Das Ding war rot und bucklig, hatte einen schmalen Henkel samt mit Katzengold und Glassteinchen belegter Schließe, genoppt, genarbt und rot und vor allem: rot. „Hätte ich dazu rote Schuhe“, begehrte Hildegard trotzig auf, „würde die Tasche bestimmt passen.“ Ich verstand die Welt noch weniger als sonst. „Warum zum Henker solltest Du jemals rote Schuhe anziehen“, grummelte ich, „und was hat eine rote Handtasche bitte damit zu tun?“ Sie war nicht davon abzubringen; aber vielleicht hatte ich auch nicht richtig begriffen, warum sie sich nach nunmehr zehn Jahren plötzlich eine zweite Handtasche kaufe musste.
„Ein großartiges, robustes Gerät“, knödelte der Ansager im Homeshopping-Kanal, schwenkte den Schlagbohrhammer wie eine Trophäe und schien in die Kamera zu ballern. Hildegard bügelte die Taschentücher. „Man muss sie nämlich ganz exakt und millimetergenau auf Kante legen“, erklärte sie eilfertig, „dann kann man sie einfach so, zack! aus der Hosentasche ziehen, und schon sind sie voll entfaltet.“ Das wollte ich nicht glauben und wundete mich doch, dass sie die Taschentücher dreimal von jeder Seite bügeln musste, allerdings erst, seitdem ich den alten Fernseher in die Ecke des Arbeitszimmers gestellt hatte. „Ach was“, hatte sie mich beruhigt, „Du kannst doch mit Bleistift und Papier in der Küche arbeiten wie andere Leute auch. Wenn jemand anruft, gebe ich Dir Bescheid, vielleicht sogar noch am selben Tag.“ Bestimmt hatte sie sich eine Überraschung ausgedacht, lenkte sich durch Bügeln und Fernsehkonsum ab und ließ mich im Dunkeln tappen. Man kann in die Seele einer Frau ja nur schwer hineinsehen.
„Ziegenleder“, stammelte sie schuldbewusst. Natürlich hatte ich den Kaufpreis per Nachnahme arglos ausgerichtet, Hildegard hatte das Ding auf meinen Namen bestellt, ein Etuitäschchen in Grün mit verspielten Messingapplikationen. „Woher hast Du denn das schon wieder?“ Ich war aufgebracht. „Du wirst nicht nur nie rote Schuhe tragen, Du weigerst Dich auch seit Jahren standhaft, einen Konzertsaal zu betreten, geschweige denn ein Opernhaus – wozu um alles in der Welt brauchst Du eine Handtasche?“ Sie bockte. „Ich konnte nicht anders.“ Zärtlich betastete sie das Mäppchen. „Das war so – ach, das verstehst Du doch nicht!“
Umgehend stopfte ich zerknüllte Handtücher in die Waschmaschine, eine große Fuhre Unterwäsche, Socken, ein Tischtuch, Servietten sowie zwei Platzdeckchen. „Die wirst Du eigenhändig bügeln“, fauchte ich, „und ich werde nicht eher ablassen, bis alles ordentlich geplättet vor mir liegt!“ „Gerne!“ Sie fiel mir in den Arm und stopfte die Trommel nur noch voller. „Die Nachthemden sollten sowieso in die Wäsche, und hast Du nicht auch noch ein paar Strickhemdchen?“
„Und wenn Sie jetzt nicht zuschlagen, verpassen Sie die Gelegenheit des Jahrhunderts!“ Eine aus original Krokodillederimitat gefertigte Clutchtasche in faszinierender Optik mit charmant ausgeführter Machart und Vernähung zum ebenso charmanten Preis flimmerte über die Mattscheibe, während Hildegard verbissen Socken plättete. „Zu einem einzigartigen Täschchen mit einzigartigem Gürtel passt auch ein einzigartiges Paar Schuhe, das wir Ihnen zum einzigartigen Preis von…“ Ich schlich in die Küche zurück zum Schreiblock. Daher also wehte der Wind.
Seither beobachtete ich Hildegard. „Nur mal eben den Papierkorb ausleeren“, stammelte sie, und dabei hatte sie doch schon zwei Stunden zuvor nach Briefschnipseln in meinem Arbeitszimmer gesucht. „Nur mal eben ganz kurz ans Bücherregal, etwas zur Wortgraphematik des Mittelniederdeutschen nachschlagen. Ich sollte mal meine Interessen ein wenig verbreitern.“ Sie brach hastig auf, um eine verschollene Tante im Krankenhaus zu besuchen.
Alles Bitten und Betteln half nichts; ich bewahrte den Schlüssel zum Arbeitszimmer in der Hosentasche auf. „Du solltest eleganter sein“, lockte Hildegard und hielt mir das kammgarnene Beinkleid vor, aber auf den Trick fiel ich nicht rein. „Das ist mein Arbeitszimmer! Bügeln kannst Du sonst wo.“ Ich machte es mir gemütlich vor der Flimmerkiste. Pünktlich um halb elf ertönte das melodiöse Signal, die Shopping-Sendung öffnete ihre Pforten. „Damit werden Sie nie wieder fragen, was Sie kochen wollen.“ Die üppig ausgestattete Blondine kurbelte dekorativ am chromblitzenden Gehäuse des Apparats. Rhythmisch zuckende Farben ploppten über die Glotze. Natürlich wieder die alte Masche. Eine Nudelmaschine – als wenn ich nicht seit Jahren eine besäße, und was sollte mir dies zugegebenermaßen geschmackvolle Gerät bieten, wenn nicht eine Titan-Stahl-Präzisionswalze mit Schneidwerkaufsätzen für schmale, breite und normale Nudeln, für sehr breite und ganz schmale, dünne und fadenförmige, haarfeine, ganz besonders breite, und Ravioli, Spaghetti, Nudeln und Nudeln?
„Es ist doch Saffian, mitternachtslila mit dem kleinen Silberknopf“, jammerte Hildegard. „Das musst Du verstehen – falls ich doch mal in die Oper gehe, muss ich doch zwei Taschen haben, die ich zu Hause lassen kann.“ Sie war nicht zu beruhigen. Möglicherweise hatten zwei Wochen Dauereinsatz dieser quietschenden, minderwertigen Maschine aus Aluminiumresten ihr den letzten Nerv geraubt. Ich lächelte versonnen. Noch ein paar Tage, dann würde sie sich über ihr Geburtstagsgeschenk freuen. Und falls nicht, würde ich ihr eine Handtasche kaufen. Für die Oper. Oder zum Umtauschen.
Satzspiegel