„Könnten Sie mir mal verraten, was Sie unter Fortschritt verstehen?“ „Na, dass es eben weiter geht. Irgendwie so.“ „Irgendwie?“ „Eben so weiter. Und dass das dann so ist, wie man sich das halt vorstellt.“ „So, wie man sich was vorstellt?“ „Den Fortschritt eben.“ „Ich glaube, ich habe Ihr Problem jetzt lokalisiert. Es ist die komplette SPD.“
„Ich verstehe jetzt Ihren Ansatz nicht, warum sollen wir plötzlich über die Zukunft nachdenken?“ „Weil sie irgendwann vor der Tür steht, und das möglicherweise schneller als erwartet.“ „Bei den Umfragewerten der Regierung müssen wir uns keine Gedanken machen, das ist doch schon so gut wie gelaufen.“ „Die Popularität der Grünen scheint Sie ja nicht zu beeindrucken:“ „Ach was, das ist ja alles nur künstlich aufgebauscht.“ „Was passiert, wenn die Grünen die SPD einholen?“ „Die würden sich schon mit uns arrangieren, da bin ich mir sicher.“ „Was aber, wenn sie sich mit der CDU arrangieren?“ „Ausgeschlossen. Dazu hat die Union einen viel zu antiquierten Fortschrittsbegriff.“ „Wie sieht der denn aus? Anders als bei den Grünen?“ „Es geht da eben nur so darum, dass es irgendwie weitergeht.“ „Und bei den Grünen?“ „Die wollen, dass es so weitergeht, wie sie sich das vorstellen.“ „Und wie stellen die sich das vor?“ „Naja, eben nicht so wie die CDU. Anders eben. Eher so als eine Art Fortschritt gedacht.“
„Jetzt mal Butter bei die Fische: wofür steht die SPD eigentlich?“ „Für die Mitte der Gesellschaft. Und dass wir natürlich auch mehr Verantwortung, weil wir schließlich als eine Partei der Gesellschaft in die Mitte, wo wir die Verantwortung und die Gesellschaft zur – wie war die Frage?“ „Warum sollte ein zurechnungsfähiger Mensch heute noch die SPD wählen?“ „Weil sonst die CDU regiert, und das können Sie doch nicht wollen.“ „Mit dem Argument kann ich auch die Grünen wählen.“ „Eben nicht! Mit den Grünen riskieren Sie eben immer, dass die auch wieder die CDU mit an die Macht kommt. Die wollen doch nichts anderes als an die Macht kommen. Wie die CDU.“ „Gerade eben hatten Sie doch noch gesagt, die Richtungen seien für eine schwarz-grüne Koalition viel zu unterschiedlich?“ „Da denken die Grünen eben nicht fortschrittlich genug. Oder zu fortschrittlich, wer kann in dieser Chaospartei denn sagen, wo der Fortschritt liegt? Es ist deren reines Interesse an der Macht!“ „Und die SPD?“ „Wir wollen uns der Regierungsverantwortung stellen. Notfalls auch, indem wir die Regierung übernehmen.“
„Also meinetwegen, dann eben so gefragt: was haben Sie den Bürgern effektiv zu bieten?“ „Unsere Wähler können darauf vertrauen, dass wir mit Mut und Umsicht die Probleme dieses Landes in der globalisierten Krise, ich meine: in der Krise der Globalisierung…“ „Heiliger Bimbam – effektiv! Was haben die Leute konkret von der SPD?“ „Also was die Menschen jetzt so erwartet? Woher soll denn ich das wissen, bin ich Hellseher? Gehen Sie doch zur Bundeskanzlerin hin, die weiß doch immer alles besser!“ „Ich gehe aber nicht zur Kanzlerin, es interessiert mich nicht, was sie sagt und macht und tut und will und verspricht, ich will jetzt verdammt noch mal wissen, was ich davon habe, wenn ich SPD wähle!“ „Es wird vielen in diesem Land besser gehen.“ „Das hatte Kohl auch schon versprochen.“ „Ja, aber da stimmte es nicht, das wissen Sie doch.“ „Und deshalb wollen Sie nun alles ändern, was dem im Wege steht?“ „Wir sorgen für mehr Fortschritt, verstehen Sie, fortschrittliche Ideen in der Gesellschaft, die uns zum Beispiel mehr Fortschritt…“ „Ist ja gut, bleiben Sie mal locker. Aber das hieße ja letztlich, dass Sie Ernst machen.“ „Womit?“ „Na mit den fortschrittlichen Ideen: Transparenz, Primat der Politik gegen wirtschaftlichen Lobbyismus, Schutz der Bürgerrechte.“ „Meine Güte, so viel Umstellungen auf einmal – meinen Sie denn, dass die Bürger das verkraften?“ „Warum denn nicht? Dafür werden Sie dann ja schließlich gewählt.“ „Also ich weiß ja nicht. Das ist alles nicht bequem genug. Schauen Sie mal, die Leute sollen sich doch auch mal wohlfühlen in einer fortschrittlichen Politik. Wir finden das jedenfalls hier in Deutschland auch so schon sehr gut und auf dem richtigen Weg für den Standort und irgendwie auch fortschrittlich – Sie etwa nicht?“ „Was ist denn daran bitte gut für den Standort Deutschland, wenn Sie sich weigern, die notwendigen Reformen durchzuführen?“ „Sehen Sie das doch mal ein, es geht doch hier nicht um die Reformen. Es geht doch um die Menschen – in unserer Partei stehen die Menschen im Mittelpunkt! Sind Sie jetzt auch noch so einer von denen, die Deutschland abschaffen wollen, so einer von diesen neoliberalen…“ „Merken Sie eigentlich noch, was Sie da reden?“ „Erlauben Sie mal! Man muss sich doch mal fragen dürfen, was denn eigentlich gut ist für die Menschen. Was die Menschen wollen oder wenigstens wollen sollen. Da sind wir als SPD auf jeden Fall…“ „Schon gut. War ja nur eine Frage.“
„Dann machen Sie sich mal darauf gefasst, dass wir 2013 die Wende in Deutschland schaffen und endlich eine Politik haben, die unser Land zu einem Standort macht, wo der Fortschritt auch Früchte trägt.“ „Also soziale Gerechtigkeit? Weg mit diesem Hartz-Unsinn? Mindestlohn?“ „Um Gottes Willen, wir können doch nicht sozialdemokratisch werden! Das haben wir uns doch gerade erst so erfolgreich abgewöhnt, das geht doch echt nicht mit unseren Fortschrittsbemühungen zusammen.“ „Ich gebe es auf. Es hat keinen Zweck. Aber eine Frage hätte ich noch. Haben Sie wenigstens ein griffiges Motto für den Wahlkampf?“ „Vorwärts!“
Satzspiegel