Im Raster

10 03 2011

„Das weiß natürlich alles unsere Maschine“, verkündete Krook. „Und wir stellen durch die komplette Anonymisierung auch sicher, dass die Daten nicht in rechtswidriger Weise verwendet werden dürfen. Diese Sache wird viel besser als ihr Ruf.“ Er streichelte über die Rechenanlage. Hier also sollte die Volkszählung ihre Daten abladen.

„Das ist selbstverständlich alles vollkommen harmlos“, beruhigte er mich. „Wenn Sie jetzt beispielsweise herausfinden wollen, ob in Deutschland Buddhisten in Wohnungen mit mehr oder weniger als dreieinhalb Zimmern wohnen oder ob sie Kinder haben, dann lässt sich das ganz schnell errechnen. Vollkommen sicher natürlich.“ „Mal angenommen“, fragte ich, „Sie würden auf den Gedanken kommen, Sie würden sich dafür interessieren, ob diese Buddhisten ausreichend verdienten, um sich fünf Zimmer zu leisten, aber trotzdem in weniger als dreieinhalb wohnten, das wäre möglich?“ „Keine Frage“, erwiderte Krook mit stolzgeschwellter Brust. „Für unsere Datenbank sind doch solche Abfragen ein Kinderspiel! Und wir können mit ein wenig Interpolation…“ „Sie meinen, Sie frisieren die Daten?“ „Keinesfalls, wir ziehen nur Rückschlüsse. Wenn Sie beispielsweise in mehr als fünf Zimmern wohnen oder in einem Reihenhaus, dann befindet sich diese Wohnung in einem anderen Wohngebiet als… was war Ihre Frage?“ Ich winkte ab. „Ach, nichts.“

Krook tippte in seiner Suchmaske herum. „Sie haben hier ein sehr effektives, gut dokumentiertes System. Es ist so gut wie kein Fehler mehr möglich, weil wir alles noch korrigieren können.“ „Wie machen Sie das?“ „Schauen Sie hier: die Daten zu Ihrer Person sind verknüpft durch eine Kennziffer. Sollten Sie sich beispielweise geirrt haben oder stellen wir fest, dass Sie sich geirrt haben sollten…“ „Geirrt? Wobei? Und wie stellen Sie das fest?“ Er fühlte sich offensichtlich ertappt und nestelte aufgeregt an seiner Brille. „Sie haben im Fragebogen angegeben, dass Sie kein Buddhist sind, aber wir finden heraus, dass…“ „Wie denn“, bohrte ich nach. „Wie finden Sie es heraus, und was nützt es Ihnen?“ „Wir fragen beispielsweise Ihren Nachbarn“, stammelte Krook. „Nachbarn wissen meistens eine ganze Menge und können den Volkszählern gut Auskunft geben.“ „Auskunft?“ Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Welcher Art Auskünfte hätten Sie denn gerne?“ Krook wand sich. „Sie könnten ja Buddhist sein, natürlich nur als Beispiel – genauso können Sie in der letzten Woche nicht gearbeitet haben, weil Sie Urlaub hatten, und Ihr Nachbar hielt Sie fälschlicherweise für arbeitslos, und damit können wir korrigieren…“ „Dann wäre aber die Auskunft meines Nachbarn keine zuverlässige Quelle. Warum setzen Sie dann auf denunziatorische Maßnahmen, wenn Sie doch angeblich nur harmlose Aussagen haben wollen?“ Er trommelte nervös auf dem Schreibtisch. „Das sind keine harmlosen Aussagen“, beeilte er sich, „uns ist jedes Detail wichtig!“

Ich blickte mich um. Ein kleines, staubiges Büro mit staubigen Schränken und staubigen Gardinen. Vermutlich brachten die Angestellten ihren eigenen Staub in kleinen Beuteln von zu Hause mit, verteilten ihn über dem schimmelfarbenen Teppich und sammelten abends einen Teil davon wieder ein. „Was qualifiziert Sie eigentlich für diese Aufgabe“, fragte ich ihn. „Natürlich die besten Referenzen“, sprudelte Krook hervor. „Wir haben eine Reihe erfolgreicher IT-Projekte auf den Weg gebracht, beispielsweise den elektronischen Personalausweis, den elektronischen Entgeltnachweis ELENA, de-Mail und die elektronische Gesundheitskarte. Ich stutzte. „Eins bereits gehackt, eins illegal, eins lächerlich verschlüsselt und eins im Erprobungsstadium bereits ein Rohrkrepierer.“ „Ich sagte es doch“, begehrte Krook auf. „Alles so erfolgreich und gut wie die Bundesregierung.“

Er spielte noch immer auf dem Bildschirm herum, wo er wahllos ausgedachte Daten eintippte, vervielfältigte und sortierte, umstellte und wieder löschte. „Nur mal als kleine philosophische Überlegung“, begann ich. „Sie können also den Datenbestand durchsuchen und die Stichprobe immer spezifischer gestalten?“ Krook biss an. „Natürlich, wir sind da sehr weit fortgeschritten.“ „Dann würden Sie alle Suchkriterien sowohl als Haupt- als auch für Nebenkriterien verwenden können? Beispielsweise eine kombinierte Suche, wer vor einem Jahr noch zwei Zimmer hatte und arbeitslos war?“ „Einzeln und kombiniert“, strahlte er. „Wir können alles.“ „Sie können sämtliche Buddhisten in Brandenburg suchen, dann alle in Neuruppin, und irgendwann alle Buddhisten, die in Zermützel in einer Dreieinhalbzimmerwohnung leben? Ist das richtig?“ Krook wäre vor Stolz fast geplatzt. „Und das Beste ist, wir können Ihnen auch sagen, wer innerhalb der letzten sechs Jahre wo in welcher Beziehung gelebt und gearbeitet hat. Das ist wirklich einzigartig! Schauen Sie mal hier.“ Die Landkarte auf dem Monitor hatte nur ein paar blass rote Flecken, die sich aber beim Vergrößern rasch zu einzelnen Punkten auflösten. „Das sind jetzt die einzelnen Dreizimmerwohnungen. Dann können wir das Suchraster umstellen. Berufstätig oder nicht, verheiratet, Kinder. Oder ob jemand Buddhist ist.“ Sein Lächeln hatte etwas Kindliches an sich, als begriffe er seine eigene Wirklichkeit nicht; und so stumpf er lächelte, so einfältig blickte er auf die Karte, auf lauter rote Punkte, die ein paar Dutzend Menschen zeigte, Menschen, die aus irgendwelchen Gründen einem Glauben angehörten und die Gemeinsamkeit hatten, in einer Liste zu stehen.