Rasiergummi

13 01 2011

„Klingt komisch. Sehr komisch sogar.“ „Was klingt komisch?“ „Dieser digitale Radiergummi, den die Landwirtschaftsministerin jetzt überall anpreist.“ „Sie preist ihn nicht an, sie preist ihn ein. Bei zehn Euro pro Monat.“ „Und das soll sich durchsetzen? Ich kann mir das nicht vorstellen.“ „Wichtig ist doch, dass Sie wissen: die tun etwas. Sie kümmern sich zwar um vollkommen nebensächliche Dinge, aber sie tun etwas. Und darauf kommt’s doch bei dieser Regierung an.“

„Ich kann mir aber nicht helfen, es klingt nicht gerade Vertrauen erweckend, wenn Aigner einen digitalen Radiergummi als Allheilmittel zum Datenschutz anpreist.“ „Soll es auch nicht sein. Zumindest nicht für Sie als Verbraucher. Die Botschaft ist doch, dass Sie erst dann aktiv werden, wenn Ihre kompromittierenden Bilder längst jeder gesehen hat. Sie haben nichts gelernt.“ „Sie meinen, jeder kann kompromittierende Bilder herunterladen und unverschlüsselt speichern?“ „Sie haben nichts gelernt, nicht aus Wikileaks, nicht aus Duisburg, als die katastrophale Planung der Loveparade auf dem Tisch lag und sich einmal freigesetzte Daten verbreiteten – man kann es nicht einfach wie einen Verkehrsstrom absperren, wie ein Datenstrom, es ist ein Insektenschwarm, der sich vermehrt und nicht zu greifen ist. Als wolle man mit einem Bagger einzelne Sandkörner aufheben.“ „Man besorgt sich die Daten, man hebt sie auf, das Verfallsdatum ist erreicht und man hat sie immer noch.“ „Richtig, und das ist ganz legal. Es geht doch nicht darum, den Schutz der Bürger vor Missbrauch zu regeln, das hat die Vorgängerregierung schon mit Verve versaubeutelt. Es geht darum, Datenschutz zu definieren – vordergründig. Transparenz. Die Weiterungen des Netzwerks und seine Grenzen. Denn wir haben uns über verpixelte Häuser und den Datenauskunftsbrief erregt, weil diese Ministerin es so wollte, aber wir haben keine Kritik gehört bei der Vorratsdatenspeicherung, keine Kritik beim E-Post-Brief, beim elektronischen Personalausweis, bei ELENA, keine Kritik bei Versicherungskarte und INDECT und SWIFT.“

„Es ist also die falsche Perspektive?“ „Diese Regierung schwafelt von Leitplanken auf einer Datenautobahn, sie wendet Eigentumsbegriffe der Kaiserzeit auf Digitalgüter an, sie versucht, ein Internet in nationalen Grenzen auf legaler Basis zu schaffen.“ „Dass sie es im Iran und in China gerne kritisiert, ist eine Sache, aber selbst dort klappt es nicht.“ „Weil das Denken dieser Internetausdrucker und Kugelschreiberverwender dem Fortschritt mit panischer Angst begegnet und die Konfrontation mit ihm vermeidet. Sie begegnen den Problemen von übermorgen mit Lösungen von vorgestern. Der Steinzeitmensch, der mit Steinen nach dem Mond schmeißt, weil er nachts nicht einschlafen kann. Eine lächerliche Vorstellung, aber auch eine beängstigende – wir werden von ihnen regiert. Und das ist nicht der Idealzustand.“

„Meinen Sie, dass wir überhaupt eine Chance haben?“ „Auf einen vernünftigen Umgang mit Daten?“ „Auf einen vernünftigen Umgang mit neuen technischen Möglichkeiten, das würde doch erst mal reichen.“ „Es wird an der Realitätsresistenz der politischen Klasse scheitern. Sie halten das Internet für einen Rundfunk, den man um 22:00 Uhr anschaltet, als wäre es ein Fernseher – wir haben längst Aufzeichnungsmöglichkeiten und zeitversetztes Senden, wir haben Video on demand und Live-Streams und Spartenkanäle, aber sie haben nicht begriffen, dass es das alles im Netz gibt und mehr, und doch wollen sie es unbedingt nach deutscher Ortszeit kontrollieren. Sie erfinden eine Art Bildverschlüsselung über den Server eines Rechte-Managements, wohl wissend, dass der die Daten ausspähen kann, die man über ein weiteres unnötiges Sicherheitsleck preisgibt. Sie predigen den gläsernen Bürger und empfehlen ihm, sich in die Obhut eines Staates zu begeben, der gerade dies verteufelt. Wie schizophren kann man sein!“ „Und doch ist dieser Radiergummi…“ „Nennen Sie es nicht einen Radiergummi, das ist eine Täuschung. Eine Illusion von Zensur. Eine Wunschvorstellung, das Internet auszuradieren. Darin herumzufummeln, damit man schnell vergisst, was sie für einen Murks unter sich gelassen haben. Sie wollen alle irgendwie etwas mit diesem ominösen Interdingsda machen, von dem sie nicht viel mehr begriffen haben, als dass es irgendwo da ist. Wenn es dieses Ding gäbe, es wäre längst in Gebrauch. Alle Politiker würden es am Wahlabend sofort einsetzen, damit sich niemand mehr erinnert, was sie einen ganzen Wahlkampf lang an Lügen heruntergeleiert haben.“ „Es ist also kein Radiergummi? Was dann?“ „Ein Rasiergummi. Der Bürger wird geschoren – es geht um Geld, um Lobbyismus und um Korruption. Marketing, nicht mehr. Marketing besteht darin, einen Bedarf künstlich zu erzeugen; etwa damit, dass man den Leuten irrationale Ängste einredet, sie mit der Vorstellung verwirrt, dass jetzt jeder in ihren Vorgarten starren kann – falsch, aber durchaus effektiv. Das Internet wird verteufelt, man trennt es von allem anderen ab und baut es zu einer Horrorvision auf, die man eindämmen, zensieren, abschalten muss, bevor sie die öffentliche Ordnung mit so schlimmen Dingen wie Transparenz oder Demokratie verseucht.“ „Und wie sieht die Lösung aus für das Problem?“ „Simsalabim, sie taucht plötzlich auf – zufällig eine, an der schon seit ein paar Jahren gearbeitet wird, zufällig hat man auch selbst die Firma im Wahlkreis sitzen oder hat, zufällig, Aktien gekauft.“ „Man verbindet das politisch Opportune mit der Freundschaftspflege.“ „Und es werden gerne Freundschaften gepflegt. Schröder, Wulff, Rürup, Riester für Maschmeyers Heißluftfonds, Rösler für die Impfstoffhersteller, Westerwelle für die DVAG, de Maizière für Kartenleser und Nacktscanner. So gold kann’s uns gar nicht gehen, dass wir nicht immer noch einen drohenden Weltuntergang in Reserve haben, dem man mit einem alternativlosen Superprodukt gerade noch entrinnen könnte.“ „Und dafür brauchen wir die Aigner?“ „Eine Landwirtschaftsministerin hat sich nun mal darum zu kümmern, dass den Schweinen der Stallgeruch behagt.“


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