
Gernulf Olzheimer
Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.
Unser Auftritt auf der Erdkruste dieses skurrilen Rotationsellipsoiden mag den Fortgang der Zeit durchaus prägen, und doch ist das Leben vor allem eins: endlich, im Maßstab größerer interstellarer Ereignisse eher von kurzer Dauer und nicht halb so komfortabel, wie es im Prospekt gestanden hatte. Wo nicht Pest und Pocken den Hominiden zur Strecke bringen, wo nicht der verhaltensauffällige Säbelzahntiger seinen Jäger wegnascht, da kommt Freund Hein nach genügend langer Laufzeit trotzdem irgendwann zum Zug. Die Sache ist klar, nur weiß keiner, wann sie eintritt. Grund genug, sich schon möglichst früh das Leben zu versauen und jeden Tag so zu verbringen, als sei er der erste Schritt in den Abgrund. Willkommen in der beschissenen Hälfte, hier ist Ihre Midlife Crisis.
Eines Tages wacht der Bekloppte, meist ist er männlich, auf und stellt fest, dass er sich abzüglich Adoleszenz und Altersheim ungefähr am Zenit befindet; zumindest quantitativ ist der Kuchen zur Hälfte gegessen und die Karre auf der Zielgeraden. Die Uhr tickt. Das Haar wird dünn, Bindegewebe und Speckschicht kosen erste Erfahrungen mit der Gravitation aus, die Knorpelmasse ist bereits verschmirgelt und die Optik ruft bei Damen knapp überm legalen Alter auch nur noch säuerliches Grinsen hervor. Man möchte das ja alles noch ein bisschen unbeschadet weiter mitmachen, und „ein bisschen“ heißt: für immer. Pustekuchen, jetzt hakt das Hirn sich aus und stellt auf Action um – wenn’s denn in die Grütze geht, dann wenigstens mit Schmackes. Manche werden Präsident in übel beleumundeten Mittelmeerländern, manche lassen sich nach dem Abnippeln in den Schockfroster schieben, um dermaleinst für den organischen Reboot verfügbar zu sein, wenn es Pillen gegen Doofheit und nächtlichen Harndrang geben sollte. Kaum ist er in der zweiten Hälfte angekommen, stolpert der Beknackte über die eigenen Füße und teilt sich in zwei Lager, je nachdem, wo er vor langer Zeit einmal falsch abgebogen sein musste.
Die passive Hälfte hält einen Moment lang inne und wendet sich um. Dieser Haufen Psychomüll also ist die Summe einer komplett verpfuschten Existenz, angefangen als Muttersöhnchen, Streber und Stubenhocker, Jasager, Duckmäuser, Leisetreter und Rektalkriecher, glücklich verkeilt in eine Ehe, die als humoristische Episode in einen Splatterfilm passte, niedermolekular verzahnt in das Leben als Schattenparker vor der Doppelhaushälfte, die Milchsemmel der Nachbarschaft, die immer schon mal wild und gefährlich leben wollte, aber sich nie getraut hat, mehr als zwei Stücke Eis in die Limo zu kippen. Was auch immer diese mit der Ausstrahlung einer kaputten Mikrowelle versehene Randgestalt in die Landschaft gestellt hat, es hatte zu viel Humor.
Die Kontrollgruppe mit Aggressionsproblemen schneidet auch nicht besser ab. Nach militärischen Kindervorstellungen in eine Erfolgsgeschichte gestartet, fest davon überzeugt, dass jeder – in Worten: jeder – Präsident, Papst oder Popstar werden könne, vollgepumpt mit Adrenalin und Rücksichtslosigkeit, aufgerieben an Wirklichkeit und Gegenwind, stellt der Dummdepp fest, dass es meist nur zu einer mäßigen Karriere im mittleren Management der Klobürstenfabrik langt, während alle anderen, nicht klüger, nicht schöner und nicht besser vernetzt, schon seit Jahren Chefärzte sind, gefeierte Kleinkünstler oder Vorsitzender einer neoliberalen Splitterpartei. Was man hat, mag schön sein und aller Ehren wert, allein das Gras auf der anderen Seite des Zauns bleibt grüner, und das ganze Geballer der ersten Halbzeit war umsonst.
Während die einen auf Lebenszeit nur vor sich selbst weggelaufen sind und sich, wer hätte das gedacht, stellen müssen, scheitern die anderen an ihren absurden, ideologisch verschwiemelten Ansprüchen, die kein geistig intakter Terraner je an sich selbst stellen würde, geschweige denn an andere. Weder sitzt ein sozial kompetenter Mensch seine Anpassungsschwierigkeiten aus und wartet vierzig Jahre lang auf den Lottogewinn, um endlich den Trittschall im Keller der inneren Leere abzudämpfen, noch stellt er bei der routinemäßigen Milchmädchenrechnung fest, dass die Statistik bei den Tellerwäschern korrekt ist, aber bei der Zahl der Millionäre geschlampt haben muss – der eine erkennt, dass seine Opferrolle keinen interessiert, der andere nimmt wahr, dass er ein Würstchen ist. Mühsam muss der Krisenkasper seine Rolle neu definieren, die Scherben seiner Partnerschaft unter Schmerzen beiseite kehren und in der Wüste seiner Seele nach dem Sinn des Lebens suchen.
Die gute Nachricht ist, dass sich das kognitive Klimakterium nur fünf Prozent einreden. Der Rest bemerkt, dass das Leben mit einiger Erfahrung in Beruf, Alltag und Umgang mit Alkoholika, Kraftfahrzeugen und Schusswaffen durchaus seine Reize hat, vor allem, wenn man jungen Hüpfern, die grün hinter den Ohren sind und die Reste ihrer Eierschalen noch mit sich herumschleppen, ein kerniges Komm Du erst mal in mein Alter, Freundchen vor den Latz ballern kann, wenn die ihre ungelenken Gehversuche vor einem zeigen. Wer nähme dafür nicht graue Schläfen in Kauf.
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