
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Der Blick in die Inneneinrichterzeitschrift zeigt, dass sich seit dem Paläolithikum nicht erregend viel verändert hat: der durchschnittliche Trottel haust in einer Höhle, deren wandnaher Bodenbereich bis knapp unters Knie mit Gerümpel zugeschüttet ist, um mehrmals benutzbare Gegenstände griffbereit zu bewahren. Selten drillt er Löcher in den Fels, um im Wohnraum Humpen freischwingend zu lagern, eher folgt er dem Trend zu Kisten, Kasten, Schrank und Lade, packt sein Gelump ein und entzieht es dem Blick von Nachbarn und Postboten, schützt es vor Erosion und vor der Gefahr, die von ihm selbst ausgeht, wenn er schlaftrunken quer durch die Bude torkelt und alles zertritt, was vernünftigerweise nie auf dem Parkett lagern sollte, Kristallglas, Mehltüte und das Kontinuum Haustier, Futter, Haustierfutter. Zu groß wäre wohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Hausherr sich fußläufig im Zeug verheddert. Es soll Ordnung sein, Zucht und eine klare Struktur. Bis auf den verdammten Kabelsalat.
Mit der Erfindung elektrischer Haushaltsgeräte zog die Zivilisationspest ein, Stecker, Schnüre, Litze, Draht – zur Herstellung eines unentwirrbar verknoteten Knäuels reicht es aus, ein einzelnes Stromkabel länger als eine Minute unbeaufsichtigt zwischen Wandsteckdose und Endgerät liegen zu lassen. Das Ergebnis ist der Endzustand der idealen Entropie, nur noch n-dimensional darstellbar und chaotischer als der Inhalt einer Damenhandtasche. Bereits das Zusammentreffen zweier Stehlampen und eines Radiators in einer Verteilerdose übersteigt die logischen Fähigkeiten des menschlichen Auges. Das Schicksal Laokoons und seiner Söhne lässt sich nur unter Berücksichtigung bösartiger Staubsauger korrekt deuten, die paradiesische Schlange selbst ist ein deutliches Zeichen, wohin das Kabel eines Elektromähers die Menschheit zu bringen vermag. Das Zeug vermehrt sich ungeschlechtlich, wild, wirr und neigt zu Mutationen, deren Formreichtum auch abgebrühten Forschern den Angstschweiß in die Halsfalten treibt.
Denn der Wahnsinn fängt hier ja erst an. Mit dem Beginn der Unterhaltungselektronik, die mit Radio und Glotze, Plattenspieler, DAT, Equalizer und Subwoofer in die Behausung brandet, potenziert sich der Gestrüppanfall schwunghaft. Jeder Vollschrott ist mit jeweils dingsundumzig anderen Gerätschaften verdrillt, verdrahtet, verbunden, wird angesteuert und per Kupferbändsel oder optischer Leitung, an Bananen- und Klinken- und Koaxialkabeln, SCART und XLR und Schuko, per Seilzug und Semaphor an Baugruppen geflanscht, hunderte Kabelmeter in stilisierter Kugelgestalt – mit der Anschaffung des Computers, der die heimische Telekommunikation mitversorgt, hat das Kabel die Herrschaft über diesen Planeten erlangt und holt zum letzten, tückischen Schlag aus: dem Kabelgate eines technischen Störfalls.
Zieht das bedrohlich angewachsene Bündel unter dem Schreibtisch auch derart viel Staub an, dass sich die Erdrotation in dieser Gegend merklich verringert, sind auch die seltsamen Nager in den unteren Schichten der Lautsprecherelektrifizierung etwas störend, wenn sie nachts akzentfreies Babylonisch wispern, ein unidentifizierter Wackler oder Strippendefekt birgt das nackte Grauen. Nur mit Mühe gelingt es dem Bekloppten, den selbst verursachten Spaghettoiden so zu dechiffrieren, dass die Zuleitungen zum Tuner klar von der Aufhängung der Deckenlampe zu unterscheiden sind – ein unbedachtes Rütteln an der Cinchbuchse, ein zu scharfer Blickkontakt mit dem Hohlstecker an der linken Ventilatorseite, und der Zinnober kann en bloc auf den Schrott, weil die Lebenszeit nicht mehr reichen wird, die USB-Kabellage wieder aus ihrer niedermolekularen Verzahnung mit dem TOSLINK-Würfelsteck-Ensemble zu lösen. Die Entsorgung samt Neuaufbau käme jedenfalls viel preiswerter, und zur seelischen Entlastung der Nachfahren wäre es ohnehin besser, die ganzen Leitungen an den Maschinen festzuschweißen, unter Putz zu verbergen und die Schächte mit Beton zu verschwiemeln, um hysterischen Ausbrüchen ein für allemal zuvorzukommen. Intelligenzbestien, die Ihr den Schamott hämisch in Kabelbinder pfriemelt und nur einen plastikummantelten Zopf am Boden entlangführt, bösartig mit Schellen verschraubt und hinter unauffälligen Kästen verborgen, Ihr werdet in konzentrischen Kreisen die Auslegeware vom Estrich lutschen, satanische Flüche jodeln und die eigenen Eingeweide zu den Ohren herausziehen, sobald nur ein Kanal des 7.1-Soundsystems in müdem Röcheln verebbt und einen Kabelbaum der späten Erkenntnis samt Schlange hinterlässt.
Das Chaos soll ein Ende haben. Alles ist nun mobil, drahtlos, alles funkt und piepst und lässt sich in immer kleineren und flacheren Plastebömmeln durch die Gegend schleppen, Telefone und Rechner und Radios, die per WLAN rhythmisches Geblök anbieten, aber: braucht dieses Telefon keine Basis? Ist dieses Netbook ohne Netzteil lebensfähig? Auch der autonomste USB-Bilderrahmen will am Kabel hängen, und es ist schlimm, dass Alexander nie vorbeikommt. Er hätte diesen gordischen Knoten beseitigt. So oder so.
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