Gernulf Olzheimer kommentiert (LXXXIX): Rentnerfernsehen

21 01 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher, als alles noch so gut war, dass es schon fast von alleine besser wurde, da widmete sich die ältere Generation durchaus spannenden Dingen. Rosen- und Briefmarkenzucht, Akkordeon- und Lottospiel, Tanztee und Anschwärzen falsch parkender Kraftfahrzeugführer erfüllten das üppig bemessene Freizeitkontingent der nicht mehr am Arbeitsleben Teilnehmenden, man betrachtete wohl mit Herz und Wonne alte Fotografien aus der großen Zeit (und den folgenden Jahrzehnten, mit und ohne Trümmer), besuchte Museen und fuhr auf Heizdeckenverkaufstour ins Sauerland, kurz: die Tage zwischen Verrentung und Verrottung verliefen in froher Eile, hurtig und heiter, und nirgends kam dem rüstigen Rezipienten der Mattscheibenkleister in die Quere, mit dem sich heutige Senioren zu quälen haben. Es ist Wahnsinn, weil es Methode hat, dieses Rentnerfernsehen.

Denn wer würde sich widersetzen beim Anblick der öffentlich-rechtlichen Kukidentkanäle, die zur Spontanvergreisung aufrufen. Wer nach zwei Portionen Schnarchprogramm, Frühstücks- und Mittagsschläfchen- und Tanztee- und präseniles Bettfluchtfernsehen, wer nach dem Geblöke noch nicht leblos im Polstersessel hängt, scheint von Stalingrad gehärtet und duldet alles, was einem den reaktionären Realitätsaufguss mit der Brechstange in die Figur schwiemelt. Denn offensichtlich hält die Regie das Festival der Gebührenkrücken für intellektuell untertunnelbar baut im Fußraum der Medienmarmelade kräftig an. Zwei Gehhilfen des schlechten Geschmacks stützen das Gerümpel, Volksmusik und Schlager, kulturelles Surrogat für eine Generation auf Sozialentzug, weichgekaut und saccharinromantisch wie der perpetuierte Kitsch der Nachkriegsdumpfbacken, gegen jede Innovation geimpft. Gummigesinge in ästhetisch verkalkter Qualität quillt aus den Lautsprechern, debil grinsende Föhnwellenträger in unangenehmem Flitterfummel turnen die Zombieversion von 1970 auf dem 16:9-Plasma nach und legen sich ins Zeug, um auch geistig leistungsfähigen Endfünfzigern einen ungefähren Eindruck zu vermitteln, wie sich Demenz im Endstadium anfühlen wird.

Die quotenfixierte Nullinformationsschiene ist nicht die einzige Ausblutungsstelle eines Angebots, das den Guckreiz verloren hat. Süßliche Romantik blubbert aus dem Glottertal, versehentlich von drittklassigen Quizformaten unterbrochen, in denen die üblichen Verächtlichen ihr Grundschulniveau in Frage stellen. Dazu stoßen Operettenfilme als Wiederholungsschleife, exhumierte Duftproben aus einer Zeit, in denen Farbfilme noch modernistischer Schnickschnack waren.

Was man in der Langeweile des Krankenstandes nie über sich ergehen ließe, der übliche Polittalk scheint vor dem Grabkranzgeruch nicht gefeit. Wo lustige Mutanten und die Glatze vom Silbersee nicht hinkommen, da werden Generationskohorten von postapokalyptischen Springreitern im braunen Polyesteranzug hinweggerafft, spätkeynesianische Heißluftplauderer ohne Daseinsberechtigung, die das vermeintlich bereits im Rudelkoma liegende Pensionariat mit neoliberaler Weltsicht beschickt: wer sozialverträglich frühablebt, tut dem Vaterland einen Dienst, und bis dahin darf der Oldie Pappe lutschen und sich die intellektuelle Sterbehilfe aus der Jauchgrube unter die Kalotte kloppen.

Fragt sich, warum ausgerechnet zur schönsten Werbezeit die altersschwache Randgruppe bedient wird, statt sich der konsumorientierten Zuschauer bis 49 anzunehmen – die Prothesenprogramme bauen bereits vor für Rundfunkstaatsverträge, in denen sie das gerontologische Dauerfeuer mit Treppenlift- und Gebissreinigerreklame auffetten können, bis sich Schmonzetten von Schwarzwald und Traumschiff als Einsprengsel zwischen den Rentenversicherer-Spots verscherbeln lassen. Reicht denn die übliche Busfahrt mit koffeinfreier Plörre und Heizdeckenshow nicht mehr aus, um die Vorkriegsjahrgänge aus der Existenz zu graulen? Müssen wir mit Macht anschauen, was uns in wenigen Jahren droht, eine in Rosamunde-Pilcher-Kulisse abgenudelte Generalbelanglosigkeit aus säuerlicher Heimaterde und Trachtensülzwaren mit nationalbekiffter Musi, eingebettet in Kerner-Beckmann-Fliege-Schleim?

Eines Tages, und es wird nicht mehr lange dauern, fegen die Alten dies hippe Hirngestrüpp von der Rampe und rächen sich grausam. Für das Nachmittagsprogramm wird man einen veritablen Schulabschluss brauchen, für die Vorabendserien erweiterte humanistische Bildung, für die Abend- und Spätabendschiene gar Kultur im engeren Sinne. Die pseudopolitischen Wurstverkäufer werden im Massengrab gammeln, nicht besser als ihre billige Ware, der Schunkelzwang wird Geschichte sein und der Bildungsauftrag der Sendeanstalten wieder eine inhaltliche Kategorie. Einem Reich-Ranicki haben die TV-Brezeln standgehalten, unbeugsam wie Margarine, aber die Folgen werden kommen. Und eine Rentnergeneration, die Rosen züchtet, Bücher liest, Akkordeon spielt und die Glotze aus dem Fenster schmeißt, muss auch nicht schlecht sein.


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2 responses

21 01 2011
nagelneuestestament

Leider sind Prostatamittelchen, Blasentees und Haftcremes zu stark, um einfach so vom Bildschirm gewischt zu werden.
Ja, auch mir fiel dies in den wenigen Tagen öffentlichen Fernsehkonsums auf, den ich zwischen den Jahren und vor meiner erneuten Abreise zum anderen Kontinent in Breitbild genießen konnte: eine ständige Gehirnwäsche, die dem Deutschen per se zur besten Sendezeit eintrichtert, wenn er nicht irgendein Wehwehchen habe, seien es nun schmerzende Gelenke, bemooste Drittzähne oder tropfende Blasen, dann sei er nicht ein Mitglied dieses ewig jammernden Volkes, dessen hängende Mundwinkel sich in den Gesichtsentgleisungen der Kanzlerin zur weltweiten Anteilnahme manifestieren. Ohne März-Spezialdragees in der Vor-, aber nicht Drittfrühlingszeit, ohne Stützstrümpfe, ohne ABC-Pflaster anstelle von Anti-Baby-Condomen sei das Restleben nicht mehr lebenswert. Verschwunden sind die alten, pastellfarbigen Werbungen, in dennen noch versucht wurde, der arbeitenden Bevölkerung Reinigungsmittel zu verkaufen. In einer Zeit, in der die Bundeswehr zur Bedeutungslosigkeit reduziert wird, ist kein Platz mehr für einen General.

Und dann das Kontrastprogramm, vor und nach der besten Sendezeit: abgestimmt auf die zukünftigen Rentnergenerationen wird hier für Plastikspielzeug geworben. Batteriebetriebene Kens und Barbies nebst ihren Pferden, Cabrios und Villen spiegeln eine heile Welt vor, die bald in Windeln, Gebissreinigern und Rheumacremes endet. Möglicherweise aber will man hier nicht Kinder, sondern demente Halbtote als Kunden gewinnen, deren geistige Entwicklung im (fast hätte ich geschrieben „ICE-Tempo“, aber bei der heutigen Bahn…) rasenden Tempo sich dem Infantilen wieder annähert solange sie noch unbevormundet ihr Geld ausgeben können. Denn Kinder sind hier nicht die Zukunft, sondern unerwünschte Mietminderungsgründe.
Doktor Peh (vom anderen Account)

21 01 2011
bee

Was nützt es nur, wenn die Zuschauerflucht mit ihrem Fahrtwind inzwischen ganze Werbeetats in den Abgrund pustet? Der Rest, der Kürbiskerne kaut und Rheumasalbe schmiert, wird kaum noch für Rendite sorgen können, denn mit dem stetig sich vergrößernden Winkel der sozialen Schere schwindet die Kaufkraft. Die drohende Massenverarmung der Senioren wird in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr aufzuhalten sein, und mit etwas Pragmatismus wird sich das Rentnerprogramm wegen schwindender Einnahmen auch in der Dauerwiederholung von UFA-Schmonzes einrichten; nicht einmal unangenehm, wenn man bedenkt, dass es eh nur um visuelle Berieselung von Euthanasieobjekten gehen wird.

Die Konsumgesellschaft versucht sich auf der anderen Seite, ihre Opfer heranzuzüchten, denn dazu brauchen wir das Prekariat ja: als Verbraucher. Im Niedrigpreissegment, bei Klingelton-Abos und Fastfood mag das funktionieren, doch es ist selbst für gelernte Kapitalisten ein Zeichen außergewöhnlicher Dummheit, wenn man Kinder und Jugendliche mit schwer erreichbaren Konsumgütern konditioniert und glaubt, dass es als Motivation reicht – in einem System, das soziale Mobilität für Zehntausende nur deshalb verspricht, weil es um vereinzelte Aufstiegschancen geht, was die einfache Schuldzuweisung ermöglicht, wer es nicht bis ganz oben geschafft habe, sei eben selbst schuld und verwirke mit seiner mangelnden Leistungsbereitschaft die gesellschaftliche Teilhabe. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, das als Agenda zusammenzudenken. Eine sedierte Gesellschaft ist das Ziel, und Adorno hätte sie als Faschismus in bunter Verpackung bezeichnet.

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