Des Kaisers neue Kleider

2 06 2011

„Glänzende Zeiten in Europa, was?“ „Wenn man es glänzend findet, dass der Euro kippelt, die Leute rapide verarmen und vor der Haustür die Kriege sich entfesseln, dann allerdings sind das glänzende Zeiten.“ „Immerhin, wir haben Aufschwung.“ „In Ihrer Volkswirtschaft vielleicht. Der Rest guckt sich die Krisendellen noch immer von unten an.“ „In Deutschland?“ „In Europa.“

„Ist Realitätsverlust eigentlich typisch deutsch?“ „Sagen wir mal so: er verfügt über eine lange Tradition.“ „Es fällt also gar nicht auf, wenn diese Regierung Jobwunder und Spargehampel als deutsche Lösung anpreist?“ „Es fällt vor allem nicht auf, weil es so überheblich klingt. Man ist das von den Deutschen gewohnt, dass sie immer alles besser wissen.“ „Und sie haben so eine angenehme Art, andere Nationen ihre Überlegenheit spüren zu lassen.“ „Das allerdings beruht auf einem deutschen Talent: Perfektionismus.“ „Weil der die Deutschen dazu befähigt, so begnadet zu wirtschaften?“ „Ach was, sie haben nur die Angewohnheit, Fehler so lange zu wiederholen, bis sie perfekt sitzen.“

„Was die Wirtschaftskompetenz der Kanzlerin angeht…“ „Der Deutsche glaubt an die romantische Verklärung, er liebt die Märchen.“ „… könnte man auch meinen, diese bürgerlich-desolate Koalition wollte ganz Europa in ein Armenhaus verwandeln mit ihrem Aufschwung.“ „Auch das ist ein probates Mittel deutscher Politik. Teilen und Herrschen.“ „Indem man Arbeit in zahlreiche Niedriglohnjobs zersplittert, kann man mehr als einen Arbeitnehmer unter Druck setzen.“ „Das ist ein erprobtes Mittel und gut genug für die anderen.“ „Es erinnert nur so fatal an Kaiser Wilhelm.“ „Weil am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen wird wollen müssen. Und wehe, sie will nicht.“

„Das persönliche Regiment des Hohenzollern scheint ja auch abgefärbt zu haben.“ „Das sind des Kaisers neue Kleider: heute trägt man neoliberal. Auf Intellekt kommt es nicht an, Hauptsache von Adel und einigermaßen schneidig. Ansonsten zählt Loyalität.“ „Dann ist es auch kein Wunder, dass dieser Laden die Bundeswehr zu Tode reformiert, für den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg nur den halben Arsch in der Hose hat und ansonsten jeden Ackermann und den Tod vorlässt. Hauptsache, man muss sich nicht selbst bewegen.“ „Man schätzt an großen Herrschern der Geschichte auch im Irrtum ihre Konsequenz.“ „Das allein kann Merkel ja für sich beanspruchen; sie ist konsequent unberechenbar.“

„Eine schöne Eigenschaft des Wilhelminismus war doch diese paranoide Furcht vor allem, was sich als Sozialismus bezeichnen ließ.“ „Das hatte seine Vorteile. Man konnte alles, was einem nicht passte…“ „Und die ganze Richtung überhaupt!“ „… als Sozialismus deklarieren, einen Feind im Innern ausmachen, ihn gegen den Horizont stellen, wo einem selbst die Sonne unterging, und nach Herzenslust feuern.“ „Mit der Paradoxie, dass man selbst sich als mildtätiger Herrscher der kleinen Leute feiern ließ.“ „Falsch. Man wollte sich feiern lassen, es kam nur ganz anders.“ „Weil man für eine vernünftige Sozialpolitik Geld in die Hand nehmen müsste?“ „Das tut diese Regierung auch, wenn ihre Milchmädchenrechnung gleich auch nicht aufgeht, weil alles in den gewohnten Kanälen versickert. Sie würden nie eine Sozialpolitik mit Anstand wagen, weil die eine enorme strukturelle Veränderung des Staates bedeutete.“ „Weil ein Volk, das emanzipiert würde, auch begriffe, wie Demokratie funktioniert. Das wäre der Untergang des Reiches.“ „Das war er. Zwar über einen Krieg, um Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, aber eben der Untergang.“

„Was ist nur aus dem Kampf für Religion, Sitte und Ordnung geworden?“ „In erster Linie Kampf für die germanisch-christliche Leitkultur.“ „Warum haben sich die Wertmaßstäbe seither denn nicht verändert?“ „Weil es keine Wertmaßstäbe sind. Ob die Kirchen aus Engagement gehandelt haben, sei dahingestellt, aber die soziale Frage löst man sicher nicht mit sakralen Prachtbauten für die Arbeiter.“ „Dafür bekommen die Armen heute Ein-Euro-Jobs bei kirchlichen Organisationen, die sich den Rest der staatlichen Förderung einstecken.“ „Das also ist der Platz an der Sonne.“

„Und die außenpolitische Seite?“ „Das, was man vom Kaiser kennt: der reine Narzissmus, mehr nicht. Sein Urteil über andere ist nichts mehr als eine fade Selbstbespiegelung, die die eigene Unzulänglichkeit zu übertünchen versucht.“ „Diese Taktlosigkeit dürfte kaum zu übertreffen sein.“ „Westerwelle gibt sich redliche Mühe. Wer sich nur über Umwege durch Neu-Delhi fahren lässt, damit er nicht vom Anblick der Armen belästigt wird, zeigt äußerst trefflich, wes Geistes Kind er ist.“ „Auch Willemzwo war ein Freund Griechenlands. Allerdings hielt er es wohl für eine Art Kolonie.“ „Zum Segeln reicht’s ja, und was erwartet man.“

„War es nicht letztlich der Widerspruch von Schein und Sein, der den Kaiser hat scheitern lassen?“ „Genau das ist es heute. Eine irrationale Fortschritts- und Wachstumsgläubigkeit, die mit etwas Kopfrechnen als Hirngespinst entlarvt ist, steht einer reaktionären Hysterie gegenüber, die um jeden Preis eine religiöse Minderheit sucht, um ihre Minderwertigkeitskomplexe abzureagieren.“ „Man spielt Aufschwung, während das Podest wegbricht.“ „Eine komplett unfähige Regierung rechtfertigt ihre Vermeidungsstrategie, während sie ihre dekadente Haltlosigkeit als Vorwand benutzt, um dem Volk haltlose Dekadenz vorzuwerfen.“ „Dagegen helfen keine Parteien mehr, dagegen helfen nur noch Deutsche.“