Irgendwie auffällig

26 07 2011

„Ob sich Ihr Sohn auf der Liste befindet? Liste? Welche Liste? Eine Liste für – hören Sie, gnädige Frau, diese Liste gibt’s ja gar nicht, die kann es nicht geben, weil es sie nicht geben darf, verstehen Sie, und außerdem habe ich wegen Datenschutz gar keine Sicherheitsfreigabe, um in die Liste zu…

Ganz recht, gnädige Frau, Datenschutz. Nur für die Presse machen wir ab und zu eine Ausnahme. Weil die Daten von denen, die gemeingefährlich oder irgendwann mal gemeingefährlich, das ist ja noch nicht raus, ob da wirklich eine Gefahr von denen ausgehen könnte, deshalb brauchen wir ja diese Liste jetzt schon. Damit man dann später sagen kann, dass man den Täter schon hätte kennen können. Wegen irgendwas. Das macht dann viele Dinge auch einfacher. Schuldzuweisungen an die Datenschützer beispielsweise. Oder die, die da jetzt der Ansicht sind, nur weil man da nichts wusste, hätte man nicht bei anderen irgendwas entdecken können. Darum auch diese Liste jetzt für Personen, die irgendwie auffällig sind.

Ja, irgendwie halt. Fragen Sie mich nicht, was jetzt ‚irgendwie‘ heißt. Oder ‚auffällig‘. Ihr Sohn ist zwei Meter groß? Das hat nichts zu sagen, gnädige Frau. Unsere Abteilung für Vererbungsforschung hält sich da raus. Der Datenaustausch funktioniert nämlich nicht immer. Wichtig wird es, wenn man feststellt, dass da mehrere einzeln nicht auffälligen Auffälligkeiten auffällig oft auffallen. Körpergröße zwei Meter, deutscher Staatsbürger, männlich – Ihr Sohn ist doch männlich? weiß man das heutzutage? – das ist ja einzeln so noch nicht schlimm. Aber wissen Sie, ob nicht in der Kombination irgendeine Gefahr lauern könnte, und sei es aus reinem Zufall? Ich meine, es ist rein theoretisch ja nicht auszuschließen, dass ein zwei Meter großer Mann irgendwie auffällig wird. Sogar als Deutscher!

Student, das heißt noch gar nichts. Gnädige Frau, dass Ihr Sohn studiert, ist zwar noch kein belastendes Indiz, aber man muss das natürlich in der gesamten Beweiskette berücksichtigen. Das ist jetzt vielleicht schon strafverschärfend, genau weiß ich das natürlich nicht, ob das für männliche Straftäter über zwei Meter schon automatisch gilt, wenn sie deutsch sind. Das ist doch die Schwierigkeit – als Deutscher war man nach der vorletzten Dienstanweisung automatisch auffällig, weil man als Deutscher in Deutschland ja irgendwie völlig unauffällig sei, und das sei ja auch irgendwie schon wieder irgendwie auffällig. Oder so.

Im Vertrauen, es geht ja auch manches bei uns ganz schön schief. Allein diese Nachforschung nach kruden Gedanken – der Abteilungsleiter im BKA wusste gar nicht, was ‚krude‘ ist. Er meinte, er sei ein weltoffener und toleranter Mensch, und was man denen im Dritten Reich angetan hätte, das sei auch wirklich nicht mehr schön gewesen, aber wenn seine Tochter mit so einem ankäme, dem würde er, und zwar mit der Dienstwaffe.

Im Tischtennisverein? Studentengemeinde? Das könnte natürlich auch schwierig werden, Verstehen Sie mich nicht falsch, gnädige Frau, aber ich habe so den Eindruck, Ihr Sohn sucht Anschluss? Früher war er im Fanfarenzug? Das könnte jetzt irgendwie schon auffällig sein, dass er sich einfach so in die Gesellschaft begibt, wo da doch die Gefahren lauern. Stellen Sie sich mal vor, Sie lernen da Menschen kennen, die Sie noch gar nicht kennen – das ist doch irgendwie auffällig, oder?

Ganz falsch, ganz falsch. Wenn er jetzt den Kontakt zu den Vereinskameraden abbricht und sich auf sein Studium konzentriert, wird es früher oder später auch irgendwie auffällig sein. Einzeltäter, Sie wissen schon. Wenn man alles alleine tut, wird man nämlich zum Einzeltäter. Und das wollen wir doch nicht, gnädige Frau. Zumal der Ermittlungsansatz auch nicht so gut zu handhaben ist. Als Einzeltäter werden Sie zwar irgendwie auffällig oft in die Liste aufgenommen, aber es bringt ja gar nichts. Wir untersuchen nämlich vor allem die Kommunikation, und wenn Ihr Sohn mit niemandem kommuniziert, weil er ja eben ein auffälliger Einzeltäter ist, dann ist er für uns als Täter quasi irgendwie nicht gut brauchbar. Obwohl ihn das irgendwie auch schon irgendwie auffällig macht. Weshalb er dann ja auch in der Liste stehen würde, wenn er auf der Liste ist.

Wobei, etwas schwierig ist das mit der Studentengemeinde schon. Der von der Polizeigewerkschaft meinte, man müsse gleich jeden aus dem Verkehr ziehen, der eine Weltanschauung habe. Gesunde Menschen haben keine Weltanschauung, hat er gemeint, die sind geimpft und fertig! Und wenn jemand schon eine Ideologie hätte und ein Weltbild, das die anderen Weltanschauungen definitionsgemäß als falsch bezeichne, dann soll man dem so richtig eins in die – fand das erzbischöfliche Ordinariat auch nicht gut, und hätten Sie gewusst, wie schnell man exkommuniziert werden kann?

Ich kann Ihnen jetzt wirklich nicht sagen, ob Ihr Sohn da schon drinsteht, gnädige Frau. Das ist ja auch deshalb, weil wir diese Liste im Augenblick noch gar nicht brauchen können. Die wird erst aktiviert, verstehen Sie? Für später, nicht wahr, wie eine Videokamera: die kann zwar auch nichts verhindern, Straftaten sowieso nicht, auch keine Verbrecher fangen, aber man kann hinterher so tun, als wäre es für die Fahndung unverzichtbar. Wir brauchen diese Liste, wenn wirklich etwas passiert ist. Mord, Totschlag, Bombenattentate. Wenn wir dann sagen, wir hätten es ja längst wissen können, dann haben wir unser Ziel erreicht. Dann kommt die nächste Stufe. Kein Fernmeldegeheimnis mehr, kein Briefgeheimnis, und immer so weiter, weil es ja vorher noch nichts bringt. In jedem Keller ein Polizist, in jedem Raum ein Mikrofon. Weil wir ja alle irgendwie auffällig sind, gnädige Frau. Mehr oder weniger. Oder irgendwie auffällig werden könnten. Und wissen Sie was, gnädige Frau? Der Herr Innenminister und der Herr Sarrazin, der Uhl, der Wendt und der Ziercke, alle stehen sie auf der Liste – bei der Nachbarschaft, meinen Sie nicht, dass aus Ihrem Sohn noch mal was wird?“