„Und hier hätten wir ein sehr interessantes Objekt, mit Schwarzen Löchern. Ein Stück für Kenner und Liebhaber, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Emil Hüttenhauer war sichtlich stolz auf sein Sortiment. Allerhand Kuriositäten fanden sich da, kompliziert und amüsant und erschreckend. Mit wohligem Schauer betrachtete ich die Schätze. Wann war man schließlich einmal in einem Fachgeschäft für Weltuntergänge.
„Sie waren auf meine Anzeige hin gekommen, richtig?“ „So ist es“, bestätigte ich und zog die zusammengefaltete Zeitung aus der Manteltasche. Die Annonce war rot angestrichen: „Apokalypse, neu, keine Gebrauchsspuren, zum kleinen Preis. Fernruf 2162“ „Etwas Werbung müssen wir schon betreiben“, räumte der rüstige Herr mit der altmodischen Nickelbrille ein. „Auf der anderen Seite sind wir die letzten in unserem Metier und brauchen keinen Mitbewerber mehr zu fürchten.“ Ich fragte ihn, wie lange denn dieses Geschäft schon bestehe. „Oh, lange!“ Im weiten Bogen wies er auf die solide eingerichtete Werkstatt und die vielen exotischen Ingredienzien, aus denen er seine Weltuntergänge und Götterdämmerungen herstellte. „Wir können unsere Familie in direkter Linie bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Man sagt, Heinrich VI. soll Richard Löwenherz 1194 bei seiner Freilassung einen besonders hübschen Domesday mitgegeben haben. Die einen sagen, Richard habe damit Kulturförderung betreiben wollen, die anderen meinen, Eleonore habe das Lösegeld nur herausgerückt, als man ihr ein exquisites Stück für die Privatsammlung verschafft habe. Die Wahrheit wird, wie so oft, in der Mitte liegen.“
Faszinierende Dinge lagerten auf den Stellagen; Hagelsaat mit ein Ablaufdatum weit in der Zukunft, eine ganze Regalreihe voller Posaunen, Gluthitze in der Dose. „Eine vernünftige Lagerhaltung ist schon anzuraten – aber das meiste hier sind eben auch keine verderblichen Waren. Die Posaunen zum Beispiel habe ich noch von meinem Großvater geerbt, dem seligen August-Wilhelm Hüttenhauer. Er hatte seinerzeit den Filialhandel einzuführen versucht, war zum Königlich Preußischen Hofweltuntergangshändler ernannt worden und musste dann die Niederlassung in Königsberg nach nur einem Jahr wieder schließen. Schade.“ „Aber Ihr Unternehmen hat sich bis auf die Gegenwart doch gehalten, nicht wahr?“ Er nickte befriedigt. „Wenn man sich an die moderne Zeit anpasst, dann ist das auch keine Schwierigkeit. Nur wird man eben nicht immer so weitermachen können wie bisher.“ Wehmütig strich er über das Schlüsselbrett. „Früher hätte ich Ihnen Apokalyptische Reiter geschickt, umwerfend! Ohne jede Wartezeit! Aber heute? Das dauert schon Wochen, bis Ihnen das Amt eine Berittgenehmigung für Weltuntergangs- und Viererformationen ausstellt.“ Sehnsüchtig sah er zum Fenster hinaus auf das kleine Gärtchen mit dem Springbrunnen und der Engelsputte. „Das alte Handwerk ist ja meist nicht zu ersetzen durch die heutige Massenproduktion. Und glauben Sie mir, die Zeit wird wieder kommen, wo man sich gute, handgefertigte Weltuntergänge leisten wird.“
Zu meinem Erstaunen war das voluminöse Auftragsbuch nicht leer, ganz im Gegenteil – in enger, steiler Schrift häufte sich eine Endzeit auf die andere. „Parusiepaket komplett“ las ich da, und: „Armageddon für 200 Personen“. „Sie machen ja ganz schön Umsatz“, staunte ich, „können Sie das denn alles alleine bewerkstelligen?“ „Durchaus“, entgegnete er, „durchaus. Ab und zu hilft mir mein Neffe Leopold, ein gelernter Apokalyptiker mit Zusatzausbildungen in Äonenmechanik und praktischer Eschatologie. Kluger Bursche, er soll einmal das Geschäft übernehmen, wenn ich mich zurückziehe. Aber ich brauche ihn kaum, das ist alles Fertigware – man setzt es aus vorgefertigten Teilen zusammen, schauen Sie.“ Und vor meinen Augen entstand innerhalb weniger Minuten ein vollständiger Weltuntergang, mit Vulkanausbrüchen und Erdbeben, Stromausfall und Supermärkten, in denen es am Samstag vor Weihnachten kein Bier und keine Erdnüsse mehr gibt.
„Man muss sein Sortiment natürlich stets auf dem neuesten Stand haben“, erläuterte Hüttenhauer. „Dazu kommen noch diverse regionale Vorlieben; in Japan werden oft Taifune und Seebeben geordert, in Amerika bevorzugen die Kunden Zerstörungen durch Außerirdische. Dann muss man über gute Lagerhaltung verfügen, um das Richtige zu den Anlässen parat zu haben.“ Im Hintergrund mischte eine summende Maschinen einen Vulkanausbruch zusammen, der sich mit dem Vesuv messen lassen konnte. Ich warf einen Blick in das Auftragsbuch. „Und wer ist Ihr bester Kunde?“ „Das wechselt“, teilte er mir mit. „Und es ist, nun ja, auch eine gewisse Fluktuation zu festzustellen.“ Hüttenhauer errötete. „Es gab in der letzten Woche zwei Fehllieferungen. Einmal das klassische Paket für eine Wahlrede, der Bürgermeisterkandidat kündigte an, dass die Toten aus ihren Gräbern steigen, wenn er nicht wiedergewählt würde – und dann eine fürchterliche Vision von schmelzendem Gold, das ins Meer rinnt, explodierenden Fabriken, Banken, die in der Erde versinken, und das auf einer Bundesversammlung der Arbeitgebervertreter. Ja.“ „Das muss ja schrecklich gewesen sein“, mutmaßte ich. Er lächelte. „Ach, diese Sache mit der Bürgermeisterwahl kam erst raus, als am nächsten Morgen etwas darüber in der Zeitung stand. Sonst wäre das ganz normal gewesen. Es hatte ja sowieso keiner zugehört.“
Satzspiegel