Werbeunterbrechung

13 06 2011

„Geschmacklos! Wie finde ich das geschmacklos!“ Anne stellte ihr Glas hart auf die Tischplatte und wollte schon zur Fernbedienung greifen; ich hielt sie zurück. „Sicher kann man über manche Werbung streiten, aber schließlich werden diese Meisterschaften im Hallensegeln davon finanziert, und dazu muss man eben…“ „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich diese Reklame nachgerade unanständig finde. Man müsste so etwas überhaupt nicht zeigen dürfen!“ „Gut“, wandte ich ein, „dass man den Verteidigungsminister auftreten lässt für eine Reiseunfallversicherung, das ist nicht gerade glücklich.“ Anne grummelte. „Ja, nimm sie ruhig alle in Schutz, nur weil es Dein Beruf ist. Der Verbraucher zählt ja für Euch nicht mehr!“

Was musste Anne auch die Erdnüsse oben auf dem Schrank lagern – man hätte behaupten können, aus reinem Selbstschutz, aber das wäre boshaft. So reckte ich mich aus, die Wasserflasche in der anderen Hand, und plötzlich rutschte der Teppich auf den Küchenfliesen unter mir weg. Ich stieß mir den Kopf an der Tischkante. Als ich zu Boden ging, hörte ich gerade noch, wie ein Aktenkoffer neben mir abgestellt wurde. Der Mann war so freundlich, mir aufzuhelfen. „Sie sind hoffentlich versichert“, fragte er. Ich blickte ihn verwirrt an. „Herr Kaiser, wie kommen Sie hier in die Küche?“ Er lächelte. „Wir sind überall. In jedem Winkel Ihres…“ „Und Sie essen mal lieber ordentlich Käsewürfel statt fettige, gesalzene Nüsse!“ Frau Antje stellte die Büchse auf den Küchentisch. „Warten Sie, ich rolle Ihnen eben einen rein.“ Und sie rollte. Augenblicke später befanden sich anderthalb Zentner Käse im Raum. „Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte ich, „woher kommt das ganze Zeug bloß? Das ist doch vollkommen unrealistisch!“ „Machen Sie doch nicht mich dafür verantwortlich“, schimpfte sie zurück. „Schließlich habe ich mir den Unsinn nicht selbst ausgedacht!“

„Das ist das Neueste, in der Tat: Hauptwaschen mit 60 Grad!“ Clementine schleppte einen ganzen Berg Tischdecken in die Küche. „Reinweichen im Hauptwaschgang, das wäscht nicht nur sauber, sondern…“ „Raus!“ „Rein, mein Guter, rein!“ Sie war nicht davon abzubringen und füllte die ganze Waschmaschine mit den Decken. „Was wollen Sie denn auch noch hier“, herrschte ich Clementine an. „Sie sehen doch, dass es hier nichts zu…“ „Das ist statistisch nicht zu vermeiden“, informierte mich die Waschfrau. „Wir überziehen die ganze Nation seit Jahrzehnten mit diesem Gewäsch, sind in jedem Haushalt präsent – der Kunde will das so, der Kunde kriegt’s dann auch – und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auch in diesem Haushalt auftauchen. Stochastik, Sie verstehen. Mit einer mittleren Wahrscheinlichkeit p kommen wir gegen 2052 wieder, bis dahin können Sie waschen, wie Sie lustig sind.“ Sie tippte sich an die blütenweiße Schirmmütze und blickte sich um. „Nebenbei, Geschirrspülmittel müsste nachgekauft werden.“ „Geschirrspülmittel? Ja aber…“ „Kein Aber“, lächelte Tilly. „Sie baden gerade Ihre Hände drin.“

Ich floh. „Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?“ Wer war denn das jetzt schon wieder? „Sie kennen mich doch bestimmt“, lächelte die Dame in der Seidenbluse. „Ich koche immer den vollmundigen Kaffee mit dem runden Aroma.“ Skeptisch musterte ich sie, konnte aber das Gesicht ebenso wenig einordnen wie ihre Stimme. „Gut“, gab sie zerknirscht zu, „ich bin die Vorher-Frau, die die halb leeren Tassen wieder abräumt.“ „Das hat mir ja gerade noch gefehlt“, knurrte ich und trat in den Flur.

Der Bär drehte sich um die eigene Achse und fiepte. „Ich kann ja nicht einfach so in den Wald gehen“, quiekte er. „Aber das Klo ist ja besetzt.“ Ich musterte ihn missmutig. „Wer sind Sie?“ „Ich habe auch das Toilettenpapier mitgebracht, aber da sitzt mein Kollege.“ Es keuchte hinter der Tür. „Der Hustinettenbär, Sie wissen schon.“ Unter mir watschelte ein ausgewachsener Pinguin in Richtung Küche. „Kühlfach“, sagte er knapp. „Wenn neben Ihrer Schokolade da noch Platz für mich sein sollte. Sie als Hominide scheinen ja nicht gerade unter zu stark ausgeprägtem Verstand zu leiden.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ Er lächelte mich ironisch an und zeigte auf seinen Leib. „Ein Bauchnabel. Bei einem Vogel. Sie wollen mir erzählen, Sie verstünden etwas von Biologie?“ Und er trottete weiter, immer in Richtung Küche.

Langsam verlor ich die Geduld. Ich rüttelte an der Tür zum Bad – plötzlich flog sie auf. Ein älterer, kahlköpfiger, hagerer Mann im Arztkittel trat auf mich zu. „Eine starre Zahnbürste“, teilte er mir mit, während er eine matschige Tomate mit dem nämlichem Reinigungszubehör auf seinem Kittel verteilte, „kann Ihr Zahnfleisch…“ „Glauben Sie ihm kein Wort“, kreischte das kleine, bunte Männchen. „Er ist nicht einmal ein richtiger Doktor, er ist nur eine Erfindung!“ „Oh mein Gott!“ Der Zahnarzt schmiss alles von sich und rannte schreiend den Flur entlang. „Es ist Herr Zahnstein! Ich… muss weg!“ „’tschuldigung“, nuschelte es hinter mir. „Kann ich mal eben telefonieren?“ Robert T. Online hatte offensichtlich kein Netz. Ich packte ihn am Kragen. „Gehen Sie mir aus den Augen“, zischte ich, „sonst mache ich Ihnen gleich das HB-Männchen!“

„Darf ich Ihnen ein Pfefferminztäfelchen anbieten?“ Der Mann im schwarzen Anzug hielt mir das silberne Tablett direkt unter die Nase. „Wo kommen Sie jetzt her“, sagte ich verdutzt. „Ich habe Sie gar nicht…“ „Oh, Mortimer!“ Die Dame an seiner Seite stopfte sich bereits mit Schokolade voll. „Mein Name ist Claudia Bertani“, prustete sie kauend hervor, „und ich hasse nichts so sehr wie Kirschen.“

Mit einem schrillen Schrei kam die weiße Kreatur aus der Küche geschossen. „Nicht reingehen“, plärrte das kleine Ding mit den bunten Punkten, „gehen Sie da bloß nicht rein!“ „Wer sind jetzt Sie?“ „Ich bin der kleine Hunger“, stellte sich die Kreatur vor. „Und da drinnen – oh nein!“ Brüllend stürzte sich ein aufgedunsenes, gelbes Monster mit roten Augen vom Küchenschrank. Es wedelte mit einem gleißenden Samuraischwert und krakeelte unablässig auf Japanisch. „Sie müssen es irgendwie besänftigen“, flüsterte der kleine Hunger, „aber wie nur? Es ist der Riesenhunger auf ein Instant-Ramen mit Soja-Huhn-Geschmack. Das bekommen Sie nur im Supermarkt in Yokohama.“ Ich gab nur eben dem Marlboro-Mann Feuer, dann krempelte ich die Hemdsärmel hoch und schritt auf den tobenden Koloss zu. Ich musste die Falte im Teppich auf dem Küchenboden übersehen haben.

„Es ist nicht viel passiert“, sagte Doktor Klengel und betastete meine Stirn. Anne reichte ihm einen Beutel mit Eiswürfeln. „Am besten halb liegend, halb sitzend in bequemer Position, zwei bis drei Stunden, dann hat sich sein Kreislauf auch wieder stabilisiert. Aber schalten Sie besser den Fernseher ab. Die Reklame regt ihn immer so auf.“


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4 responses

13 06 2011
Doktor Peh

Das ging ja zum Glück nochmal Meister Proper aus. Wurde der Kaffee eigentlich danach vom Melitta-Mann gereicht? Oder konnte man das hinter der Ado-Gardine mit der Goldkante nicht mehr genau erkennen? Signal-Streifen trübten in rot und blau den Blick…

13 06 2011
bee

Irgendwann kam Peter von Frosta und hat uns alle in Fleckenzwerge verwandelt.

13 06 2011
lamiacucina

2-3 Stunden halbliegende Erholung von der Geisterbahnfahrt. Welche Matratze hat der Arzt denn empfohlen, Federkern, Schaumstoff oder eine viskoelastische ?

13 06 2011
bee

Ich konnte es nicht verhindern, dass sie mich aufs Biedermeiersofa legte – immerhin derart unbequem, dass die Rekonvaleszenz innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen war 😉

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