Doppelkopf

12 07 2011

„Steuergeschenke? Wer soll denn das bezahlen?“ „Na, Sie natürlich.“ „Klar, ich natürlich. Ich bin ja auch so reich, dass ich die Spitzenverdiener mit durchfüttern könnte.“ „Nein, nicht Sie persönlich. Sie als Deutschland. Wir sind ja in der glücklichen Lage, dass wir über Stabilität verfügen, über eine prosperierende Wirtschaft – wir erleben einen ungeheuren Aufschwung, ist Ihnen das nicht klar?“

„Woran machen Sie denn diesen Aufschwung fest?“ „Wir haben eine fantastische Auslastung der Wirtschaft. Der Boom ist doch mit Händen zu greifen.“ „Nur nicht mit denen der Arbeitnehmer.“ „Aber was wollen Sie – die Arbeitslosenzahlen sinken?“ „Die Zahlen, ja. Nur sinken auch die Löhne.“ „Erwarten Sie nicht zu viel. Schließlich befinden wir uns in den Ausläufern einer der schwersten Krisen seit Menschengedenken.“ „Und warum haben wir dann diesen Aufschwung?“ „Irgendwie muss die Wirtschaft das kompensieren, oder nicht?“ „Hat denn die Wirtschaft auf einmal die richtigen Rahmenbedingungen für einen Aufschwung? In der Krise haben sie doch alle herumgejammert und geklagt, dass es uns so schlecht ginge.“ „Es geht uns ja auch schlecht. Zumindest den Arbeitnehmern, und das ist in einer Volkswirtschaft ja schließlich der entscheidende Faktor.“ „Plötzlich…“ „Ja selbstverständlich! Schauen Sie, alle reden von Mindestlohn oder von mehr Geld für die Arbeitslosen – wer soll denn das bezahlen?“ „Vielleicht die Wirtschaft?“ „Hören Sie auf damit, das ist doch Wahnsinn – Sie können doch in so einer Krisensituation nicht den Staat durch noch stärkere Belastungen zu Boden ziehen! Was wollen Sie Ihren Kindern sagen, wenn die Sie eines Tages fragen werden, woher die Schulden kommen?“ „Dann werde ich ihnen sagen, dass ein paar Generationen lang sämtliche Regierungen über meine Verhältnisse gelebt haben.“

„Sie sehen ein, dass wir jetzt keinen Spielraum für Geschenke haben?“ „Ja, durchaus.“ „Das ist gut, wir brauchen nämlich diese Solidarität auch von denen, die unsere Wirtschaft wieder stärken mit ihrem persönlichen Opfer gegen den totalen Zusammenbruch.“ „Zusammenbruch? Opfer? Wovon reden Sie da eigentlich?“ „Naja, man liest doch häufiger man, dass so viele chronisch Kranke oder Behinderte von Kürzungen betroffen sind. Ich meine, persönliche Opfer sollten wir durchaus mit Dankbarkeit entgegennehmen, das macht es für uns ein bisschen leichter, in der Krise zu…“ „Sie reden von persönlichen Opfern? Ich bitte Sie, diesen Menschen wird das letzten bisschen Geld unter dem Hintern weggezogen!“ „Ja, tragisch. Aber unser wirtschaftlicher Erfolg ist nun mal hart umkämpft, wir können stolz auf uns sein. Kein Land hat die Krise so gut überlebt und ist so stark wieder daraus hervorgekommen. Wir sind zutiefst dankbar.“

„Jetzt doch wieder Aufschwung?“ „Sicher, es ist doch alles in trockenen Tüchern. Wir werden auch 2011 wieder das Haushaltsdefizit unter die kritische Grenze bringen, also brauchen wir gar nichts zu fürchten.“ „Das heißt, wir können damit locker noch ein Jahr den Export bedienen?“ „Deutschland ist leistungsfähig, das halten wir schon aus.“ „Und die Erhöhung der Abgeordnetendiäten?“ „Peanuts. Das bisschen verrechnet sich doch.“ „Und dann fällt auch noch die Brennelementesteuer aus.“ „Dafür könnten wir, wenn es die Bundesregierung irgendwann mal schafft, Subventionen zu streichen, massenhaft neue Jobs für erneuerbare Energien aus dem Boden stampfen. Dann ist hier aber Wachstum angesagt!“ „Dann könnte man ja den Strom auch mal billiger machen.“ „Ich bitte Sie, das geht doch nicht – wir können doch hier keine Subventionen zahlen.“ „Dann könnten wir ja vielleicht mal die Krankenversicherungen auf ein gesundes Maß zurechtstutzen und diesen ganzen Kropf mit dem Gesundheitsfonds wieder abschaffen.“ „Aber wer soll das denn bezahlen? Woher sollen wir das Geld denn nehmen?“ „Haben Sie nicht eben etwas von der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erzählt?“ „Ja, aber was hat denn die Wirtschaft mit den Krankenkassen zu tun? Zahlen die Kassen etwa Einkommensteuer?“

„Jetzt überlegen Sie doch mal: die Top-Manager in den Vorständen bekommen schon 20 Prozent mehr als noch vor der Krise.“ „Das ist doch auch ein gutes Zeichen.“ „Finden Sie?“ „Aber ja doch! Das zeigt doch, dass der Aufschwung auch bei den Arbeitnehmern ankommt.“ „Und was halten Sie von einer Reichensteuer, um solche Spitzengehälter sozial abzufedern?“ „Unmöglich. Wir dürfen doch beim aktuellen Fachkräftemangel, der die prekäre Situation am Standort Deutschland noch verstärkt, nicht noch wissentlich diese Leistungsträger aus dem Land vertreiben. Das geht ja gar nicht!“ „Und demnächst kommen Sie sicher auch mit diesem Bockmist, dass die Griechenland-Rettung angeblich die Renten kaputt machen würde.“ „Immerhin denkbar, oder nicht?“ „Seit wann werden denn die Renten von der Bundesregierung ausgezahlt?“ „Wenn Sie jetzt den Euro so retten wollen, wie die Kanzlerin das gerade tut, dann wird das in einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der EU enden. Und damit sind die Renten nicht mehr sicher. Ist doch logisch.“

„Gut, wir sind also in der Krise.“ „Eher in den Ausläufern einer Krise, die wir noch nicht ganz überwunden haben, manche haben sich auch nicht wieder erholt – die Musikindustrie beispielsweise, die Verlage und die Postkutschenbauer – aber das heißt natürlich nicht, dass wir nicht jederzeit gleich wieder in eine neue Krise stolpern könnten.“ „Und die wird selbstverständlich unvorhersehbar sein.“ „Soweit ich das bis jetzt sagen kann: ja.“ „Und deshalb müssen wir die Banken retten, die uns das eingebrockt haben.“ „Genau. Denn stellen Sie sich das mal vor; wenn wir sie jetzt nicht retten, dann können wir ihnen bei der nächsten Krise gar nicht mehr helfen, und das wäre doch fürchterlich!“ „Verstehe, es ist also besser, wenn wir jetzt mit radikalem Sparkurs das Sozialsystem schleifen und die staatlichen Bruttoanlageinvestitionen weiter unterhalb der Abschreibungen lassen.“ „Richtig, denn nur so erhalten die fruchtbaren Impulse den Aufschwung.“ „Anders ausgedrückt, wir leben auch weiterhin von unserer Substanz.“ „Ja.“ „Was die Spielräume natürlich immer geringer werden lässt.“ „Und genau deshalb müssen wir den Gürtel auch enger schnallen. Das ist ganz normal in der Krise.“

„Also jetzt mal ernsthaft: Krise oder Wohlstand, Aufschwung oder Rezession? Was ist denn jetzt gerade Phase?“ „Beides.“ „Beides? das geht doch wohl schlecht.“ „Doch, das geht. Die Wirtschaft erlebt gerade einen Aufschwung – weil Sie in der Krise sind.“