Arbeit macht frei

31 08 2011

„Aber nur, wenn Sie gerade etwas Passendes hätten, ja? Nicht um jeden Preis, wissen Sie, man sollte doch etwas finden, was sich einigermaßen gut ausmacht. Was dem gesellschaftlichen Anspruch genügt. Und gerne halbtags oder Teilzeit, Herr Westerwelle möchte nicht arbeiten für sein Geld.

Umschulen, meinen Sie? Das gäbe ein paar kleinere Probleme. Für eine Umschulung müsste man natürlich – ich meine die Rückbildungsphase, so läuft das doch? Erst die alten Kenntnisse weg, dann die neuen lernen? Das wird problematisch. Herr Westerwelle, wie soll ich sagen, er ist ja nun eigentlich gar nichts. Nein, auch nicht. Auch kein Taxischein, bedaure. Stand in der Stellenanzeige für den Außenminister nicht drin. Etwas Jura, danach hatte er bloß Transferleistungen. Anstrengungsloser Wohlstand, genau.

Etwas Maritimes wäre schon sehr nett. Haben Sie da etwas vorrätig? Großartig, ganz großartig, das wird ihm Spaß machen. Sagen Sie es nicht weiter, aber er ist immer schon ein großer Fan von Traumschiff gewesen, seitdem Sascha Hehn dort – Mövenpick? Er soll die Marmeladen am Frühstücksbüfett auffüllen? Entschuldigen Sie mal, Sie haben hier Guido Westerwelle, wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Für wen halten Sie sich eigentlich? Sie werden jetzt auf der Stelle eine angemessene Tätigkeit für Herrn Westerwelle finden, auf einer Stelle, wo’s dampft und segelt, und zwar – na also, warum nicht gleich so. Maritimer Bereich, sagten Sie? und selbstständig? und in verantwortungsvoller Position? Weit und breit keine Konkurrenz? Was ist das für ein Job? Heulboje!?

Hören Sie mal, Sie müssen sich doch jetzt nicht auch noch einen Spaß daraus machen, dass der Herr Bundesaußenminister gerne einen anständigen Beruf hätte. Das kann man doch jetzt auch ganz normal als eine – wie, das geht nicht? Aber in Deutschland bekommt doch jeder den Job, den er haben will? Hatten wir das nicht immer gesagt? Oder nein, es war anders: jeder, der will, bekommt etwas, was wie ein Job aussieht. Richtig. Kann ich mich also auf Sie verlassen, dass Sie das in die Hand nehmen? Aber das ist doch nicht mein Problem – ich meine, Herr Westerwelle ist doch Leistungsträger? Der kann doch eine angemessene Bezahlung beanspruchen, ohne dafür auch noch etwas tun zu müssen? War das nicht so abgemacht?

Zirkus? Sicher, man probiert ja alles mal aus. Als Pausenclown ist man nicht so beliebt? Wie wäre es mit einer akrobatischen Nummer? Sie, er hat auf Wunsch überhaupt kein Rückgrat, der kriecht Ihnen überall rein, wenn Sie –

Ja, er hatte mehrfach mit Diplomaten zu tun. Kann ein, dass da etwas abgefärbt hat, so genau hat sich Herr Westerwelle nicht dafür interessiert. Ob er was? Sicher kann er ein Hummerbesteck bedienen, das dürfte angesichts seines Umgangs doch kaum eine Frage sein. Ich bitte Sie, ist das ernst gemeint? Als Kellner? Wie, er hat unter Merkel doch auch nichts anderes gemacht? Das ist doch wohl –

Leistungsträger hätten Sie so nicht in Ihrem Katalog? als Ausbildungsberuf auch nicht? Und was ist mit Aktionär? Nichts? ‚Markt!‘-Schreier? Rumpelstilzchen-Imitator? Ich-Ich-Ich-AG?

Die deutsche Wirtschaft? Ganz neues Konzept? Hoffentlich nichts Illegales, man weiß ja nie. Ach so, ja. Fotografieren lässt sich Herr Westerwelle gerne. Er ist schon fotogen. Meint er jedenfalls. Für eine Werbeanzeige? Aha. Fünf pro Tag? Muss er sich jedes Mal neu ablichten lassen? Nur einmal? Das klingt doch gut. Testimonial-Kampagne? für Unternehmensbeerdigungen? Das macht Herr Westerwelle sicher gerne. Wir freuen uns, diese Agentur zu unseren – ach, die Kunden selbst? Wenn ich ein Unternehmen unbedingt insolvent kriegen will, miete ich mir Westerwelle als Werbegesicht und bin dann garantiert pleite in zwei Jahren? Das ist, wie soll ich das sagen – wie hoch war noch gleich das Honorar?

Haben Sie denn nichts mit etwas Anspruch? Ich meine, eine verantwortungsvolle Aufgabe, die man in der besseren Gesellschaft auch sehr gut als eine – Schädlingsbekämpfer? Weil er die FDP dezimiert hat?

Nein, Schneeschippen ist ihm wirklich nicht zuzumuten. Sie müssen wissen, Herr Westerwelle hat ein äußerst empfindsames Gemüt. Das liegt nicht an der Kälte oder am Streusalz, aber sie stecken ihn doch nicht mit normalen Menschen zusammen in eine Arbeitskolonne? Haben Sie denn gar kein Herz? Das können Sie dem Herrn Minister nicht antun! Wattebäusche zertreten und Passanten anpöbeln, das kriegt er vielleicht noch hin, aber Schnee fegen? Mit diesen, entschuldigen Sie – die Leute zahlen Steuern? Wie ekelhaft ist das denn?

Wir nähern uns der Sache wohl langsam. Politik ist immer schon mal gut, da braucht man nichts zu wissen, hat wenig zu tun und gibt seine Verantwortung gleich wieder ab. Bestens, da suchen Sie doch gleich mal weiter. Haben Sie schon etwas? Opposition? Großartig! Das ist eine hervorragende Idee. Das wird er nehmen. Als Generalsekretär? Wunderbar, da kann er genau das machen, was er am besten kann: so tun, als ob er organisierte. Da muss man keine inhaltlichen Entscheidungen treffen, kann aber den ganzen Tag lang die Presse anbrüllen, und dazu muss man noch nicht einmal wissen, worum es geht. Eine hervorragende Idee! Da könnte er endlich seine Persönlichkeit entfalten, das nehmen wir, auf jeden Fall! Haben Sie recht herzlichen Dank, wir sehen uns dann Montag. Und recht liebe Grüße auch an die NPD!“





Alles Gute kommt von oben

30 08 2011

Anne kniff die Augen zusammen und blickte nach oben. „Sieht ganz nach Regen aus.“ „Schmeckt aber wie Weißwein, hähähä!“ Der fette Mann mit dem ölig zurückgekämmten Haar schlug sich auf die Schenkel und schüttete sich schier aus vor Lachen über seinen dämlichen Witz. Ich blickte Anne an; sie blickte ihn an, kniff ganz leicht die Augenbrauen zusammen. Wie konnte das bloß passieren, hier in Bücklers Landgasthof?

„Er hat sich wieder einmal beschwatzen lassen“, grummelte Bruno, jener, den man ehrfurchtsvoll Fürst Bückler nannte, wie er mit seinen kunstvoll verzwirbelten Schurrbartspitzen in der Küche stand und Schwarzsauer kochte. „Kaum ist ein Vertreter im Haus, kümmert sich Hansi nicht mehr um den Service, guckt sich tagelang nur Prospekte an und unterschreibt dann irgendwelche Sachen. Ich bin mit einem geistesgestörten Bruder geschlagen.“ „Na“, tröstete ich ihn, „die Idee, den Innenhof zu pflastern und ein Gartenlokal daraus zu machen, war doch recht vernünftig.“ „Richtig“, gab er trocken zurück. „Weil es meine eigene war. Aber das hier…“ Bruno deutete auf die schmal um den Hof laufenden Metallkästen an den Wänden. „Hansi wollte keine Sonnenschirme, denn so können wir drei Tische mehr unterbringen. Darum der ganze Aufwand mit den ausziehbaren Dächern.“

Anne hatte inzwischen die Tageskarte studiert. „Ich werde den Lammrücken nehmen“, verkündete sie. „Nehmen Sie ein Schnitzel“, ließ sich die bekannte Stimme neben ihr vernehmen, „das muss weg!“ Der Dicke platzte fast. „Sie gestatten“, schwafelte er und zog bereits einen Stuhl an sich. Anne hob nur leicht den Kopf. „Nein“, sagte sie schneidend. Hansi eilte mit dem Brotkorb und einem Schälchen Schmalz herbei. „Sie haben sich bereits miteinander bekannt gemacht? Das ist fein – dann können wir uns jetzt ja überlegen, wie wir unser neues regensicheres Gärtchen in unserem Prospekt bewerben.“ Der Dicke knickte steif in der Hüfte zusammen. „Firma Sengespeck, angenehm. Markisen, Bedachungen, die verwandten Bedarfe, stets zu Diensten. Sengespeck macht Sonne weg!“

Er zog ein kleines Kästchen mit zwei Knöpfen aus der Rocktasche und zeigte es herum wie ein Zauberer in der Manege. „Unsere ausfaltbaren Wetterdächer werden selbstverständlich nicht mehr altmodisch mit einer Kurbelmechanik bedient, sondern motorbetrieben und ferngesteuert. Schauen Sie selbst.“ Die Firma Sengespeck fuchtelte mit dem Gerät im Hof herum und drückte mehrmals auf einen der beiden Knöpfe. Nichts passierte. „Sie sollten vielleicht den roten Knopf versuchen“, regte Hansi an. „Das brauchen Sie mir nicht zu sagen“, schimpfte Sengespeck. Quietschend öffneten sich die Aluminiumgehäuse, in Zeitlupe ratterte eine blassblaue Stoffplane heraus, die sich bis in die Mitte des Innenhofs schob; von der anderen Seite bewegte sich ein ebensolches Klappdach auf die Mitte zu. „Wie Sie sehen, Wind sowie leichte Niederschläge machen unserem Sonnenschutz nicht viel aus.“ „Hübsch“, teilte ich ihm mit. „Allerdings haben wir uns anders entschieden. Wir ziehen dann doch die Sonne vor. Wenn Sie sich bitte freundlicherweise wegmachen würden?“

Sengespeck blähte gewaltig die Nüstern. Bruno, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, packte ihn kurzerhand am Arm und bugsierte ihn an einen der mittleren Tische. „Sie essen jetzt ein Tagesmenü auf Kosten des Hauses“, zischte er den Dachverklapper an, „und dann will ich Sie hier nicht mehr sehen!“ Über unseren Köpfen ruckelte es. „Ich kriege das nicht wieder rein“, rief Hansi. Das Ding rumpelte, stoppte, fuhr wieder an und ließ sich durchaus nicht überreden, wieder in den Kästen zu verschwinden. „Und was jetzt?“ „Es regnet ohnehin gleich“, mopste sich Sengespeck. „Dann lassen Sie die Markise doch ausgefahren.“ Während Hansi ruckweise das Stoffdach vor und zurück bewegte, quatschte der Dicke bereits die nächsten Gäste an. „Diese dumme Qualle“, knurrte Bruno. „Ich lasse mir doch hier nicht meine Gäste belästigen!“ „Man sollte ihn als Sonnenschirm aufspannen“, witzelte ich. „Wenigstens kann man dann mit dem dämlichen Slogan etwas anfangen.“ „Das dürfte jetzt lustig werden.“ Anne häufte Erbsen auf ihre Gabel. „Er stört gerade den Vorsitzenden des hiesigen Gewerbevereins.“ Hansi war zornesrot angelaufen. „Dieser verdammte Klapperatismus!“ Mit einem Besenstiel musste er die Metallkästen verschließen, denn diese waren nicht motorisiert; sie öffneten sich lediglich beim Ausfahren des Markisengestells. „Am liebsten würde ich diesen ganzen Mist wieder abreißen und ihm vor die Füße schmeißen!“

Da begann es tatsächlich zu tröpfeln. Ein böiger Wind setzte ein, es frischte merklich auf. Eilig kam Hansi vor die Tür gerannt, blickte sich hektisch und durchsuchte seine Schürzentaschen. Da sah er die Fernbedienung, die er auf unserem Tisch hatte liegen lassen. Nervös schaltete er hin und her, doch nichts rührte sich. „Sie sollten den roten Knopf versuchen“, äffte Sengespeck. Anne tupfte sich die Lippen, legte die Serviette auf den Tisch und trat schnell ins Haus, denn schon zogen sich düstere Wolken am Himmel zusammen. Ich folgte ihr. Nur Hansi drückte und schaltete, er fuchtelte mit der Steuerung in der Luft herum und biss sich vor Wut auf die Lippe. Da brach ein heftiger Regen los. In Sekunden war der Fette klatschnass. „Die Küche empfiehlt Regenbogenforelle an Wassermelone“, rief ich schadenfroh, „und dazu ein Vol-au-vent.“ Sengespeck ruderte mit den Armen durch den Wolkenbruch auf Hansi zu. „Geben Sie mir das Ding“, gurgelte er, „Sie sind ja zu blöde dazu!“ Er riss ihm die Fernsteuerung aus der Hand und patschte wie besessen darauf herum. Da riss Hansi der Geduldsfaden. „Packen Sie Ihren verdammten Mist zusammen“, schrie er und packte Sengespeck am Kragen, „und scheren Sie sich zum Teufel damit! Ich will Sie und Ihren Dreck hier nie wieder sehen, verstanden?“

Vorsichtig balancierte Anne unter ihrem Schirm über den Kiesweg. Der Regen hatte sich ein wenig ausgetobt, man konnte zum Wagen gelangen. „Ach übrigens“, sagte sie und griff in die Jackentasche – ich hatte erwartet, dass sie den Autoschlüssel hervorzöge, doch sie ließ eine kleine Batterie in meine Hand gleiten. „Steck die bitte nachher in mein Diktiergerät, ja? Es ist furchtbar nervig, wenn diese elektrischen Dinger nicht funktionieren.“





Fliehender Wechsel

29 08 2011

„Das ist absurd, nicht zu sagen: abstrus.“ „Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Und genau deshalb finde ich das ja so reizvoll.“ „Aber bedenken Sie doch mal die Folgen – kann sich Deutschland so eine Schlappe leisten? noch dazu vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit?“ „Wir haben das einmal überlebt, dann werden wir es auch diesmal überleben, und bedenken Sie: diesmal jagen wir den Guttenberg nicht vom Hof, diesmal holen wir ihn zurück.“ „Aber doch nicht als Außenminister!“

„Jetzt machen Sie mal halblang. Das Problem ist Ihnen doch bewusst, oder?“ „Dass Deutschland statt eines Außenministers so einen Hampelmann hat?“ „Nein, das war ja eher der Normalzustand. Problematisch wird es, weil man ihn loswerden muss, um größere Schäden zu vermeiden.“ „Und dazu wollen Sie Guttenberg zurückholen.“ „Das war so angedacht.“ „Haben Sie alles vergessen? Die ganze Geschichte mit dem Doktortitel?“ „Ach was, juristisch ist Westerwelle auch bloß eine Knalltüte. Da ändert sich nicht viel.“ „Aber er hat einen akademischen Grad unberechtigt getragen und eine ganze Reihe von Urheberrechtsverletzungen begangen.“ „Und? Westerwelle hat Dienstflüge für private Urlaubsreisen und Geschäftskontakte seiner Freunde missbraucht. Er ist in bestechender Form.“ „Das lässt sich wohl nicht vergleichen.“ „Er verhöhnt das Volk und bringt im Gegenzug Steuererleichterungen für Hoteliers durch.“ „Dafür inszeniert sich Guttenberg in Afghanistan, weil sein Blondchen Werbung für ihre Pädophilenshow im Deppensender braucht. Was ist an diesem Knilch denn bitte besser als an Westerwelle?“

„Wir sind uns einig, dass Westerwelle nicht zu retten ist?“ „Ansonsten gäbe es diese dämlichen Wasserstandsmeldungen aus der FDP-Zentrale wohl nicht.“ „Sie meinen die Nachricht, dass Gerüchte über seine bevorstehende Ablösung sich nicht mit der Realität deckten?“ „Das möchte ich hören, dass die CSU mehrmals pro Woche mitteilt: ‚Herr Ramsauer wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit morgen noch Minister sein, und wir sagen das hier auch nur, weil es vollkommen überflüssig ist.‘ Wer derlei dreimal pro Woche herunterbetet, darf sich nicht wundern.“ „Gut, wir sind uns über Westerwelles Rolle einig?“ „Dass er eine Luftnummer ist, hatten wir doch schon besprochen.“ „Nein, ich meine innerhalb der Regierung. Die Kanzlerin braucht einfach einen wie ihn, und dafür wäre Guttenberg wie geschaffen.“ „Ist Guttenberg etwa auch…“ „Selbstredend ist er erpressbar. Darum geht es doch die ganze Zeit.“ „Warum sollte ein erpressbarer Außenminister für die Kanzlerin von Nutzen sein?“ „Weil er hüpft, wenn sie knurrt. Eine eigenständige Figur, die zu viel Brimborium um sich selbst macht, kann sie nicht gebrauchen. Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht, gewöhnen Sie sich daran.“ „Und das hat Westerwelle nicht befolgt?“ „Er hat im Gegensatz zu Steinmeier und Fischer diese Unterordnung im AA nicht befolgt.“ „Heißt?“ „Ein Außenminister ist vor allem eins: unsichtbar. Er ist ein Rädchen im Getriebe des Amtes, und einen guten Ressortchef zeichnet aus, dass er weder seinem Amt noch dem diplomatischen Corps ins Gehege kommt.“ „Dazu brauchen Sie den Ölbaron?“ „Selbstverständlich. Er wird den Mund halten, weil er weiß, dass er sich nur so rehabilitieren kann.“ „Machen Sie es ihm nicht viel zu leicht?“ „Ach was. Er hat als Verteidigungsminister einen Eindruck gewonnen, wie es sich auf dem Schleudersitz anfühlt. Jetzt wird er sich entweder international bewähren – oder international blamieren. Danach wird er so viel mit seinem Familienunternehmen und seinem bisschen Privatvermögen protzen können, wie er will.“

„Was haben Sie eigentlich die ganze Zeit mit Ihrem dämlichen Guttenberg? Finden Sie den etwa am Ende auch noch attraktiv?“ „Ich? diesen elenden Schmierlappen!? Also ich bitte Sie!“ „Warum wollen sie ihn dann unbedingt als Minister?“ „Er verfügt über einige durchaus gute Kontakte in die internationalen Machtzentren, er ist gut vernetzt, er wurde über Jahre hinweg als Marionette aufgebaut und abgerichtet.“ „Sie beschreiben ihn wie ein kleines Hündchen.“ „Richtig. Aber im Gegensatz zu Westerwelle macht er Männchen und nicht auf den Teppich. Er hat den Ehrgeiz, er befriedigt ein dumpfes Gespür der Massen, die denken, er sei etwas Besseres, und er zaubert etwas Glanz in die geistige Umnachtung dieses Kabinetts.“

„Dann werden Sie sicherlich auch bedacht haben, dass sich die FDP kaum mit dem Verlust eines Schlüsselpostens abfindet.“ „Unter diesen Umständen sollte sie dankbar sein, dass sie den Mann von der Backe hat. Fliehender Wechsel, mehr ist nicht drin. Allenfalls eine Personalrochade.“ „Was schwebt Ihnen da vor?“ „Die CSU schickt ihren Hooligan Friedrich zurück in die geschlossene Abteilung.“ „Gut, damit könnte man wohl leben. Aber eine wirkliche Verbesserung für die Regierung sehe ich nicht.“ „Warum nicht? Die Guttenberg-Freunde, die auch bei preußischem Trallala vor der Glotze hängen, werden sich freuen, dass ihr Idol wieder Minister ist. Und die Kanzlerin wird davon natürlich profitieren.“ „Alle anderen auch.“ „Alle anderen?“ „Aber klar. Erst wird Westerwelle in Zeitlupe abgesägt und die FDP bekommt viermal die Klatsche bei Landtagswahlen. Dann bekommt Merkel die Quittung und wird abgewählt. Und dann ist Guttenberg weg vom Fenster, aber diesmal endgültig. Meinen Sie nicht, das ist es wert?“





Tombeau

28 08 2011

für Bernhard-Victor Christoph Carl von Bülow

Was Menschen sind, wie sie mit Menschen sprechen
(und das heißt: aneinander meist vorbei),
dass die Philosophie trotz aller Schwächen
tatsächlich reine Sprachkritik nur sei,

hat er gelehrt, weil wir es nötig hatten.
Man sieht es, und das kommt des Öftern vor,
es bleibt auf uns ein heitersanfter Schatten,
der lächelt, schweigt und wahrt dann die Dehors.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (LVI)

27 08 2011

Herr Brout und Herr Liessens in Lier,
sie tranken gewaltig viel Bier.
Kurz vor dem Umfallen
fing Brout an zu lallen:
„Das Zimmer, das dreht sich – nicht wir!“

Als Klöbenstedt sich in Großkrut
beim Abbiegen völlig vertut,
da jammern die Kinder,
die Gattin nicht minder,
und er gerät darob in Wut.

So heftig, wie Ģirts in Smiltene
die Planken zersägt, fliegen Späne.
Er hämmert, bohrt, glättet,
streicht an, ölt und fettet,
und hat schließlich zwei Dutzend Kähne.

Aus Flaschen baut Tri in Lawang
ein Instrument mit lautem Klang.
Wie er auch brillierte,
als er musizierte,
das tiefe C klirrend zersprang.

Es drückte Eloy in Tandil
gewaltig aufs Gas, denn das Spiel
begann in Minuten.
Sie mussten sich sputen.
Dem Motor war das dann zu viel.

Es löscht Herr Verbraeken in Diest
das Licht, da die Tochter noch liest.
Er geht um die Ecke,
und unter der Decke
liest sie heimlich weiter. Das Biest!

Herr Wraschtilek, der sich in Lilienfeld
als Makler probt, der Immobilienwelt
entsagt er behende,
bevor er am Ende
zum Fraß vor die reichsten Familien fällt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXVIII): Klappentext

26 08 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Dialektik ist, wenn’s zur Entscheidung wieder nicht ganz gereicht hat – Rübe dran oder Rübe ab, schwarz oder mit Milch, lässt sich der Leser lieber überraschen oder bescheißen? Was als Ausweg gerade noch durchgeht, das ist der Appetitverderber im literarischen Magerquarkformat, die Leimrute zum Kundenfang, der Hinterhalt im Papierkniff. Was wäre ein Buch für ein wunderbares Objekt der intellektuellen Begierde ohne den Klappentext.

Klappentext ist ungefähr das, was ein halbwegs unfähiger Verlagskaufmann für tauglich hielte, ein Stück Kernseife zu bewerben – mit dem Unterschied, dass man die Seife mit derartigem Schunder nie losbekäme. Zielt die Seife als das Massenprodukt par excellence auf die allgemeine Gebrauchsfähigkeit, die der Konsument allenfalls am Markennamen zu unterscheiden weiß, bedarf das Buch einer individuellen Klassifizierung, die sich erst erschließt, wenn man sich mit ihm auseinandersetzt, sprich: jenseits des Schmutztitels.

Früher, als die Gummistiefel noch aus Holz waren, als richtige Autoren noch richtige Bücher für richtige Leser schrieben, nagten richtige Lektoren an richtigen Bleistiften und dachten sich kurzes, nährstoffreiches Gedankengut im Brühwürfelformat aus, um die Bedürfnisse der literaturkundigen Elite zu befriedigen. Grass klang noch nach Grass und Tolstoi nicht wie ein in den besten Augenblicken fünftklassiges Harry-Potter-Surrogat, wenn man den Reklameschmonzes weggefeudelt hat. Kurze, grammatisch wohlgeformte Sätze zeigten, dass außer dem Setzer noch eine zweite Person das Opus zur Kenntnis genommen hatte. Motivische, stoffgeschichtliche, tiefenpsychologische Versuche unternahmen die Lohnschreiber zum Papierabsatz, mittelmäßig im Ergebnis, nichtsdestoweniger ehrenwert im Ansatz. Wer sich Effi Briest und ähnlichen Damen von vorne näherte, war noch kein verworfener Mensch.

Anders heute. Nichts lässt den Seifenhandel vor dem Jahrmarktsgeplärr zurückschrecken, aus billigem Konservengemüse schwiemelt der Laden seinen Eintopf: ein in seiner Menschlichkeit menschliches Buch, das die gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Probleme unserer Zeit mit philosophischer Tiefe, aber auch mit Humor und Musikalität in einer brillanten, sprachgewaltigen Erzählung beschreibt, in einer Fabel, die das pulsierende Leben in London, Paris und Gudensberg-Obervorschütz schildert mit psychologisierender Gestaltungskraft des erfahrenen Romanciers, packend, berührend, voller Sprachwitz, von filigranem Sinngeflecht durchzogen, mit abwaschbarem Schutzumschlag.

Der verbale Abnutzungseffekt, wie ihn Mode, Journaleska oder Werbeschmadder vorturnen, gibt das Vorbild ab, warum die dem Analphabetismus knapp entronnenen Konsumenten sich entscheiden müssen zwischen Teufel und Beelzebub. Hie das Tal der Doofen, die Bücher nur für zum unterm Küchentisch nehmen, wenn die Beine wackeln, dort das Plüschproletariat der verbal beflauschten Pauschalgutfinder, die auch bei existenziellen Horrornoveletten und Betroffenheitsgeplärr aus der konservativen Parteizentrale nicht einmal im Hirn zucken, bevor sie den Propagandawisch an die Hinterseite führen. Sie werden dressiert wie Pawlows Hunde, dem Blabla zu folgen. Nur Reizworte aus dem Kauderwelschkonvolut werden ihnen zum Speicheln angeboten, paradigmatische Verbi8ndungen keinesfalls. Sie würden auch rudimentäres Nachdenken erfordern.

Die Vertriebsorganisationen setzen indes beharrlich auf die Standardisierung der Ware, als sei es Dosengemüse. Keine Liebreizgeschichte ohne ihre poetische (wenn man nur wüsste, was das hieße) Kraft oder die (uh, postmodern!) verstörende Wirkung. Wer noch nicht vom Hocker kippt, darf im Sessel schmelzen. Kein Wirklichkeitsbuch, das von Angeln in Vietnam handelt, über Familien im Dreißigjährigen Krieg greint oder den mählichen Niedergang der Dackelzucht im Ostfälischen mit vollem Ernst nachzeichnet, käme ohne Präzision aus, ohne Wucht, ohne die auf sechs Bände zu je siebenhundert Seiten samt Farbtafeln gedrängte Lakonie, wo die Kulturgeschichte des Brötchens auch immer sich breit zu machen drohte. Käme in einer dieser Materialvergeudungen auch nur eine einzige Büroklammer an dramaturgisch wichtiger Stelle vor, der Warmluftspeier aus der Sektion Buchstabenproduktion würde sofort einen Gruß in Richtung Schundliteratur absondern und sich ans Werk machen. Hauptsache, das Klischee sitzt.

So stellt es sich der unterernährte Kulturnappel vor: der Autor, vorgebildet, erzählerisch geplagt und zu keinem bürgerlichen Broterwerb in der Lage, fühlt sich gewaltig geschmeichelt, dass eine Nachtjacke aus dem Vertrieb eine Spalte Borgis hochkotzt, dabei zwei falsche Konjunktive mit abenteuerlicher Interpunktion vermatscht und die Reputation der Gegenwartskunst auf Ramschstatus einebnet. Für solche Vollausfälle – vielleicht eine der sprachgewaltigsten Geschichten der deutschen Literatur, packend in ihrer metaphysischen Art, von welthaltiger Dimension und durchaus zeitlos in der Gestaltungskraft – hätte auch Goethe sein Gerät nachgeladen. Sprachgewaltig.





Tabellenkeller

25 08 2011

„Es ist doch nicht zu glauben, ist es doch nicht – jetzt steh da nicht rum, Männeken, mach was! Beweg den Hintern! Für im Strafraum pennen hat Dich keiner bezahlt! Jetzt geh endlich in die – aus, aus, Halbzeitpfiff. Wieder nichts. Wie soll dieses Gurkentruppe gewinnen. Die treffen ja nicht mal, wenn die andere Mannschaft zu Hause bleibt.

So ist das eben, wenn man nichts auf die Reihe kriegt. Erst Zwangspause bis NRW, dann Stillhalten bis Baden-Württemberg, und dann wundern sie sich, dass sie nicht in den Spielrhythmus kommen. Das ist doch auch kein Wunder – ist das denn hier ein Freundschaftsspiel? Meine Güte, die Leute verlangen ausgereifte Technik! Das kann doch nicht angehen, was die veranstalten! Standardsituationen: Fukushima, Osama bin Laden, Stuttgart 21, und was richtet diese Mannschaft an? Kollektives Verstolpern! Es ist nicht zu glauben!

Dabei ist das erst Aufwärmphase, die wirklich wichtigen Sachen sind ja noch gar nicht dran. Das bisschen Sozialkürzung und Steuergestoppel, das kann man doch nicht als Spieleinsatz ansehen? Was ist das denn? Aufschwung unter erschwerten Bedingungen? Wie trainiert dieser Haufen denn?

Kein Durchhaltevermögen. Man kann doch nicht ständig irgendwelche Leute einkaufen, Schröder und Friedrich und Bahr und was weiß ich, und die humpeln ein bisschen doof über den Platz. Haben die denn überhaupt Kondition? Haben die schon mal auf dem Platz gestanden, oder jobben die sonst als Eckfahnen in der Altherrenriege?

Gut, man kann ja streckenweise auch mal rein defensiv spielen. Muss ja nicht verkehrt sein. Aber wie soll das funktionieren, wenn die komplette Mannschaft in der eigenen Hälfte herumlahmt und bei jedem schnellen Ball den Kopf verliert?

Keine Kommunikation. Da weiß doch wieder der eine nicht, was der andere vorhat. Hier das defensive Mittelfeld – da die Sturmspitzen, die sich gegenseitig die Knochen einrennen. Der eine will die Laufzeiten verlängern, der andere will sofort aussteigen. Die will unbedingt den nächsten Rettungsschirm verhindern, so wie es schon mal in die Hose gegangen war, der will ihn unbedingt und Eurobonds noch obendrauf. Und Streusalz und Vorratsdatenspeicherung und Terrorgesetze und Steuersenkung und Soli und Libyen – ist das eigentlich eine Mannschaft, und wenn ja, wie viele?

Worüber beschwert sich die Trümmertruppe? Unangenehme Gegenspieler, die auch mal unfair einsteigen? Meine Güte – die stehen sich doch viel zu oft selbst im Weg, da braucht’s nicht mal mehr einen Gegner. Wachstumsbeschleunigungsgesetz – was wollen die da groß beschleunigen? Da wächst doch kein Gras mehr! Was soll denn das? Das ist doch nicht mal ein Zufallstreffer, wenn man dem Gegner so zuverlässig in die Abseitsfalle rein läuft.

Überhaupt diese Ersatzbank. Dieser Libero, der sich als größter Spielmacher aller Zeiten feiern lässt, obwohl er so gut wie nichts auf die Kette kriegt. Wissen Sie, woran man einen von denen erkennt? Stellen Sie einen in den Strafraum, und wenn er umkippt, haben Sie richtig getippt.

Da kommt nichts mehr. Auch wenn das Spiel eher in fliegenden Wechseln besteht – eben mal für die Hauptschulen, jetzt dagegen, und mit der Wehrpflicht sieht es auch nicht besser aus – es ist nicht vom Ende her gedacht. Es mangelt an Perspektive und einfach an der Grundlage: dass ein verdammtes Spiel dazu da ist, Tore zu schießen. Möglichst mehr Tore als die andere Mannschaft auf dem Platz. Oder liege ich da so falsch?

Die stehen da einfach so auf dem Platz herum, einfach so. Eine Halbzeit lang immer wieder den Ball zurück zum Torwart, und wieder nach vorne, und wieder zurück, und wieder nach vorne, und immer so weiter. Bis mal der Gegner einfach in den Pass läuft und ganz gemütlich durch den 16-Meter-Raum dribbelt. Da fallen einem die Zähne vom Zugucken aus.

Vertane Zeit, wenn Sie mich fragen. Das Spiel kann man jetzt schon abhaken. Das ist die einzige Mannschaft, die sich in der Halbzeitpause ein Eigentor reinsemmelt. Unglaublich, das. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Lyrik. ‚Wir gucken ja auch gar nicht auf die Tabelle.‘ So seht Ihr aus! Erst herumschwadronieren, was das für ein toller Saisonstart war, dann lassen die sich nach Strich und Faden verkloppen, dann lamentieren sie herum, dass die anderen Mannschaften sowieso viel stärker sind, und plötzlich heißt es dann, es käme ja gar nicht auf das Ergebnis an, man habe beschlossen, jetzt nur noch schön zu spielen. Lieber eine große fußballerische Weiterentwicklung, Kunstschüsse auf den eigenen Kasten, wenn man damit absteigt, waren es eben wunderschöne Kombinationen mit etwas viel Pech im Abschluss, und verantwortlich sind eh die Fans, die nicht laut brüllen. Hallo!?

Was wollen die jetzt noch machen? Das Ruder herumreißen? Hoffen, Beten und Salbadern, dass es für einen Relegationsplatz reicht? Die Ostkurve beschimpfen? Den Abstieg schönreden, bis man in der Verbandsliga aufschlägt? Zusehen, wie die eine Hälfte den Verein wechselt und die andere die Fußballschuhe an den Nagel hängt? Das ist keine Mannschaft. Das sind ein paar Schlafmützen, die sich durch die Verkettung unglücklicher Umstände zufällig auf dasselbe Spielfeld verlaufen haben. Ich habe die Nase voll.“





Zappenduster

24 08 2011

„Willkommen in der Hauptstadt!“ Schnöseke leierte mir die Hand aus. „Willkommen in Berlin, wir sind sehr gespannt, wie Sie uns beraten werden.“ „Ich hätte es wissen sollen“, gab ich lakonisch zurück, „Sie haben keine Ahnung, was Sie erwartet.“ „Wie auch“, sagte der Kriminalbeamte und zuckte mit den Schultern. Für den Leiter einer Landesbehörde für Hellseherei war das in der Tat etwas mager.

„Kalifornien ist das schon recht weit voran“, informierte mich die Abteilungsleiterin. „Wenn Sie sich die Statistik anschauen, werden Sie feststellen, dass die Verbrechen mit einer enormen Genauigkeit vorhergesagt werden können. Aber das reicht natürlich nicht.“ Die Aufzeichnungen zeigten, dass Randgruppen erheblich eher verdächtig erschienen. „Das wird hier noch verfeinert. Sollten wir ein paar genauere Informationen in die Finger bekommen, werden wir auch über personenbezogene Daten verfügen.“ Ich runzelte die Stirn; die Leiterin fuhr ungehindert fort. „Beispielsweise Wohnorte von Verurteilten, denn wir wissen ja, dass einmal straffällig gewordene Menschen sich nicht wieder in die Gesellschaft einfügen können.“ „Sie meinen nicht, dass es an der offensiven Beobachtung hängt?“ Sie ignorierte meine Bemerkung. „Wir könnten damit auch Personen beobachten, gegen die sowieso Ermittlungen laufen.“ Schnöseke beeilte sich, ihr zu widersprechen. „Natürlich haben wir Abstand genommen, die lokalen Statistiken in die Ermittlungen einzubeziehen. Wir wollen gar nicht wissen, ob Sie eventuell arbeitslos sind.“ Die Abteilungsleiterin nickte. „Vollkommen irrelevant. Das erfahren wir aus Ihrem Einkommen und Ihrer Anschrift.“

Schnöseke klatschte eine Akte auf den Tisch. „Der Grund, warum diese Abteilung gegründet wurde.“ Der Stuttgarter Gymnasiallehrer Herbert Gscheiterle hatte demnach einen Anschlag auf die Gemeindeverwaltung geplant; tonnenweise solle er Kies in seiner Garage gehortet, sogar seinen Benz verkauft haben, um sich ein Fahrrad zuzulegen. Der Mann schien höchst verdächtig und wurde mit dem gewünschten Ergebnis überwacht. Telefonate und Briefpost waren eindeutig, das Landeskriminalamt wies auf ein Dutzend Dossiers hin und verfügte die Stürmung seines Anwesens und setzte halb Gaisburg in Marsch. Ich war beeindruckt. „Die Sache hatte nur einen Schönheitsfehler“, unterbrach mich Schnöseke trocken. „Gscheiterle ist seit 1966 ohne Nachkommen verstorben.“

Das Zimmerchen war mit schwarzem Stoff ausgeschlagen, alle Fenster komplett vernagelt – zappenduster. „Man müsste Ihre Hellseher hier eigentlich leuchten sehen“, kalauerte ich. Drei Mann saßen um den Tisch herum, im Kerzenschein bedienten sie das übliche Instrumentarium, Holzbrettchen und Glaskugeln. „Leise“, flüsterte Schnöseke, „vielleicht fangen sie gerade einen Schwerverbrecher.“ „Und welche Qualifikationen bringen Ihre Leute nun mit?“ „Der hier“, wisperte er, „war früher einmal bei der FDP, die sind ja Hirngespinste gewohnt – dieser war Geisterseher beim Geheimdienst, und der da hat in der Abteilung Hellseherei gearbeitet.“ „Eine Hellseherabteilung?“ Schnöseke beruhigte mich. „Natürlich nicht hier, er war als Investmentbanker an der Börse beschäftigt, bis die Kursentwicklung für ihn zu gespenstisch wurde.“ Gemurmel zog durch den Raum; schaurig flackerten die Kerzen, denn ordentlich gedämmte Fenster konnte sich die Behöre nicht leisten.

„Wedding“, stammelte der Hellseher in tiefster Versenkung, „Friedrich-Krause-Ufer!“ „Schnell“, keuchte Schnöseke, „das könnte eine Straftat sein! Wir müssen sofort eine Hundertschaft dorthin schicken!“ Ich hielt ihn zurück. „Sie wissen doch noch nicht einmal, wer dort was macht?“ „Müssen wir auch nicht“, wandte er ein. „Die Hauptsache ist, wir haben etwas, was wie ein Tatort aussieht. Den Verbrecher brauchen wir nicht, das ist auch in der normalen Polizeiarbeit so – wir finden ihn später.“

Schon lief die Ermittlungsmaschinerie an; Befehle wurden in Telefone gebrüllt, Horden von Polizisten waren plötzlich unterwegs, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich suchten. „Immerhin erstaunlich, dass Sie sich auf eine Methode wie die Hellseherei verlassen.“ Schnöseke blickte mich verständnislos an. „Was stört Sie daran? Als Arbeitsloser können Sie sich auf Kosten des Steuerzahlers zum Astrologen weiterbilden lassen, Krankenkassen zahlen homöopathischen Hokuspokus, ein Sektenführer darf wie ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt vor dem Parlament sprechen – warum sollten wir dann nicht auch Kabbala und Kartenlegen praktizieren, um uns vor Brandanschlägen zu schützen? Der Zweck heiligt die Mittel.“

Die Tür schloss sich hinter uns. Schnöseke drückte den Knopf; langsam sirrte der Fahrstuhl herab. „Sagen Sie“, begann ich, „da Sie nun so gar kein Beweismaterial für eine Straftat haben, wie verurteilen Sie denn nun die mutmaßlichen Täter?“ Er lächelte überlegen. „Man merkt, dass Sie kein Jurist sind, oder aber einer von denen, die nicht viel mit der üblichen Praxis zu tun haben. Der Vorsatz, möglicherweise sogar für ein ehrenhaftes Motiv, ist immer schon strafbar – auch dann, wenn ein Täter gar nicht unbedingt ein Unrecht zu begehen glaubt, ist er schon für die Tat zu bestrafen. Versuchen Sie gar nicht erst, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Es wird Ihnen doch nicht glücken.“

Abgekämpft ließ sich Schnöseke an meinem Tisch nieder. „Sie hatten Recht“, sagte er kleinlaut. „Es ging schief. Unsere Vorhersager haben vorhergesagt, dass in unserem Amt etwas passieren müsste. Ich konnte nichts machen.“ „Sehr gut“, lobte ich, „Ihre Methode hat mich überzeugt. Jetzt bräuchten Sie nur noch ein paar Hellseher, die Ihre Hellseher überwachen. Und ein paar Hellseher für die, die – na, Sie wissen schon.“





Breaking News

23 08 2011

„Ja, da sind Sie bei mir richtig, das ist hier die Nachrichtenredaktion. Aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, ich bin bloß der Chefredakteur. Aber ob die hier arbeiten, kann ich Ihnen nicht sagen. Den Unterschied erkennt man inzwischen kaum.

Wir können doch nichts dafür, dass die Rebellen nachts einfach so in Tripolis einmarschieren. Stehen Sie nachts auf und gucken nach, was irgendwelche Regierungsgegner tun? Sie vielleicht, aber der Rest der Fernsehzuschauer ganz sicher nicht. Das sind ordentliche Leute, die tagsüber arbeiten und den Aufschwung produzieren, die müssen nicht zu nachtschlafenden Zeiten vor der Glotze hängen und sich gewaltsame Live-Übertragungen ansehen. Das ist doch auch geschmacklos, wer will denn das – wollen Sie das? Tut mir Leid, aber die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind nun mal nur für die Grundversorgung mit wichtigen Informationen da. Sie werden doch wohl nicht behaupten, dass so ein Staatsstreich außerhalb der Geschäftszeiten mit Ihren Gebühren abgedeckt sei?

Man kann sich doch nicht einfach so hinstellen und sagen: das war so und so, wir haben unsere Korrespondenten gefragt. Die waren ja teilweise noch beim Frühstück, manche sind momentan mit den Ereignissen an der Börse so überfordert, die wissen schon gar nicht mehr, in welchem Land sie sich gerade befinden. Haben Sie eine Ahnung, was Sie da verlangen? Experten? Vor acht Uhr? Wir wussten im noch gar nicht genug, das wäre nur gegangen bei einem Amoklauf.

’tschuldigung, ich muss eben – wir bräuchten Jubelbilder. Könnten wir sonst eventuell ein paar Sequenzen vom at-Tahrir nehmen? Ist da noch was da? Gut, dann blenden Sie das dazwischen, wenn wir – fragen Sie nach, ob wir nicht ein paar Leute finden, die wie Libyer aussehen und randalieren können. Das funktioniert sonst auch, wenn wir Palästinenser brauchen. Oder Neonazis.

Und denken Sie mal an diese ganzen schlimmen Bilder! Dass da in Berlin mittlerweile Kleinwagen brennen, das ist ja schon gefährlich genug, wollen Sie denn auch noch riskieren, dass wir uns davon anstecken lassen? Natürlich haben wir an den Jugendschutz gedacht. Sind wir ja auch verpflichtet, der Staatsvertrag. Und wenn Sie mal bedenken, was man Jugendlichen nicht zeigen sollte, das ist doch für Erwachsene erst recht nicht geeignet? Glauben Sie, dass Sie das alles vertragen, was unsere Jugend sich heute so antut? Na? Eben. Wobei das sowieso schwierig geworden wäre, vor zehn kann man das gar nicht zeigen, und wir machen ja schon kurz vor acht dicht.

Letztlich kann es Ihnen doch auch egal sein. Als qualitätsbewusster Staatsbürger werden Sie früh am Morgen aufstehen, Ihr Radio einschalten und – Frühstücksfernsehen? Morgenmagazin? Wir können doch die Bundesbürger nicht gleich mit solchen Horrormeldungen verschrecken! Was erwarten Sie denn? Man könnte vielleicht in einer Dauerschleife darauf hinweisen, dass das alles ganz gefährliche Muslime sind, lauter Ausländer in einem Land voll von Minaretten. Das ist zwar völlig egal, aber vielleicht kriegt der eine oder andere doch ein bisschen Angst. Kann jedenfalls nicht schaden.

Und dann? Man muss auch mal berücksichtigen, wenn es bei uns halb acht ist, dann ist das mit der Zeitverschiebung in Libyen, ich muss da mal eben – es ist nicht auszuschließen, dass diese Rebellen die Globalisierung ausnutzen, die machen ihre Revolution dann zu Tageszeiten, wo man im Land niemanden erreicht. Um sieben Uhr dreißig in Tripolis, glauben Sie, dass Sie da jemanden ans Telefon bekommen hätten? Das ist nämlich eine ganz abgefeimte Taktik, da darf der Westen sich auf keinen Fall einwickeln lassen!

Das Problem ist, die wichtigen Meldungen aus den internationalen Tageszeitungen haben wir frühestens am Dienstag gegen acht Uhr, dann ist erst mal Redaktionskonferenz, und dann kriegen wir die Sachen auch nicht vor der Tagesschau fertig. Mittags guckt wieder keiner, die Vorabend-Ausgabe ist nicht aktuell, weil die Privatsender schon alles wegberichtet haben, und den Rest kriegen wir erst ins Abendprogramm. Das ist nicht leicht, das weiß ich selbst! Und wenn Sie dazu noch – ich muss mal eben mit… – Ja, die Fresse voll aufziehen, links ist nichts, alles weg, und dann gucken Sie, dass Sie einen Hintergrund finden, wo er schön irre guckt. Sie kennen ihn doch, er ist ein paranoider Trottel, und dass Sie mir ja – wo waren wir? Richtig, die deutsche Außenpolitik.

Da sind wir eben immer auf Standby, einen Brennpunkt rauszuhauen, wo Westerwelle etwas Schwachsinn über die Erdölaktionäre absondert und warum es besser für ihn als FDP gewesen wäre, wenn die Bundeswehr die Rebellen beschossen hätte. Das ist ja nun keine Schwierigkeit. Das sind uns doch die besten Nachrichten. Da sind wir völlig schmerzfrei. Sie finden das zum Brechen? Sind ja auch Breaking News.

Sicher ist das alarmierend, was glauben Sie denn? Wir als deutsche Qualitätsmedien sehen zu, wie Al Jazeera und diese anderen mit unlauteren Methoden Zuschauer anlocken. Die senden einfach während der Sendezeit! Die halten sich nicht einmal an Ländergrenzen! Sie haben da doch Kontakte – wollen Sie etwa, dass bald Berlin brennt, und dann kommen diese Journalisten aus Staaten, die sich bei uns Waffen kaufen, und für uns bleibt nichts mehr zu berichten? Wollen Sie das? Sie haben doch Kontakte, sagen Sie mal, könnten Sie irgendwie dafür sorgen, dass Assad im Vorabendprogramm zurücktritt?“





Und alle Fragen offen

22 08 2011

„Deshalb gleich zu Anfang unsere wichtigste Frage: Wie kommen wir aus der Krise?“ „Ja, das ist richtig und das muss man auch so sagen, wir haben das immer schon, und da können wir auch als die Partei, die sich von Anfang an ausgesprochen hat für eine stärkere und vor allem, dass wir jetzt endlich auch Maßnahmen ergreifen, die man dann aber auch umsetzen muss, denn es hilft ja nicht, dass man dann immer nur darüber redet, man muss dann endlich jetzt auch mal etwas ganz konkret, so wie wir das auf unserem letzten Parteitag im Juni beschlossen haben.“ „Ja, aber wie kommen wir aus der Krise?“

„Schauen Sie, wir können jetzt ja nicht so an die Märkte herangehen und sagen: ‚Wir gehen an die Märkte heran‘, und dann haben wir letztlich nichts erreicht, weil das eine internationale, und auch die Fiskalpolitik, Steuern und auch die gemeinsamen Finanzen in der Eurozone, wobei das ja noch gar nicht raus ist, ob wir hier eine Einigung erzielen, die die Märkte dann, wenn wir das – ich betone: wenn wir überhaupt ohne nochmaligen, ohne einen Rettungsschirm, der zum jetzigen Zeitpunkt natürlich auch vollkommen undenkbar, und da möchte ich dann noch mal die Kanzlerin zitieren, dass wir da so schnell wie möglich zu einer gemeinsamen Lösung finden werden, die wir auch als internationale Partner, hier in Europa und dann auch in der gemeinsamen Eurozone.“ „Und wie kommen wir dann aus der Krise?“ „Wir können jetzt zwei Wege einschlagen. Der eine Weg, das ist auch der, den die Kanzlerin, und die Koalition sieht ja im Moment so aus, dass das wieder nicht klappt, also werden wir noch ein paar Wochen länger warten, bis wir eindeutige Ergebnisse, die dann auch zehn bis maximal fünfzehn Milliarden mehr kosten, weil dadurch die Märkte leichter wieder Vertrauen fassen, dass wir es diesmal, und das hoffe ich sehr, dass wir es, diesmal wenigstens, auch ernst meinen, und diese fünfzig, maximal sind es dann vierhundert Milliarden Euro, die müssen dann auch reichen, weil wir ja sehen, dass wir das ohne eine entschlossene Regierung gar nicht können.“ „Gut, und wie kommen wir aus der Krise?“ „Weil wir als eins der Länder in der Eurozone, die auch mit dem Binnenkonsum, auch mit der Staatsquote und einem Anteil von, das sind aktuelle Zahlen, ungefähr genau, maximal bis zu mindestens 6.000 Punkte, und wir müssen auch sehen, dass wir die Märkte, die ja selbst abhängig sind von den Rohstoffen, vom Parketthandel an internationalen und teilweise sind es ja auch Handelsplätze außerhalb von Deutschland und London, und da müssen wir dann sehen, ob die Reaktion bei Offshore-Investments überhaupt etwas bringen, sonst ist das für uns keine Lösung, weil wir damit auch keinen deutschen Sonderweg riskieren.“

„Wie werden wir aus der Krise kommen?“ „Ich weiß nicht, was die Kanzlerin und Herr Sarkozy da im Einzelnen verabredet haben, damit diese Titel so schnell abstürzen, aber es war ja auch ein Schritt in die richtige Richtung, weil wir jetzt sehen, dass wir ohne eine vorgefertigte Lösung für die Probleme, die sich aus einem weiteren Rettungsschirm, den wir von Anfang an nicht ohne eine Einigung mit den EU-Ländern, mit den Partnern in der Eurozone, aber auch mit der EZB und den Kreditgebern, weil wir die Zinsen da nicht bestimmen, dazu müssten sich die Märkte bewegen, und es sieht im Moment nicht aus, als würde hier nur eine internationale, von allen angestrebte Lösung, die auch die Partner in der Eurozone, und auch die EU-Ländern, aber das wird sich letztlich zwischen Herrn Sarkozy und der Kanzlerin abzeichnen.“ „Wie kommen wir aus der Krise?“ „Lassen Sie mich da einen Aspekt ganz bewusst hervorheben, den seit der Kreditklemme der deutschen Banken, und das betrifft ja auch unsere eigene Finanzpolitik, die Zinspolitik, Basel III, weil auch der Stresstest nicht immer so, wie wir uns das gewünscht hätten, wenn die Anleger hier das Sagen hätten, aber das können wir nicht mit der Politik regeln, das sind Eingriffe in Regulierungen, die die Märkte dann so regulieren, dass wir wieder in eine Krise kommen, weil wir die Regulierung, für die die Anleger ja den Staat, der hier mit Recht eine Schutzfunktion, die wir brauchen.“ „Konkret: Wie kommen wir aus der Krise?“ „Wie gesagt, das sind die Aufgaben, die jetzt anstehen, für die Koalition, aber auch die Kanzlerin muss jetzt Farbe bekennen – und das auch in der Eurozone, in den bilateralen, in den trilateralen und in multilateral-internationalen Gesprächen innerhalb der EU und Europa, was die gemeinsame Haushaltspolitik mit sich bringen wird.“ „Wie kommen wir aus der Krise?“ „Dazu brauchen wir drei Dinge, erstens das Vertrauen der Märkte, die uns mit täglich neuen Hiobsbotschaften versorgen, dass wir im Moment auch eine leichte Rezession haben, solange der Aufschwung noch anhält, und zweitens, weil wir die Sache schnell entscheiden müssen.“ „Wie kommen wir aus der Krise?“ „Indem wir das nicht überstürzen, sondern uns auf dem kommenden EU-Gipfel mit allen internationalen Partnern in der EU, aber auch die Eurozone, soweit wir eine Union nicht als Transferunion, die sie faktisch ist, für eine effektive Stärkung, die dem Nullwachstum etwas entgegensetzen könnte.“ „Und wie kommen wir aus der Krise?“ „Mit diesen Mechanismen im Gepäck dürfen wir nicht weiter warten, die Kanzlerin als Regierungschefin muss jetzt handeln, und es gibt hier, und die Koalition weiß das, und sie müsste es auch wissen, nur eine Frage: Wie kommen wir aus der Krise?“ „Vielen Dank für das Gespräch.“ „Bitte, keine Ursache.“