Die Letzte macht das Licht aus

28 02 2011

„Wie meinen Sie das: tot?“ „Ja, wie meine ich das wohl? Hm? Woran denken Sie denn, wenn Sie das hören? Na?“ „Also ich denke daran, dass dann etwas – nein, das kann doch nicht sein! Das ist doch alles Blödsinn! Das nehme ich Ihnen nicht ab!“ „Und was verstehen Sie jetzt darunter?“ „Tot? Ja, dann ist etwas, wie soll ich sagen? tot? Richtig tot? So ganz richtig? So – tot? Im Sinne von: tot?“ „Lassen Sie es mich so sagen, mein Guter. Sie scheinen das langsam zu kapieren.“ „Aber ich weiß nicht, was das mit Angela Merkel zu tun haben soll. Oder mit der CDU. Oder mit beidem.“

„Sie hat die endgültige Zersetzung der Union zur Chefsache gemacht. Ich meine, mit Abwicklung kennt sie sich ja aus.“ „Sie können doch diese linke Hetzkampagne…“ „Nicht Sie auch noch! Bin ich denn hier von Idioten umgeben?“ „Jetzt ist aber mal langsam gut, Sie müssen nicht übertreiben. Der Herr von Freiherr und zu Minister hat seine Strafverfehlungstätigkeit doch längst zugegeben, dann kann man es doch auf sich beruhen lassen.“ „Das wird der Staatsanwalt ganz sicher ähnlich sehen. Der wird die Frau Bundeskanzlerin anrufen, vielmals um Verzeihung bitten und vorschlagen, dass man die ganze Opposition zu drei Tagen Karzer wegen Gotteslästerung verknackt.“ „Geht das denn überhaupt?“ „Meine Güte, Sie sind echt ein schwieriger Fall…“

„Das reicht doch nicht aus, wenn jetzt alle Doktoranden plötzlich SPD wählen. Außerdem sind die ja auch gar nicht wichtig.“ „Nein, sicher nicht. Die paar Leutchen.“ „Dann ist ja jetzt alles wieder in Ordnung.“ „Sobald die deutschen Universitäten wieder einigermaßen zufrieden sind, weil die Alte den Frisiercremelutscher rausgeschmissen hat. Dann wird hier wieder alles nett und freundlich.“ „Wegen der paar Doktoranden?“ „Wegen ein paar zehntausend Wissenschaftlern. Professoren, Dozenten, Assistenten, Bibliothekare. Studenten nicht zu vergessen. Lehrer, Schüler, Eltern, die haben ab und zu auch etwas mit Bildung zu tun.“ „Aber Deutschland besteht doch nicht nur aus Professoren!“ „Dann überlegen Sie sich mal, was passiert, wenn die Max-Planck- und die Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam beschließen, auf die Regierung zu feuern.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ „Und denken Sie mal nach, was die Pharma-Industrie sich ausdenken könnte, wenn sie begreifen, dass man die Wissenschaft hier nicht mehr ernst nimmt.“ „Oh!“

„Aber das ist ja lange noch nicht alles. Der wertkonservative Flügel, oder wie man zu sagen pflegt: die zehn Prozent, die im Kern der CDU sitzen und die Partei sowohl für christlich als auch für demokratisch halten, und zwar nicht aus Altersdemenz. Und vergessen Sie nicht den öffentlichen Dienst, Richter, Staatsanwälte, die im Gegensatz zur Law-and-Order-Fraktion wissen, wovon sie reden.“ „Das ist doch abstrus!“ „Sie haben keinen blassen Schimmer, was ein sadistisch veranlagter Landrichter mit diesem Kerl anfangen könnte.“ „Aber was kann die Merkel dafür?“ „Sie weiß nicht, was um sie herum passiert, also hält sie die Füße still. Mitgefangen, mitgehangen.“

„Aber jetzt werden Sie mal vernünftig, diese Doktorarbeit ist doch kein Weltuntergang.“ „Hatte ich gesagt, ich sei fertig mit diesem Schnösel? Dazu kämen dann noch die Offiziersdienstgrade der Bundeswehr. Je höher, desto vernichtender ihr Urteil. Und diverse Kollateralschäden bei der Abschaffung der Wehrpflicht, wenn plötzlich jede Menge Kasernen aufgelassen und das zivile Personal gefeuert wird, weil der Herr Baron auch mal eine Schnapsidee alleine durchziehen wollte. Macht sicher enorm populär.“ „Bitte, das hat die Kanzlerin nun wirklich nicht zu verantworten.“ „Sondern wer? Muttchen kommt eben langsam in das Alter, wo die Flinte beim Schuss langsam zittert. Immer vorausgesetzt, dass sie noch weiß, wie man die Knarre hält – kann ja auch ein Schuss ins eigene Knie gewesen sein, und dann war auf einmal ihr Kopf auf der Höhe, weil sie gerade ihrem Freiherrn in den Arsch gekrochen ist.“

„Es tut mir Leid, aber Ihr Urteil kann ich nicht nachvollziehen. Das ist doch der reine Neid auf einen Politiker, der endlich mal etwas verkörpert, was uns als Volk…“ „Tun Sie mir einen Gefallen, halten Sie einfach die Klappe. Der Markenkern hat sie schon kleingekriegt. Wie das wirkt, sehen Sie in Hamburg, wo eine Kaltblut-Version von Scharping auf den Bürgermeisterstuhl geschraubt wurde.“ „Das ist doch noch gar nicht raus, das war doch…“ „Und den Rest der Wähler verprellt sie, weil sie sich bis zum Ende des Wahljahres unter dem Tisch verkriecht. Wie einst im Mai.“

„Es mag ja sein, dass dieser Guttenberg ein paar Wähler verärgert, aber es sind doch nicht alle in Deutschland Professoren oder Richter.“ „Ach wo! das hat sie doch schon umfassend geregelt. Sie hat an alle gedacht. An die Wutbürger, die ihr nach dem Herbst der unsichtbaren Entscheidungen den Stuttgarter Wahnsinn um die Ohren hauen. An Leiharbeiter, die die Gier der Industrie durch ihre Dumpinglöhne füttern dürfen. An alleinerziehende Mütter sowieso. Und berufstätige Frauen werden durch die Quote degradiert – zumindest da, wo die Schröder mit ihrem Geseier noch nicht hinkommt. Ja, diese Regierungschefin denkt an alle. Sie will unbedingt die Letzte sein, die das Licht ausmacht.“ „Das ist doch alles nur eine Neiddebatte! Das sind doch alles Leistungsverweigerer, die…“ „Denken Sie an die Umweltbranche, die durch willkürliche Gesetzgebung auf der Hälfte ihrer Investitionen sitzen bleibt, weil die Klimakanzlöse der Atomschrott-Lobby Geschenke macht? Denken Sie auch an lokale Stromversorger, die Milliarden in den Sand gesetzt haben und den Vertrauensschutz verlieren, weil sie sich nicht mehr gegen die subventionierten Kernkraftbetreiber durchsetzen können? Das nennen Sie Leistungsverweigerung?“

„Aber man sieht es doch, wir werden uns auf eine deutlich stärker nationalkonservative Richtung innerhalb des bürgerlichen Lagers einstellen, und wenn der Herr Baron tatsächlich bliebe…“ „Die Nationalkonservativen? Gottchen, Sie sind mir ja vielleicht putzig! Das werden doch die ersten sein, die so einen Schaumschläger aus dem Weg räumen. Trottel gibt’s in dem Lager genug.“ „Und was wird dann aus der CDU?“ „Fragen Sie lieber, was aus Deutschland wird.“ „Dafür braucht es jedenfalls eine starke konservative Kraft!“ „Und? Merkel entleert die CDU wie ein Besoffener seine Blase an der Hauswand. Diese Partei ist tot. Und es war vorauszusehen. Wir gehen einer langen Phase der Agonie entgegen. Es sei denn…“ „Was?“ „Dieser Präsidentendarsteller schwatzt doch immer davon, der Islam gehöre inzwischen zum Land. Wenn man sich Tunesien und Ägypten ansieht und Libyen, dann denke ich: da muss doch was zu machen sein? In Deutschland?“





Die Räuber

27 02 2011

So stellt man sich das Leben vor,
nur weit und breit Schlaraffenland.
Ihr zieht einander schon empor,
die eine wäscht die andre Hand.
Ihr predigt Demut und Verzicht,
Ihr preist Euch selbst von Wahl zu Wahl.
Dem Herrn, sagt Ihr, geziemt das nicht,
dem Volk hingegen: Volksmoral.
Dass andre hungern, stört Euch kaum,
Ihr hurt und fresst, Ihr lügt und sauft –
man zerrt an des Gerechten Saum,
  verraten
    und verkauft.

Es kommt zusammen Glanz und Pracht,
die Bande raubt und jagt und stiehlt.
Aus Geld wächst Ruhm, aus Ruhm wächst Macht.
Ein Dieb, der dem Gesetz befiehlt,
schafft ab, was Redlichkeit gebot
und sieht sich selber in der Gunst.
Was stört ihn andrer Leute Not?
Das ist ihm Windhauch, leerer Dunst.
Sein Haupt ist hoch, von Selbstsucht satt,
im Vollbesitz der Kräfte schnauft
der Mann, der keinen Feind mehr hat:
  verraten
    und verkauft.

War er schon frech, er maßt sich an,
von Gottes Gnaden Herr zu sein,
doch gnade Gott, was macht er dann?
Er redet sich beim Himmel ein,
er sei Gott gnädig – Gottes Lohn
sei ihm allein aus Lust und Gier,
indes ein Volk erkennt den Hohn:
für Gotteslohn erscheint es hier.
Ohnmächtig steht und ihn verflucht,
der sich im Zorn die Haare rauft,
der Arme, der sein Obdach sucht,
  verraten
    und verkauft.

Doch dauert nicht, was Dieben ist,
es bleibt die Welt sich darin gleich,
dass man den andern schnell vergisst,
dass man ihn niederstreckt im Streich –
wo Räuber unter Räubern sind,
da ist ihr Fall beschlossen schon,
wie sich ein Faden weiter spinnt:
es naht der Tag, Ihr kommt in Fron.
Lasst alle Hoffnung, allen Mut,
auch wenn Ihr um das Leben lauft,
Ihr seid gerichtet, und als gut
  verraten
    und verkauft.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (XXX)

26 02 2011

Es schliff Mário in Amora
den Meißel noch einmal, bevor er
das Ding an der Mauer
ansetzte. Von Dauer
war es nicht. Da nahm er den Bohrer.

Miss Pembroke, die kaufte in Corfe
ein Häuschen. Sie liebte das Dorf.
Jedoch wollt sie geizen
und sparte beim Heizen.
Es roch dann in Corfe sehr nach Torf.

Herr Temkivi radelt nach Abja,
just zwölf schlug’s, da war er erst knapp da.
Die anderen waren
im Zug vorgefahren.
Da kam er – sie lachten sich schlapp ja!

Ein Journalist dachte in Pesaro:
schreib blumig, das machte schon Cäsar so.
Er griff nach Bedarfe
ganz hübsch in die Harfe –
das Schmalz tropft. Und schon war’n die Leser froh.

Lord Snoreswith begab sich nach Worcester
zwecks Absatzverbessrung zum Schuster.
Die seitlich ungleichen
erlaubten nur Schleichen.
Als er endlich da war, war’s duster.

MacGilligan reiste nach Gort
und sucht alles ab dort im Ort.
Als Knabe vergaß er
dort etwas am Wasser –
er fand’s nicht. Und fuhr wieder fort.

Es schreit Onkel Fadil in Fier,
es säß unterm Bett so ein Tier.
Der Zef sprach zum Vater:
„Das ist wohl der Kater,
den Du morgen hast – von dem Bier!“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCIV): Wissenschaftseliten

25 02 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Das Problem hielt seinen Einzug mit den ersten experimentellen Verhaltensweisen der Hominiden. Würde Ngg wie seine Vorfahren vom Mammut zermarmelt, bekämen Mbrr und seine Brüder die Art von Krämpfen, die der lustige rote Pilz bereits bei Klk und seinen Söhnen ausgelöst hatte? Nach und nach entwickelte die Horde von Blödblunzen das Rad, den mechanischen Webstuhl, die Kernschmelze und jene Art von Tiefkühlkost, die den Untergang dieses Planeten im kosmischen Zusammenhang eher wünschenswert erscheinen ließe, allein die Stellung des Wissenden unterlag diversen Änderungen in Richtung Niveauverlust, erst vom Wissenschaftler zum Beamten, dann vom Beamten zum Verwalter, inzwischen zur Randfigur einer Horde, die mit ihrem Namen nicht mehr zu tun hat: zum Pausenclown der Wissenschaftseliten.

Die Alma Mater als Findungsort komplexer Wirk- und Wirklichkeitszusammenhänge war in Paris, Padua und Oxford noch von Anflügen der gesamtgesellschaftlichen Verkalkung frei, da sie sich um keine intellektuell niederschwelligen Angebote aus politischer oder ökonomischer Kaste kümmern musste. Wer sich mit Philosophie oder Algebra befasste, hatte immerhin den Vorzug, zur internationalen Führungsschicht zu gehören, die auf Ländergrenzen herabschaute, auf Fürsten und ähnliches Wichtigkeitsimitat, ja auf die Kirche, die außer Glücksspiel, hektischer Bautätigkeit und einer latenten Neigung zu alberner Oberbekleidung nicht viel Interesse am Diesseits zeigte. Die Universität eroberte sich den Freiraum des Denkens und verteidigte ihn bis in die Zeit der Aufklärung, als die ersten Kalkhirn des Absolutismus die Bühne betraten. Und schon zeigte sich der Ansatz bei den Weichstaplern der Fürstenhöfe: eine Rotte vielseitig ungebildeter Pädagogen sollten in den freien Städten der Jugend Wissen in die Schädel pfropfen, um ein Renommierobjekt gegen die Hochschulen zu besitzen. Tatsächlich freies Wissen, nach klassischem Kanon geordnet, braucht der Bekloppte der verstaatlichten Gesellschaft nicht mehr, er bildet lieber die Wurstlutscher der von Inzucht und Müßiggang vorverdeppten Adelsschicht zu Juristen aus – keiner braucht sie, aber zum hauptberuflichen Topfblumenumschmeißer hätte der Glibber unterm Schädeldach eben nicht ganz gelangt. Wie dies Zeitalter mit Leibeigenschaft, Sklavenarbeit und Folter eine Menge schöner Dinge allein für die aufgehoben hat, die keine Steuern zahlen.

Der spätmoderne Wissenschaftsbetrieb, jene obskure Ansammlung von Drittmittelverbrätern und Dumpfdüsen, schließt an diese Tage nahtlos an. Zwar haben wir festgestellt, dass sich Astrologie und Astronomie kaum in ein gemeinsames Konzept schwiemeln lassen, aber die persönlichen Vorlieben geistig zu Gestrüpp entarteter Landesfürsten in Form etwa Homöopathielehrstühlen lassen sich als Pickel in der Hochschullandschaft deutlich sehen. Soziale Zusammenrottungen, die als Wahlvereine fungieren, sind die Trägersubstanz für jenen Wurmwuchs, der bereitwillig der Finanzwelt ein paar Spaßprofessuren und Hobbydoktorate zum Spielen gibt. Wissenschaft ist im engeren Sinne nur noch das Experimentierfeld für ausgesuchtes Personal, das für die Pharmafiosi Pillen schwiemelt, der Atomlobby kostengünstig Entsorgungsarbeiten abnimmt oder preiseffiziente Chemiewaffen ausheckt. Wer sich durch störende Intelligenz auszeichnet, Soziologie oder Pädagogik betreibt oder die Rituale byzantinischer Prägung im neueren universitären Betrieb einzudämmen versucht, die voodoogesteuerte Denkschule der Postdemokratie, hat in diesem Wunderkindergarten nichts zu suchen, zumal es sich bei den als Exzellenzcluster titulierten Hämorrhoidalerscheinungen der Bildungsferne meist um Juristen, Betriebswirte oder Politologen handelt, auch nicht einmal im weitesten Sinne wissenschaftsfähiges Gesocks, das Steuergelder schluckt und sich in der Schlange um Hirnspenden vordrängelt.

Die vom ehernen Grundgesetz der Beharrung im Nichtbeweglichen geprägte Hochschule rülpst Mittelmaß hervor, mühsam examinierte Volltrottel mit chronischem IQ-Schwund, die ein auswendig gelerntes Einmaleins für ausreichend erachten, sich als Privilegierte zu sehen – ein paar Semester haben sie sich an Trivialmüll abgekaspert, den vor 50 Jahren jeder Hiwi als Beleidigung betrachtet hätte, sie haben Scheinergebnisse zusammengefummelt aus vorgekautem Brei, Forschen nach Zahlen, und sind nun froh, wenn sie den Durchlauferhitzer der Kollateralmaden überstanden haben. Inszenierung ist alles, und damit sich diese Häkelkreise auch ja nicht von kritischen Wissenschaftlern ablösen lassen, werden sie umgehend wieder in den Lehrbetrieb eingespeist, um die künftige Generation der Synapsenverklebten zu geben, die seit Bologna nur noch den Namen gemein hat mit den Bildungsstätten vergangener Jahrhunderte. Eine Klasse politischer Bettnässer ist noch stolz darauf, sich selbst ein tiefes Grab zu schaufeln, perfekte Problemverdränger mit erwiesener Meisterschaft im substanzfreien Denken, die geklautes Tafelsilber verscherbeln, um sich selbst als Edelprodukt zu definieren. Sogar das Leistungsprinzip, von den neoliberalen Nachtjacken permanent ausgebrochene Losung, wird mit Macht in die Tonne getreten, denn wer würde sich noch für den universitären Betrieb anstrengen, wenn stinkend faule Vorzugsschüler überall an die Freitische geladen werden? Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Beknacktheit war ein guter Ansatz zur Erleuchtung. Inzwischen haben die Bildungskasper ausgeknobelt, wer das Licht wieder ausknipsen darf. Warten wir ab, wer im Dunkeln worüber stolpert.





Emanzipiertes Programm

24 02 2011

Siebels stöhnte. „Was soll ich aus dem Ding bloß machen.“ Der TV-Produzent starrte verzweifelt in seine Papiere, ein Bild des Jammers, verzagt und vollkommen mutlos. Und er hatte allen Grund, sich die Haare zu raufen. Herlinde Grüb-Polterstein hatte zugeschlagen, die Frauenbeauftragte der Programmkommission.

„Wie soll ich eine gute Zuschauerquote kriegen, wenn diese alte Hexe mir jeden noch so seichten Unterhaltungsfilm kaputtquarkt?“ Er grub sein Gesicht in die Hände und ächzte leise. „Wir haben mit Müh und Not Rosen der Liebe auf die Reihe gekriegt!“ Ich grinste. „Diese grauenhafte Schmonzette? Entsetzlich, ich hätte fast die Glotze aus dem Fenster geschmissen!“ „Also haben Sie es gesehen“, konstatierte Siebels, „und darauf kommt es an. Das wissen Sie genau.“ Wieder blätterte er unschlüssig in seinem Skript. „Aber dann haben sie uns Traumhotel unter Kokospalmen im letzten Augenblick torpediert.“ „Weil Sie das ganze Team in die Karibik schleifen wollten für einen Film, der zu 95 Prozent aus Innenaufnahmen besteht.“ Er runzelte die Stirn. „Das ist doch nicht entscheidend – die Grüb-Polterstein wollte nicht, dass wir einen Klischeefilm über die Hotelbranche machen, in dem die weibliche Hauptrolle eine Hotelerbin ist, die sich in einen einheimischen Taxifahrer verliebt und mit ihm eine Pension am Rand der Slums aufmacht.“ „Dabei wäre das doch eine großartige sozialkritische Arbeit geworden“, sinniert ich. „Durchaus“, bestätigte Siebels. „Aber die Hoteltante wird im zweiten Teil des Films Hausfrau und Mutter, und das auch noch freiwillig, während ihr angeheirateter Vetter aus Bad Münster am Stein-Ebernburg das Hotel übernimmt.“ „Die Poltersteinsche wollte nicht, dass das traditionelle Frauenbild überbetont wird?“ Er nickte und schob mir den Papierstapel über den Tisch.

Eine Liebe fürs Leben – meine Güte, wer hat sich diesen Staubfänger ausgedacht?“ „Kommt aus der Redaktion“, antwortete Siebels wortkarg, „soll von einem sehr bekannten Autor sein.“ Ich blätterte und las. Und ich staunte. „Sandra, die Tochter aus dem Akademikerhaushalt, heiratet den Franzl vom Land.“ Der Fernsehpapst knirschte mit den Zähnen. „Gleich hier hat die Alte mir das Drehbuch zerfleddert“, schimpfte er, „angeblich ein klischeehafter Stadt-Land-Konflikt, das sei völlig unrealistisch, so viel Mobilität gebe es gar nicht, das sei nur ein Wunschtraum, damit man die neoliberale Schichtentrennungspropaganda nicht so stark spüre – ach, was rege ich mich auf…“ „Da bricht Franzls Vater, der Sägewerksbesitzer, mit einem Herzinfarkt zusammen. Der Sohn muss den Betrieb übernehmen, und so ziehen beide ins Glutschlertal nach Obergschwurbl.“ „Blöd fand sie das, der hätte nie den Job als Unternehmensberater für ein Sägewerk an den Nagel gehängt.“ „Es läuft gut an, sie leben sich im Dörfchen ein, da ziehen dunkle Wolken auf: Franzl deckt einen Schmuggel auf, denn in den hohlen Baumstämmen findet er Falschgeld.“ „Wieder nichts als der übliche Krimikram, sagt die Polterdings.“ „Heimlich legt er sich auf die Lauer und…“ „Schluss jetzt!“ Siebels schlug mit der Faust auf den Tisch, dass der leere Kaffeebecher einen Satz machte. „Ich kann diesen ganzen Mist nicht mehr hören!“

Ich blickte aus dem Fenster über die Dächer der Stadt. „Was soll man da noch machen? Was soll man auf diese Haltung antworten?“ Der bekannte Medienmacher legte die Stirn in tiefe Furchen. Herlinde Grüb-Polterstein, Quoten-Gutmenschin, Gender-Betroffene und Produktionsbremse der Sendeanstalt, hatte sich redliche Mühe gegeben, das Abendfilmchen zu zerhacken. „Sie hat doch allen Ernstes die Verfilmung vom Stechlin für nicht politisch korrekt gehalten, weil die Darsteller alle so merkwürdige Namen haben“, wimmerte er. „Die Frau ist doch nicht ganz dicht!“ Und er verbarg wieder sein Gesicht in den Armen.

Da hatte ich plötzlich eine Idee. „Siebels“, sagte ich atemlos, „geben Sie mir doch noch mal das Skript. Ich weiß, was wir machen.“ Dann zückte ich den Bleistift. „Eine Liebe fürs Leben, das lassen wir, und dann legen wir mal los.“ Siebels guckte mich erwartungsvoll an. „Sandro, Sohn aus dem Akademikerhaushalt, heiratet die Franzi vom Land.“ Seine Miene heiterte sich innerhalb von Sekunden spürbar auf; er grinste von einem Ohr zum anderen und rieb sich schadenfroh die Hände. „Da bricht Franzis Vater, der Sägewerksbesitzer, mit einem Herzinfarkt zusammen. Die Tochter muss den Betrieb übernehmen, und so ziehen beide ins Glutschlertal nach Obergschwurbl. Es läuft gut an, sie leben sich im Dörfchen ein, da ziehen dunkle Wolken auf: Franzi deckt einen Schmuggel auf, denn in den hohlen Baumstämmen findet sie Falschgeld. Es ist die Bande von Bürgermeister Xaver Gröllpiesler, die heimlich Dollars aus dem Stausee in Sankt Kathrein holt. Sie verfolgt die Bösewichte – mit dem Geländewagen durch die Glutschlerschlucht und auf den Gschwurblkogl hinauf bis nach Glump am Kraxlbachfall, dann wird sie von Gröllpiesler und den seinen gestellt. Ein wilder Kampf, und endlich kommt auch Sandro, der Göttergatte, der nur fragen wollte, ob er für den Abend Gemüsegratin kochen dürfe. Gemeinsamer Kampf auf Leben und Tod, Gröllpiesler fällt in den Wasserfall und ertrinkt, Franzi wird seine Nachfolgerin.“ Siebels klatschte in die Hände. „Großartig! Toll! Sie wird es uns abkaufen!“ Er grinste diabolisch. „Und das Tollste daran: so eine gequirlte Scheiße hat noch nie jemand so leicht an einem Verantwortlichen vorbeibekommen!“





Der Untergang

23 02 2011

„Und hatten Sie schon eine Vorstellung, wie das heißen soll?“ „Nicht wirklich. Der Gedanke der Erwartung sollte natürlich schon im Vordergrund stehen. Oder dass wir darin den Sinn des Lebens begreifen. Und natürlich die Bedrohung. Und dass es irgendwie alles mal anders wird, unvorstellbar anders. Verstehen Sie?“ „Eine Religion, die auf einem zukünftigen Terroranschlag beruht? Nein, das verstehe ich nicht.“

„Sehen Sie, in vielen bisherigen Religionen gab es doch schon Geschichten von Zerstörung und Wiederaufbau, von Weltuntergang und Erneuerung. Warum soll sich ein Terroranschlag nicht auch für eine Religion eignen?“ „Das ist doch unsinnig, wie stellen Sie sich das überhaupt vor? Wollen Sie jetzt Gottesdienste abhalten und von irgendeiner Bombe erzählen, von der Sie noch einmal wissen, ob es sie überhaupt gibt?“ „Halten Sie das nicht für eine ganz exzellente Idee? Ich jedenfalls kann mir gar nichts Besseres vorstellen. Es ist so angenehm sagenhaft.“ „Ach hören Sie doch auf! Alles nur Gewäsch!“ „Das wirft man dem Bundesinnenminister auch vor, aber er behauptet, dass die nationale Sicherheit davon abhinge.“ „Sie meinen also, dass der Terror, den uns der Innenminister androht…“ „Ankündigt – dass er selbst damit droht, ist Ihre Interpretation. Wobei sicher auch die ihren besonderen Reiz haben dürfte, das muss ich schon zugeben.“

„Könnten Sie sich mit Kirche der Angst anfreunden?“ „Mann, ich bin doch nicht Schlingensief!“ „Aber irgendwas müssen Sie doch aufs Türschild schreiben, und wenn es Deutsch-depressiver Religionsersatz wäre. Übrigens eine nette Abkürzung, das.“ „Nein, wir fühlen uns dem kapitalistischen Westen verpflichtet. Da weiß man wenigstens, dass es sich um ein dialektisch ausgeklügeltes Konzept von Wirklichkeit handelt, das gar nicht funktionieren kann.“ „Und Sie wollen trotzdem keine Katastrophe oder eine Naturgewalt in Ihre…“ „Naturgewalt? Bloß nicht! Das ist doch viel zu berechenbar, da zieht man eben nach Bad Münstereifel, wenn man nicht vom Tsunami erwischt werden will, und einen Vulkanausbruch werden Sie hier nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, oder?“ „Aber denken Sie doch mal an die klassischen Darstellungen der Endzeit: es treten Blitz und Donner auf, Geschwüre und Seuchen…“ „Glaube ich nicht. Das ist doch alles viel zu exakt beschrieben.“

„Wenn ich als Sektenbeauftragter Ihre Gruppe einmal einordnen dürfte, dann sehe ich es richtig, dass Sie sich als ein messianischer Endzeitglaube verstehen, richtig?“ „Vollkommen korrekt. Wir sind davon überzeugt, dass es die Bestimmung der Menschheit ist, als Opfer in jenem Terroranschlag, gepriesen sei sein Name, er erscheine in dieser Welt und führe uns in die andere, alle zu sterben.“ „Das klingt jetzt nicht gerade spektakulär, hätten Sie auch noch ein paar Jenseitsversionen zu bieten?“ „Das wird kompliziert. Unsere zuständige Kommission besteht aus drei Katholiken, einen Protestanten, einem Parsen, zwei Juden, einer davon orthodox, drei Muslimen und einem Buddhisten, der vorher ausgiebige Erfahrungen mit Shintō und Totemismus gesammelt hat. Man ist heute breit aufgestellt, falls es Presseanfragen gibt.“ „Haben Sie vielleicht eine Art Gründungsmythos oder Dokumente wie die Lehren Buddhas oder die Aussprüche des Großen Vorsitzenden?“ „Wir haben den 11. September, das reicht doch. Das ist eine Pop-Ikone. Das hat wirklich Marketing-Qualitäten!“ „Und wenn ich jetzt einfach mal fragen dürfte, was Ihr ganzer Zirkus soll? Was das für eine Vortäuschung an Sinn?“ „Erlauben Sie mal, wollen Sie unsere Bundesregierung kritisieren? Das geht ja gar nicht – Sie denken wohl, wir seien Selbstmordattentäter? Dabei wählt hier gar keiner CDU.“

„Wenn man das systematisch betrachtet, geht es Ihnen vielleicht eher um die Wartezeit, bis der Terroranschlag alles auslöscht?“ „Auch, aber da ist doch noch ein entscheidendes Element. Etwas Rituelles. Was würden Sie denken, wenn in einer Zeremonie ein merkwürdig gewandeter Mensch irgendwelche Grunzlaute ausstieße und wirre Beschuldigungen gegen jemanden hervorbrächte, von dem Sie nicht einmal wissen, ob er lebt?“ „Wahrscheinlich würde ich denken, dass der Typ ganz dringend zum Psychiater muss.“ „Damit haben Sie den Bundesinnenminister schon recht gut beschrieben. Und Sie würden auch nicht daran zweifeln, dass er sein gesichertes Faktenwissen aus absolut sicheren Quellen hat?“ „Entschuldigen Sie mal, das muss man doch jetzt einfach mal glauben!“ „Glauben, ja. Ich würde Ihnen empfehlen, bei Gelegenheit einen Kardinal nach Beweisen für die Unbefleckte Empfängnis zu fragen.“

„Sie unterhalten eine weltlich ausgerichtete Religion, die ihren Glaubensinhalt aus einem nicht näher definierten Terroranschlag zieht. Dazu haben Sie eine ungenau ausgearbeitete Vorstellung von Weltuntergang, gar keine vom Jenseits, einen Klerus haben Sie auch keinen?“ „Beim BKA haben wir schon angefragt, aber wir zahlen denen wohl zu wenig.“ „Und das alles mit einer Praxis, die darin besteht, sich durch Sicherheitsschleusen und Straßensperren zu bewegen?“ „Na, sagen wir mal: ja, das trifft’s. Hauptsache, dass wir in der Wartezeit auf eine Anleitung zur säkularen Demut stoßen.“ „Gut, ich will mal nicht so sein, ich genehmige Ihnen das Ding. Zur Probe. Auf ein Jahr. Wann wäre dann Ihr religiöses Hauptfest?“ „Wenn alles gut läuft: dieses Jahr zum Weihnachtsmarkt.“





Prêt-à-porter

22 02 2011

Das Model stakste wie ein übermüdeter Storch durch den leeren Saal, ungeschminkt und mit dem blasierten Gesicht, das man ihr aufgeschraubt hatte. Der abgeschabte Wintermantel hing ihr um die knochigen Schultern wie ein Mehlsack. Hübschler lehnte sich lässig zurück. „Die Kleine kommt gut. Sieht voll scheiße aus, sehr authentisch. Wie eine echte Arbeitslose.“

Zwei Stylisten zupften an der dürren Blondine herum, der nun hastig eine unförmige Strickmütze übergestülpt und krummgelaufene Stiefel an die Füße gestopft wurden. Sie ließ es sich gefallen; wie eine Lumpenpuppe pendelten ihre Arme, sie war völlig willenlos. „Das wird der Oberknaller!“ Der Modeschöpfer blickte zufrieden auf sein Werk. „Sie werden uns die Kollektion aus den Fingern reißen auf den großen Shows – Magdeburg, Bremen, Berlin.“ „Magdeburg?“ Ich war irritiert. „Ich hätte eher Mailand erwartet, aber warum Magdeburg?“ „Weil Sachsen-Anhalt nach wie vor eine der Hochburgen für sozial Schwache ist. Sollen wir die Show jetzt ins Starnberg machen, wo die ganzen Kaltgestellten eh nichts zu suchen haben?“ Er ging ein paar Schritte auf und ab, fingerte an seiner Sonnenbrille und rief den Helfern zu: „Wenn das zu spektakulär aussieht, holt das Teil in Dunkelgrau. Ich finde, sie sieht sowieso viel zu gesund aus. Klatscht ihr ruhig ordentlich was aufs Gesicht!“

Die Kleiderständer hinter dem Vorhang trugen eine Menge verschlissener Klamotten, verblichene Hosen und ausgeleierte Strickjacken, hier und da ein Hemd, das bessere Tage gesehen hatte, und sehr viel unförmige, altmodische, drittklassige Schnitte. „Das ist nicht einfach nur Vintage, ja? Das ist eine neue Definition meiner Kunst. Meiner Message, ja? Ich erfinde damit das Prêt-à-porter total neu als eine soziale Aussage, als eine tragbare soziale Plastik. Das hat es doch noch nie gegeben!“ Ich fuhr mit dem Finger an einer Reihe Strickwaren entlang, die einen leichten Staubflaum in die Luft abgaben. „Sagen Sie mal, Hübschler…“ Sofort richtete er sich auf und fauchte mich an. „Für Sie immer noch Hüübschler, ja?“ „Doktor haben Sie zufällig keinen“, biss ich zurück. Er beruhigte sich schnell wieder. „Es geht nicht darum, Kleidung als einen Ausdruck von Individualität zu tragen, das muss ich Ihnen doch nicht erklären?“ Ich winkte ab. „Nein, durchaus nicht. Ihr Veranstalter hat mir erklärt, dass es um Kleiderkammern für Arbeitslose geht. Individualität wird man da nicht erwarten.“

Der abgewetzte Mantel hing in etlichen Farben auf den Bügeln: Anthrazit, Flaschengrün, Braun, Schwarz und Braunschwarzgrüngrau. Wie die Dienstgrade einer Uniformreihe sahen die schlaff und teigig geschnittenen Kleidungsstücke aus. Da fiel mir plötzlich eine aufgescheuerte Stelle am rechten unteren Saum auf – ein kleines Loch, das sich bis ins Futter durchfraß, immer bereit, wie eine Wunde aufzuribbeln und den Träger dieses Mantels peinlich bloßzustellen. Zu meinem Erstaunen zeigte jedes Stück, schwarz und braun, dasselbe Loch. „Logisch“, bemerkte Hübschler. „Wir arbeiten eben mit dieser Bricolage – wildes Denken, ja? Man nimmt, was da ist, weil, viel ist nicht da. So ein Hartz-IV-Ding. Wenn wir diese Klamotten für die Arbeitslosen herstellen, dann sollen die auch so aussehen wie die gesellschaftliche Unterschicht.“ „Sie wollen nicht ernsthaft behaupten, dass Sie die Löcher in die Wintermäntel scheuern, damit die Menschen sich damit deklassiert vorkommen?“ Er schnappte zurück. „Deklassiert? Wo denken Sie nur hin? Wissen Sie eigentlich, was es kostet, die ganze Lieferung mit der Drahtbürste zu zerscheuern!? Das grenzt an spätrömische Dekadenz!“

Chouchou (wie auch immer sie wirklich hieß) zog gerade einen zwanzig Jahre alten Pullover an. „Sie lassen diesen Einheitslook nachproduzieren für Käufer, die sich nichts Besseres leisten können?“ Hübschler gluckste. „Nichts Besseres? Mann, wachen Sie mal auf! Die Hose da kostet uns im Einkauf schon mehr als einen Regelsatz, ohne die Subventionen der Armutsverwaltung kämen wir da gar nicht hin!“ Ich blickte ihm hart ins Gesicht. „Sie bereichern sich auf Kosten der Armutsverwaltung.“ „Kleider machen Leute“, grinste er, „und ich werde gut bezahlt dafür. Außerdem ist die Produktion ein enormer Kostenpunkt – ohne die Vermittlung des Außenministers wären wir nie an Näher in Birma gekommen, und das ist doch eine enorme Hilfe für den Markt in Deutschland, ja?“

Hübschler schob die Kleider auf der Stange hin und her, um ein neues Outfit für das Mädchen zu finden; wahrscheinlich sah nichts ärmlich genug aus. „Sie entwerfen eine Uniform für Arbeitslose, damit sie ihr Stigma in den öffentlichen Raum tragen – kostspielig genug aufgebaut, nicht mit einem Zufall zu verwechseln. Was wollen Sie damit erreichen? Besteht Ihre soziale Plastik darin, dass man angewidert die Straßenseite wechselt, wenn man jemanden in diesen Fischgrätfeudeln vor sich sieht?“ „Es dient der Emanzipation“, verteidigte sich Hübschler. „Die werden ein Gruppengefühl entwickeln, ja? Da bin ich mir sicher. Damit kann man sich nicht mehr verstecken. Dann wissen die doch wenigstens, wofür man das trägt. Glauben Sie denn, wir machen das hier alles umsonst?“

Der anthrazitfarbene Mantel hatte einen kleinen Haken an der Brust, zwei kleine Häkchen, man fühlte es, wenn man mit den Fingern über den Stoff strich, links, da oben. Der flaschengrüne, der braune auch. Auch der schwarze. Chouchou schob mir müde den Schuhkarton über den Tisch. Es waren Sterne, sauber gesäumt, und wir wussten, wozu.





Bei Merkels unterm Sofa

21 02 2011

„Grau-en-haft! Sie machen sich keine Vorstellung, wie es da aussieht! Ich habe ja schon viel gesehen – eine Kellerwohnung mit tonnenweise Altpapier, eine Frau mit dreißig Hunden in der Bude, alles nur noch schrecklich – aber das war die Höhe. Das war nicht mehr mit anzusehen. Ich bin immer noch fix und fertig – ich sag’s Ihnen, ich setze keinen Schritt mehr in dieses Bundeskabinett!

Plunder, Müll und Abfall, kniehoch. Das war nicht mehr feierlich. Ein voll ausgeprägtes Messie-Syndrom, sämtliche psychiatrischen Anzeichen gut zu erkennen, oder um es kurz zu sagen: ein Dutzend Bekloppte sitzen bis zum Hals im Dreck. Wirklich, Sie würden das nicht glauben, wenn Sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätten. Schauen Sie auf die Bilder: ein einziges Chaos. Stapelweise. Hier ragt der Atommüll raus, wenn Sie sich nicht vorsehen, treten Sie glatt rein. Da sind Löcher, versteckte Subventionen, hier ist ein Aktenkoffer, in dem man später 100.000 Mark in gebrauchten Scheinen fand, das Gesetz zur Sicherungsverwahrung und das Tagebuch von Roland Koch. Da treten Sie einfach so rein, und dann sind Sie eine Etage tiefer. Obwohl das vom Niveau her schon schwierig ist.

Zwanghaftes Sammeln, das ist der Punkt. Sehen Sie mal hier, Schäuble. Jeder vernünftige Mensch hätte den längst entsorgt, aber Merkel stapelt alle alten Reste auf, bis ihr der Krempel über den Kopf wächst. Oder hier, Westerwelle – wenn Sie einen Luftballon als Werbegeschenk bekommen, der ein bisschen Getröte von sich gibt und beim Aufblasen birst, was machen Sie? Richtig, wegschmeißen. Merkel schafft das einfach nicht. Hauptsache, der ganze Kehricht bleibt da liegen, wo er immer schon war. Das nennt man dann konservativ.

Sehen Sie die Trittspuren da am rechten Rand? Ja, genau da. Trampelpfade. Sie kommen gar nicht mehr heil durch den ganzen Ramsch durch, Sie müssen diesen vorgezeichneten Wegen folgen, weil woanders gar kein Platz mehr ist. Das nennt Merkel dann ihren Entscheidungsfreiraum, weil sie sich um sich selbst auf der Stelle drehen kann, wenn es ihr gerade Spaß macht. Richtig, sie geht eigentlich immer nur im Kreis zwischen den Bertelsmann-Müllsäcken und den INSM-Pappkartons. Immer in eine Richtung. Ich nenne das Kreislaufstörung. Sie nennt das alternativlosen Fortschritt.

Oder nehmen Sie die exekutiven Funktionen – Entscheidungsschwäche, Impulskontrolle, das ist doch eine Katastrophe! Pathologische Zustände! Die Bahn ächzt in allen Fugen, das Schienennetz verrottet, weil Geld für den Börsengang gebraucht wird für absurde Protzbauten, und was tut der Verkehrsminister? schwadroniert über Klapprechner und Streusalz! Oder diese Gedönsministerin, die Schröder. Statt mal für Bildungsangebote in Kitas zu sorgen, lamentiert dieses Magermilchmädchen, dass Deutsche in Berlin als Kartoffel beschimpft werden – und lässt sich auch noch dabei ertappen, dass sie sich den ganzen Zimt nur ausgedacht hat. Haben die denn alle nichts Besseres zu tun als Nägelkauen und Nasebohren? Gibt’s diese Nulpen vielleicht auch in erwachsen?

Oder, ganz schlimm: Zeitmanagement! Meine Güte, das ist doch nicht zu fassen! Unsereins hat einen Wecker, eine Armbanduhr, das muss doch reichen – aber die? Es muss eine Entscheidung her für die Euro-Rettung, was passiert? Nichts. Es muss die Berechnung der Hartz-IV-Sätze auf den Tisch, was geschieht? Nichts. Inzwischen stehen die Dumpinglöhne der Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Debatte, die Luft brennt, was kommt? Nichts und wieder nichts! Es ist denen nicht klarzumachen, dass eine Rechnung vom Herumliegen nicht vom Erdboden verschwindet. Sie nehmen sich alles Mögliche vor, gackern laut über ihre ungelegten Eier, und wenn es keine Eier gibt, dann werden sie wirklich aktiv und finden einen Grund, warum sie es ja gleich gewusst haben wollen.

Sie, das stellen Sie sich das nicht lustig vor. Sie kommen in dies unbeschreibliche Gerümpel, es stinkt wie auf dem Fischdosenfriedhof, Ungeziefer, wohin das Auge blickt, und dann hocken diese Figuren da. Antriebslos, apathisch, abgestumpft, die sind nicht mehr in der Lage, die Realität um sie herum zu bemerken. Sie haben sich in eine völlig abgespaltene Traumwelt eingeschlossen und wollen auch nicht mehr heraus. Glauben Sie, dass die überhaupt noch in der Lage wären, Alltagsaufgaben zu meistern? Ein Päckchen Butter im Supermarkt kaufen oder eine Dissertation schreiben? Wenn Sie die fragen, was fünf Euro sind, werden sie Ihnen vermutlich erzählen, davon bekäme man drei Flaschen Champagner.

Merkel ist doch selbst schuld. Rösler sitzt in der Ecke und spielt mit Pillenschachteln – Mutti guckt zu. Aigner lässt verlautbaren, dass sie bald etwas ankündigt – Mutti guckt weg. Brüderle stolpert im Vollsuff über de Maizière, der nichts Besseres zu tun hat, als ausgekratzte Joghurtbecher und benutzte Papiertaschentücher maschinenlesbar zu beschriften – Hauptsache, Mutti kann auf ihrem Stühlchen sitzen, sonntags wippt sie sogar und alle halten das für den Gipfel ihrer Aktivität. Dann stürzt sie sich plötzlich mit großem Getöse in irgendwelche Aufgaben, Herbst der Entscheidungen und so, aber was bleibt? Sie setzt sich wieder hin, wartet ab, bis der Anfall vorbei ist, und gibt den anderen die Schuld, dass es wieder nicht geklappt hat.

Aber das Schlimmste – nein, ich gehe da nicht mehr rein! Keine zehn Pferde bringen mich da hin! Das Schlimmste, wissen Sie, in diesem Unrat, wenn Sie darin herumlaufen… wenn Sie nicht wissen, wo die Leichen liegen…“





Zitat. Ende

20 02 2011

Erst von und zu, dann auf und davon. Was man bei Po-Maden erwartet. Unser schneidig auskneifender Selbstverteidigungsminister, offensichtlich bei anrüchigen Doktorspielchen ertappt, hat alle fallenden Messer fest im Griff. Zur Steigerung des intellektuellen Niveaus wenden wir uns von diesem Gerümpelstilzchen ab und befassen uns mit den Suchmaschinentreffern der vergangenen 14 Tage. Alle einzigartig, original und unkopiert.

  • ipad als kommunikationsmittel für luftröhrenschnitt patienten: Wenn Sie es quer halten, rutscht es bestimmt nicht rein.
  • storch bastelanleitung: Bratanleitung vielleicht?
  • wo wohnt vera int-veen in berlin: In einer Garage mit Rolltor. Mit sehr breitem Rolltor.
  • alte waschbetonmauer verschönern: Warten Sie ein paar Monate, dann ergibt sich das von alleine.
  • ischias briefzusteller: Lassen Sie sich E-Mails schicken.
  • beschwerdebrief wegen falscher diagnose bruch des handgelenkes: Mafia-Mediziner sind da etwas eigenwillig.
  • finnische weinbrandbohnen: Ohne Weinbrand, weil sonst kein Wodka mehr reingeht.
  • beschwerdebrief matsch und pampe aufm hof: Ob Kachelmann da die richtige Adresse ist?
  • tricks hartz4 vermögen: Machen Sie eine Zeitarbeitsfirma auf, dann haben Sie bald eines.
  • aktfotos im halbschatten: Das ist nett, wenn’s zu hell wird, kann man Sie nämlich erkennen.
  • ddr bungalow riecht unangenehm: And along comes the wind of change.
  • feste gogostangen kaufen: Haben Sie bisher an gekochten Makkaroni geübt?
  • arbeitszeugnisse formulierungen „im wesentlichen“ „auffassungen intensiv zu vertreten“: Sie sind ein inkompetentes, penetrantes Arschloch, ein peinlicher Versager – und Schuld daran haben nur die anderen. Aber warum fragen Sie, Westerwelle?
  • glücksbärchis marzipan: Wurden von den Nougatgremlins ausgelöscht.
  • lieber gott, melde dich übers internet: Bei aller Liebe, Sie scheinen Wikileaks doch zu überschätzen.
  • nägeli und flüssigholz: Ihrer Kunstkarriere dürfte nichts mehr im Weg stehen.
  • leberzerriose bekomme ich eu rente: Nein, aber Schnaps, damit Sie die Klappe halten.
  • strafe für nachbarstalking: Wenn Sie nicht lieb sind, müssen Sie bei denen auf dem Sofa hocken.
  • was kann ich gegen verfolgungswaren machen: Steigen Sie um auf Strandgut.
  • „hören sie doch mal zu“ merkel: Alternativ könnte sie auch mal aufhören.
  • wozu eine muffenzange: Für Muffen.
  • paletti bastelvorlagen für das mittelalter: Das kriegt der Vatikan auch ohne Blaupause hin.
  • wurzelenzündung ursachen ganzheitlich gesehen: Vielleicht hat Ihr Zahnarzt schlechtes Karma.
  • nordkorea informationskontrolle: Wir wissen da mehr, dürfen aber nicht darüber reden.
  • prada schuhe mit flüssigholz: Das Birkenstock-Modell.
  • plakat kircheneintritt: Wittenberger Fassung?
  • klärgruben chlorbleiche: Spielt geruchstechnisch in derselben Liga.
  • wohnzimmerdecken design gallerie: Sammeln Sie Stalaktiten?
  • schleiflack pflegen mit kartoffelwasser: Und zwar Ihren Schleiflack, meinen kriege ich schon selbst hin.
  • mit brennspriritus schimmel bekämpfen anleitung: Am besten fackeln Sie gleich den ganzen Kühlschrank ab.
  • „mann“ lockenwickler waschen legen: Es gibt nur ein’ Rudi Völler!
  • behördensprache erstellen: Filtern Sie den Sinn raus, aber kurz vor dem Ende zur Beendigung kommen.
  • ösophagusvarizen krankenschein: Wenn Sie den noch zücken können, herzlichen Glückwunsch!
  • dauerwellenflüssigkeit aus dem kanister: Wir haben noch die aus dem Öltanker von 1956.
  • haarentfärbung mit bier: Vorsicht, Bier macht blau!
  • bastelvorlagen konfetti gratis: Es geht auch einfacher: kaufen Sie Konfetti, pausen Sie es mit Bleistift ab und schneiden die Teilchen aus. Fertig!
  • pfennigbaum homöopathie: Bitte bei der Potenzierung stets berücksichtigen, dass ein Cent heute 1,95583 Pfennig sind.
  • was hilft bei reizhusten mit pieken und stechen im hals: Ausgleichsübungen mit zwei rot lackierten Keulen.
  • verkleidung nudeltüte: Wenn Sie sich etwas Mühe geben, gehen die Spaghetti als Kartoffeln durch.
  • „quallenart mit gehirn“: Ist im Bundeskabinett mehrfach vorhanden, bis auf das Hirn.
  • npd humpe: Alles nur geklaut.
  • sitzmöbel bei kallwass: Sie meinen die Hartz-IV-Couch?
  • kendra pflaster inkontinenz: Ihre anatomischen Kenntnisse lassen zu wünschen übrig.
  • herzloch schlaganfall verlust: Wenn der Nachtfrost richtig reinhaut, ist die Herzwand auch weg, insofern korrekt.
  • tiefbaupolier russisch: Bedanken Sie sich bei der Industrie für den tollen Fachkräftemangel.
  • trennkost wozu gehört sauce hollandaise: Die nimmt der Scheidungsanwalt.
  • giulia panzer: Nicht mal zicken kann dieser Rohrkrepierer!
  • motive fuer toileten haekeln: Wir hätten da einige bestrickende Ballkleider.
  • was tun gegen salzflecken im laminat?: Zuckern.
  • brand eins ufftata leitartikel: Modernes Marketing.
  • welcher lurch lungert gelegentlich im hals herum: Der Axolotl, den Sie in den falschen bekommen haben.
  • demenzkranke wissensfragen: Stimmt, Jauch baut irgendwie ab in letzter Zeit.
  • lochfraß bei koi „am kopf“: Sind Sie sicher, dass nicht Sie leichte Läsionen haben?
  • sitzordnung bundeskabinett: Wurden Sie auch herbeizitiert?
  • kirche modernismus: Am Ende wollten Sie sogar leugnen, dass die Erde eine Scheibe ist.
  • hamsterkiste morsezeichen: Wenn das Tier solche Fertigkeiten erlernt hat, war es definitiv zu lange eingesperrt.
  • künstliche maispflanze: Die Dinger sollen Gene enthalten, sagt man…
  • zille hat mir jemalt: Schön, ich bin vom Leben gezeichnet.
  • 2009 avancierte guttenberg zum lügenbaron: Glauben Sie mir, das war er schon wesentlich länger.
  • rapper handzeichen: Seien Sie mal kreativ, entwickeln Sie es zu HipHop für Gehörlose weiter.
  • bartagame röchelt: Hätten Sie dem Tier eben früher das Rauchen abgewöhnt.
  • westie hustet und keucht ständig: Und jetzt sagen Sie bloß, Ihre Zierfische sind auch Kettenraucher?
  • minarette spiral piercing: Sie müssen sich nicht alles in die Nase stecken.
  • kosten für die möbelierung der diensträume im verteidigungsministerium: Das ist alles kostenlos, das wird vom Steuerzahler geschenkt.
  • bettunterlage gummi rot: Dann sieht man wenigstens keine Rotweinflecken.
  • honig haarentfärbung: Können Sie sich in die Haare schmieren.




In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (XXIX)

19 02 2011

Der Pospischil suchte in Penk
zur Hochzeit ein hübsches Geschenk.
Schon bald war die Feier,
indes, es wurd teuer.
„Viel teurer“, klagt er, „als ich denk!“

Abdurrahman tappt in Edirne
im Dunkeln und stieß sich die Stirne.
Und wie er auch fluchte,
er fand, was er suchte,
im Haus nicht: die Vierzig-Watt-Birne.

Die Kauksi fand in Palupera
ein Mitbringsel für ihren Lehrer.
Sie hofft, für Geschichte
und Rechnen, da richte
ihr Zeugnis wohl ein Briefbeschwerer.

Herr Vochdalek, Schulze von Kšice,
der sägt in den Zaun lauter Schlitze.
„Ist Lüftung bei Strahlen
von Sonne, drum male
ich schwarz an, damit ich nicht schwitze!“

Es pflegt van der Croonrijk aus Brummen
beim Rechnen ganz leise zu summen.
So gehn Additiönchen
geschwind mit den Tönchen;
der Schlussstrich erst lässt ihn verstummen.

MacGowran, der Alte aus Bray,
der hasste nichts so sehr wie Schnee.
Zwar strahlt bei dem Manne
zur Weihnacht die Tanne
in Weiß, doch das Zeug ist nur Spray.

Den Pepi, den plagte in Brückl
der Durst. Nun, so ging er ein Stückl,
dann kauft er zur Jausn
ein Flascherl mit Brausn –
das zischt, doch ihn stört das Geprickl!