gefühl bekommt, es gäbe keine SPD mehr. Oder besser, die ganze Opposition habe sich gleich mit in Luft aufgelöst. Ist das denn derart schwierig? Schwindet Ihr Realitätsbewusstsein? Können Sie nicht einmal den Rückspiegel ordentlich einstellen? Gabriel, hören Sie auf mich? Kriegen Sie noch etwas mit? Ja, ich weiß, Sie haben nicht viel Platz, um sich zu entfalten. Die Zeiten sind schwer, die Finanzen sind instabil, das Sozialsystem wird gerade sturmreif geschossen. Alles nicht neu. Aber Sie sind nicht unschuldig daran. Wer hat das alles erfunden?

Vorsichtig, habe ich gesagt – Gabriel, das ist doch Kokolores, in die Lücke kommen Sie rein! Ich meine, Sie sind mit zwanzig Prozent unterwegs, die Zeiten, in denen Sie die dicken Straßenkreuzer unterm Hintern hatten, die sind doch längst vorbei. Was zieren Sie sich hier so? Ja, nun mal Schwung und hinein ins Vergnügen! Langsam zurück und dann… Gabriel, langsam – langsam! Herrgott, ich habe gesagt, Sie sollen langsam anfahren! Es ist doch vollkommen unrealistisch, wenn Sie jetzt die komplette Agenda 2010 als katastrophalen Fehler bezeichnen, und es ist glatter Selbstmord, wenn Sie sie gleichzeitig der Regierung in die Schuhe schieben wollen. Gleichzeitig! Gabriel, der Wähler ist dumm, der Wähler glaubt gerne, aber der Wähler leidet nicht unter Gedächtnisschwund! Es muss Ihnen doch klar sein, dass sich bei der nächsten Auflage von Rot-Grün die Leute am Kopf kratzen und sich fragen, wo sie den Mist schon mal gesehen haben. Dann haben Sie ein Problem.

Oder Grün-Rot, ja. Was wahrscheinlich eher der Fall wäre, und dann haben Sie das Problem erst Recht. Glauben Sie, dass eine liberal-konservative Partei wie die Grünen, kampferprobt im Umfallen, nicht aus schierem Machtwillen mit der CDU eine Bundesregierung auswürfeln könnte? Eben, Sie sollten sich nicht in Sicherheit wiegen. Die SPD ist noch nicht zurück. Sie ist noch nicht einmal auf Platz zwei angekommen, und sie… Vorsicht! Sie können doch nicht einfach so die Kurve schneiden, und dann den Blinker nicht mal setzen – rechtzeitig blinken, Gabriel, die Grünen wissen sonst nicht, wohin Sie abbiegen wollen!

Dann eben noch mal gründlich, ja? Abbremsen, gut so, und die Kurve rein. Lenken, Gabriel! Jetzt lenken Sie doch – Mann, sehen Sie denn nicht, dass Sie nach links müssen? Was soll denn das, rechts vor links? Wenn es in der Kurve nun mal nur nach links geht? Gabriel, was reden Sie denn da für einen neoliberalen Quark? Noch mehr private Vorsorge, längere Lebensarbeitszeit, Abbau des Sozialstaates? Absenkung des Spitzensteuersatzes? Übernachten Sie häufiger mal bei Mövenpicks? Meine Güte, das nennen Sie den Kurs der Mitte? Nicht rechts gucken, nicht links gucken, und dann frontal gegen den einzigen Baum im weiten Umkreis? Toll! Das macht Ihnen so schnell auch keiner nach, Gabriel!

Dann wieder langsam kommen lassen. Gut so, jetzt in den zweiten Gang. Zweiter Gang, Gabriel. Zweiter Gang, Mann – haben Sie keine Ohren im Kopf? Hochschalten! Wie jetzt, das kann keiner mehr in der SPD hören? Es geht immer nur um die Interessen von Rentnern, Hartz-IV-Empfängern und Alleinerziehenden? Mit anderen Worten, Sie lassen die Leute verarmen und interessieren sich dann nicht mehr für sie? Gabriel, Sie machen hier ein Getöse – was beschweren Sie sich, dass das im Getriebe knirscht, höre ich selbst, darüber sollten Sie sich als letztes beschweren! Wann schalten Sie endlich mal? Ist da noch mal was von Ihnen zu erwarten, oder überlassen Sie das jetzt gleich der Linken, damit die nächste Große Koalition SDP und CDU ins Doppelgrab bringt?

So, ruhig jetzt. Fünfzig Kilometer in der Stunde, wir sind hier innerhalb geschlossener Ortschaft. Nicht drängeln, Gabriel. Nicht drängeln. Wieso Grundsatzdiskussion? Es fehlt die Richtung? Sie sehen doch, wohin die Straße führt, was brauchen Sie da eine Grundsatzdebatte? Die Arbeitslosen werden nicht dadurch weniger, dass Sie ihnen tolle neue Namen geben. Und wenn Sie den Sozialstaat kaputt machen, weil dann die Renditen der DAX-Unternehmen ein bisschen – um Gottes Willen! Sind Sie denn des Wahnsinns? Hat man Ihnen ins Hirn gehauen? ‚Fairness auf dem Arbeitsmarkt‘ nennen Sie das, wenn die Arbeitslosenversicherung ab jetzt nicht mehr als Versicherung arbeitet? Wie können Sie denn einfach so auf die Gegenfahrbahn steuern? Jawohl, Geisterfahrer! Gabriel, Sie haben wohl einen Triller unterm Pony? Die Leute zahlen in eine virtuelle Versicherung ein und werden nach drei Jahren spätestens rausgeschmissen, weil Ihnen die armen Multimillionäre so Leid tun? Geht es Ihnen gut, Gabriel? Meinen wir auch dieselbe SPD?

So, das reicht mir jetzt. Rechts ran. Na, das dachte ich mir, dass Sie damit keine Probleme haben. Kupplung treten. Gang raus. Zündschlüssel umdrehen. Motor aus. Handbremse. Gabriel, ich gebe Ihnen einen guten Rat: gehen Sie zu Fuß. Richtig, damit kommt man nicht weit. Aber es schont meine Nerven ungemein!“