Kauf mich!

8 02 2011

Der Fahrstuhl stieg langsam und fast lautlos in die Höhe. Palmen schmückten die Marmorhalle, Rohre aus transparentem Kunststoff ließen Luftblasen emporquellen, und über allem erhob sich das riesige Plakat mit den berühmten Worten: Hamburg – Stadt im Norden.

Er drehte sich gemächlich in seinem Chefsessel. „Sie dürfen Joey zu mir sagen.“ „Herr Dauninger“, antwortete ich, „Sie haben diesen inzwischen außerordentlich populären Slogan erfunden. Ist Ihnen klar, dass das die gesamte Werbebranche revolutionieren wird?“ Und ich hatte mich nicht geirrt. „Natürlich“, schwafelte er, „wir brechen mit den alten Regeln der Werbebranche. Weg damit! Medium, Message, irgendwelche versteckten Botschaften – Unsinn! Nichts soll mehr so bleiben, wie es war! Wir emanzipieren die…“ „Sie“, fiel ich ihm ins Wort. „Sie emanzipieren. Das ist doch ein Einpersonenunternehmen hier, oder?“

Reklame hing an den Wänden des kleinen Büros im Glaspalast der Urania-Versicherung. Tomate – Genuss in Rot stand auf den Anschlägen und: Museum – Wo die schönen Bilder hängen. „Für die Pinakothek“, informierte mich Dauninger. „Das löst sicherlich ungezügelte Begeisterung aus“, witzelte ich, „zumal die anderen elf Museen in dieser Stadt sich auch angesprochen fühlen dürften.“ „Sie haben da Ihre Zweifel? Dann passen Sie mal auf.“ Und er zog eine unscheinbare Mappe aus dem Schreibtisch hervor.

Je zwölf Objekte, ansehnlich fotografiert und gut bearbeitet, boten sich dem Betrachter dar, Kaffee- und Waschmaschinen, Rasenmäher und Mittelklassewagen, Staubsauger, Schwingschleifer, ein Taschenmesser und ein Flaschenöffner. Einmal prangte Technik für Dich auf der Seite, einmal Individuelle Lösungen, einmal Weil Sie es wollen. „Sie sehen sicher auf den ersten Blick, dass dieses Werbegeschwätz nicht sehr viel mehr ist als der untaugliche Versuch, einem beliebigen Produkt irgendeine Identität zu verleihen, die über das Ding an sich hinausginge.“ Verächtlich hob Dauninger einen Teelöffel hoch. „Was wollen Sie von diesem Stück Blech mehr erwarten als das, was Sie von ihm hätten erwarten können?“ Langsam dämmerte es mir; er öffnete mir die Augen. „Was ist an einem Haushaltsgerät individuell, vor allem: an einem Staubsauger, der eine halbe Million mal hergestellt wird? Was tut dieses Reinigungsgerät, was nicht auch alle anderen täten?“ „Wahrscheinlich ist es ziemlich saugstark“, mutmaßte ich, „oder es ist angenehm gestaltet. Oder es macht weniger Krach als die anderen, ist nicht ganz so störanfällig und geht nicht kurz nach Auslaufen der Garantiefrist irreparabel kaputt.“ Er gluckste. „Und warum habe ich das dann nicht in diese Werbung geschrieben?“

Tatsächlich hatte Dauninger schon alles verkauft von Kohlrabi bis Knollenziest – Es ist Dein Gemüse – und diverses technisches Zubehör. „Und das befriedigt die Menschen, die den Kram kaufen sollen?“ Er lächelte schwach. „Information, Motivation, Überzeugung, das ist Werbung für Sie? Für mich ist es nur Absatzförderung. Wie auch immer. Man muss ja schon aufpassen, wie man eine Produkteigenschaft definiert.“ Er beugte sich über den Tisch und hängte das Tomatenposter ab. „Ursprünglich sollte Gesunder Genuss dort stehen, aber Légumes & Cie. haben uns ihre Anwälte auf den Hals gehetzt; sie wollten dafür sorgen, dass die Presse über lauter Fälle berichtet, in denen sich Menschen an Tomaten tödliche Schnittverletzungen zugefügt haben. Also sucht man nach einem Produktfeature, das etwas unverdächtiger ist.“ „Die Banalität des Blöden“, nickte ich. „Es lässt sich nicht vermeiden.“

„Involvement“, konstatierte Dauninger. „Wenn Sie das dumpfe Gefühl haben, dieses Produkt hätte irgendetwas mit Ihnen zu tun, dann habe ich schon einmal einen Fuß in der Tür bei Ihnen. Sie wenden sich dem Produkt zu, weil es sich Ihnen zuwendet. Sie wollen das Produkt, weil es Sie will.“ Skeptisch blickte ich auf Korkenzieher und Kaffeeautomaten. „Und wenn ich mich nicht einwickeln lassen will von Ihren Botschaften?“ „Aber wir haben eine ganz neue Qualität. Wir sind wahrhaftig! Können Sie es widerlegen, dass diese Tomate rot ist? Weil Sie es so wollen! Sie bewerten Ihre eigene Realität – natürlich positiv, weil Sie gar nicht anders können.“ „Dann müssten mich Tomaten und Staubsauger ja zwangsläufig vor Depressionen bewahren können.“ Dauninger klopfte mir auf die Schulter. „Ich sehe, Sie haben das Revolutionäre an diesem Ansatz verstanden.“

Das Telefon hatte noch nicht ausgeklingelt; Dauninger griff eilig nach dem Hörer. Es dauerte nur ein paar Minuten, die er stumm anhörend verbrachte, dann nahm er einen dicken Filzstift und überschrieb den Schriftzug: Tomate rot! „Sie verstehen das bestimmt“, stammelte er, „der Kunde will das so.“ Ich schmunzelte, während er sich den Schweiß von der Stirn tupfte und in seinen Sessel fallen ließ. „Und dafür gründe ich diesen Laden und laufe Gemüsekonzernen und Staubsaugerfirmen hinterher! Ich hätte einfach das weitermachen sollen wie bisher!“ „Und was haben Sie bisher gemacht?“ Dauninger seufzte melancholisch. „Wahlwerbung.“