Spiel die Krise

13 07 2011

Die Wand leuchtete plötzlich grell auf – rote, gelbe, grüne Quadrate blinkten wild durcheinander, eine Fanfare trötete, und die bekannte Stimme schrie aus dem Lautsprecher: „Risiko!“ Siebels knipste die Effekte aus und lehnte sich in seinem Regiestuhl zurück. „Etwas altbacken“, kritisierte er. „Gut, es hat einen gewissen Touch von Seriosität, für die älteren Zuschauer bestimmt auch einen hohen Wiedererkennungswert, aber ob sich das durchsetzt in der heutigen Fernsehlandschaft? Seien wir doch mal realistisch – es ist einfach zu gut.“

Purrwinkel schaltete die Blinklichter ab. „Wir müssten wenigstens eine Art Falltürsystem haben“, forderte er. „Falltürsystem?“ Ich begriff nicht, worum es sich handelte; er erklärte es mir. „Sie haben verschiedene Risikostufen, Zufälle, eine Art von Unwägbarkeit, die komplett außerhalb Ihrer eigenen Deutungsmuster steht.“ „Sie meinen“, grübelte ich, „man gibt nur richtige Antworten und verliert trotzdem?“ Purrwinkel nickte begeistert. „Genau das ist damit gemeint! Es ist lebensnah und wirklich gut für dies Thema geeignet.“ „Siebels“, fragte ich den Fernsehmacher, „was haben Sie sich denn da wieder ausgedacht? Eine politische Show? Ein Quiz um den Sozialstaat mit eingebautem Verfassungsbruch?“ Doch der alte TV-Hase winkte ab. „Viel einfacher. Die Euro-Krise als Quiz.“

Inzwischen hatte Purrwinkel eine Reihe bunter Kärtchen an diverse Flipcharts geklebt. „Der Titel ist entscheidend“, verkündete er. „Der Titel wird unter anderem darüber entscheiden, wer sich diese Quizshow ansehen wird.“ „Zunächst mal sollte man darüber nachdenken, wer denn das Ding moderiert und wer als Kandidat daran teilnimmt“, befand ich. Doch Siebels winkte ab. „Unerheblich. Wenn wir einigermaßen realistisch vorgehen, brauchen wir keinen Moderator – sehen Sie bei der Krise einen der Verantwortlichen, der es für nötig hielte, seinen Kopf hinzuhalten?“ Ich schwieg betroffen. Siebels nickte, sichtlich zufrieden. „Mit den Kandidaten machen wir es uns einfach, das heißt, der Sender zahlt genau das, was er immer zu zahlen bereit ist, wenn er keinen Sponsor findet: nichts.“ „Also mit Laiendarstellern?“ „Richtig“, bestätigte Siebels. „Wir nehmen die ganz besonders dummen. Die aus dem Bundestag.“

„Sie wollen ernsthaft eine Quizshow mit Bundestagsabgeordneten machen?“ „Wo findet man mehr Vollidioten auf einem Haufen“, gab der Fernsehproduzent ungerührt zurück. „Diese Leute beschäftigen sich den ganzen Tag lang mit sich selbst, sie haben weder ein Interesse an den politischen noch an den wirtschaftlichen Zusammenhängen der Finanzkrise – größtenteils sind sie bereits mit damit überfordert, wie der Euro funktioniert, da darf man sie nicht auch noch mit intellektuellen Spitzenleistungen quälen.“ „Aber das machen doch die Leute auf der Straße nicht viel besser“, insistierte ich. „Mag sein“, grinste Siebels. „Aber die kommen selten in die Verlegenheit, einen Rettungsschirm durchs Parlament zu winken.“

„Wir hätten einmal PENG und einmal BÄM“, brachte sich Purrwinkel in Erinnerung. „Und dann wäre da auch noch Futsch – die Euro-Show.“ Siebels rieb nachdenklich sein Kinn. „Was sagen Sie dazu?“ „Es klingt alles ein bisschen sehr billig“, sagte ich. Er nickte. „Richtig, das wäre schon mal ein Argument dafür. Arbeiten Sie weiter in dieser Richtung!“

Purrwinkel reichte mir einen Helm. „Setzen Sie mal auf“, ermunterte er mich. „Drückt er? Macht nichts, er dürfte den meisten Kandidaten nicht passen. Und dann bitte hier auf dem Drehsessel Platz zu nehmen.“ Ich setzte mich in das wackelige, ausrangierte Sitzmöbel. „Die Sprechgarnitur ist angeschaltet, wir können mit dem Probedurchlauf beginnen. Und – Action!“ Schon begann die Wand wieder in allen Farben zu blinken. „Wählen Sie eine Frage“, rief Siebels herüber. „Sie haben das Schema aus – oh, zu spät.“ Da rauschte das System herunter, Purrwinkel klappte ein Notebook auf und stellte es auf den Klapptisch neben mich. „Wir müssen ein wenig improvisieren, tut mir Leid. Aber dafür sieht es ja auch lebensecht aus.“ „Ich nehme Faule Griechen 60.“ Purrwinkel fummelte am Klapprechner herum und las die Frage vor. „Wer hat mehr Urlaubstage, die Deutschen oder doch die Griechen?“ „Entschuldigen Sie mal“, protestierte ich. „Das ist eindeutig suggestiv, so kann man nicht fragen!“ „Stimmt“, bestätigte Siebels. „Sie kennen ja die Vorgaben des Senders.“ „Dafür kennt der Sender die Antwort nicht“, feixte Purrwinkel. „Die nächste Frage, bitte!“ „Spanische Faulpelze“, las ich, „Spaghettis – Moment mal, Froschfresser?“ Siebels steckte sich eine neue Zigarette an. „Wir wissen nicht genau, wann die Pilotsendung ausgestrahlt wird“, erklärte er. „Kann gut sein, dass dann der europäische Wirtschaftsmotor auch schon bis zum Hals in der Pleite steckt.“ „Gut, dann nehme ich Froschfresser 80!“ Die Wand blubberte auf vor lauter Farbenrausch, und da war auch schon die vertraute Stimme aus dem Lautsprecher: „Risiko! Risiko!“ Siebels schob die Brille auf die Nase und las die Frage vor: „Wem schiebt der EU-Rettungsschirm die ganze Kohle in den Rachen?“ „Den Banken“, echote ich. Die Wand schien rein zu implodieren. Die Fanfaren schäumten fast über. „Gewonnen“, verkündete Purrwinkel strahlend. „Gewonnen!“ „Gewonnen? Was denn?“ „Sechs Monate“, warf Siebels trocken ein. „Aufschub. Sechs Monate. Dann geht die ganze Scheiße wieder von vorne los. Vergessen Sie nicht, die Sache ist lebensecht.“