Schlörmer war außerordentlich guter Dinge. Er rieb sich die Hände vor lauter Freude. „Denen haben wir es aber gezeigt“, kicherte er. „Sauber abgewatscht haben wir die!“ Gar nicht mehr still sitzen konnte der Mann vor unbändigem Entzücken, wie er auf seinem Stuhl hin und her wackelte. „Die sind geliefert, die sind so gut wie am Ende. Gucken Sie sich das an – diese Grünen, die pfeifen schon auf dem letzten Loch!“ Ich räusperte mich. Möglich, dass mir etwas entgangen war, nur wunderte mich sein Benehmen, zumal für einen Christdemokraten.
Der Parteifunktionär war wirklich aufgekratzt. „Das gibt richtig Rückenwind, sage ich Ihnen! Wenn wir jetzt so weitermachen, dann sind die Grünen in ein paar Jahren Geschichte. Und dann wird es nichts mehr geben als die CDU in der Mitte der Gesellschaft.“ Schlörmer spielte versonnen mit seinem Kugelschreiber. Ich blickte konsterniert auf die Tischplatte, aber das schien ihn gar nicht zu irritieren. „Ich weiß, was Sie denken.“ Er gluckste schier vor Freude. „Sie meinen jetzt bestimmt, die Union übernimmt sich total. Viel zu alt, viel zu beliebig, völlig weltfremd, kein Profil mehr – ganz genau so. Aber das ist ja der Trick!“ Seine Augen blickten wirr. Schlörmer zitterte vor Erregung. „Eben das ist doch die Strategie – wir werden die Grünen damit in die Falle locken!“
„Schlörmer“, begann ich vorsichtig, „Sie sind sich im Klaren darüber, was Sie da gerade sagen?“ Eifrig nickte er. „Durchaus, wir haben die Situation völlig im Griff und werden… Sie brauchen gar nicht so hämisch zu lachen!“ In der Tat hatte ich mir ein ironisches Lächeln nicht verkneifen können. „Sie wollen mir weismachen, dass Sie dieses ausgesprochen antidemokratische Rudern um den Machterhalt eine kontrollierte Handlung nennen? Dieser antimodernistische Schreihalshaufen, der noch nicht gemerkt hat, dass man in den Städten das Licht bis nach Mitternacht brennen lässt, weil es inzwischen keine Nachtwächter mehr gibt? Diese nachgerade lebensfremden Theoretisierer, denen virtueller Terror aus dem Hirn rieselt, wenn sie sich versehentlich den Schädel an der Wirklichkeit stoßen?“ Schlörmer strahlte geradezu. „Ich wusste es, Sie würden uns wirklich, wirklich verstehen! Dass wir diese Großstadtpolitik für die Metropolen in Deutschland fahren, dass wir eine behutsame Modernisierung nicht grundsätzlich ablehnen, aber bei der vorsichtigen Befürwortung auch nicht so weit gehen, dass wir uns vorbehaltlos zu dem bekennen, was wir vielleicht nicht als…“ „Schon gut“, wehrte ich ab. „Ihr Kohlklotz ist jetzt so etwas Ähnliches wie eine Frau und darf modern tun. Aber Ihre Regierung geht gezielt gegen die Schwächsten der Gesellschaft vor und verkauft den Mist auch noch als sozial und leistungsorientiert.“ Er hüpfte vor Vergnügen. „Ist das nicht wundervoll? Das hat doch wirklich Zukunft – schauen Sie mal, wenn wir jetzt auch noch die Steuer für die Atombranche verhindern könnten, wäre das nicht ein epochaler Erfolg? Alles, was wir vor dem Regierungsantritt auch schon hatten, aber auf einmal viel langsamer, unsicherer, vor allem: erheblich teurer, unter Gesichtsverlust der Politik und so, dass wir den Wählern die Peitsche übergezogen und zum Dank ihr Zuckerbrot an die Energielobbyisten verschoben haben? Ist das nicht ein wirklich, wirklich großer Sieg für uns? Sagen Sie selbst!“
„Lieber Freund“, versuchte ich es noch einmal, und ich bemerkte schon, wie er abwesend vor sich hin murmelte, „das ist doch kein Betriebsunfall – Ihr Laden macht seit Jahren eine klar gegen die Interessen des Volks gerichtete Politik. Sie treten den Stammwählern vors Knie und vergraulen alle, die nach Ihrer Definition eigentlich zu Ihren Anhängern gehören sollten. Sie sind dreist, rücksichtslos und ohne jede erkennbare eigene Position. Es ist eine Schande, konservativ zu sein.“ Er faltete die Hände. „Natürlich ist das alles nach Plan. Diese Hungerlöhne, dieser Abbau, das Chaos in der Energieversorgung – meinen Sie, das hätte jemand so gut hingekriegt wie die Union?“ Ich schüttelte den Kopf. „Eben“, gab Schlörmer mit tiefer Befriedigung zurück. „Wir geben uns nicht mit Mindestlohn ab, nicht mit Behinderten oder der Verfassung, wir müssen den Steuerhinterziehern nicht auf die Finger schauen, wir wollen nur die lückenlose Überwachung ohne Anlass und ohne wirklich sinnvolle Verwertungsmöglichkeit. Und das wird unser Sieg sein, wenn wir irgendwann gegen die Grünen abtreten müssen – zweifeln Sie etwa daran?“ Ich schüttelte abermals den Kopf, sehr viel heftiger als zuvor. „Dann werden sich diese Ökostalinisten in ihren eigenen Versprechen verstricken. Überlegen Sie mal, wenn die alle Atomkraftwerke abschalten, was bleibt denen denn dann noch?“ „Sozialpolitik? Ernährung? Land- und sonstige Wirtschaft?“ „Sie werden die Dialektik verstehen“, beschwichtigte Schlörmer. „Es wird natürlich nicht gut gehen, aber genau das ist unsere Chance. Unsere einzige, da haben Sie übrigens Recht – diese Kanzlerin könnte auch unser Untergang sein, aber das ist jetzt noch nicht genau abzusehen, Kauder und Bosbach haben verboten, es genau herauszufinden.“ Er lächelte entrückt. „Stellen Sie sich vor, eine andere Partei müsste mit diesem Chaos, das wir hinterlassen, länger als vier Jahre regieren. Das wäre absurd! Und Sie wissen genau, keiner würde es den Grünen abnehmen, wenn sie unsere Hinterlassenschaften als zu schwere Hypothek bezeichneten.“ Seine Augen begannen bösartig zu funkeln. „Natürlich werden wir gegen sie kämpfen, auch wenn wir wissen, dass wir gegen sie nichts auszurichten haben und zum Scheitern verurteilt sind.“ „Also eine kalkulierte Niederlage nach dem Frontalangriff“, konstatierte ich trocken. „Genau“, jubelte Schlörmer. „So machen wir das. Und dann werden wir auch weiter ohne Programm regieren, weil es die Leute so gewohnt sein werden aus der guten, alten Zeit.“ Ich sah ihn skeptisch an. „Das wird ein Spaß“, juchzte er, „wir müssen nur noch warten, bis Merkel unter der Erde ist – und der Nachwuchs so halbwegs erwachsen und reif genug, um die Partei wieder aufzubauen.“
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