Gernulf Olzheimer kommentiert (CIII): Schulsport

6 05 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Wenn das Haar zwar schon depigmentiert, aber noch nicht so ausgefallen ist wie die Gebissreste, dann kommen die Jahre, in denen der alternde Mensch zurückblickt am Einerlei seiner Existenz, und wie zur Abrechnung lässt er, so der Langzeitteil der Speichersuppe noch nicht weggeschmort ist, den ganzen Quark noch einmal Revue passieren. Alles, was geistig gesunde Hominiden an dieser Stelle gerne verdrängt hätten, zerrt der Grützkopf wie zum Hohn des eigenen Daseins noch einmal aus der Versenkung hervor, den ersten Kuss, Pleite, Vollrausch, Masern sowie das Grauen einer an sinnloser Vergeudung überreichen Jugendzeit. Die Turnstunde. Leibesertüchtigung. Schulsport.

Die ersten Eindrücke, die aus dem Dunkel der Erinnerung aufblubbern, sind olfaktorischer Natur. Ein feuchtwarm brackiges Odeur von Fußschweiß grundiert den Reigen der chronisch ungelüfteten Bilder, lange Holzbänke mit Dreckinkrustationen zeugen von der Tradition, die diese Räumlichkeit in der Umlaufbahn des Sozialentzugs hielten, halten und noch lange halten werden: Generationen von zurechnungsfähigen Schülern wurden bereits durch die betäubende Wirkung einer Umkleide zu hirn- und willenlosen Hampelmännchen gemacht, auf dass sie das Brauchtum teutonischen Drills mit sich durch die Jahrhunderte schleifen. Schulsport ist die Fortsetzung schwarzer Pädagogik mit physischen Mitteln. Nur wer strammsteht, Rumpf und Nacken beugt, verinnerlicht das Leistungsprinzip, nach dem vorwiegend Nichtdenker Karriere machen, weil sie im rechten Augenblick zappeln, wenn man Nüsse in ihren Käfig spuckt.

Verantwortlich für die Umsetzung der Jahn- und Spießbürgereien zeichnet der Turnlehrer, ein wilhelminisch anmutender Knalldepp, den man auf der Brennsuppe durchs pädagogische Staatsexamen geschwemmt hat. Vorherrschend ist der rotgesichtig schreiende Fettranzen, der ohne Trittleiter nie den Stufenbarren erklömme, der aber im schneidigen Ton die Riege vollpöbelt, um zu übertünchen, dass sechs Stück seiner Sorte den Intelligenzquotienten eines Kakerlaken haben. Nach genauer Betrachtung stellt man fest, dass die Hälfte der Ausdünstung auf ihn zurückgeht. Das macht weder die Schulstunde angenehmer noch den Lehrer.

Matten, Kästen, Seitpferd, Reck und Ringe sind die Foltergeräte der Disziplinierungslehre. Eines der Objekte wird auch dem stärksten, tüchtigsten und widerstandsfähigsten Pimpf zum Meister – wer es ohne Abdominalschäden im Bocksprung längs über den Kasten schafft, hängt doch als nasser Sack von der Stange, statt im Klimmzug das bisschen Knochen und Bindegewebe hochzukriegen, und wer hier tatsächlich unter Todesverachtung einen Aufschwung hinschwiemelt, dellt sich kunstvoll am Pauschgaul die Gräten. Man könnte es für eine dialektische Form der Demokratieerziehung halten, es ist aber nur eine Anleitung zum Sadismus, da so jeder jeden als unfähig und erfolglos sieht; mit der korrekten ethischen Unterfütterung wäre es zwar ein geeignetes Mittel, um soziale Intelligenz zu fördern, aber die hat in der Zusammenrottung nach kapitalistischem Strickmuster eh nur noch den Stellenwert eines Klumpfußes.

Was immer Bewegungsmangel, Frustration und motorische Inkompetenz an mühsam erworbenen und angeborenen Faktoren beim Nachwuchs der Bescheuerten zum Tragen bringen, das dämliche Gehopse mit Plastekullern und Holzkeulen gleicht das nicht aus. Zwei Dutzend Opfer lassen sich zu Völkerball, Brennball und ähnlichem Elend kommandieren, selten genug mündet der Quark in ernst zu nehmenden Betätigungen wie Leicht- oder überhaupt Athletik, aber was wäre der Unterricht, liefe er nicht auf öffentliche Mess-, Zähl- und Jubelorgien wie die Bundesjugendspiele hinaus, da der nationale Pubertätssektor unter Aufsicht rennt, hüpft und ausgestopfte Lederreste spätantiker Art durch die Gegend schleudert und mit etwas Glück den Schulleiter so gut trifft, dass er seine Gehirnerschütterung auch noch nach den Ferien genießen kann. Hernach bekommt der Eleve eine Urkunde ausgehändigt, die ihm die erfolgreiche Teilnahme an der intellektuell niederschwelligen Aktion bescheinigt, sie dient vermutlich nur seinem eigenen Realitätscheck, dass er den Krempel ohne ausufernden Brechreiz überlebt hat. Nostalgiker sammeln das für die Zeit zwischen Rente und Demenz, alle anderen entsorgen es umgehend als rechtliche Nullaussage im Papiercontainer.

Wohin auch alle anderen Bewertungen gehören. Denn bei einer komplett nutzlosen Beschäftigung, die allein Maßregel ist, bewertet der diensthabende Pauker nicht mehr als diffus aus Veranlagung und situativem Eindruck entstehende Stichproben, bei denen der Hochbegabte ebenso durchfallen kann, wie die motorische Vollbrezel durchkommt – es wird nicht einmal das Talent bewertet, nicht der Lerneffekt, nicht die relative Entwicklung, nicht einmal der Grad des Lernwillens. Wer Hockey oder Fagott spielt, hält Sicherheitsabstand zu schulisch verordneten Hampelübungen. Der Sportunterricht bereitet also trefflich auf das Dasein jenseits der Bildungsanstalt vor. Discimus, sed non scholae.