„Es ist ja so schwer“, seufzte Börsig. „Allein die Vorgaben sind schon enorm kompliziert, aber wenn Sie auch noch ein bisschen kreativ sein wollen, wird’s richtig ekelhaft.“ Er hatte ein paar Blatt Papier auf dem Tisch ausgebreitet. „So hatte ich mir das vorgestellt. Aber es wird nicht funktionieren, meinen Sie?“ Ich maß die Skizze mit einem flüchtigen Blick. „Sehr übersichtlich, klarer Aufbau und sofort einleuchtend – man begreift, dass hier jemand mit Logik am Werk war, ja sogar mit gesundem Menschenverstand. Als Grundriss für eine neue Behörde ist das vollkommen untauglich.“
Er ließ die Schultern hängen. „Das hatte ich befürchtet“, murmelte Börsig. „Sie haben uns nicht viel Zeit gelassen, die neue Behörde aufzubauen. Meinen Sie, wir kriegen das irgendwie hin?“ Ich überflog noch einmal die Pläne. „Bis zur nächsten Wahl müsste das natürlich gemacht werden, denn das beste Personal bekommen wir unmittelbar danach.“ „Das sehe ich aber ganz anders“, widersprach Börsig. „Beim letzten Mal haben Sie es ja gesehen – gewisse Splitterparteien wollen die ganze Verwaltung ausdünnen, und wenn sie dann endlich an der Macht sind, haben sie nichts Besseres zu tun, um sich erst einmal mit Posten einzudecken.“ „Da sehen Sie es“, hielt ich ihm entgegen, „da sehen Sie es doch. Wenn man schon nichts kann…“ „Aber beim nächsten Mal dürfte es noch nicht einmal klar sein, ob diese Partei überhaupt noch gewählt wird.“ „Keine Sorge“, beruhigte ich ihn. „Dann werden sie sich erst recht um ein trockenes Plätzchen in der Verwaltung bemühen.“ Staunend nickte Börsig.
„Spitzen Sie den Bleistift“, begann ich. „Ich werde Ihnen ein paar Regeln diktieren für den Aufbau einer perfekten Behörde. Zunächst die Struktur. Haben wir eine hinreichend differenzierte Struktur in Ihrem Amt?“ „Da sitzen jeweils zwölf Beamte in einer Etage, und wenn wir den Ostflügel auch noch…“ „Ach papperlapapp“, fiel ich Börsig ins Wort. „Was hat das Gebäude mit Ihrer Behörde zu tun? So werden Sie nie aus allen Nähten platzen und kein Geld für einen Anbau, eine Aufstockung, einen Umzug und schließlich für einen vollkommen überteuerten Neubau in bester Lauflage rausholen.“ „Wir haben aber gar keinen Publikumsverkehr“, wandte er zaghaft ein. Mit einer Handbewegung wischte ich seine Bedenken vom Tisch. „Egal, auch eine geheime Dienststelle sollte ihre Bedeutung mit der guten Adresse unterstreichen. Es geht vielmehr um den Aufbau der Behörde. Wie viele Abteilungen haben Sie vorgesehen?“ „Wir haben bisher noch nicht darüber nachgedacht.“ „Drei Hauptressorts“, diktierte ich, „und zwar möglichst solche, die sich gegenseitig ins Gehege kommen. Beispielsweise Laubvermeidung und Baumschutz – Sie werden endlose Grabenkämpfe haben, Hauen und Stechen und ein miserables Betriebsklima.“ Börsig runzelte die Stirn. „Und wozu soll das gut sein?“ „Der Beamte an sich braucht das“, dozierte ich, „die Leute werden sich freiwillig in Ihre Behörde versetzen lassen. Nicht ist besser als dieser Aufbau – übrigens auch in der Vertikalen. Wie viele Verwaltungsebenen?“ „Tennmeyer, Ludwigsen, Eberberg – ich hätte drei Leute zur Verfügung.“ „Sie begreifen nicht?“ Ich runzelte die Stirn; hatte denn Börsig überhaupt Verwaltungserfahrung? „Sie müssen eine entsprechende Vertikale in jede ihrer Abteilungen einziehen, sonst ist das kein gutes Amt. Stellen Sie sich vor, ich würde einen Antrag zur Bewilligung einer Erteilung des Formulars auf Prüfung zur Kostenfestsetzung der gesetzlichen Pauschale einreichen – das Ding wäre nach drei Tagen wieder draußen!“ „Oh“, sagte Börsig und rieb sich die Nase. „Das hatte ich natürlich nicht bedacht.“ „Stellen Sie sich vor“, bohrte ich weiter, „es soll inzwischen in einzelnen Ämtern zu Pannen gekommen sein – man bearbeitet Anträge vor Ablauf der gesetzlichen Fristen! So etwas darf nicht einreißen, sonst ist die Verwaltung bald im Eimer!“
Flink kritzelte ich ein unübersichtliches Gewirr aus Kästchen und Pfeilen auf Börsigs Blätter. „Am wichtigsten ist natürlich, dass wir einen Dienstweg haben.“ „Sicher“, stimmte er mir zu. „Wenn man den Dienstweg einhält, kann der Bürger sich sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht.“ „Börsig“, stöhnte ich auf, „was hat man Ihnen denn bloß beigebracht? Wir brauchen wenigstens eine Dreigliederung der Einzelteile – übergeordnete, untergeordnete, gleichrangige Teile innerhalb einer Behörde. Sonst funktioniert das doch nie!“ „Und wie haben Sie sich die Aufgabenverteilung vorgestellt?“ „Die übergeordnete Abteilung stellt klar, dass sie übergeordnet ist, die untergeordnete verursacht Schwierigkeiten, indem sie auch die eindeutigsten Anweisungen nicht ausführen kann.“ „Und die Gleichrangigen?“ „Also bitte – irgendeiner muss durch Kompetenzgerangel die Behörde von einer sinnvollen Tätigkeit abhalten.“
Eifrig hatte er sich alles notiert. „Man könnte, um die Behörde schneller zum Laufen zu bringen, die Formularvordrucke ein bisschen vereinfachen, finden Sie nicht?“ Angewidert verzog ich das Gesicht. „Börsig, was habe ich Ihnen gesagt? Wo entstehen die nötigen Schwierigkeiten?“ „Beim Aktenverkehr“, gab er kleinlaut zurück. „Gut, was lernen wir daraus?“ „Für jeden Vorgang ein neues Formular“, spulte er ab. „Jeder Vordruck ist in einer anderen Dienststelle zu besorgen, wird in einer anderen Dienststelle geprüft, muss von einer anderen Dienststelle nachgeprüft, von einer anderen Dienststelle beglaubigt werden, wozu ein Stempel einer anderen Dienststelle zu besorgen ist.“ „Brav“, lobte ich. „Sehr gut. Und wie werden Formulare hergestellt?“ „Grundsätzlich in zu geringer Auflage, nicht lesbar und nur ohne das Beiblatt 43B, ohne das das ganze Formular überhaupt gar nicht erst angenommen werden darf.“ Ich tupfte mir den Schweiß von der Stirn. Ein durchaus gelehriger Schüler.
„Dass das alles so schön einfach ist“, strahlte Börsig. „Ich wäre nie darauf gekommen, dass man so schnell ein Amt aus dem Boden stampfen kann.“ Geschmeichelt lächelte ich. „Im Vertrauen, Börsig: es geht noch besser. Organisieren Sie regelmäßig den Laden um. Lassen Sie die Abteilungen für Hühnerzucht und Aufsicht der Karnevalsvereine zusammenarbeiten, dann setzen Sie ihnen die Sektion Bibliothekswesen und Lärmschutz vor die Nase – und schließlich schieben Sie den ganzen Krempel in die Außenstelle für öffentliche Toiletten und Erforschung des Akkordeonbaus. Keiner wird sich mehr zurechtfinden. Nicht einmal mehr die Beamten werden wissen, was sie da tun.“ „Sie sind ein Genie!“ Ehrfürchtig blickte Börsig mich an. „Und damit halten wir das Amt am Laufen – wir schaffen ganz viele Abteilungen, jede mit einem Abteilungsleiterposten für Kompetenzkleinkriege und Bewerbungen, bei denen jeder am Stuhl seines Kollegen sägen kann, eine ganze Behörde voller hinterlistiger Mobber, die einander nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen.“ „Sie haben es begriffen“, frohlockte ich und schlug ihm anerkennend auf die Schulter. „Aber sagen Sie mal, um was für eine Behörde sollte es dabei eigentlich gehen?“ „Ich habe nicht genau nachgesehen“; sagte Börsig. „Irgendwas mit Bürokratieabbau.“
Satzspiegel