Der Instruktor hielt das Anschauungsmaterial in die Höhe. „Das“, verkündete er den Schülern, „ist ein Hühnerei.“ Einer der Zöglinge kratzte sich mit großem Umstand am Kinn. „Kann ich das noch mal sehen“, nuschelte er und griff danach – da lag das Ei schon am Boden. „So ungefähr dürfen Sie sich dann die praktische Arbeit vorstellen“, konstatierte Sübenkotte. „Es läuft wie am Schnürchen hier im Amt für Nahrungsmittelsicherheit.“
Oberregierungsrat Doktor Sübenkotte entfaltete umständlich den Lageplan seiner Behörde. „Hier unten“, erklärte er, „haben wir die Schulungsräume, siebenunddreißig an der Zahl, hier ist der Osttrakt, und dort befindet sich das Labor.“ Ich pfiff durch die Zähne. „So viele Räume? Sie müssen ja einen enormen Bedarf haben.“ Er nickte. „Das kann man so sehen. Schauen Sie, seitdem wir unsere Arbeit aufgenommen haben, ist der gesamte Bereich der Lebensmittelkontrolle auf ein komplett neues Fundament gestellt worden. Endlich haben wir eine vollumfängliche Sicherheit, die auch dem einfachen Verbraucher – entschuldigen Sie, was wollten Sie doch gleich wissen?“ „Die Anzahl der Räume“, half ich ihm ein. Sübenkotte nickte. „Das kann man so sehen. Wir haben das überschüssige Personal des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums übernommen.“ „Und wie viele?“ „Alle, die für die Belange des Innern vollkommen überflüssig sind. Also schätzungsweise drei Viertel.“
Wir hatten einen anderen Ausbildungsraum betreten. In einem nachgebauten Hühnerstall gackerte vereinzeltes Federvieh umher, während in groteske Gummihosen gewandete Schüler im Sand herumstolperten. Einer schrie entsetzt auf – eine Henne hatte nach ihm gehackt. „Frau Lammbeck, die Ausbildungsleiterin für den Bereich Veterinär- und Zuchtwesen.“ Ich deutete eine Verbeugung an, doch die Lehrerin war sichtlich genervt und griff unvermittelt zu einem Huhn, das sie dem Eleven neben ihr unter die Nase hielt. Der junge Mann nahm allen Mut zusammen und begann, das Tier zu löchern: „Los, gesteh endlich! Willst du wohl? Du sollst endlich gestehen! Los jetzt!“ „Er hat doch dem armen Gickerl noch gar nicht gesagt, was es eigentlich gestehen soll?“ Triumphierend blickte der Hühnerschrecker mich an. „Jahaa, das denken Sie! Das ist aber ganz ausgebuffte Verhörtaktik!“
Während sich drinnen das Huhn auf den wehrlosen Lehrling stürzte – man hörte es noch lange gackern – führte mich Doktor Sübenkotte zum Osttrakt. „Das ist ja einigermaßen erstaunlich“, begann ich, „viele stellen sich am Beginn ihrer Ausbildung etwas an, aber dies hier?“ Er wehrte ab. „Aber nein, das sind durchaus keine Anfänger! Sie haben hier eben die Abschlussklasse gesehen, die Leute bereiten sich auf ihr Examen kommende Woche vor.“ Ich war verwirrt. „Aber der Mann war doch mit einem einzelnen Huhn völlig überfordert – wie soll der einen ganzen Geflügelzuchtbetrieb untersuchen, besser gesagt: wie soll dieser Typ die Kontrolle lebend überstehen?“ „Klar“, verteidigte sich der Behördenchef, „Sie haben da einen ganz anderen Zugang, aber Sie müssen berücksichtigen, dass das Personal im Innenministerium immer auf dem Stand des jeweiligen Innenministers sein muss. Zur besseren Kommunikation und für einen reibungslosen Ablauf der Terrorprävention.“ Nein, ich verstand kein Wort. Was hatten denn diese Hühner mit Terrorismus zu tun? „Wir nehmen die größten Idioten, die das Amt zu bieten hat, und bilden sie mehrere Semester lang zurück, bis sie auf dem Niveau von – verstehen Sie?“ Ja, ich verstand.
Auch im Freien fand der Unterricht statt. Aus dem Fenster beobachteten wir, wie plötzlich eine Horde von Männern in Trenchcoat und Schlapphut aus dem Gebüsch hervorbrach und sich johlend auf eine Palette Eier stürzte; müßig zu sagen, dass außer einer gewaltigen Menge Rührei auf dem Rasen nicht viel zurückblieb. „Der Angriff aus dem Hinterhalt ist eine der probatesten Strategien zur Überraschung des Feindes“, dozierte Sübenkotte. „Die Herren haben das doch schon recht hübsch demonstriert.“ Am anderen Ende des Gartens stampfte ein Trupp in ähnlicher Aufmachung durch etliche Stiegen mit Tomaten. „Wir kümmern uns im Amt für Nahrungsmittelsicherheit eben nicht nur um Eier, sondern eben auch um Obst und Gemüse. Eine rundum kompetente Behörde, die Sie als Verbraucher mit viel mehr Sicherheit ausstatten wird.“ Einer der Tomatenmänner, über und über mit rotbraunem Matsch bedeckt, zog einen Aufkleber aus der Manteltasche, den er an einer Holzkiste befestigte. „Damit“, informierte mich Sübenkotte, „haben die Tomaten die Einfuhrkontrolle bestanden und können ohne Bedenken für die Sicherheit der deutschen Verbraucher in den Handel kommen. Die Frau Aigner, die wäre wirklich stolz auf uns.“ „Moment einmal“, unterbrach ich ihn verwirrt, „was hat denn jetzt die Aigner mit Ihrem Schlapphutverein zu schaffen?“ Er lächelte. „Die sind ja nur Personal. In Wirklichkeit geht es uns doch hier um eins: richtig durchgreifen. Eine Kontrolle, die so richtig – was war jetzt doch gleich Ihre Frage gewesen?“ „Warum Sie das mit diesen Terrorverfassungsschützern machen.“ „Weil das bei denen ja auch alles so toll klappt, auch wenn die gar nichts dafür tun müssen – da fühlt sich der Bürger nämlich richtig sicher! Und dann ist das ja auch noch die Industrie da. Die wollen natürlich auch eine ganz scharfe Kontrolle, nur eben eine, bei der man nie Gammelfleisch oder Dioxin findet. Und das ist doch für einen echten V-Mann kein Problem. Die waren jahrelang Mitglieder in der NPD, ohne auch nur einen einzigen Nazi zu treffen, die kann man doch auf Gammelfleisch loslassen?“ Ich war konsterniert. „Und den ganzen Zauber verantwortet das Verbraucherschutzministerium?“ Sübenkotte protestierte heftig. „Wo denken Sie hin? Nein, wir lassen uns doch unsere Kompetenzen nicht streitig machen! Die Aigner hat einen klar umrissenen Aufgabenbereich, die darf das machen, was sie am besten kann: ankündigen. Mehr kann sie eh nicht.“ „Aber die Verbrauchersicherheit? Auf was soll ich mich denn jetzt verlassen, etwa auf Ihr Siegel?“ Er legte mir wohlwollenden die Hand auf die Schulter. „Das können Sie“, sprach der Oberregierungsrat im Brustton der Überzeugung. „Das können Sie – wenn Sie unser Qualitätssiegel sehen: Hände weg! Dann steht Ihrer gesunden Ernährung nichts mehr im Wege.“
Ob sich das Innenministerium eigentlich mal selbst auf Terrorverdächtige überprüft hat? Das sollte doch Beschäftigung für Jahre bieten. Wie ein kleines Programm:
1 set x = „verdächtig“
2 check x
3 for x = true goto 2
4 for x = false goto 1
Als Kinder hatten wir diese beidseitig beschriebenen Kärtchen: „Wie beschäftigt man Idioten tagelang? Bitte wenden!“ Zehn Sätze zu je einer Million Karten dürften eine lohnende Investition sein, wenn man berücksichtigt, wie viel Blödsinn man damit verhindern könnte.
Nur der Konjunktiv am Ende?
Man muss in diesem Land ja immer damit rechnen, dass sinnvolle Investitionen gekippt werden, damit alle Kinder für zehn Euro im Monat Geigen- und Reitstunden bekommen.