Die Macht der Gewohnheit

31 03 2011

„Ganz ruhig! Bleiben Sie gelassen und machen Sie sich jetzt nicht – ruhig, habe ich gesagt! Sie bleiben entspannt und reagieren mit… Moser, die Spritze. Wir kriegen ihn nicht mehr in den Griff.“ Der junge Mann wand sich, aber der Pfleger war viel stärker; wehrlos ließ er die Injektion über sich ergehen und sank schließlich auf dem Stuhl zusammen. „Sehen Sie“, sagte Karla Oppenheim, „es wirkt. Er wird es lernen. Wozu werden wir von den Banken auch bezahlt, wenn wir ihr Personal nicht vernünftig auf die Zukunft vorbereiten.“

Sie streifte ihre Handschuhe ab und reichte mir das Handbuch. Ich war doch recht erstaunt. „Das ist alles? Die Behandlungsmethode hatte ich mir viel komplizierter vorgestellt.“ Oppenheim lächelte mit einem leicht schnippischen Ausdruck. „Das ist ja gerade das Faszinierende daran: Sie müssen kaum Gedanken machen, die Sache ist inzwischen universell einsetzbar. Wie Sie sehen.“ Von fern dröhnte und rauschte es. „Ihr Grundkonzept“, fasste ich zusammen, „besteht also daraus, den einmal eingeschlagenen Weg beizubehalten und sich nicht von etwaigen Ereignissen abbringen zu lassen?“ Karla nickte. „Genau, das ist die eine Säule unserer Auffassung. Eine einmal gewonnene Erkenntnis, sagt unsere Erfahrung, kann gar nicht falsch sein, sonst hätte sie nicht zu einer Erkenntnis geführt.“ Das Rauschen schwoll an und wurde bedrohlich. „Die Aufgabe ist es, diese Erkenntnis nun mit den Mitteln der Vernunft gegen alle Einwände zu verteidigen.“ „Sehr vernünftig“, spöttelte ich, während der Fußboden schon leicht zu vibrieren begann. „Sie stellen also fest, dass die Erde eine Scheibe ist, und Ihre Vernunft teilt Ihnen mit, dass eine Auseinandersetzung mit der Empirie nur Verwirrung stiftet? Ihr Weltbild steht also fest, mit Tatsachen kann man Sie nur verwirren?“ Sie drehte sich um und lief schnurstracks auf die Tür zu.

Der ganze Raum schien zu wackeln. Auf der Leinwand sah man brennende Häuser und wilde Seebeben, jeden Moment schien ein Meteorit auf die Erde zuzustürzen. Grollen und Poltern drang aus den Lautsprechern, eine Alarmsirene kreischte zwischendrein, aus einigen unauffällig in den Fußleisten angebrachten Düsen strömte brandig riechender Qualm, der in den Augen biss. „Sehr lebensecht“, keuchte ich, „mein Kompliment!“ „Beachten Sie unsere Kandidaten!“ Oppenheim hielt sich an einer Stuhllehne fest, denn die Windmaschine lief auf voller Stärke. Die jungen Leute saßen fast bewegungslos in ihren Sesseln, die Finger fest in die Lehnen gekrallt. Plötzlich war der Spuk vorbei. Das Licht ging an, Vorhänge flogen wie von Geisterhand auf, die Projektionsfläche schnurrte an einer verborgenen Apparatur in die Decke. Hüstelnd erhoben sich die Eleven, die eben noch starr vor Angst gewesen waren. „Wir können gerne einmal die Probe aufs Exempel machen“, meinte Oppenheim und wandte sich an den Schüler vor ihr. „Wie sehen Sie die Lage, was können Sie der Öffentlichkeit sagen?“ Unwillkürlich versteifte sich sein Rückgrat; das Gesicht nahm maskenhafte Züge an. „Es besteht kein Anlass zur Besorgnis, wir sind mit den neu gewonnenen Erkenntnissen, die die Lage völlig verändern, weil die nachhaltige Veränderung, die aber kein Anlass zur Besorgnis ist, wie die Opposition, und ich betone: vorübergehend, mit den sich neu…“ „Er ist noch ein wenig übermotiviert“, erklärte sie. „Gegen einen GAU wird man ihn nicht von der Leine lassen können, aber bei einem Großfeuer oder bei der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge dürfte es schon gehen.“

Karla Oppenheim zog sich mit obsessiver Langsamkeit neue Handschuhe an; sie machte in einer Liste einige Häkchen. „Das ist das Schöne an der Methode, sie lässt sich überall einsetzen.“ „Wo landet denn Ihr Personal?“ Sie lächelte. „Da unser Kurs von einem internationalen Waffenexporteur und einem Pharmaunternehmen bezahlt wird, können Sie es sich wohl denken: im Bundestag. Es ist schließlich gleichgültig, ob man die Folgen einer Atomkatastrophe vertuscht oder die Bankenkrise. Die Sache ist dieselbe. Man muss weitermachen. Sonst geht es nicht weiter.“ „Sie verordnen den künftigen Lenkern des Gemeinwesens Verdrängung als Mittel zur Realitätsbewältigung“, konstatierte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Prokrastination wäre der richtige Begriff. Sie wissen schon, was richtig ist. Sonst würden sie ja auch nicht so eine Energie entwickeln, um davor wegzulaufen.“ „Sie meinen, der Reformstau käme letztlich nur zustande, weil Ihre Sprösslinge sich so erfolgreich drücken?“ Oppenheim zog eine Braue in die Höhe. „Sie haben es erfasst. Das Wesen des Konservativen ist es, die Verhältnisse zu erhalten.“ „Sie meinen ernsthaft“, ereiferte ich mich, „dass Sie eine komplette Gesellschaft in dem Zustand zementieren können, in den Sie ihn durch Nachlässigkeit gebracht haben? Sie denken, Sie könnten bis zum jüngsten Tag die Augen verschließen? Wer wird Ihre Fehlentscheidungen ausbaden? Eine künftige Generation?“ „Das ist mir verhältnismäßig egal“, gab Oppenheim kühl zurück. „Dann bin ich schon nicht mehr am Leben, und an die Reinkarnation zu glauben überlasse ich anderen. Übrigens hätten Sie mir besser zuhören können; es geht durchaus nicht um eine Gesellschaft, dem Konservativismus geht um ihre Verhältnisse. Es reicht doch, wenn Sie die Bankenkrise bezahlen, oder haben Sie etwa Geld?“ „Und ich hatte es für die Macht der Gewohnheit gehalten.“ Sie zupfte nervös an ihren Handschuhen. „Eher schon die Gewohnheit der Macht.“





Frühjahrsputz

30 03 2011

„Ist das Demokratie oder kann das weg?“ „Zeigen Sie mal. Ein Grundgesetz? Das kann in den Karton mit den demokratischen Sachen. Wird wohl gerade nicht gebraucht. Wobei es mich viel mehr wundert, dass so was hier überhaupt herumfliegt.“ „Warum wundert Sie das?“ „Na, was will denn die FDP mit einem Grundgesetz?“

„Hier hat wohl seit Jahren keiner mehr sauber gemacht. Alles völlig verdreckt.“ „Hinter den Schränken?“ „Gar nicht mal. Vor allem am Boden.“ „Kein Wunder, da hält die FDP sich ja auch meist auf, von gelegentlichen Höhenflügen abgesehen.“ „Aber dass das derart braun aussieht, das hätte ich nun nicht gedacht.“ „Das tritt man halt rein, wenn man nicht alle siebzig Jahre feucht durchwischt.“ „Verstehe, nur: warum ist das noch niemandem aufgefallen?“ „Das Parteibüro wird ja eher selten von den Bodentruppen benutzt, und die Führung guckt nie nach unten.“ „Das leuchtet ein. Und jetzt rücken wir ab?“ „Abrücken? Nehmen Sie das Wort bloß nicht in den Mund, vor allem nicht hier. Das kann der Westerwelle nicht hören.“ „Sie meinen, der Parteivorstand schnappt das auf, und dann ist es passiert?“ „Ach was, da passiert nichts. Die sind viel zu verzweifelt. Wer in höchster Not Brüderle aus der Besenkammer holt, der ist am Ende.“

„Diese Karnevalsverkleidungen, werden die noch gebraucht?“ „Was für – ach so. Die Schuhe. Der Krönungsornat.“ „Dem Schild nach von Guido. Altkleidersack?“ „Weg damit. Lindner trägt noch Kindergröße, und Rösler säuft in dem Ding ab.“ „Schade. Es sieht eigentlich ganz brauchbar aus. Nur die Taschen, das verstehe ich nicht.“ „Warum, weil sie so groß sind?“ „Weil sie innen angebracht sind.“ „Typisch für eine Diebesschürze.“ „Dennoch begreife ich es nicht. Kaum Mobiliar, aber lauter Schränke voller falscher Pelzmäntel?“ „Der Schein heiligt eben die Mittel.“

„Die Fenster sind bestimmt seit Jahren nicht geputzt worden. Schauen Sie, alte Prozentzahlen – da hat jemand auf den Scheiben herumgeschmiert.“ „Hier ist der Möllemann-Knick, da kommt die Bundestagswahl. Egal, wird keinen gestört haben. Die hatten sowieso keinen Durchblick, wozu dann noch Fenster.“ „Kommen Sie mal eben.“ „Hier sieht’s ja echt aus wie beim Messie unterm Sofa.“ „Alles alte Wahlversprechen. Haben sie einfach durcheinander auf den Boden geschmissen und dann die Tür verrammelt.“ „Tja, aus den Augen, aus dem Sinn.“ „Hier liegt die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers. Sogar in Original-Geschenkpackung. Schon lustig.“ „Wenn Sie die jetzt in die Tonne schmeißen, dann bleibt von der letzten Legislatur nichts mehr übrig.“ „Bisschen mager, oder?“ „Was hatten Sie erwartet, dass hier die Mumien von Kinkel und Genscher aus den Spinden kippen?“ „Das weniger, die haben sie gründlich entsorgt.“

„Übrigens frage ich mich ernsthaft, warum es hier derart verrumpelt aussieht. Schmeißen Sie zu Hause Ihre Bananenschalen auch immer auf den Boden?“ „Das ist das Problem, dass Westerwelle als Außenkasper und Chefclown durch die Gegend läuft. Ist er Außenminister, geht in der Partei alles drunter und drüber – markiert er in der FDP den starken Max, dann macht das Auswärtige Amt ohne ihn weiter. Übrigens ist Letzteres nicht einmal das Schlechteste, ohne ihn läuft es wenigstens.“ „Aber der Dreck bleibt.“ „Der Dreck bleibt, schließlich ist es der Chef selbst, der den Laden zumüllt. Es gibt Leute, die haben noch nie im Leben für Ordnung gesorgt, nie. Als Kind hatten sie ein Kindermädchen oder eine Putzfrau, dann war’s Hotel Mama, und sie haben nie im Leben einen Staubsauger in die Hand genommen oder eine Spülbürste – alles immer auf andere abgewälzt. Denen fällt es erst auf, wenn der Abfall sich kniehoch stapelt.“ „Verständlich, dass solche Leute nicht selbst aufräumen.“ „Was ist daran verständlich?“ „Wer denkt, er sei zu groß für kleine Aufgaben, ist nur zu klein für große.“

„Die Küche ist ja wohl auch ein Witz.“ „Aha, lauter Tütensuppen. Was steht da drauf?“ „Einfach – niedrig – gerecht.“ „Nein, hinten.“ „Haltbar bis: 2001.“ „Danach hätte man das Zeug eigentlich auch wegschmeißen können.“ „Da sehen Sie es, die leben bis heute nur noch von Notfallrationen.“ „Aber dass sie eine komplette Speisekammer bis oben damit vollstapeln?“ „Bunkermentalität. War doch zu erwarten.“ „Zehn Jahre alt, das grenzt doch inzwischen an Paranoia.“ „Sie wissen doch, nicht die Umfragen zählen, sondern die Wahlergebnisse.“ „Also ignoriert man jahrelang die Wahlergebnisse, um sich dann in den Umfragen zu sonnen, und dann ignoriert man auch die Wahlergebnisse?“ „Die Wähler. Das ist etwas ganz anderes.“

„Kommen wir eigentlich voran?“ „Keine Ahnung, ich habe nicht das Gefühl.“ „Das liegt an den ganzen Punkten auf den Möbeln.“ „Sie meinen, wenn wir die nicht abstauben dürfen…“ „Im Auftrag steht, wir sollen sie nicht einmal anfassen.“ „Haben Sie einen Stuhl oder Tisch ohne einen Aufkleber gesehen?“ „Nicht, dass ich wüsste. Aber das war ja zu erwarten.“ „War es das?“ „Jeden Tag wurde verkündet: ernsthafte Analyse, wir haben verstanden, jetzt werden Konsequenzen gezogen – das heißt im Klartext, dass sich alles ändern muss. Bis auf das, was einen Punkt drauf kleben hat. Und die kleben überall. Wissen Sie, was einfacher wäre?“ „Den ganzen Schuppen abreißen. Aber wer wird dafür aufkommen?“ „Können Sie sich bei der FDP doch ausrechnen. Der Steuerzahler.“





Der Schnittlauchflüsterer

29 03 2011

Er hielt das Ohr ganz dicht an die Erde. „Ihr müsst Euch keine Sorgen machen“, flüsterte er.. „Die Sonne scheint heute ganz bestimmt noch, und dann wird es ab morgen wieder schön warm. Alles wird gut!“ Dann verharrte er regungslos, und ich weiß nicht, ob es an seinen Bandscheiben lag oder an der Tatsache, dass er just in diesem Augenblick meine Schuhspitzen durch den Jägerzaun erblickte. Herr Breschke riss die Augen auf. „Ich kann Ihnen alles erklären“, stammelte er. „Es ist nicht so, wie Sie denken!“

Ich half dem pensionierten Finanzbeamten auf die Füße. „Die Flecken an Ihren Knien erklären Sie Ihrer Frau“, beeilte ich mich, „ich kenne Sie – nicht, dass ich wieder als Entschuldigung herhalten muss.“ Er war beleidigt. „Also bitte, Sie kennen mich doch!“ „Eben“, gab ich ungerührt zurück. „Und Sie sollten bei diesem Wetter durchaus etwas Besseres zu tun haben, als in Ihrem Vorgarten herumzukriechen wie ein Regenwurm.“ An sich war Breschke ein ruhiger Mensch, abgesehen von den Momenten, in denen er die Nerven verlor, das Gleichgewicht oder die Fassung. Was er zerstörte, und das war nicht eben wenig, das war auch ganz kaputt; eine gewisse Gründlichkeit konnte man ihm halt nicht absprechen. „Und jetzt regen Sie sich mal wieder ab, Sie holen sich ja den Tod an diesem kühlen Morgen!“ Schon hatte er sich wieder an den Rand seines kleinen Kräuterbeets gekniet. „Lassen Sie mich nur eben die Morgenzeremonie beenden. Man muss das ganz genau machen, sonst wirkt es am Ende nicht. Sagt jedenfalls Ihre Nachbarin.“

Sigune. Diese Frau ist die ideale Testkandidatin für die Leistungsfähigkeit einer psychiatrischen Anstalt. Sie vollführt im handgewebten Burnus Fruchtbarkeitstänze vor ihrem Ficus und gießt das Gestrüpp mit handgerührtem Vollmondwasser, wenn sie nicht gerade die tragenden Wände ihrer Wohnung einreißen will, um den Energiefluss zwischen den Fenstern zu erhöhen. Welcher Teufel auch immer diese esoterische Eule auf Horst Breschke losgelassen haben mag, sie muss ihm den Kopf mit okkultem Unfug vollgestopft haben, mit mystischem Hokuspokus und schauerlichem Quark.

„Wir sollten die Natur mehr respektieren“, verteidigte er sich. Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. „Und deshalb robben Sie bei Temperaturen knapp oberhalb des Gefrierpunktes auf der Krume herum und quatschen der Petersilie einen Blumenkohl ans Ohr? Breschke, Sie machen sich ja lächerlich!“ „Das können Sie sagen, aber ich weiß eben Bescheid! Wir sollten den Pflanzen viel mehr Anerkennung zeigen für das, was Sie für uns tun!“ „Beispielsweise für den Windenknöterich und den Gauchheil, der Ihnen den Garten versaut“, höhnte ich. „Oder teilen Sie Ihre allumfassende Liebe für die beblätterte Kreatur nicht mit dem ganzen Genpool?“ Er druckste herum. „Wir treten diesen Pflanzen oft zu nah, da muss man doch ein gutes Verhältnis pflegen und…“ „Meine Güte“, fauchte ich, „Breschke! Sind Sie noch ganz bei Trost? Sie lullen diese Kräuter ein, und danach reißen Sie sie aus, hacken sie klein und streuen sie auf die Kartoffeln, denen Sie vorher noch schöne Augen gemacht haben? Haben Sie denn überhaupt kein Mitleid?“ Der Alte riss erschrocken die Augen auf. „Um Gottes Willen“, wimmerte er. „Lassen Sie das bloß den Majoran nicht hören! So habe ich es ja noch gar nicht bedacht – wenn die Kräuter das hören, dann sind sie am Ende beleidigt und wollen gar nicht mehr wachsen!“

Hastig griff Breschke zur Harke, die auf dem Rasen lag, und strebte dem Haus zu, wobei er sich mehrmals durchaus panisch umsah, ob auch ja kein Kräutlein ihm aus der Erde drohte. „Sie haben das gehört“, keuchte er, „die haben das bestimmt…“ Da hatte er mit dem Rechenstiel auch schon die kleine Blumenampel vom Frontbalken der Pergola gefegt. Das Ding segelte ihm knapp am Kopf vorbei und zerschellte am Boden. „Der Fluch der bösen Tat“, sprach ich mit todernster Miene. Das Pflanzenreich ist eben ein geheimnisvoller Kosmos, der seiner eigenen Logik folgt, grausame Rache übt und sich auch von Menschen nichts gefallen lässt. Das zumindest glaubte er, da ich die schauerlichsten Geschichten erzählte. „Meine Urgroßtante starb an dem Freitag, an dem auch die Geranien im Garten plötzlich verwelkten.“ Breschkes Knie schlotterten. Ich hätte ihm noch erzählen können, dass es an der mangelnden Wasserversorgung lag – Tante Amalie hatte drei Tage nach ihrem Herzinfarkt das Zeitliche gesegnet, was im Hochsommer ausreichte, um auch den Topfblumen den Rest zu geben. „Und wenn ich sie einfach nur züchte und nicht abschneide, dann werden sie mir vielleicht nichts tun?“ „Lassen Sie’s darauf ankommen“, versetzte ich kühl. „Sie haben inzwischen einige Übung als Schnittlauchflüsterer, doch sollten Sie immer auf der Hut sein.“ Ich zog ihn zu mir heran. „Nicht auszudenken, wenn jemand den Dingern erzählen würde, dass Sie sich rein vegetarisch…“ Mit bebenden Knöcheln krallte Breschke sich ins Beet, als wollte er die Petersiliensaat sogleich wieder ausgraben. „Hört Ihr mich“, flehte er. „Es wird alles gut, ja? Alles wird gut!“ „Ich hatte da wohl eine Kleinigkeit übersehen“, kicherte ich. „Die Sämereien sind ja meist niederländischen Ursprungs, es könnte also sein, dass das Grünzeug Sie gar nicht versteht.“

„Diese elende Schwindlerin“, schrie Breschke und zertrampelte planmäßig das ganze Kräuterbeet. „Wenn ich diese dumme Kuh erwische, diese verdammte Kräuterhexe! Ich mache mich hier ja zum Narren!“ Dem war ja nun nichts hinzuzufügen.





Nach Augenmaß

28 03 2011

„Da dürfen Sie mich nicht fragen. Haben Sie eine Bedienungsanleitung? Eben. Ich auch nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass man die nicht einfach so abschalten kann. Das Modell ist zu alt, da kriegen Sie ja nicht einmal mehr vernünftige Ersatzteile. Und wenn da mal ein Kleinteil einfach so rausfliegt oder eine ganze Baugruppe ausfällt – ich bin ja auch für den Ausstieg, je schneller, desto besser, aber ich fürchte, wir werden Merkel kontrolliert runterfahren müssen. Einfach ausknipsen lässt sich die Alte jedenfalls nicht.

Schrittweise, haben sie gesagt. Erst Hamburg, jetzt Stuttgart, und irgendwann Deutschland. Aber mit dieser Kanzlerin kriegen Sie das nicht mehr hin, das sieht doch ein Blinder! Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg, oder ist das jetzt schon Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg? Haben Sie da noch Ausblick? Durchblick, meine ich? Ich auch nicht. Hat keiner. Alles ein Chaos. Gut, jetzt sind wenigstens die Reaktoren Mappus und Gönner vom Netz. Dieses verstrahlte Geraffel, hat das überhaupt noch eine Betriebsgenehmigung? Wer entsorgt den Abfall von diesen Klötzen? Und werden die auch irgendwo sicher endgelagert? Oder kommen die zu Guttenberg in die Wiederaufbereitungsanlage? Das muss man doch wissen!

Stresstest hat sie das genannt, die Merkel. Das leuchtet mir nicht ein. Sie macht nur einen Stresstest mit der CDU. Dabei ist ihr der Wähler dazwischengeraten. Ach, dieser Stresstest ist bloß Papierkram? Na, das passt ja. Für die CDU findet die Verfassung ja auch nur auf dem Papier statt.

Die Kühlsysteme, das ist der Schwachpunkt. Wulff, von Beust, Koch, alle havariert – ein paar haben sogar freiwillig den Geist aufgegeben, soweit man bei denen von Geist sprechen kann. Aber dann gucken Sie mal, was Sie da an Ersatzteilen geliefert bekommen! Ahlhaus, das ist ja als Nachbau noch erträglich, aber Bouffier? Den Hongkongschrott baut sich doch kein normaler Mensch ein!

Klar, jetzt merkt man erst, was das DDR-Erbe von der Merkel alles ausmacht. Sie hat ja vor allem Abwickeln gelernt. Also gehen wir mal davon aus, dass die CDU ordnungsgemäß um die Ecke kommt.

Sie meinen, Merkel sei ein Schneller Brüter? Das verstehe ich jetzt nicht. Weil sie ständig Zeugs von sich gibt, das die Bevölkerung spaltet? Herbst der Entscheidungen, Jahr des Vertrauens und solche Sachen? Ach deshalb. Ja, kann man unterschreiben: dass sie mehr Müll produziert, als für die ganze CDU ausreicht. Und Westerwelle? Druckwasser-Überreaktor, typischer Fehlbau. Der Mann macht doch nichts als heiße Luft. So viel kontaminierte Abwärme kriegen Sie sonst nur um die Ohren geblasen, wenn Sie Homburger und Brüderle als Reihenschaltung betreiben. Aus der thermischen Energie kriegen Sie locker eine Resthirnschmelze hin. Leichtwasserreaktor? Westerwelle? Meinten Sie jetzt, den kriegt so ein Leichtmatrose eher geregelt? Da muss ich Sie leider enttäuschen, der kriegt gar nichts hin.

Jedenfalls nicht nach Augenmaß. Doch, das hat sie immer wieder betont: Augenmaß. Leider hat sie uns nicht verraten, ob wir ihren Knick in der Optik berücksichtigen müssen. Heißt denn Augenmaß jetzt, dass wir sie vom Netz nehmen und ausglühen lassen bis 2013? Oder gleich Neuwahlen und dann ab in die Asse mit diesem Verdampferkonzentrat? Oder in den Weltraum? Ich würde das gut finden. Und die ganzen CDU-Landesverbände, wenn man denen sagen würde, wir schießen die Merkel zum Mond – Sie, die würden ihr letztes Hemd hergeben, wenn sie dafür eine deutsche Rakete bauen dürften! Aber das wird nicht passieren, da bin ich mir sicher. Ganz sicher. Denn so sicher ist auch sicher, dass die Sicherheit von Mondraketen nicht sicher genug ist, da können Sie noch so viele Ethikkommissionen einsetzen, die herausfinden sollen, was sie denn nun eigentlich herausfinden sollen. Am Ende geht so eine Rakete beim Start in die Luft, der radioaktive Mist explodiert, und dann haben wir das Zeug auch wirklich überall. Und das geht doch nun wirklich nicht – ich meine, es reicht doch, wenn die Merkel in Deutschland die Atmosphäre vergiftet.

Es wird vermutlich hier so laufen wie in Japan: die Leute, die sich haben verstrahlen lassen, sind am Ende selbst daran schuld und brauchen sich gar nicht erst irgendwelchen Hoffnungen hingeben. Das neoliberale Prinzip halt, alle Tellerwäscher, die es nicht bis zum Millionär geschafft haben, müssen zur Strafe seine Steuern mitbezahlen. Sozialsystem, Bildung, innere Sicherheit, die Kernschmelze hat längst stattgefunden, aber die Quatschköpfe stehen immer noch in der Landschaft und verkünden, dass sie alles unter Kontrolle haben – bis irgendein Brüderle versehentlich das Gegenteil herausfindet. Es steigt ja auch keiner mehr durch in diesen Bedienungsanleitungen. Da steht zum Beispiel, das, was Kohl gesagt hat, sei Illoyalität. Immer, wenn jemand die Wahrheit sagt, dann ist das Illoyalität. Verstehen Sie das? Ich auch nicht. Aber vielleicht hat ja Orwell die Betriebsanleitung geschrieben.

Keine Ahnung, wer die Liquidatoren auf dem Wasserwerfer sein werden. Kauder vielleicht, de Maizière, von der Leyen, Röttgen. Wenn sie sich zum Schluss ganz sicher sind, dass da keiner mehr lebend rauskommt, dann werden sie Pofalla auch noch in die Strahlen schicken. Denn das ist doch das eigentliche Dilemma der CDU: alle wünschen sie sich heimlich, dass die Merkel der Schlag trifft, aber alle wissen sie auch, dass dann auch nichts mehr kommt. Und das ist, im Gegensatz zu den deutschen Kernkraftwerken, todsicher.“





Par Ordre de Mutti

27 03 2011

Sie denkt, es ginge sehr diskret
und ziert sich nicht dabei,
wie sie das Grundgesetz verdreht –
was stört, ist ihr Geschrei.
Als wüsste keiner, wie verkracht
der Laden stolpert.
    Mutti macht.

Wenn auch ihr Traumgebilde platzt,
es stört sie nicht. Sie kennt
die Wirklichkeit nicht mehr. Sie schwatzt
vorbei am Parlament.
Justitia grollt. Germania weint.
Die Nachhut torkelt.
    Mutti meint.

Man hat mit ihr kein Mitleid mehr.
Wer’s kann, steht auf und flieht
und lässt den Hut des Bettlers leer,
eh sie es sich versieht.
Wie sich zum Schluss Fortuna neigt –
na, weg mit Schaden!
    Mutti schweigt.

Der Vorhang fällt. Es ist soweit.
Und niemand ist entsetzt.
Beliebtheit aus Beliebigkeit?
Sie hat sich überschätzt.
Wenn ihr die letzte Glocke schellt,
seht ohne Mitleid:
    Mutti fällt.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (XXXIV)

26 03 2011

Herr Volckxbroek, der packte in Mol
das Reisegepäck für den Pol:
die Schurwollschabracke,
die Seehundsfelljacke –
und, wie man sich denkt, Alkohol.

Giampietro lief durch Borgorose,
ganz ängstlich wie eine Mimose,
die schutzlos erzittert,
Gefahr ständig wittert –
der Gurt seiner Hose war lose.

Zehntausend! Es konnte in Assen
Frau Smeulders ihr Glück gar nicht fassen –
da davon ihr Gatte
gewusst gar nichts hatte,
begann sie schnell, es zu verprassen.

Gonzales, der kratzt in Reinosa
die Dachrinne aus, wo einst Moos war,
steigt fröhlich und heiter
erneut auf die Leiter
und streicht dann das Blech in Zartrosa.

„Nicht übel“, sprach Brian in Hessle,
„der Fettsack sitzt reglos im Sessel.
Sie werden dem Dicken
das Lösegeld schicken.
Nicht nötig, dass ich ihn noch fessel.“

Herr Tordenskjold pflegte in Ølen
von morgens bis abends zu nölen.
Man sagte noch neulich,
die Laune sei gräulich
bei ihm und bei seinen drei Tölen.

Dem Schmalbauer knirschte in Grades
die Achse des hinteren Rades
am Lastenanhänger –
er achtet’s nicht länger
und rief noch: „Nur weiter, beladt es!“





Gernulf Olzheimer kommentiert (XCVII): Frühstücksbüfetts

25 03 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Zu Hause ist alles am besten. Das nervtötende Geknarze der Treppe, das einem den Nachtschlaf raubt, die Samstagshämmerer im Nachbarhaus, der surrealistische Zustand der Sanitäreinrichtungen, alles lässt sich mit dem nötigen Humor und etwas Lokalpatriotismus ertragen, wenn man es sich nicht gleich schön säuft. Dennoch lässt sich der Bürger nicht ausreden, fremde Herbergen in sämtlichen bewohnbaren Teilen dieses unterdurchschnittlichen Planeten zu betreten, dort zu nächtigen, Strom und Wasser zu verbrauchen und gastronomische Experimente durch den Verzehr von angebotenen Speisen und Getränken zu unterstützen. Mit etwas Glück übersteht der Bekloppte derlei unbeschadet an Leib und Seele, doch jäh verschattet sich das Glück, wenn er sich dem Entsorgungspark des Hotelleriebetriebs nähert, dort, wo Nekrophile und Archäologen auf ihre Kosten kommen: am Frühstücksbüfett.

Anfänger zücken noch den Geologenhammer, um das Handstück mit den Mehrkornanhaftungen in Basalt oder Backwerk zu kategorisieren. Der geübte Gast, etwa ein Business-Bettbenutzer, erkennt die Schrippe noch vom letzten Besuch wieder und wendet sich resignierend dem Vollkornbrot zu, das in reich differenzierten Mumifizierungsgraden ein Memento mori inszeniert Zahnärzte begrüßen diese Darreichungsform, füllt doch jeder abgebrochene Beißer die Kasse. Dass die Mattigkeit vergangener Nachtstunden noch nicht ganz gewichen ist, bestätigt auch jene opake Plörre, die via Handpumpe aus dem Metalltank pladdert und en passant die Tassen befeuchtet; Leitungswasser in Halbtrauer wird dem geschundenen Gast als Kaffee feilgeboten, als seien Betonmatratze und das surreal an einen Auspufftopf gemahnende Dauerröhren der Klimaanlage noch kein ausreichender Grund, sofort nach Verlassen der Schlafkammer Massenmorde zu begehen. Wer je die Plempe als trinkbar bezeichnet und in Verkehr gebracht hat, der gehört vor ein Kriegsgericht gestellt.

Ähnliche Abnutzungserscheinungen am ästhetischen Konzept der Zivilisation geben die Frühstückszerealien von sich, deren Staubgehalt den Eindruck erweckt, es handele sich um Reste einer Unterkunft aus Pompeji. Wer Schmiegsames bevorzugt, ist immer gut bedient mit Bananen und Tafeltrauben, die nachts zur Luftbefeuchtung schon im Speisesaal gelagert hatten, um sich dem fauligen Braunton des Geschirrs zu nähern. Drosophila melanogaster, das Heimtierchen der Genpuhler, wäre entzückt ob des schmadderigen Schmiers, den die Schlauchbeere absondert, und wesentlich höher sind die Ansprüche durchreisender Dumpfnulpen in hessischen Auffanglagern der Ein-Sterne-Klasse auch nicht einzuschätzen. Gerade, dass sie die zur späten Nachtstunde gekochten und mit dem ersten Tageslicht langsam in Trockenstarre übergehenden Hühnereier nicht als Wurfgeschoss benutzen, so sie die halbflüssig in Sammeltröge geschwiemelten Zuckeransammlungen mit naturidentischen Farb- und Geruchsstoffen, vulgo: Mehrfruchtkonfitüre, als Hommage an die Jugendherbergsverpflegung im hochstalinistischen Ostblock wahrnehmen, zu schweigen von den schwitzenden Schmierfetten, vor denen auch Jack the Ripper sein Messer in Sicherheit gebracht hätte.

Schon ein nächtlicher Rundgang durch die Absteige enthüllt das Dilemma: die Frühkost wird am Vorabend geplant. Gefechtsbereit lagern einige Dutzend Tassen auf den Untertassen, saisonal unterschiedlich im Bodenkontakt gepolt, winters nach oben offen (was leicht staubige Aromen von Ablagerungen am Boden des Gefäßes sammelt), im Sommer jedoch mit der Öffnung nach unten gekehrt (was Insekten den Weg in den Tassenkopf erschwert und zugleich der Frischluft, so dass der Muff von tausend Jahren auf der Bohnenbrühe schwimmt). Im Abendrot zartfühlend arrangierte Orchidee und Rosaceae grüßt schon am folgenden Morgen lässig aus dem Jenseits, zimmerwarme Nusspampe fließt mit asphaltartiger Viskosität aus Pressglaswannen, offen gelagerte Milchprodukte gehen dazu über, eine Außenhaut zu installieren, damit sich etwaige Gliederfüßer beim Landeanflug auf dem Joghurt nicht die Beinchen verstauchen. Wandelbarkeit, ja Vanitas atmet die Anrichte, wo eben noch in Plaste gepfropfter Scheibenkäse vor Kondenswasser mit der Discounter-Mortadella um die Wette glitzert, bevor der Gevatter mit dem Tellerchen kommt und mit stoischer Miene zwei unverdächtige Scheiben Knäcke aufs Tellerchen hebelt, denen er vertraut, weil sie schon vorher klinisch tot waren.

Was aber dem Frühstücksbüfett seine widerliche Attitüde verleiht, ist der Bescheuerte selbst, der neben einem das kirschfarbige Geklecker aufs Brot rinnen lässt und an allem meckert. Der Orangensaft ist ihm zu billig, zu sauer, zu kalt, und das, da er (wenn überhaupt) nur billigen, sauren und kalten Saft in sich kippt, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit sogar die identische Nektaraufschwemmung wie das Gesöff im Hotelkrug. Kaum in der Senkrechten, da kübelt der Kasper Kritik an allem und jedem in die verstörte Umwelt, ätzt gegen Fleischsalat und Räucherlachs, Kräuterkäse und Maracuja-Knusper-Quark, als bestünde seine Stoffwechselsituation vor der Mittagspause aus mehr als einer Zichte im Rachen, während der Kaffeeautomat neurasthenisch die Wohnküche vollröchelt. Wer diese Hackfresse als erstes Geschenk des Tages bekommt, für den ist der Rest auch nicht mehr erstrebenswert. Man sollte Räume mit Frühstücksbüfetts nach dem Errichten umgehend luftdicht versiegeln und niemanden auch nur in die Nähe kommen lassen. Ohne den morgendlichen Auftrieb der Behämmerten wäre diese Gefahr gebannt.





Viehhandel

24 03 2011

„Herr Minnichkeit, wie bin ich erfreut, Sie hier zu sehen!“ Siegmund Seelenbinder setzte bereits zu einem artigen Diener an, als ich ihn lächelnd unterbrach. „Ich enttäusche Sie nur ungern, aber ich bin es gar nicht selbst. Minnichkeit schickt mich, um den Chef der Fashion-Abteilung einzukaufen.“ Sein Gesicht zuckte. „Ich muss um Verzeihung bitten. Aber wird sind auch noch nicht fertig, unsere Datenbank wird gerade frisch durchgeputzt. Sie werden einen Kandidaten bei uns finden – wir haben alles, was Sie suchen!“

Ich verkniff mir die Bemerkungen, als ich das Signet von ad hominem an den Türschildern entdeckte. Die Personalfirma hatte sich den Namen selbst gewählt, ich war dafür nicht verantwortlich. „Unser Unternehmen“, belehrte mich Seelenbinder, „arbeitet nach den modernsten Methoden und ist technisch up to date. Sie werden sicher keinen Konkurrenten finden, der sich mit uns vergleichen ließe.“ „Das glaube ich aufs Wort“; gab ich mit einiger Ironie zurück. „Wenn Sie vor allem ein Interesse an technischen Verfahren hegen, sind Sie bestimmt ein großartiger Personaldienstleister.“ Er rümpfte die Nase. „Höre ich da eventuell eine Spur von Kritik heraus?“ Seelenbinder öffnete die Tür und schob mich in den kleinen Raum. „Dann schauen Sie sich einmal das hier an. Und dann reißen Sie die Klappe auf – wenn Sie können.“

Es war eine ganz normale Datenbank, aber ihre Ordnung war ungewöhnlich. „Die intrinsische Motivation ist ein bislang völlig unberücksichtigtes Kriterium. Wir wollten uns nicht damit abmühen, die Fähigkeiten eines Arbeitnehmers zu bewerten – die meisten Dinge lernt man sowieso erst in der Berufspraxis, Sie werden das kennen – sondern ihn nach dem Leistungsprinzip kategorisieren. Wer etwas leisten will, der soll es auch tun.“ Ich war sehr erstaunt. „Das ist ja lobenswert“, antwortete ich. „Meist wird diese Phrase ja nur in Sonntags- und Wahlkampfreden verwendet, denn wer hat heute noch Respekt vor einem Feuerwehrmann und nicht vor einem Investmentbanker?“ Seelenbinder zog eine Braue empor. „Sie sind Romantiker? Hätte ich mir ja denken können. Aber wir sehen das etwas anders. Bei uns haben Idealisten schlechte Karten. Sie sind absolut untauglich.“

Die Suchmaske spuckte binnen Sekunden ein Dutzend hoch motivierter Arbeitskräfte aus. „Der übliche Schrott“, spottete der Personaldompteur. „Die haben teilweise dreißig Jahre lang ihren Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten müssen – inzwischen völlig unbrauchbares Pack, das für den normalen Arbeitsmarkt total verdorben ist.“ „Eine interessante Auffassung“, bemerkte ich, „nach der Doktrin dürfte es keine ordentliche Arbeitsbiografie mehr geben.“ „Gibt es auch nicht“, beschied mir Seelenbinder. „Wenn Sie sich dreißig Jahre lang in der Maschinerie geschunden haben, sind auch ihre Qualifikationen egal. Sie sind motiviert, idealistisch und total versaut für die modernen Anpassungen. Sie lieben die Arbeit.“ Ich betrachtete das Auswahlfeld. „Qualifizierte Beschäftigungen haben Sie nicht anzubieten?“ Seelenbinder schüttelte den Kopf. „Würden wir ja gerne, aber wenn wir auf einmal alle freien Stellen besetzten, dann hätte die Wirtschaft keinen Grund, den Fachkräftemangel zu beklagen.“ „Sie meinen also, ein unmotivierter Arbeitnehmer ließe sich in den Arbeitsprozess noch besser einspannen?“ Er nickte. „Wir setzen auf die träge Masse. Das Vieh ist besser als gar nichts.“

Die Datenbank gab derweil jede Menge Output von sich; Estrichleger wurden gesucht und Kellner, Feinpolierer und Stuckateure, lauter ehrenwerte Gewerke. „Es gibt ja kaum noch einen Anreiz für diese Leute“, beschied Seelenbinder. „Natürlich müssen wir mittlerweile von den üblichen Mustern abweichen – es lässt sich kaum noch erzählen, dass es mehr Arbeitsplätze als Arbeitslose gibt, aber das muss uns nicht stören. Wir erweitern einfach das Modell der Anreize. Wenn ein Kandidat zu schnell bereit ist, eine Arbeit zu verrichten, ist die Arbeit zu gut bezahlt – oder der Arbeitnehmer übermotiviert.“ Ich widersprach ihm heftig. „Sie verrechnen sich. Ihr Ansatz ist unlogisch. Einerseits wird von der öffentlichen Hand die Unterwerfung unter den Arbeitszwang gefordert, fernab jeder Qualifikation oder Qualifizierung, und dennoch betreiben Sie Ihren Viehhandel: ist die Arbeitsbereitschaft erst einmal erzwungen, kann man an den Konditionen immer noch drehen. Wie passt das zusammen?“ Seelenbinder lächelte herablassend. „Wir fassen die Gier dieser Gesellschaftsschicht, mehr als ihre Grundsicherung haben zu wollen, als verderblich auf. Gleiches Recht für alle – warum soll nicht ein Fabrikarbeiter mit denselben Vorverurteilungen zu kämpfen haben wie ein Manager?“ „Ich dachte es mir schon“, gab ich zurück. „Ist der Mensch schlecht, freut sich das Geschäft. Freie Geister hat eine Diktatur nicht gerne in ihren Reihen.“

Seelenbinder tippte ein paar Dinge in die Tastatur und wartete, bis der Computer die Ergebnisse ausspuckte. „Hervorragend“, jubelte er. „Wir können Ihren Fashion-Menschen sofort mit einem Dutzend Bewerber bestücken. Was wollen Sie?“ „Ich denke, ich…“ „Halt!“ Er machte eine beschwörende Geste. „Hier ist er: Erfahrung in subalternen Tätigkeiten, keine Berufsausbildung, keinerlei sozialversicherungspflichtige Arbeit, für qualifizierte Aufgaben vollkommen ungeeignet, charakterliche Defekte im Randbereich, absolut motivationsfrei – wollen doch mal sehen, was das ergibt.“ Er fingerte ein bisschen an den Tasten herum und erblich plötzlich. „Idealberuf: Politiker!“





Schweine!

23 03 2011

Dass es sich um solche handelt, sah der geneigte Betrachter sofort (die geneigte Betrachterin nicht minder), doch auch diese Runde im Freitagstexter bot wieder einen Erkenntnisgewinn von unschätzbarem Wert. So begreift man beim Anblick von Pigeldi und Jolanthe spontan, warum diese Dinger Fressliegeboxen heißen, und vielleicht begreifen wir irgendwann, warum die EU dieses Projekt zur Aufzucht von Schweinerollbraten trotz mangelnder Erfolge bis 2013 finanzieren will.

Aber der Preis! Darum auch keine großen Worte, sondern der frisch polierte Pokal.

Auf Platz 3 übt lamiacucina leise, aber gut vernehmlich Kritik an den Boxenludern – jene Luder, die uns diese Zuchtkisten andrehen:

Unsere platzsparende Schweineaufzuchtbox bietet ihren Lieblingen doppelten Komfort auf halbem Raum.

Platz 2 erringt Eugene Faust sicher und souverän dank seiner Sprachkenntnisse – er spricht fließend Schweinisch:

Soixante-öff

An dieser Stelle setzt Trommelwirbel ein, Herr Breschke verlässt nervös den Raum, Jutta N. (34) und ihre Kollegin Heidelinde K. (37), beide hauptberuflich Mitarbeiterinnen im örtlichen Supi-Markt, rollen im glitzernden Overall von Schweine im Weltall den Pokal nach vorne – da stolpert Filialleiter Karlheinz D. (43) auf die Bühne, in der Hand den legendären elektrisch beleuchteten Koffer mit dem Publikumspreis! Der geht nämlich diesmal zugleich mit Platz 1 an nömix für einen west-östlichen Oberbrüller aus feinstem, luftgetrocknetem Humor:

Parmasutra

Herzlichen Glückwunsch! Damit haben wir wieder einmal einen Sieger, dessen Blog neu ist in der Runde der Freitagstexter. Und dazu ist der Wettbewerb ja auch da, dass man öfter mal neue Blogs kennen lernt. Ich freue mich auf die nächste Runde bei nömix am Freitag, den 25. März. Oink!





Bis(s) zum Erbrechen

23 03 2011

„Bitte mal Ruhe, Jungs. Ruhe! Wir wollen doch das Ding, also lassen Sie uns ein ordentliches Konzept abliefern.“ „Chef, Telenovela ist doch eigentlich voll out. Das macht man heute nicht mehr.“ „Aber als Seifenoper? nein, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.“ „Außerdem ist er doch die ideale Figur, in die man sich hineinversetzen kann. Einer, der so subjektiv rüberkommt, dass man gar nicht an ihm zweifelt.“ „Das ist ja das Problem.“ „Und was würden Sie ansonsten vorschlagen?“ „Jedenfalls definitiv keine Telenovela über Karl-Theodor zu Guttenberg!“

„Das Besondere ist ja, dass wir keine Darsteller mehr brauchen.“ „Wieso, ist Guttenberg keiner?“ „Höchstens ein Selbstdarsteller.“ „Ruhe, Mann! Ich will ordentliche Arbeit sehen!“ „Ordentliche Arbeit und Guttenberg? Das passt ja wie…“ „Reißen Sie sich zusammen! Der ZDF-Verwaltungsrat hat uns zu verstehen gegeben, dass er die Serie generell nicht missbilligen würde.“ „Heißt das im Klartext, wenn das Ding nicht innerhalb von drei Monaten anläuft, sind wir alle unseren Job los?“ „Ah, stimmt ja. Wir sind politisch unabhängig.“ „Jetzt verlieren Sie mal nicht die Nerven. Wir werden das schon in trockene Tücher kriegen.“

„Auf jeden Fall natürlich eine tragende Rolle für die Merkel.“ „Guter Plan, am besten als Kanzlette. Wenn sie schon in echt nichts gerissen kriegt, kann sie wenigstens im Fernsehen einen auf dicke Hose machen.“ „Können wir mit ihr die Böse besetzen?“ „Unmöglich. Das erfordert Ansätze von Charakter, und die werden sie ihr doch wohl nicht unterstellen wollen.“ „Aber sie hat ihn zum Teufel gejagt!“ „Genau, die Merkel hat ihn nur verteidigt, weil sie damit die Zukunftschancen der Union in die Tonne treten wollte, um so zu verhindern, dass Guttenberg jemals Kanzler wird.“ „Leute, das ist doch alles Mumpitz! Wir brauchen ein tragfähiges Konzept.“ „Dann sollte man die CDU besser gar nicht erst erwähnen.“ „Oder wir lassen ihn gar nicht erst auftreten – die Serie könnte man doch als Flashback machen, sagen wir mal: 2017, dann ist er gerade Kanzlerkandidat und…“ „Vergessen Sie’s. Springer und Bertelsmann haben die Zielvorgaben schon abgenickt. 2015 ist er Regierungschef und Präsident in Personalunion und…“ „Verteidigungsminister?“

„Die Dramaturgie ist natürlich etwas schwierig. Wir sollten die Nebenrollen durch nicht zu starke Personen besetzen, damit unser Gutti nicht aus Versehen im Schatten steht.“ „Veronica Ferres?“ „Großartig! Und dieser Dings, der Dings, der nur einen Gesichtsausdruck kann.“ „Wulff?“ „Nein, der andere.“ „Til Schweiger?“ „Aber Stephanie muss auf jeden Fall von Stephanie gespielt werden.“ „Wegen der Authentizität?“ „Wegen was?“ „Dass das echt wirkt, wenn das nachgemacht ist.“ „Nein, aber keine Schauspielerin würde diese Rolle länger als eine Woche spielen.“ „Wegen der Blondierung, richtig?“ „Ja, so könnte man das auch ausdrücken.“

„Jetzt kommen Sie mal alle wieder runter. Das führt zu nichts. Wir sollten das Konzept jetzt…“ „Also das Timing müsste man noch mal unter die Lupe nehmen. Wir brauchen Spannung, Drama, wir brauchen die ganz großen…“ „Haben wir noch die Konserven vom Kundus-Untersuchungsausschuss? Den Schrott kann man doch reinkleben.“ „Ach was, das ist doch nicht dramatisch genug.“ „Warum denn nicht?“ „Da weiß man doch schon vorher, wie es ausgeht.“ „Titelmelodie?“ „Ich wäre ja für Smoke on the Water.“ „Weiß jemand, wie die Kontakte der Bayerischen Staatskanzlei zu AC/DC aussehen?“ „Jetzt werden Sie doch nicht kindisch. Das ist ja nur…“ „Denken Sie doch mal an das Marketing! Wenn wir solche wichtigen Fragen nicht klären, dann kriegt Springer nie eine Chance, die Sendung in die Schlagzeilen zu bringen.“ „Wie soll denn der Krempel überhaupt heißen?“ „Wie wär’s mit Aus dem Leben eines Taugenichts?“ „Oder Dichtung und Wahrheit?“ „Das klingt doch alles viel zu kulturell. Kapiert wieder kein Schwein in der Zielgruppe.“ „Hm, und Bis(s) zum Erbrechen?“ „Ließe sich in Erwägung ziehen. Der Hoffnungsträger fände ich auch nicht schlecht. Aber mal sehen, was Bertelsmann dazu sagt. Schließlich finanzieren sie die offizielle PR-Arbeit der CDU.“

„Wir müssen noch über die Cliffhanger reden, Chef.“ „Haben wir nicht genügend Action?“ „Was heißt Action, es wirkt alles so negativ.“ „Bitte? Echte Gefahren! „Chef, er hat Recht. Wenn man ständig darum bangen muss, dass Gutti nicht rausgeschmissen wird, dann ist das nicht gerade erbaulich.“ „Rausgeschmissen? Der Mann kämpft für Volk und Vaterland!“ „Gegen die Uni Bayreuth, den Bundestag und die Bundeswehr.“ „Und den Kerner bitte nicht vergessen!“ „Ist der so böse?“ „Nee, aber der absolute Killer. Wer den sieht, schaltet garantiert nicht wieder ein.“ „Sehr witzig.“ „Jetzt reißen Sie sich mal zusammen! Wir machen das hier ja schließlich nicht zum Spaß.“ „Abstrus, mein Lieber. Abstrus!“ „Und Sie sind sicher, dass uns dieser Popelkopf bald von der Merkel erlöst?“ „Das war doch nicht die Frage, oder?“

„Bliebe noch eine Sache. Das Drehbuch.“ „Wozu Drehbuch? Wir haben die Stars, einen Titel, die Sendezeit dürften wir gekauft haben, und dann kann’s doch losgehen.“ „Sie werden doch wohl nicht eine Herde Laiendarsteller mieten und dann die Kamera mitlaufen lassen?“ „Das würde wenigstens einmal lebensecht wirken.“ „Quatsch, er hat natürlich Recht. Wir brauchen ein Drehbuch.“ „Und woher nehmen?“ „Machen Sie sich mal locker, Chef. Ich kenne da einen Ghostwriter.“