„Ja, da sind Sie bei mir richtig, das ist hier die Nachrichtenredaktion. Aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, ich bin bloß der Chefredakteur. Aber ob die hier arbeiten, kann ich Ihnen nicht sagen. Den Unterschied erkennt man inzwischen kaum.
Wir können doch nichts dafür, dass die Rebellen nachts einfach so in Tripolis einmarschieren. Stehen Sie nachts auf und gucken nach, was irgendwelche Regierungsgegner tun? Sie vielleicht, aber der Rest der Fernsehzuschauer ganz sicher nicht. Das sind ordentliche Leute, die tagsüber arbeiten und den Aufschwung produzieren, die müssen nicht zu nachtschlafenden Zeiten vor der Glotze hängen und sich gewaltsame Live-Übertragungen ansehen. Das ist doch auch geschmacklos, wer will denn das – wollen Sie das? Tut mir Leid, aber die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind nun mal nur für die Grundversorgung mit wichtigen Informationen da. Sie werden doch wohl nicht behaupten, dass so ein Staatsstreich außerhalb der Geschäftszeiten mit Ihren Gebühren abgedeckt sei?
Man kann sich doch nicht einfach so hinstellen und sagen: das war so und so, wir haben unsere Korrespondenten gefragt. Die waren ja teilweise noch beim Frühstück, manche sind momentan mit den Ereignissen an der Börse so überfordert, die wissen schon gar nicht mehr, in welchem Land sie sich gerade befinden. Haben Sie eine Ahnung, was Sie da verlangen? Experten? Vor acht Uhr? Wir wussten im noch gar nicht genug, das wäre nur gegangen bei einem Amoklauf.
’tschuldigung, ich muss eben – wir bräuchten Jubelbilder. Könnten wir sonst eventuell ein paar Sequenzen vom at-Tahrir nehmen? Ist da noch was da? Gut, dann blenden Sie das dazwischen, wenn wir – fragen Sie nach, ob wir nicht ein paar Leute finden, die wie Libyer aussehen und randalieren können. Das funktioniert sonst auch, wenn wir Palästinenser brauchen. Oder Neonazis.
Und denken Sie mal an diese ganzen schlimmen Bilder! Dass da in Berlin mittlerweile Kleinwagen brennen, das ist ja schon gefährlich genug, wollen Sie denn auch noch riskieren, dass wir uns davon anstecken lassen? Natürlich haben wir an den Jugendschutz gedacht. Sind wir ja auch verpflichtet, der Staatsvertrag. Und wenn Sie mal bedenken, was man Jugendlichen nicht zeigen sollte, das ist doch für Erwachsene erst recht nicht geeignet? Glauben Sie, dass Sie das alles vertragen, was unsere Jugend sich heute so antut? Na? Eben. Wobei das sowieso schwierig geworden wäre, vor zehn kann man das gar nicht zeigen, und wir machen ja schon kurz vor acht dicht.
Letztlich kann es Ihnen doch auch egal sein. Als qualitätsbewusster Staatsbürger werden Sie früh am Morgen aufstehen, Ihr Radio einschalten und – Frühstücksfernsehen? Morgenmagazin? Wir können doch die Bundesbürger nicht gleich mit solchen Horrormeldungen verschrecken! Was erwarten Sie denn? Man könnte vielleicht in einer Dauerschleife darauf hinweisen, dass das alles ganz gefährliche Muslime sind, lauter Ausländer in einem Land voll von Minaretten. Das ist zwar völlig egal, aber vielleicht kriegt der eine oder andere doch ein bisschen Angst. Kann jedenfalls nicht schaden.
Und dann? Man muss auch mal berücksichtigen, wenn es bei uns halb acht ist, dann ist das mit der Zeitverschiebung in Libyen, ich muss da mal eben – es ist nicht auszuschließen, dass diese Rebellen die Globalisierung ausnutzen, die machen ihre Revolution dann zu Tageszeiten, wo man im Land niemanden erreicht. Um sieben Uhr dreißig in Tripolis, glauben Sie, dass Sie da jemanden ans Telefon bekommen hätten? Das ist nämlich eine ganz abgefeimte Taktik, da darf der Westen sich auf keinen Fall einwickeln lassen!
Das Problem ist, die wichtigen Meldungen aus den internationalen Tageszeitungen haben wir frühestens am Dienstag gegen acht Uhr, dann ist erst mal Redaktionskonferenz, und dann kriegen wir die Sachen auch nicht vor der Tagesschau fertig. Mittags guckt wieder keiner, die Vorabend-Ausgabe ist nicht aktuell, weil die Privatsender schon alles wegberichtet haben, und den Rest kriegen wir erst ins Abendprogramm. Das ist nicht leicht, das weiß ich selbst! Und wenn Sie dazu noch – ich muss mal eben mit… – Ja, die Fresse voll aufziehen, links ist nichts, alles weg, und dann gucken Sie, dass Sie einen Hintergrund finden, wo er schön irre guckt. Sie kennen ihn doch, er ist ein paranoider Trottel, und dass Sie mir ja – wo waren wir? Richtig, die deutsche Außenpolitik.
Da sind wir eben immer auf Standby, einen Brennpunkt rauszuhauen, wo Westerwelle etwas Schwachsinn über die Erdölaktionäre absondert und warum es besser für ihn als FDP gewesen wäre, wenn die Bundeswehr die Rebellen beschossen hätte. Das ist ja nun keine Schwierigkeit. Das sind uns doch die besten Nachrichten. Da sind wir völlig schmerzfrei. Sie finden das zum Brechen? Sind ja auch Breaking News.
Sicher ist das alarmierend, was glauben Sie denn? Wir als deutsche Qualitätsmedien sehen zu, wie Al Jazeera und diese anderen mit unlauteren Methoden Zuschauer anlocken. Die senden einfach während der Sendezeit! Die halten sich nicht einmal an Ländergrenzen! Sie haben da doch Kontakte – wollen Sie etwa, dass bald Berlin brennt, und dann kommen diese Journalisten aus Staaten, die sich bei uns Waffen kaufen, und für uns bleibt nichts mehr zu berichten? Wollen Sie das? Sie haben doch Kontakte, sagen Sie mal, könnten Sie irgendwie dafür sorgen, dass Assad im Vorabendprogramm zurücktritt?“
Satzspiegel