Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXII): Midlife Crisis

30 09 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Unser Auftritt auf der Erdkruste dieses skurrilen Rotationsellipsoiden mag den Fortgang der Zeit durchaus prägen, und doch ist das Leben vor allem eins: endlich, im Maßstab größerer interstellarer Ereignisse eher von kurzer Dauer und nicht halb so komfortabel, wie es im Prospekt gestanden hatte. Wo nicht Pest und Pocken den Hominiden zur Strecke bringen, wo nicht der verhaltensauffällige Säbelzahntiger seinen Jäger wegnascht, da kommt Freund Hein nach genügend langer Laufzeit trotzdem irgendwann zum Zug. Die Sache ist klar, nur weiß keiner, wann sie eintritt. Grund genug, sich schon möglichst früh das Leben zu versauen und jeden Tag so zu verbringen, als sei er der erste Schritt in den Abgrund. Willkommen in der beschissenen Hälfte, hier ist Ihre Midlife Crisis.

Eines Tages wacht der Bekloppte, meist ist er männlich, auf und stellt fest, dass er sich abzüglich Adoleszenz und Altersheim ungefähr am Zenit befindet; zumindest quantitativ ist der Kuchen zur Hälfte gegessen und die Karre auf der Zielgeraden. Die Uhr tickt. Das Haar wird dünn, Bindegewebe und Speckschicht kosen erste Erfahrungen mit der Gravitation aus, die Knorpelmasse ist bereits verschmirgelt und die Optik ruft bei Damen knapp überm legalen Alter auch nur noch säuerliches Grinsen hervor. Man möchte das ja alles noch ein bisschen unbeschadet weiter mitmachen, und „ein bisschen“ heißt: für immer. Pustekuchen, jetzt hakt das Hirn sich aus und stellt auf Action um – wenn’s denn in die Grütze geht, dann wenigstens mit Schmackes. Manche werden Präsident in übel beleumundeten Mittelmeerländern, manche lassen sich nach dem Abnippeln in den Schockfroster schieben, um dermaleinst für den organischen Reboot verfügbar zu sein, wenn es Pillen gegen Doofheit und nächtlichen Harndrang geben sollte. Kaum ist er in der zweiten Hälfte angekommen, stolpert der Beknackte über die eigenen Füße und teilt sich in zwei Lager, je nachdem, wo er vor langer Zeit einmal falsch abgebogen sein musste.

Die passive Hälfte hält einen Moment lang inne und wendet sich um. Dieser Haufen Psychomüll also ist die Summe einer komplett verpfuschten Existenz, angefangen als Muttersöhnchen, Streber und Stubenhocker, Jasager, Duckmäuser, Leisetreter und Rektalkriecher, glücklich verkeilt in eine Ehe, die als humoristische Episode in einen Splatterfilm passte, niedermolekular verzahnt in das Leben als Schattenparker vor der Doppelhaushälfte, die Milchsemmel der Nachbarschaft, die immer schon mal wild und gefährlich leben wollte, aber sich nie getraut hat, mehr als zwei Stücke Eis in die Limo zu kippen. Was auch immer diese mit der Ausstrahlung einer kaputten Mikrowelle versehene Randgestalt in die Landschaft gestellt hat, es hatte zu viel Humor.

Die Kontrollgruppe mit Aggressionsproblemen schneidet auch nicht besser ab. Nach militärischen Kindervorstellungen in eine Erfolgsgeschichte gestartet, fest davon überzeugt, dass jeder – in Worten: jeder – Präsident, Papst oder Popstar werden könne, vollgepumpt mit Adrenalin und Rücksichtslosigkeit, aufgerieben an Wirklichkeit und Gegenwind, stellt der Dummdepp fest, dass es meist nur zu einer mäßigen Karriere im mittleren Management der Klobürstenfabrik langt, während alle anderen, nicht klüger, nicht schöner und nicht besser vernetzt, schon seit Jahren Chefärzte sind, gefeierte Kleinkünstler oder Vorsitzender einer neoliberalen Splitterpartei. Was man hat, mag schön sein und aller Ehren wert, allein das Gras auf der anderen Seite des Zauns bleibt grüner, und das ganze Geballer der ersten Halbzeit war umsonst.

Während die einen auf Lebenszeit nur vor sich selbst weggelaufen sind und sich, wer hätte das gedacht, stellen müssen, scheitern die anderen an ihren absurden, ideologisch verschwiemelten Ansprüchen, die kein geistig intakter Terraner je an sich selbst stellen würde, geschweige denn an andere. Weder sitzt ein sozial kompetenter Mensch seine Anpassungsschwierigkeiten aus und wartet vierzig Jahre lang auf den Lottogewinn, um endlich den Trittschall im Keller der inneren Leere abzudämpfen, noch stellt er bei der routinemäßigen Milchmädchenrechnung fest, dass die Statistik bei den Tellerwäschern korrekt ist, aber bei der Zahl der Millionäre geschlampt haben muss – der eine erkennt, dass seine Opferrolle keinen interessiert, der andere nimmt wahr, dass er ein Würstchen ist. Mühsam muss der Krisenkasper seine Rolle neu definieren, die Scherben seiner Partnerschaft unter Schmerzen beiseite kehren und in der Wüste seiner Seele nach dem Sinn des Lebens suchen.

Die gute Nachricht ist, dass sich das kognitive Klimakterium nur fünf Prozent einreden. Der Rest bemerkt, dass das Leben mit einiger Erfahrung in Beruf, Alltag und Umgang mit Alkoholika, Kraftfahrzeugen und Schusswaffen durchaus seine Reize hat, vor allem, wenn man jungen Hüpfern, die grün hinter den Ohren sind und die Reste ihrer Eierschalen noch mit sich herumschleppen, ein kerniges Komm Du erst mal in mein Alter, Freundchen vor den Latz ballern kann, wenn die ihre ungelenken Gehversuche vor einem zeigen. Wer nähme dafür nicht graue Schläfen in Kauf.





Kahlschlag

29 09 2011

„Wie soll’s denn werden, Herr Rösler? Wie immer? Flachdachschnitt? Das Primanermodell? Gerne. Mache ich Ihnen so zurecht, dass man denkt, Sie seien gar nicht beim Frisör gewesen. Ein Schnitt, so langweilig wie Ihr Gesicht.

Das Geheimnis ist es, das Beste aus seinem Typ zu machen, Herr Rösler. Und bei Ihnen ist das nicht ganz einfach – Sie sind kein Typ. Sie sind die personifizierte Ersatzflüssigkeit. Sie könnten sich ein Brikett in die Schädeldecke dübeln, es würde keinem auffallen. Deshalb macht es ja auch so viel Spaß, Ihnen die Haare zu schneiden. Es ist doch eigentlich egal, was dabei rauskommt.

Vorne etwas fransig? Was wollen Sie damit sagen, Denkverbote? Wer macht denn alle paar Wochen, wenn wieder mal eine Wahl für Ihren komischen Verein in die Hose gegangen ist, einen Riesenaufstand und verkündet, dass jetzt alles anders wird? Also alles wie immer, und dann haben Sie verstanden, und dann wird es sofort anders, weil alles bleibt, wie es war? Stufig schneiden oder gerade herunter? Ja, entscheiden müssen Sie sich schon, Herr Rösler. Peppiger? Dann sollten wir hier am Pony eine kleine… also jetzt doch klare Kante? und vorher noch mal die Mitglieder befragen, damit Sie wissen, was Ihre Meinung ist?

Na, das sieht ja hübsch aus hier. Haben Sie da in Ihrer Freizeit selbst mal herumgeschnippelt? Ach, und warum ist das hier schief? Sie meinen also, wenn das schief aussieht, dann sind die anderen schuld. Klar, das sieht man sofort ein. Und wenn Sie jetzt auch noch behaupten, die anderen seien alle viel zu dumm, um Sie zu wählen –

Die Tolle ist natürlich auch sehr hübsch. Hier vorne nicht so viel von der Pomade reinkleistern, Herr Rösler. Das ist für echte politische Hoffnungen und solche, die es noch werden wollen. Also lassen Sie besser die Finger davon. Hier könnten wir den Ansatz noch etwas kräftiger auftoupieren, das verleiht dem Schopf mehr Stand. Brauchen Sie nicht? Na, Sie müssen es ja wissen. Bitte, lasse ich das Spray halt weg. Dann kippt es halt, Sie sind es ja gewohnt.

Seien Sie vorsichtig mit den Seiten, Herr Rösler. Das wächst schnell, wenn Sie nicht aufpassen. Vor allem hier unten. Das gibt unangenehme Ränder. Der Möllemann, der hätte Ihnen da was erzählen können – der wurde da regelrecht braun. Und dann hat man da auch immer so viel Last mit dem Ungeziefer, was sich da ansiedelt. Also doch? Gut, dann würde ich Ihnen zu einer ordentlichen Lösung raten. Haider-Schnitt. Kurz, aber wirkungsvoll.

Achten Sie bitte auf das richtige Shampoo, Herr Rösler. Wenn das Zeug teuer ist, in einer hübschen Verpackung steckt oder penetrant riecht, muss es noch nicht gut sein. Trennen Sie sich davon. Sonst liegt bei Ihnen alles voller Flaschen. Schmierig ist es in Ihrem Laden schon genug. Und beim Styling bitte darauf achten, dass Sie auch genug von Ihrer eigenen Heißluft abkriegen, Herr Rösler. Wäre doch wirklich schade, wenn Sie versehentlich die halbe FDP umpusten.

Eine Windstoßfrisur könnte ich Ihnen machen. Wird auch gerne genommen. Durchgestufter Schnitt mit etwas längerer Frontpartie. Asymmetrisch, tendiert vor allem im sichtbaren Bereich nach rechts. Hält was aus. Zumal Sie in nächster Zeit vorwiegend Wind von vorne bekommen dürften, Herr Rösler. Und ich wäre an Ihrer Stelle nicht einmal sicher, dass es sich nur um Luft handelt. Da braucht’s dann etwas, das sich pflegeleicht wieder auswaschen lässt.

Sie werden hier schon etwas grau, Herr Rösler. Das ließe sich jetzt auf mehrere Arten behandeln. Sie könnten einfach dazu stehen, aber das würde von Ihnen Ehrlichkeit verlangen. Oder einfach weniger Realitätsverleugnung. Wir könnten das auch einfach kurz rasieren. Dann fällt es nicht so auf, aber wir müssen das Problem selbst nicht angehen – oberflächliche Symptombekämpfung, damit sollten Sie doch in zwei Ministerien und in Ihrer Partei genügend Erfahrung gesammelt haben, Herr Rösler. Alt? Ach wo, Sie sehen doch nicht alt aus. Eher altersgerecht. Sie haben Ihre Biografie vorgestellt, jetzt können Sie den Löffel abgeben.

Nein, hier nur Tönen. Nicht Färben. Mit Herumgetöne kennen Sie sich doch aus, Herr Rösler? Dann also Tönen. Passt auch viel besser zu Ihnen. Etwas schnell aufgetragener Effekt, an der Substanz ändert sich nichts, und wenn man’s nicht mehr braucht, wird es einfach abgewaschen. Sie haben ja noch die eine oder andere Landtagswahl vor sich, richtig?

Na klar, wir machen hier ein paar Westerwellen rein. Überhaupt nichts für Ihren Typ, wenn Sie mich fragen. Steht Ihnen nicht. Nicht besonders haltbar. Aber dieses leicht ins Vulgäre hinüberspielende populistische Styling – das müsste man integrieren können in Ihren Schnitt. Sie brauchen einen echten Hingucker. Strähnchen, Extensions bis an die Fünf-Prozent-Hürde und vielleicht einen neuen Basis-Schnitt, den Sie dann nach Lust und Laune verändern können. Mal liberal, mal demütig, mal rechtspopulistisch. Was Sie so an Facetten brauchen, Herr Rösler. Bürgerlich. Und seriös, wenn man nicht zu genau hinschaut. Ein Geert-Wilders-Gedächtnisfeudel. Ordentlich Festiger drauf, am besten Drei-Prozent-Taft, den können Sie auch für Ihre Koalition verwenden, und dann lassen Sie sich ordentlich abbürsten. So – wenn Sie da hinten mal schauen wollen? Sie haben da nämlich immer noch jemanden im Nacken sitzen, und das, Herr Rösler, ist nicht mein Problem.“





Im Internet geboren

28 09 2011

„… dass 560.000 Menschen in Deutschland vom Internet abhängig seien. Vor allem die Teilnahme an sozialen Netzwerken sei ein großes Problem, das nur mit Hilfe von sozialtherapeutischen…“

„… wies Bundesinnenminister Friedrich (CSU) darauf hin, viele Verbrechen seien damit auch als Rauschtaten zu werten, da nicht auszuschließen sei, dass sich Straftäter und andere Terroristen die Anregungen für ihre Gesetzesbrüche von der Datenautobahn…“

„… ein vorläufiges Verbot digitaler Technik, das allerdings auf Widerstand bei den wirtschaftsnahen Arbeitskreisen stieß. Man dürfe viele Millionen Fernsehzuschauer nicht von ihren…“

„… warnte Bundesgesundheitsminister Bahr, inzwischen seien wesentlich mehr Arbeitsplätze vom Internet abhängig – dies stelle ein erhebliches Suchtpotenzial…“

„… problematisch, dass inzwischen auch Browserspiele ein hohes Suchtpotenzial entwickeln könnten. Inzwischen sei der Arbeitskreis zu der Überzeugung gekommen, Flash-Produkte stellten keine wirkliche Gefahr dar, da handelsübliche Endgeräte aus dem Ausland sie wirkungsvoll sperrten. Man werde unmittelbar nach der Rückkehr aus Cupertino einen Bericht anfertigen, sobald einer der Delegationsteilnehmer ermittelt hätte, was ein Browser…“

„… sich nach ersten Nachrichten, dass eine sofortige Einschränkung des Internetzugriffs durch gesetzliche Regelungen erfolge, eine Modem-Szene hinter dem Hauptbahnhof…“

„… auf Betreiben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, Arpanet und BTX auf die Liste der Einstiegsdrogen…“

„… ein unerwartet schnelles Ergebnis: schon im ersten Anlauf bekam die CSU ihr Gesetz zur Verhinderung der dauernden Gemeinschädigung durch Daten durch den Bundestag. Neben einer Verpflichtung der Eltern, Kinder unter 16 sinnvoll zu beschäftigen, ist nun innerhalb einer Übergangsfrist bis 2049 das Verbot von 14K-Modems…“

„… zufrieden über den Behandlungserfolg; das Team habe zwanzig Jugendliche, die vorher vier Stunden und mehr pro Tag MMORPGs gespielt hatten, durch Computerschach abgelenkt. Inzwischen sei ein Großteil der Patienten so motiviert, dass sie bis zu achtzehn Stunden täglich mit Super Mario 64…“

„… rief Uhl dazu auf, die Piraten als Förderer der Internetsucht auch offiziell zur kriminellen Vereinigung zu…“

„… beharrte Friedrich auf seiner Darstellung. Es sei zwar nicht nachzuweisen, dass Terroranschläge auf verrohenden Einflüssen der Online-Welt beruhten, doch seien vor allem Jugendliche aus nichtkatholischen Haushalten durch exzessiven Konsum von Musikvideos und koffeinhaltiger Brause zu verhaltensauffälligen…“

„… der Schriftzug k4(k þ1(h v0m 4(k3r $(hn4(k3r auf der Homepage der Christdemokraten nicht wirklich…“

„… sich offenbar um ein Missverständnis. Aufgeschreckt von der Meldung, dass der Zugang zum Internet aus Präventionsgründen nur noch beschränkt erfolgen solle, unternahm er den Versuch, Facebook komplett herunterzuladen. Die CDU-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag betonte zwar, es sei nur eine…“

„… beruhigte die Drogenbeauftragte die Presse mit der Nachricht, andere Medienkonsumenten seien nicht betroffen; das RTL-Publikum bestehe also aus Vollidioten, sei aber im Gegensatz zu den…“

„… wies die Deutsche Bischofskonferenz nochmals eindringlich darauf hin, dass Internetsucht erwiesenermaßen Schäden wie Rückenschmerzen und Sehschwäche hervorrufe, was den Verdacht nahelege, gotteslästerliche Filme mit spärlich bekleideten Frauen könnten…“

„… dass das von Bundesfamilienministerin Schröder ins Leben gerufene soziale Netzwerk MyDeutschnet einen großen Schritt hin zur Suchtprävention mache, da es seine Teilnehmer schon nach einer Viertelstunde automatisch wieder auslogge. Empirische Untersuchungen würde es allerdings so schnell nicht geben, da keines der zwanzig Mitglieder freiwillig länger als fünf Minuten in der…“

„… sich die SPD für Vorratsdatenspeicherung zum Jugendschutz einsetzte, denn nur mit Hilfe einer anlasslosen Datensammlung ließe sich auswerten, ob die Online-Sucht von Jugendlichen überhaupt existiere, wozu man allerdings vorab die gegen das Grundgesetz verstoßende Regelung aus Sicherheitsgründen bis zur nächsten Wahl kaum…“

„… wegen der vergrößerten Bandbreite ein Referenzzeitraum von drei Stunden Surfen mit dem Analogmodem anzurechnen sei. Demnach sei dem anständigen Bundesbürger täglich höchstens eine Online-Zeit von anderthalb bis zwei Sekunden…“

„… beklagten BKA und DpolG, dass raffinierte Jugendliche, die die im Internet geborenen subversiven Strategien, sich mit Hilfe von Buchstaben zu verständigen, auf Kulturtechniken wie Mit-dem-Kugelschreiber-auf-Papier-Schreiben übertrügen. Es sei noch nicht nachgewiesen, ob die Kugelschreiber im Internet erworben…“





Frontal

27 09 2011

„Schaggeline, ich hab Dich gesagt, Du sollst mit den Mann da mitgehn!“ Das aufwendig tätowierte Ding im strassbesetzten Jeansanzug wedelte mit seinen dicken Armen durch das Studio. „Nu mach das auch, Schaggeline – und denn lass Dich das Geld in bar geben, hörst Du?“ Siebels verzog keine Miene. Wie sollte er auch. Schließlich hatte er sich das hier selbst eingehandelt.

„Und Sie setzen mich bitte nicht direkt neben diesen linken Typen!“ Reinhold Stoible wackelte nervös auf seinem Hocker herum. Die Mutter und ihre 15-jährige, deutlich schwangere Tochter irrten noch immer im Studio umher; der Beleuchter kümmerte sich nicht um sie, die Regieassistentin stellte sie teilweise ruhig und teilweise einfach an die rechte Seite. „Ich meine, ich muss doch nicht neben dem sitzen?“ Der Landtagsabgeordnete war gar nicht zu beruhigen. Siebels drehte sich mürrisch zu ihm um. „Nein, Sie werden nicht neben ihm sitzen, weil es ich ihm versprochen habe. Er kann Sie auch nicht ausstehen. Und er ist sowieso erst heute Nachmittag dran.“ Der Politiker schien für einen Moment beruhigt, da gab ihm Siebels das verabredete Zeichen. „Und bitte – auf Position! Ihr Auftritt!“ Ein paar Takte Plastikmusik dudelten aus dem Lautsprecher, während Stoible in die Kamera stolperte. „Der Mann ist grauenhaft“, konstatierte Siebels, die graue Eminenz der Fernsehmacher. „Wirklich schlimm. Ich bin echt froh, dass ich ihn gefunden habe.“

Ich reichte ihm einen Becher mit frischem Kaffee. „Er hat den Auftritt halbwegs hingekriegt.“ Der TV-Erfinder blickte zufrieden auf die Szene. Doch wo war die Moderatorin? „Sie warten auf die vertragliche Beistellblondine? Vergessen Sie’s. Wir haben keine.“ „Eine Talkshow ohne Moderatorin“, fragte ich verwundert, „wie soll das funktionieren? Und warum?“ Er nippte an dem heißen Gebräu. „Gar nicht. Deshalb ist es ja auch keine Talkshow.“ Stoible hatte unterdessen die Beine um den Stuhl gewickelt und blinzelte ins Scheinwerferlicht. Da kam Jacqueline aus der Dekoration und schritt auf die Bühne zu. „Und jetzt“, verkündete Siebels mit ironischem Unterton, „passen Sie mal gut auf. Da können Sie noch etwas lernen.“

„Sie können die doch nicht einfach so neben mich setzen – hallo? Ist da jemand?“ Siebels gluckste; der Anzugträger wrang bereits an den Stuhllehnen herum und knotete die Knie übereinander. „Was machen Sie überhaupt hier? Das ist eine anständige Sendung!“ „Was machen Sie denn dann hier“, giftete der Teenager zurück. „Und überhaupt, wer sind Sie eigentlich? Hat Ihnen keiner beigebracht, dass man sich einer Dame vorzustellen hat?“ „Dame?“ Stoible wurde bereits hysterisch. „Ich sehe hier keine Damen!“ „Ich geb Sie keine Dame“, keifte es aus der Kulisse. „Sie benehmen sich meine Frau Tochter gegenüber anständig, sonst mach ich Sie Ärger!“ „Was macht der Typ hier eigentlich? Ich wollte doch heute das Testergebnis kriegen, ob das Kind jetzt von Ronny ist?“ Ich stöhnte; Siebels kicherte leise auf. „Ich wusste, Sie würden es lieben.“

Stoible richtete sich kerzengerade auf und suchte die Kamera. „Nehmen Sie das auf? Dann sage ich Ihnen hier an dieser Stelle, dass wir eine bessere Grundausbildung in der Bundeswehr brauchen, weil wir inzwischen eine Quote von über 22% haben, die den Wehrdienst bereits in der Probezeit – hören Sie mir eigentlich zu?“ „Ich hatte nicht vor, mich freiwillig zu melden.“ Siebels grinste. „Darüber hinaus sollten Sie vielleicht die Verpflichtungsprämie zur Kenntnis nehmen sowie die Tatsache, dass die Versorgungsanwartschaften bei einem Wechsel in die Wirtschaft…“ Siebels nippte an seinem Becher und dehnte sich behaglich. „Jetzt passen Sie gut auf. Diese Leute sind so wunderbar vorhersehbar.“ Stoible hatte längst die Nerven verloren. „Ich muss mich hier doch nicht mit sozial verwahrlosten Jugendlichen aus dem Prekariat herumschlagen“, kreischte er, „ich will auf der Stelle den Programmdirektor sprechen! Auf der Stelle, hören Sie?“

„Also versuchen Sie gerade, zwei Talkshow-Formate ineinander zu pressen?“ Der Fernsehmann schüttelte den Kopf. „Nicht die Sendung, sondern die Personen. Wie Sie sehen, bestehen bereits die ersten zarten Bande zwischen unseren Darstellern.“ In der Tat gingen die Beschimpfungen mit unverminderter Heftigkeit weiter. „Lassen Sie mich doch in Ruhe mit Ihrem Mist“, schrie Stoible. „Kriegen Sie lieber Ihr verpfuschtes Leben auf die Reihe, statt weiter auf meine Kosten zu leben!“ „Sie müssen das richtig einordnen“, belehrte mich Siebels. „Wenn Jacqueline von diesem jungen Mann ein Kind bekommt, ist das für sie durchaus eine existenzielle Entscheidung – ob irgendjemand diesen rechtskonservativen Hinterbänkler in der Glotze sieht, interessiert hingegen keinen.“ „Warum zeigen Sie ihn dann“, fragte ich verwirrt. „Um dem Zuschauer klarzumachen, was er von seinen Protagonisten erwarten kann.“

Unterdessen war der Streit eskaliert. „Sie liegen mir auf der Tasche“, pöbelte Stoible. „Lassen Sie mich die Schaggeline in Ruhe“, brüllte die Mutter dagegen, „wenn die ihr Abitur haben tut, dann geht sie zu ihr Vater sein Hotel und tut ihre Ausbildung machen!“ Stoible glotzte. „Wir hätten ihn besser briefen sollen“, sagte Siebels und knüllte den Becher zusammen. „Der Familie gehören immerhin zwei Hotels und einige größere Waldstücke bei Bad Schlirfingen.“ Er schmiss den Papprest in den Abfalleimer. „Aber seien Sie froh. Sie müssen den Mist nur einmal sehen.“





Vergebens

26 09 2011

„Wir bringen uns schon mal in Stellung, falls es ernst wird. Man weiß ja nie, ob die Regierung die nächsten drei Tage übersteht, da muss man dann schnell reagieren können. Und seitdem der Papst hier war, wissen wir auch endlich, wie wir das alles hinkriegen. Wir vergeben uns. Das klappt immer.

Ja, Sie haben richtig gehört. Wir vergeben uns. Die Sozialdemokraten haben offiziell beschlossen, sich ihre Sünden und Verfehlungen zu vergeben. Ein Akt der christlichen Nächstenliebe. Gut, normalerweise vergibt sich die Partei sonst nichts, aber wir wollen mal nicht so sein. Schließlich geht es diesmal um etwas. Noch eine Legislaturperiode ohne Kanzler, dann kommen die Grünen wieder auf die Beine und wir müssen uns mit Künast als Spitzenkandidatin herumschlagen – das werden Sie doch nicht ernsthaft wollen?

Ablasshandel, das halte ich jetzt nicht für den richtigen Begriff. Das klingt so negativ. Wir haben uns entschlossen, Buße zu tun. Zunächst einmal durch ein vollkommen anderes Auftreten – nicht mehr diese fürchterlichen Selbstzweifel, die einen zerknirscht und angstbeladen erscheinen lassen und völlig regierungsunfähig, nein, wir stehen jetzt zu unseren Sünden. Ja, wir haben viel falsch gemacht. Und deshalb können wir auch selbstbewusst sagen, dass ab jetzt alles richtig ist. Weil wir ja unsere alten moralischen Maßstäbe nicht mehr beachten. Eine Vergebensstrategie – klingt cool, oder?

Es muss mehr Offenheit herrschen im Kontakt mit den Gläubigen, mit den Wählern, wollte ich sagen. Es muss wieder eine ganz klare Haltung her, die uns abhebt von der jetzigen Regierung – die Kanzlerin kommuniziert einfach falsch mit den Bürgerinnen und Bürgern, und dabei kommt ja auch nichts raus als lauter Chaos und Verwirrung. Daher haben wir Sozialdemokraten uns entschlossen, gar nichts mehr zu erklären. Toll, oder? Wir führen damit auch offiziell die Trennung von Kirche und Staat durch – wir, das ist die Kirche, und der Staat kann machen, was er will.

Dass wir jetzt Abgeordnetenbestechung strafbar machen wollen, das passt doch voll in dieses neue Profil, oder? Klar, wollten wir schon immer. Genau wie den Mindestlohn oder einen Truppenabzug aus Afghanistan. Das war immer sozialdemokratisches Kernanliegen! Wir konnten das nur nicht so zeigen, weil wir bis 2009 so wahnsinnig viel mit Regieren beschäftigt waren, da sind wir zu nichts gekommen. Und jetzt, wo wir die nächste Kanzlerschaft schon so gut wie sicher haben, da wollen wir jetzt auch gestalten. Weil wir die SPD sind, und wir sind ja eine klassische Dafür-Partei.

Das müssen Sie jetzt auch unter dem Gesichtspunkt der tätigen Reue sehen. Wir haben der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt, aber das heißt ja nicht, dass wir das jetzt auch tun würden. Ganz sicher nicht. Wir sind ja eine klassische Dagegen-Partei. Nein, wir würden im Falle einer Regierungsübernahme nur ganz einfach eine neue Form von anlassloser Datensammlung planen, da das einfach zu unserem Profil gehört. Das erwartet ein Teil der Wähler. Das erwarten natürlich auch unsere politischen Gegner – und glauben Sie, dass wir denen in Nächstenliebe begegnen könnten, wenn wir ihnen einfach ihr Feindbild wegnähmen? Wie sollen die denn Petitionen einreichen und vors Bundesverfassungsgericht ziehen ohne uns? Wie sollen die denn demonstrieren? Sie müssen die SPD doch auch mal gesamtgesellschaftlichen sehen, wir können doch nicht einfach so machen, was wir für richtig halten! So ein dogmatisches Gebäude, das können Sie doch nicht einfach in drei Tagen abreißen und neu bauen!

Es gibt immer ein paar Mysterien, die Sie nicht rational begreifen werden. Den elektronischen Personalausweis und die Terrorgesetze kann man nicht vernünftig erklären. Glauben Sie einfach dran. Ist im Zweifel sowieso besser, weil Sie sonst dran glauben müssen.

Natürlich kann das auch problematisch werden. Schauen Sie, die Glaubensgrundsätze können wir nicht von heute auf morgen vom Tisch wischen. Wir müssen an den Hartz-Gesetzen festhalten, weil wir ja wissen, dass ein bisschen Druck, ein bissel Repression die Menschen erst gefügig macht. Wenn man Ihnen nicht regelmäßig erzählt, wie schlimm es in der Hölle ist, würden Sie dann noch in die Kirche laufen? Na, sehen Sie! Und wenn wir nicht mit einer parteipolitisch ausgewogenen Lohn- und Arbeitsmarktpolitik den Leute klarmachen, dass das Lohnabstandsgebot für die deutsche Wirtschaft, also für uns alle gut ist, dann werden Sie als Arbeitnehmer sicher doppelt so freudig einem sittlich einwandfreien Lebenswandel nachgehen.

Klar, für die Aufstocker ist das hart. Aber wenn Sie es mal unter der historischen Perspektive sehen, was wäre eine große Bewegung ohne Märtyrer?

Befreiungstheologische Momente werden wir wahrscheinlich auch irgendwo mit aufnehmen, ja. Irgendwie müsste man sich ja auch mal erneuern und ein bisschen modernen Geist atmen. Ob wir in unseren Wahlkampfreden vielleicht immer mal wieder Internet sagen? Ich meine, wir müssen ja nicht gleich Internet gucken wie die Grünen, es reicht doch, wenn wir darüber sprechen. Meinen Sie nicht, dass unser netztheologisches, -politisches natürlich, dass das Profil dadurch besser würde?

Das wird sich zeigen. Bis jetzt haben wir noch immer alle unangenehmen Sachen aufgeklärt in der sozialdeko… ’tschuldigung: sozialdemokratischen Partei, auch die Verfehlungen, die zu massenhaften Austritten und Glaubwürdigkeitsverlust geführt haben. Da, wo wir große Probleme haben, unsere Wähler noch in Gnade und Barmherzigkeit zu begegnen. Es gibt in unseren Reihen ja durchaus einige, die es uns schwer machen, bei denen auch kein Erneuerungsprozess hilft, weil sie einfach zu schwere Schuld auf sich geladen haben. Wir dürfen sie nicht einfach weiter irren lassen, das wäre für uns alle nicht gut, verstehen Sie? Wenn man Ketzer wie Sarrazin und Edathy nicht in die Gemeinschaft zurückholen kann, dann muss man offensiv ein Zeichen setzen dagegen. Frau Nahles hat sich daher bereiterklärt, nächste Woche eine Viertelstunde lang ganz böse zu sein auf Helmut Schmidt. Das wird uns bestimmt spirituell viel reifer machen. Oder so.

Also, was halten Sie davon? Glauben Sie nicht auch, dass St. Peer uns alle retten wird? Na, dann werden Sie mal schön selig.“





Aus der Literaturproduktion

25 09 2011

für Robert Gernhardt

Soll man noch Gedichte schreiben?
Reime, Blatt für Blatt?
Sind’s Sonette, sind’s Terzinen,
das macht keinen satt.

Oder lieber gleich ein Drama?
List und Lug und Trug?
Selten man vernahm, dass solches
je zu Buche schlug.

Auch Romane, Kurzgeschichten,
Märchen und Novellen
lagern bleiern in Regalen,
keiner will’s bestellen.

Sei’s ein Drehbuch, ein Libretto,
das macht’s nur noch schlimmer.
Also schreibe ich ein Kochbuch.
Das verkauft sich immer.





In fünf Zeilen um die Welt. Limericks (LX)

24 09 2011

Spät nachts kehrt José in Yopal
vom Skat heim. Sein Weib weckt ein Knall,
dann Tappen und Suchen,
ein Stoß, leises Fluchen –
und dröhnender Glasscherbenschall.

Kwamina in Oduponkpehe,
er trat einer Frau auf die Zehe.
Die Zufallsbekanntschaft
die Koffer heranschafft.
Sie schlossen tags drauf schon die Ehe.

Woltjanski aus Elektrostal
war rings um die Nase schon fahl –
beim Essen es herging,
man reichte ihm Hering
und Wodka dazu. Jedes Mal.

Bahadur fuhr Bier durch Byas,
ein hölzernes Zwölf-Liter-Fass,
und zwar, da es Geld spart,
fuhr er’s auf dem Fahrrad.
Bis eben. Jetzt ist er klatschnass.

Herr Gustafsson holte in Flen
das Segel vom Mast ein. An den
zieht er nun ein neures,
zwar hübsches, doch teures,
das ist aus Polypropylen.

Obraschtschew, der hielt sich in Mesen
auf Kosten des Zaren Mätressen,
bis jede ’nen Mann fand.
Doch nicht um den Anstand,
die Damen begannen zu stressen.

Frau Grübel wollt in Irnfritz-Messern
den Wuchs ihres Birnbaums verbessern.
Sie düngte und harkte.
Der Trieb, der erstarkte
nur kurz. Sie vergaß das Bewässern.





Gernulf Olzheimer kommentiert (CXXI): Karrierepaare

23 09 2011
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Non est bonum, bestätigt die seinerzeit von Genderstereotypen weitgehend freie und ebenso mit den Segnungen politischer Korrektheit versehene Gebrauchsanleitung der Dunkeldenker, esse hominem solum; unter Abzug des generischen Maskulinum darf auch die aufgeklärte Gesellschaft ihr Süppchen darauf kochen und dem Trieb die Schuld geben, dass sich die natürliche Ordnung des Herdenwesens nie verändert hat. Noch immer glaubt der Häuptling, dass seine Lebensplanung in Ordnung sei, wenn er sich der tumben Tradition ergäbe. Nichts davon ist wahr, und Karrierepaare machen es nicht wahrer.

Hinter jedem erfolgreichen Primaten, bewaffnet mit Keule, Speer oder Hedgefonds, stand früher ein erfolgreiches Mütterchen, stark der Außenwirkung verpflichtet, meist jedoch auf die Kernkompetenzen des Arbeitsalltags in der Mehrpersonenhöhle beschränkt. Während Männe Weltreiche eroberte, schrubbte sein Weib die Wäsche und erfand die Kulturtechniken. Während sie als Pharmakologin, Pädagogin oder Priesterin die Bildungsteilhabe der Herde sicherte, befasste er sich mit Kugelgrills, Faustfeuerwaffen und Alkoholika, aus Gründen der Bequemlichkeit zum Patriarchat zusammengefasst und von der Sportschau bis zum Thing gut vermarktet. Aber was bringt das schon, wenn spätestens mit Erfindung des Verbrennungsmotors die Freuden der Pflicht wieder brüllend sich in den Vordergrund drängen?

Fortan wuchs mäßige Stärke zu mäßiger Verantwortung, das vermeintliche Alphamännlein wählte sich ein knapp unter der sozialen Sollbruchstelle dümpelndes Frauchen – Kronprinz zu Kuhmagd, Klärwerksgehilfe zu Kanzlette – und demonstrierte seinen Status um so penetranter. Die bürgerliche Gesellschaft wuchs schmerzfrei heran, derlei Unterschiede gehörten dazu wie Eierlikör im Leitzordner. Doch die Essenz des Karrieredenkens in der kapitalistischen Leistungsklassengesellschaft hielt sich nicht lange mit der Theorie auf.

Inzwischen pfeift die Krankenschwester auf den austauschbaren Facharzt, die Staatsanwältin will mindestens einen Amtsrichter, der promovierte Physiker (Dissertation trotz langjähriger Vaterschaft eigenhändig verfasst) braucht zur Absicherung eine Versicherungsangestellte: die Verhältnisse, sie sind nicht so einfach, und der Männerglaube ist am natürlichen Ende angelangt. Man trifft sich auf Augenhöhe. Und wer da wem in die Augen schaut, ist Verhandlungssache.

Schwierig wird es, wo der Hominide nichts mehr ohne fremde Hilfe hingeschwiemelt kriegt. Denn an der traditionellen Aufgabenteilung hat sich noch nichts geändert. Nach einem aufreibenden Arbeitstag kommt das Männchen in die eheliche Behausung zurück und stellt fest, dass die Socken noch nicht gewaschen wurden. Alternativ (in diesem Setting geht eins der Gehälter dafür drauf, dass sich keiner von beiden um den Haushalt kümmern muss, so dass beide arbeiten können) hat die Perle den Waschvollautomaten falsch bedient und sorgt für hübschen Gesprächsstoff, der bei einer Flasche guten Rotweins endet, entweder in Gewalt gegen Schädelknochen oder in einer zünftigen Zirrhose, beides ein permanenter Rettungsschirm für die Gefahren, die man bei vernünftiger Sozialisation nicht hätte.

Denn die Sozialisation ist der Knackpunkt; das, was die übliche Partnerschaft ausmacht, die Stresstoleranz gegenüber plärrenden Kindern, Hypothekenzins fürs Eigenheim und nervenden Nachbarn, reicht im Zweifel weder für eine Ehe, geschweige denn zur Replikation als Wiedervorlage im Genpool, und soll doch das idealisierte Bild einer Partnerschaft rechtfertigen, wo nur heiße Luft vorhanden ist. Fröhlich, dann gestresst, schließlich in stetigem Adrenalinbungee lebt das Paar vor sich hin und aneinander vorbei – der eine pfropft sich ein Managementseminar nach dem anderen in die Birne, die andere Hälfte der schlagenden Verbindung dümpelt zwischen Reiki und Bürgerinitiative, um endlich die lebenstypischen Symptome zu spüren. Die Krise lebt! Hätte der Anderthalbchromosomer alsbald gerafft, dass eine intellektuell ebenbürtige Partnerin ihn nicht generell abwertet, hätte die Frau gemerkt, dass sie ihre Jagd nach dem goldenen Kalb nicht im Imitationsmodus männlicher Verhaltensweisen betreiben muss, sie wären halbwegs glücklich, denn die postmodernen Doppelverdiener besäßen mehr als den intrinsischen Wunsch, alles potenziell Gefährdende auf der Karriereleiter wegzubeißen – Gleichwertigkeit kommt in diesem Raster nicht vor.

Und so werden auch künftig leistungsbezogen eingenordete Lemminge das strapaziöse Leben im Büroalltag als billige Ausrede benutzen, um nach Lust und Laune aus dem selbst aufgerichteten Korsett einer bürgerlichen Existenz auszubrechen, sich beim geringsten Luftwiderstand wieder scheiden zu lassen und ansonsten in der Opferrolle zu verharren. Vor fünfzig Jahren arbeitete man noch gemeinsam am Erfolg. Aber das wäre heute eine Hälfte zu wenig für jeden.





Verratzt

22 09 2011

„… zunächst nur Erstaunen, teilweise Heiterkeit, dann jedoch blankes Entsetzen, das in lautes, ja tränenreiches Wehklagen mündete, als Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. in seiner lang erwarteten Rede vor dem Deutschen Bundestag die Konsequenzen zog, sein Amt niederlegte und zugleich die Auflösung der Römisch-katholischen Kirche…“

„… begrüßte Bundespräsident Wulff die Entscheidung seines Amtskollegen. Das Staatsoberhaupt des Vatikans genieße die in der deutschen Verfassung verankerte Religionsfreiheit, da er nun völlig frei von Religion sei, könne er…“

„… weigerte sich Joachim Kardinal Meisner, die Demission des Kirchenoberhauptes anzuerkennen, nd kündigte an, auf dem Wege der Zivilklage…“

„… zeigte sich die Börse fest, aber uneinheitlich in den Immobilienmärkten – angesichts der großen Bauten weltweit und der ungeheuren Grundwerte drohe nun ein Preisverfall, der sich auch auf den Euro auszuwirken…“

„… nannte Bundesinnenminister Friedrich die Aussagen des ehemaligen Papstes eine Mischung aus Hochmut und Kleingeist, aus Provinzialität und Überheblichkeit, die ihn als Katholiken…“

„… auch Rösler den Befreiungsschlag wagte: die FDP solle so schnell wie möglich liquidiert werden, um den Weg in eine vernünftige Kultur jenseits der geistig-politischen Wende zu…“

„… sei im Nachhinein nur als beschämend, ja schäbig anzusehen, dass sich das Staatsoberhaupt im ersten Teil seiner Rede noch wie ein religiöser Führer geäußert habe. Dieser Missbrauch der Würde des hohen Hauses sei für Gröhe nicht zu ertragen und nicht zu…“

„… überhaupt nicht zutraf. Kardinal Meisner zog die Androhung zurück, nachdem ihm versichert wurde, dass seine Bezüge auch nach Auflösung der Kirche weiter ausschließlich aus Steuermitteln…“

„… ob nicht die CSU nach Erledigung des Katholizismus automatisch aufgelöst werden müsse. Generalsekretär Dobrindt kündigte an, ein Rechtsgutachten beim Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg zu…“

„… auch aus kirchenrechtlicher Sicht nicht ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligen. Zwar sei die Demission des Papstes nach wie vor als eine unfehlbare Entscheidung anzusehen, da er sie in Amt und Würden erfolgt sei, doch sei ihre Folge eine Beschädigung der Kirche, die nur durch einen unfehlbaren Papst wieder aufgehoben…“

„… forderte Uhl die Vorratsdatenspeicherung, allein schon deswegen, weil ohne Kirche…“

„… sofort auf Zustimmung in allen politischen Lagern. Sogar innerhalb der Freidemokraten fand die mutige Entscheidung des Vizekanzlers mehr und mehr Zuspruch. Die Marke FDP, so Vorstandsmitglied Kubicki, sei derart verratzt, dass man heute nur noch eine…“

„… müsse die Legitimation des Aufenthaltes von Ratzinger in Deutschland nochmals geprüft werden. Mit dem Rücktritt als Papst und der Auflösung des Vatikans als souveränem Staat sei er auch kein Staatsoberhaupt mehr. Es sei aus diesem Grund auch nicht mehr zu rechtfertigen, 10.000 Polizeibeamten…“

„… von gegenseitiger Abneigung geprägt. Während der EKD-Ratsvorsitzende Schneider eine Aufnahme Meisners strikt ablehnte, forderte der Ex-Kardinal ebenso vehement die Auflösung der Evangelischen Kirche, da sie der Auflösung des Katholizismus nicht zugestimmt habe und…“

„… dass natürlich nicht ausgeschlossen werden könne, ohne den Koalitionspartner zu regieren. Rösler kündigte an, die Abwicklung der FDP sei nur angekündigt worden, da es keine Denkverbote mehr gäbe, ansonsten würde er sich aber keinen Maulkorb von der Kanzlerin, mit der er nach wie vor vertrauensvoll und gut…“

„… ankündigte, den Vatikan in einen Freizeitpark für Erwachsene umzugestalten. Die Schenkungsurkunde sei Berlusconi beim Ordnen der Nachttischschublade zufällig in die Hände…“

„… ließ Kim Jong-il sein Interesse an dem Amt durchblicken. Auf Vermittlung von Roland Berger wurde zunächst beschlossen, die…“

„… nicht geklärt, ob Ratzinger die Vernichtung des Vatikan-Archivs persönlich abgeordnet hatte, oder ob das Feuer auf die zwanzig bei dem Brandanschlag getöteten Geistlichen…“

„… zunächst eine Vortragsreihe über Chancen des religiösen Fundamentalismus, bevor er sich mit seinen Frauen niederlasse. Mustafa bin Meisner, wie er sich nach seiner Konversion nannte, kündigt an, auch einen…“

„… dass Stützkäufe nicht zu vermeiden seien. Um den Dollar abzustützen, beschloss die US-Regierung, den Kölner Dom und Notre Dame zu kaufen und für mit Hilfe eines japanisch-saudischen Investorenkonsortiums zu…“

„… schlagendes Ergebnis: mit 98,2% aller Stimmen – nur 1,8% waren dagegen – votierten die Mitglieder für eine sofortige Auflösung der FDP. Rösler machte für die Niederlage vor allem außerparteiliche Kräfte verantwortlich, Arbeitslose und Griechen, und kündigte an, die Wahl zu ignorieren, statt sich…“

„… ein Missverständnis, da Kim Jong-il davon ausgegangen war, den Kirchenstaat zu annektieren, nicht aber, auf eine marode Splitterpartei…“





Ja, mir san mit’m Radl da

21 09 2011

Ob Mister Waterhouse sein schnittiges Gefährt nun ausschließlich für seine Gefährtin über die australischen Straßen gelenkt hat, weiß man auch nach diesem Freitagstexter nicht. Vielleicht war sie seine Sozia, vielleicht auch die Vorsitzende. Oder er war der Prototyp des Aufreißers: erst die Damenwelt beim Tanztee mit dem heißen Ofen beeindrucken und dann eine Motorbiene gleich an Ort und Stelle in den Feuerstuhl verfrachten.

Kommen wir also zur lang erwarteten Preisverleihung. Wieder einmal eine Aufgabe für Unerschrockene…

Platz 3 gibt sich gar nicht erst mit den Mühen der Ebene ab, la-mamma tritt aufstiegsorientiert auf. Und zwar auf die Pedale.

„Von nun an geht´s bergauf!“ kann eine sehr gefährliche Drohung sein.

Platz 2 legt größtes Gewicht auf schwerwiegende Fragen. Pfefferoni war bis ganz zum Schluss dabei.

Die letzte Aufnahme des jungen Erfinders Hans-Rüdiger Flicklhuber. Seine letzten Worte wurden vom Fotografen zitiert mit: „Schatz, hast du zugenommen?“

Und schließlich Platz 1 für die feine Dreideutigkeit aus dem Bereich Transport und Verkehr, die wir stilhäschen verdanken.

Vorradsdamenspeicherung

Schaumwein und Streuselkuchen für alle, die mitgemacht haben (die Blaskapelle steht zum Glück im Stau), der güldene Pokal steht abholbereit beim stilhäschen – und da machen wir dann am Freitag, den 23. September weiter. Und ich bin jetzt erster Vornesitzer. Ohne Streit.