„Nach Ihnen, bitte!“ Herr Breschke hielt mir die Pforte des Gartenlokals auf. Gemütlich zockelte er hinterdrein, immer einen Schritt zurück, bald links, bald nach rechts ausweichend, weil Bismarck seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und zwischen seinen Beinen lief. Der dümmste Dackel im weiten Umkreis beäugte die Blumen. Keine Gartenzwerge. Aber in einem italienischen Restaurant war ja auch nicht damit zu rechnen gewesen.
„Buon giorno!“ Die Kellnerin wies mit einer einladenden Handbewegung auf die Terrasse. Man hatte einen herrlichen Blick hinab auf den Fluss. Hansi Bückler hatte das Haus nicht umsonst gelobt. „Un tavolo per due persone?“ „Si“, antwortete Breschke. Wir setzten uns. Bismarck kroch unter den Tisch und lauschte angestrengt dem Geräusch der Vögel. Es hatte bis eben noch geregnet; die Äste hingen vor Feuchtigkeit. „Ich wusste gar nicht, dass Sie Italienisch sprechen.“ Der pensionierte Beamte lächelte. „Ja, damals waren wir ein paar Mal dort, meine Frau und ich.“ Die Kellnerin legte die Karte auf den Tisch und ging ins Haus. „Signora Mascheroni“, mutmaßte ich. „Hansi war dreimal hier, er fand den Service perfekt. Und Bruno war sehr begeistert von den Speisen.“ Der richtige Ort, um die Einweihung von Breschkes elektrischer Heckenschere zu feiern, genauer: die Tatsache, dass ich ihm beim Beseitigen der gröbsten Schäden und beim Wiederaufforsten des Gartens geholfen hatte.
„Schnell“, flüsterte Breschke mir zu, „was hieß noch mal ‚Pilz‘?“ „Funghi“, antwortete ich ebenso leise. Da war La Mascheroni schon am Tisch und zückte den Block. Triumphierend blickte Horst Breschke sie an. „Due funghi al tonno!“ Verwirrt schaute die Kellnerin ihn an, dann mich, dann wieder ihn. „Mi dispiace molto“, stammelte sie. „Lasciate fare a me“, beruhigte ich sie und wandte mich an den Alten. „Was um Himmels willen wollen Sie damit sagen?“ „Ich habe nur zweimal Pils bestellt“, verteidigte er sich, „Pils vom Fass – tonno, oder?“ Rasch orderte ich einen Rotwein, um die Situation zu klären, ein paar Kleinigkeiten und Spaghetti. „Mi potrebbe dare un consiglio?“ Signora Mascheroni strahlte und wies auf die erste Seite der Karte. „Le cozze.“ Breschke verzog angewidert das Gesicht. „Wo haben Sie mich hier hingeschleppt“, stieß er hervor, „das ist ja einfach nur unappetitlich! Pfui Teufel!“
Ein halbes Gläschen später, die Sonne hatte sich durch die nassen Zweige gekämpft und beschien zaghaft, aber beharrlich über das Wasser, war auch Breschke wieder aufgeräumt. Der Tisch leerte sich, der Alte schenkte nach, Bismarck fiepte unter dem Tisch. Die Kellnerin erkundigte sich nach unserem Befinden. „Bene“, ließ sich Breschke vernehmen, „tutti bene.“ „Was halten Sie beispielsweise von einem Schokoladenhibiskus an der Hausseite? Oder ein paar Zistrosen.“ Da nahte sich auch schon Signora Mascheroni mit den Spaghetti. Sie stellte die Teller auf den Tisch. „Il primo“, verkündete sie. „Na“, sagte Breschke und äugte auf die Pasta, „ob die wirklich so gut sind, würde ich dann gerne noch selbst beurteilen, junge Frau.“
Inzwischen hatte sich auch Bismarck bemerkbar gemacht. Die Kellnerin näherte sich mit einem Napf; sie stellte das Gefäß unter den Tisch und streichelte dem Dackel über den Kopf. „Ciao bello!“ „Nein“, korrigierte Breschke mit erhobenem Zeigefinger. „Bismarck. Er heißt Bismarck!“ „Grazie“, warf ich ein, „sehr freundlich von Ihnen.“ „Dass diese Italiener auch immer nur Italienisch sprechen“, nöckerte Horst Breschke. „Vielleicht entdecken Sie ja noch ein paar ältere Exemplare“, gab ich lakonisch zurück, „dann können Sie es auf Latein versuchen.“ Er winkte ab. „Ich habe ja gar nichts dagegen“; hielt er dagegen. „Ist auch ganz schön, wo es hingehört – aber wir waren seinerzeit in der Emilia-Romagna, Rimini natürlich, und was sage ich Ihnen: nicht eine einzige vernünftige Bockwurst gab’s da, und keinen Sauerbraten. Da muss man sich doch auch nicht wundern, wenn die Touristen nur Spaghetti essen und kein Interesse an der italienischen Kultur entwickeln.“
„Il secondo“, gab die Donna kund und servierte Schnitzelchen in Zitronenrahm. „Na, das hat aber länger gedauert!“ Geräuschvoll hieb Breschke auf das Kalbfleisch ein. „Mi fà piacere“, murmelte sie und ging. Breschke fröstelte ein wenig. „Vielleicht sollten die hier mal das Vordach rauskurbeln“, gab er zu bedenken, „es könnte sicher bald wieder mit dem Regen anfangen.“ „Macht nichts“, antwortete ich. „Wir sitzen erstens unter dem Schirm und die Markise ist zweitens ein paar Meter zu kurz.“ „Va bene?“ Signora Mascheroni war aufmerksam um unser Wohl besorgt; allein Breschke war das nicht entgangen, er rieb sich die Hände. „Fa caldo!“ „Si“, lächelte die Dame des Hauses. Schließlich regnete es noch nicht.
„Sie nehmen sicher noch so einen Matschiato“, meinte Breschke, der sich schon zum Gehen rüstete. Offenbar wurde es ihm kalt. „Il conto per favore“, bat ich die Kellnerin. Da sprang er auf. „Nix Konto, ich lasse die doch nichts abbuchen! Nein, nur Bargeld, mein Lieber. Bei Südländern weiß man doch nie – überhaupt, was treibt sich unsereins bei diesen Makkaronis herum, sieht man doch, dass sie einen nur ausrauben wollen! Treulose Tomaten!“ Und ohne sie eines Blickes zu würdigen stob er, Bismarck zwischen den Beinen, dem Ausgang zu. „Probleme?“ Der baumlange Mann mit den blonden Locken war dem Schild nach Sandro Mascheroni. „Alles bestens“, beruhigte ich ihn. „Sie sind schon länger hier im Lande?“ „Swee Jahre“, bestätigte er. „Ick bin jebürtig von Marzahn. Eijentlich Sandro Wuhlcke. Aa für’t Jeschäft ha’ck bei die Hochsseit mit Vittoria ihrn Nahm anjenomm. Sie kommt aus Bochum. Sie kann ooch besser Italienisch, wa?“ Ich lächelte. „Un det war allet zu Ihra Zufriedenheit?“ „Ausgezeichnet“, bestätigte ich. „und wissen Sie, der alte Herr wird demnächst ein neues Garagentor einbauen. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“
Satzspiegel