Gernulf Olzheimer kommentiert (CIX): Basteln

17 06 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die frühkindliche Erkundungsphase des Daseins ist geprägt von allerhand Härten. Das warmweiche Muttertier ist entgegen der Gebrauchsanweisung nicht an einem festgewachsen, das besoffene Objekt, das im Ballonseidenanzug zwischen Sofa und Nasszelle herumtorkelt, ist doch der Erzeuger, das Sandmännchen nur eine perfide Inszenierung, um zahlungskräftige Kunden lange genug vor der Mattscheibe zu halten, bis die Neuwagenreklame ihren Lauf genommen hat. Turnstunde und Musterung, der erste Kuss und die Aberkennung der Doktorwürde, alles das dräut noch an schwarzem Horizont, wenn der Infant es nicht ahnt, allein die Mutter aller Entwürdigungen schleicht sich in den Grundschulstundenplan – die Bastelstunde.

Basteln, das ist die Rache des Materials an den scheinbar vernünftigen Wesen. Gäbe man dem geistig durchaus reifen Menschen, der sich mit Sein und Zeit beschäftigt hat, einen Haufen Kastanien und etliche Zündhölzer in die Hand, daneben ein für juvenile Grobmotoriker taugliches Arsenal an Klingen, Klebstoff und Krepppapier (allein das Wort schon!), man erntete spöttische Repliken. Nicht so der Grundschüler, den die Kultusbeamten für knapp dem Embryonalstadium entronnen einstufen, so dass er mit der ihm zugetrauten Optik aus Fruchtbecher und Schwefelhölzchen alsbald endbeknacktes Getier, Kuhimitat oder blödsinnige Männerchen zu schwarten beginnt, weil er die infantile Denke des Pädagogen nicht zu verstehen scheint – dem Hilfswilli geht es doch in erster Linie nur darum, dem kindlichen Gemüt klarzumachen, dass bekloppte Visualisierungen kein Privileg der Grundstufe sind, was in aufreizender Diskrepanz zur offiziellen Drogenpolitik steht, denn nüchtern wird kein Normalmensch den Schnitz- und Schwiemelschmadder als normalitätsfördernde Aktion sachkundiger Erziehungslehre abtun.

Wirklich kritisch wird die schulisch unterfütterte Aktivität, wenn absurd in die Existenz geleimtes Geprokel auf dem Stundenplan steht. Meint der Pädagoge, durch Befüllen mit zweidrei Popeln aus farbigem Krepppapier (da ist es wieder!) werde ein Kastanienkörbchen ästhetisch erträglicher? Wer hat sich bloß in den Sinn gesetzt, aus aufgedröselten Klopapierrollen geschmodderte Ritterburgen im Maßstab 1:293 hülfen ernsthaft der kindlichen Fantasie in der Steilkurve zwischen Anregung und Durchknallen? Und welcher Vollspaten hatte die Idee, unschuldigen Kindern Leim in die Hand zu drücken – handelsüblichen Knochenleim, geeignet ab der motorischen Stufe, in der auch Klavierspiel oder Schusswaffengebrauch kein Drama mehr darstellen, nicht aber gedacht, Vier- und Fünf- und Sechsjährige von der Haarwurzel an vollzukleistern und in eine niedermolekulare Einheit mit dem Bodenbelag zu zwingen, während doch das werkstoffkundliche Curriculum an dieser Stelle eher die Aufforstung des Arsenals vorsieht: Kleben, Tackern, Hämmern, Bohren und Schrauben, alles das, was Abkömmlinge ruhigstellt oder zu dumpfer Imitation anleitet, auf dass sie ihr Seelenheil im stupiden Gekleister, im Dengeln von Pappmaché fänden – windschief grinst das Ergebnis und spottet jeder Gebrauchskunst, jedem Vorsatz gar. Denn war es nicht immer schon der Wunsch, ein Volk mit Heißklebepistolen, Gehrungssägen und stufenlos einstellbaren Schwingschleifern auszustatten, damit es sich in Krisensituationen heimwerkend in die Keller zurückzieht und surrealistische Keksdosen aus Sperrholzresten beitelt, statt die maroden Fundamente eines kranken Staates zu beseitigen? Ist es das Werkzeug, Hammer und Sichel, das dem Michel in die Hand gedrückt ward, um sich in der Zivilisation zu finden, ohne mitspielen zu müssen?

Nicht der Werkzeuggebrauch an sich macht aus dem Schimpansen ein vergleichsweise höheres Wesen, an dessen Intelligenz Köcherfliegen, Schleimaale und Schlagersänger nicht heranreichen; erst die intentionale Nutzanwendung rechtfertigt, dass zum aufrechten Gang befähigte Zellklumpen sich mit Artefakt in der Pranke aufrichten und das irrtumsbehaftete Abenteuer Technik angehen – der überhaupt vorhandene Zweck heiligt den unfallfreien Einsatz jedweder Mittel, das sinnlose Gehampel mit Messer, Gabel, Schere, Licht ist nur Ausdruck einer verfehlten Selbstsicht, unfähig zur faustischen Erkenntnis des manuellen Beschränktheit. Der vom Erzieher nach Kräften geförderte Basteltrieb mit seinen aus Dörrpflaumen geklöppelten Pfeifenständern ist nicht mehr und nicht weniger als die gezielte Demütigung des kindlichen Gemüts – früh, aber nachhaltig lernt Bambino, dass alles, in Worten: alles klebt, wenn man sich auch an die Instruktion des Vormachers hält. Keine Gebrauchsanweisung ist es wert. Kein noch so einfaches Gepopel mit dem Taschenmesser an der Trennlinie zwischen Holz und Metall bleibt ohne Folgen für die Haltbarkeit des Dings. Was immer man schweißt, näht, stanzt, nietet oder im Feuer härtet, hält dem scharfen Blick stand, ohne sofort freundlich in Richtung Vergänglichkeit zu grüßen und bis zur Erfüllung des Begehrs beschissen auszusehen. Wer es einmal verinnerlicht hat, wird sich nicht mehr von der Botschaft lösen. Mit etwas Glück ruft er für die farbliche Ausgestaltung des Eigenheims einen gelernten Maler, statt die Sache selbst zu versaubeuteln. Das Leben besteht nicht nur aus Strohsternen. Und wenn, dann steht schon eine Industrie bereit, ihm zu sagen, was er basteln soll. Wie man Unmündige eben behandelt. Notfalls mit Krepppapier.